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Statthalter (AT)

(erstellt: Dezember 2019)

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1. Sprachlicher Befund

Für die Amtsbezeichnung „Statthalter“ im Sinne des Vertreters eines Regenten oder einer Großmacht bzw. des obersten Beamten einer → Provinz gibt es im Alten Testament verschiedene Termini:

● Bei dem Begriff פֶּחָה pæḥāh (28-mal hebräisch, 10-mal aramäisch), der pāḫatu „Statthalter“ entlehnt ist, handelt es sich ursprünglich um einen assyrisch-babylonischen Beamtentitel, der einen Provinzstatthalter bzw. Gouverneur bezeichnet und besonders häufig in den → Büchern Esra und Nehemia Verwendung findet (vgl. Esr 5,3.6.14; Esr 6,6f.; Neh 2,7.9; Neh 3,7). Nur in 1Kön 10,15 (vgl. 2Chr 9,14) kommt dieser Begriff im Kontext der israelitischen Königszeit unter Salomo vor; alle sonstigen Belege beziehen sich auf die Verhältnisse der assyrischen, babylonischen und persischen Verwaltung.

● Das Part. Nif. von נצב nāṣav1 „sich hinstellen / hintreten“ kann in bestimmten Fällen die Bedeutung „Statthalter / Gouverneur“ annehmen (1Kön 4,5.7; 1Kön 5,7; 1Kön 22,48 u.a.). Entsprechendes gilt für das von der gleichen Wurzel abgeleitete Substantiv נְצִיב nǝṣīv1 (2Sam 8,14 [2x]//1Chr 18,13; 1Kön 4,19 u.a.). Dieser Begriff wird vor allem in den die königliche Zeit betreffenden Überlieferungen gebraucht.

● Auch das Subst. שַׂר śar wird in Verbindung mit dem Begriff מְדִינָה mǝdînāh „Verwaltungsbezirk / Provinz“ (1Kön 20,14f.17.19; Est 1,3) bzw. הָעִיר hāʻîr „die Stadt“ (Ri 9,30; 1Kön 22,26; 2Chr 18,25) in der oben genannten Weise übersetzt.

● Entsprechendes gilt für den assyrisch-babylonischen Beamtentitel סֶגֶן sægæn (Jes 41,25; vgl. Jer 51,23; Ez 23,6) sowie für die Bezeichnung des persischen Statthalters in Jerusalem als תִּרְשָתָא tiršātā’ (Esr 2,63; Neh 8,9; Neh 10,2 u.a.).

Die These, dass der Begriff נָגִיד nāgîd administrative Bedeutung habe und als staatsrechtlicher Titel für einen Statthalter bzw. Präfekten Verwendung finde (Macholz 1975), orientiert sich insbesondere an 1Kön 1,35 und zieht zu wenig in Betracht, dass hiermit eine höher gestellte Persönlichkeit gemeint ist, die die Königswürde erlangen soll (Hasel 1986; vgl. 1Sam 9,16; 2Sam 7,8; 2Chr 11,22).

2. Statthalter in der Königszeit

Nach 2Sam 8,6.14 (vgl. 1Chr 18,13) setzte → David in den Außenprovinzen seines Reiches (→ Aram, → Edom) Gouverneure ein, die dort als נְצִבִים nǝṣivîm bezeichnet werden. In diesem Zusammenhang wird berichtet, dass die Aramäer tributpflichtig wurden, außerdem seien Aramäer wie Edomiter zu „Knechten / Dienern“ gemacht worden. Unter → Salomo traten nach 1Kön 10,15 (vgl. 2Chr 9,14) einheimische Statthalter als örtliche Vertreter des Königs auf, die mit militärischen und finanziellen Vorrechten, möglicherweise auch mit richterlichen Kompetenzen ausgestattet waren. In 1Kön 4,7-19 findet sich eine Liste von zwölf Statthaltern (נְצִבִים nǝṣivîm; vgl. 1Kön 4,7.19) Salomos einschließlich ihrer Verwaltungsgebiete. Die Zahl ergibt sich nach 1Kön 4,7 daraus, dass jedem der Provinzgouverneure die Versorgung des königlichen Hofes für je einen Monat oblag.

Auffallend ist, dass hier nur die Verwaltungsbezirke der Nordstämme unter Einschluss des Ostjordanlandes genannt werden, während Juda in dieser administrativen Gebietseinteilung fehlt. Nach V. Fritz (1995) spiegelt dieser Befund eine Sonderstellung Judas bei der Abgabenerhebung des Königs wider. T.N.D. Mettinger (1971) vermutet, dass in dieser Liste ursprünglich nur elf Distrikte aufgeführt gewesen seien, da 1Kön 4,19 eine nachträgliche Erweiterung des Textes darstelle. Als zwölftes Gebiet komme nur das in diesem Verzeichnis nicht genannte Juda infrage. Mettinger nimmt daher an, dass der in 1Kön 4,5 genannte Asarija ben Natan, der den Provinzstatthaltern vorstand, zugleich als Präfekt über das Gebiet Judas betrachtet werden müsse, das er direkt von Jerusalem aus verwaltet habe. U. Rüterswörden (1985) vermutet, dass Israel von Salomo staatsrechtlich in ähnlicher Weise behandelt wurde wie Aram und Edom unter David (2Sam 8,6.14 [vgl. 1Chr 18,13]; s.o.), deren Gebiete durch Gouverneure verwaltet worden waren, wenngleich diese nicht für die Eintreibung von Tribut, aber nach 1Kön 4,7 für die Versorgung des Hofes zuständig waren.

Dass die Statthalter als Wahrer der königlichen Interessen im Nordreich auch militärische Funktionen ausübten, geht aus der Darstellung der Aramäerkriege → Ahabs (871-852 v. Chr.) hervor. Die Truppen unter dem Kommando der Bezirksgouverneure werden dort als נַעֲרֵי שָׂרֵי הַמְּדִינוֹת naʻărê śārê hammǝdînôt, als „Gefolgsleute der Statthalter“, bezeichnet (1Kön 20,14f.17.19). Auch nach der sog. „Reichsteilung“ gab es solche Beamte (1Kön 20,14ff.; 1Kön 22,48), ohne dass hierbei eine feste Struktur erkennbar wäre.

3. Durch auswärtige Mächte eingesetzte Statthalter

3.1. Assyrische Zeit

Seit der Zeit der assyrischen Vorherrschaft (→ Assyrer) unterstanden zunächst die nördlichen Gebiete Israels, ab dem babylonischen Exil das ganze Land Vertretern ausländischer Mächte. Der neuassyrische König Tiglat-Pileser III. (745-727 v. Chr.) entwickelte eine imperialistische Politik, die auch in den Ländern der Mittelmeerküste Anwendung fand und mit der er der politischen Unabhängigkeit der kleineren Nachbarstaaten Israels – schließlich auch der des (Rumpf-)Staates Ephraim selbst – systematisch ein Ende bereitete. Sein Vorgehen erfolgte in der Regel in drei Phasen: In einer ersten wurde den anderen Völkern ein Vasallitätsverhältnis aufgezwungen, im Falle antiassyrischer Konspirationen erfolgte dann eine militärische Intervention, die mit der Einsetzung eines neuen loyalen Fürsten sowie territorialen Verkleinerungen und der Deportation führender Bevölkerungsanteile verbunden war. Schließlich wurde in einer letzten Phase die Unabhängigkeit der unterworfenen Gebiete gänzlich aufgehoben, wobei deren Territorien als assyrische Provinz mit einem Statthalter (šaknu bzw. bēl paḫāti) an der Spitze dem assyrischen Reich eingegliedert wurden. Im Jahr 724 v. Chr. kam es unter dem Nordreichskönig → Hoschea (731-723 v. Chr.) zu Emanzipationsbestrebungen des (Rumpf-)Staates Ephraim, der in einem Vasallitätsverhältnis zu Assyrien stand, indem die Tributzahlungen an Salmanassar V. (727-722 v. Chr.) eingestellt und diplomatischer Kontakt mit Ägypten als möglichem Verbündeten aufgenommen wurde (vgl. 2Kön 17,4). Salmanassar ergriff Gegenmaßnahmen, um die Rebellion gewaltsam zu unterdrücken. 722 v. Chr. erlag Samaria schließlich dem assyrischen Angriff. Der (Rumpf-)Staat Ephraim wurde zur assyrischen Provinz Samerīna gemacht, die Oberschicht nach Mesopotamien und Medien deportiert (2Kön 17,6) und dort eine fremde Bevölkerung besonders aus Babylonien und Mittelsyrien angesiedelt (2Kön 17,24). Soweit die konfiszierten Ländereien nicht von den assyrischen Statthaltern selbst genutzt wurden, konnten sie – im Sinne von „Belehnungen“ – auch der neuen Oberschicht zur Nutznießung zugewiesen werden.

3.2. Babylonische Zeit

Juda verlor seine Unabhängigkeit gänzlich erst durch die Auseinandersetzung mit den Babyloniern, in deren Gefolge es 587 v. Chr. zur → Zerstörung Jerusalems kam. Daraufhin beauftragte → Nebukadnezar II. (605-562 v. Chr.) den Judäer → Gedalja, den Sohn → Ahikams, mit der Wiederherstellung geordneter Verhältnisse in dem verwüsteten Land. Dieser residierte in → Mizpa (Tell en-Naṣbe; 2Kön 25,23; Jer 40,6), da das zerstörte Jerusalem als Verwaltungszentrum nicht mehr geeignet war. Gedalja wurde allerdings zusammen mit seinem Gefolge von nationalistisch gesonnenen Kreisen ermordet (2Kön 25,22-26; Jer 40,7-41,18).

Welchen genauen Status Gedalja hatte, lässt sich aus der biblischen Überlieferung nicht entnehmen. → A. Alt (1959) vermutet, dass die Region um Jerusalem, die eine recht geringe Ausdehnung hatte, von den Babyloniern nicht einem eigenen Gouverneur unterstellt, sondern dem Statthalter von Samaria zur Verwaltung übergeben wurde. Damit ließe sich auch der Verzicht der Eroberer auf die Ansiedelung einer neuen Oberschicht anstelle der Exilierten am ungezwungensten erklären. Mit dieser Maßnahme sei gleichzeitig der Grund für die Konflikte zwischen Samaria und Jerusalem in der persischen Zeit gelegt worden. Denn durch die Angliederung des Gebietes von Jerusalem an die Provinz Samerīna habe die Stadt alle eigenen Rechte verloren. Der von den Babyloniern eingesetzte Judäer Gedalja habe dann keine Statthalterschaft im vollen Sinne des Wortes ausgeübt, sondern sei dem Statthalter von Samaria untergeordnet gewesen. Auch nach K.-D. Schunck (1999) gehörte Juda seit der durch Nebukadnezar II. verfügten Zusammenlegung des von ihm besiegten Reststaates Juda mit dem Gebiet von Samaria als Südannex der Provinz Samerīna an.

R. Albertz (2001) vermutet, dass als Gedaljas Nachfolger ein Babylonier eingesetzt wurde, vielleicht der Offizier Nebusaradan, der nach Ausweis von Jer 52,30 eine dritte Deportation aus Jerusalem leitete.

3.3. Persische Zeit

Mit dem Niedergang des babylonischen Reiches begann das „persische Zeitalter“, nachdem → Kyros II. (559-530 v. Chr.) im Jahr 539 v. Chr. triumphal in Babylonien eingezogen war. Soweit erkennbar, übernahm dieser zunächst die Strukturen der neubabylonischen Administration. Zu einer Verwaltungsreform kam es dann unter Darius I. (522-486 v. Chr.). Nach Herodot (Historien III,89) teilte dieser das persische Reich in 20 Satrapien ein (→ Provinzen), wodurch erstmals eine klar gegliederte hierarchische Verwaltungsstruktur geschaffen wurde. Im Zuge dieser Reform erhielt auch das Gebiet „Jenseits des Stromes (= → Eufrat)“ (aram. עֲבַר־נַהֲרָה ‘ǎvar nahǎrāh; babylon. ebῑr nāri), d.h. Syrien / Palästina, gegenüber Babylonien größere Selbstständigkeit und wurde schließlich zu einer eigenen Satrapie mit Sitz in Tripolis oder Damaskus. Zwischen 520 und 502 v. Chr. übte Tattanu, der im Esrabuch als → Tattenai bezeichnet wird (Esr 5,3.6; Esr 6,6.13), das Amt eines Satrapen von Transeuphratene aus. Jede Satrapie hat eine fixe Summe an Steuern aufzubringen; im Fall von Transeuphratene waren dies 350 Talente Silber.

A. Alt (1959) nimmt an, dass Juda in der Perserzeit zunächst noch zur Provinz Samaria gehörte, wie dies bereits unter babylonischer Herrschaft der Fall gewesen sei. Die Verselbstständigung des judäischen Gebiets habe sich dann erst allmählich vollzogen. So sei auffällig, dass nach Esr 5,3ff. Tattenai, der Satrap von Syrien, der die Einwohnerschaft Jerusalems mit dem Wiederaufbau des Tempels beschäftigt vorfindet, nicht einen Statthalter, sondern die Ältesten der Juden in dieser Angelegenheit befragt. Auch dass der in Esr 4,8ff. berichtete Schriftwechsel bezüglich der Erneuerung der Stadtmauern von Jerusalem zwischen Samaria und der Zentralregierung erfolgt, setze die Zuständigkeit des dortigen Gouverneurs für diesen Fall voraus. So seien auch der „Repatriierungskommissar“ → Scheschbazar (Esr 5,14.16), der den Grundstein zum Tempelbau gelegt habe, und → Serubbabel (Esr 2,2; Hag 1,14), der den Wiederaufbau des Tempels in Angriff genommen habe, nicht Statthalter mit dem Auftrag umfassender Verwaltung des judäischen Gebiets gewesen, sondern lediglich Kommissare der Zentralregierung mit sachlich und evtl. auch zeitlich begrenzten Vollmachten; Entsprechendes gelte für → Esra (Esr 7,6; Neh 8,1). K.-D. Schunck (1999) nimmt daher an, dass der Scheschbazar und Serubbabel beigelegte Titel eines פֶּחָה pæḥāh (Scheschbazar: Esr 5,14; Serubbabel: Hag 1,1.14; Hag 2,2.21) nicht nur den Gouverneur einer persischen Provinz, sondern auch einen diesem beigeordneten Untergouverneur bezeichnen kann. Nach Alt scheint sich dann erst unter → Nehemia der entscheidende Umschwung vollzogen zu haben. In Neh 5,14 bezeichne er sich als den vom persischen Großkönig im Land Juda eingesetzten Statthalter, der dieses Amt bereits viele Jahre lang ausgeübt habe. Entsprechend bezeuge ein Dokument aus der Militärkolonie von → Elephantine für die Folgezeit (408 v. Chr.) die Existenz eines eigenen Statthalters in Juda neben dem in Samaria und somit die administrative Selbstständigkeit beider Regionen. Durch amtliche Stempel auf Krughenkeln und Münzprägungen sei der offizielle Name der neuen Provinz in der Form יְהֻד jǝhud bekannt.

Gegen diese Auffassung hat sich breiter Widerspruch erhoben. So weist R. Achenbach (2010) im Gefolge A. Lemaires (1994) auf epigraphische Befunde hin, die nahelegen, dass die Region Jehud von Anfang an eine eigene Verwaltungseinheit (מְדִינָה mǝdînāh) gebildet habe, d.h. eine in Samaria verortete Verwaltung zu keiner Zeit in die politischen Angelegenheiten Judas eingegriffen habe. Auch R.G. Kratz (2004) vertritt die Auffassung, dass die These Alts weder im Blick auf die literarischen Quellen noch im Licht der external evidence zu halten sei.

Nach R.G. Kratz (2004) könnten aufgrund epigraphischer Befunde im 6./5. Jh. v. Chr. folgende judäische Provinzstatthalter amtiert haben, die sich allerdings zeitlich nicht näher einordnen lassen: Achzai, Elnatan, Jehoezer, Hanana / Hanuna (?), Malkiu (?), Uriu (?), j’zn (?) br jšb (?). Seit 410 v. Chr. bzw. der 1. Hälfte des 4. Jh.s v. Chr. sind Bagohi als Statthalter für Judäa sowie → Sanballat, Delaja (?), Schelemja (?) und JHW(?)/W‘ (?) als Statthalter für Samaria zu vermuten, in der 2. Hälfte des 4. Jh.s v. Chr. Jechezkia (Judäa) und Hananja (Samaria). Problematisch ist nach Kratz, dass → Scheschbazar, → Serubbabel und → Nehemia epigraphisch nicht als Statthalter Judäas belegt sind, in der alttestamentlichen Überlieferung aber als solche bezeichnet werden (zu Scheschbazar und Serubbabel s.o. [Exkurs]; Nehemia: Neh 5,14f.18; Neh 12,26). Die Erwähnung dieser Personen bzw. ihre Verbindung mit dem Titel eines „Statthalters“ begegne nur in redaktionellen bzw. jüngeren Partien der Textüberlieferung. Ob sie dieses Amt jemals innegehabt hätten, lasse sich nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung weder belegen noch ausschließen.

R. Achenbach (2010) nimmt an, dass die פַּחוֹת pāḥôt die judäische Wirtschaft organisierten und kontrollierten und für das Abgabenwesen verantwortlich waren. Das Bild, das in der Überlieferung von Nehemia, den er als Statthalter betrachtet, gezeichnet werde, weise diesem ebenfalls in erster Linie Einfluss auf ökonomische (Verbesserung der sozialen Lage der Gemeinde; Schuldenerlass; vgl. Neh 5,1-19; vgl. Neh 10,32), aber auch militärische Faktoren (Mauerbau; vgl. Neh 2,11ff.) zu; nach Neh 10,1ff. solle er darüber hinaus in Abstimmung mit der Priesterschaft eine Vereinbarung mit den Bürgern der Stadt zur Gewährleistung des Kultbetriebs geschlossen haben. Außerdem habe er eine Abgrenzung der Kultusgemeinde von den Nichtisraeliten veranlasst (Neh 13,1-3) sowie die Einhaltung der → Sabbatruhe in Jerusalem sichergestellt (Neh 13,15-22). Nach Achenbach (2010) ist die Darstellung von der Intervention Nehemias gegen die Verbindung von Judäern mit ausländischen Frauen (Neh 13,23-31) nicht Teil der ursprünglichen Erzählung, da es keinesfalls zu den Befugnissen eines פֶּחָה pæḥāh gehört haben könne, in innerfamiliäre bzw. im Falle der Hohenpriesterfamilie (Neh 13,28) in private religiöse Angelegenheiten einzugreifen. Hier handle es sich um eine ideologische Fortschreibung einer chronistischen Priestertheologie, die Nehemia zum Nachfolger des Schreibers Esra stilisieren wolle.

3.4. Weitere Entwicklung

Aus der Mitte des 4. Jh.s ist eine Reihe von → Münzen bekannt, auf denen in paläohebräischer Schrift ein Statthalter namens Jechezkia erwähnt wird (s.o.). Daneben wurde aus der Zeit vor 350 v. Chr. eine Münze in paläoaramäischer Schrift gefunden, die auf den Hohenpriester Jaddua verweist und belegt, dass in dieser Zeit dem Tempel die Einführung einer eigenen Münze genehmigt worden war. Nach R. Achenbach (2010) lässt dies auf eine Teilautonomie der Tempel-Ökonomie schließen. Eine weitere, vermutlich aus der ausgehenden Perserzeit (350-330 v. Chr.) stammende Münze trägt – wiederum in paläohebräischer Legende – die Aufschrift הכהן יוחנן (vokalisiert vermutlich: joḥānān hakkohen) – „Johanan, der Priester“ – und ist einem möglichen Nachfolger Jadduas zuzuweisen. Dieses Nebeneinander von Tempel-Münze und פֶּחָה pæḥāh-Münze deute darauf hin, dass die hierokratische Tempelwirtschaft gegenüber dem Wirtschaftssystem der Achämeniden eine gewisse Unabhängigkeit erlangt und einen eigenen Rechtsanspruch erhoben habe, also in gewisse Konkurrenz zu den Ansprüchen des Statthalters getreten sei. Daher lasse sich im 4. Jh. v. Chr. eine sukzessive Abgrenzung der Priesterschaft unter Führung des Hohenpriesters gegenüber den persischen Verwaltungsinstanzen feststellen. Nach R.G. Kratz (2004) deutet sich in dem Nebeneinander beider Münzen eine Art Dyarchie – mithin die Entwicklung zu einer Hierokratie an, die sich für das judäische Gemeinwesen in der hellenistischen Zeit beobachten lässt.

Literaturverzeichnis

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