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Frauen im Alten Testament

Problemstellung

Die biblische Literatur wurde, soweit wir wissen, vor allem von Männern verfasst und überliefert. Nur in wenigen Texten stehen Frauengestalten im Mittelpunkt. Doch weil die Aussageintention dieser Stücke meist anderen Erzählzielen dient, muss aus den vorhandenen Angaben rekonstruiert werden, was mutmaßlich über die Lebensumstände von Frauen im alten Israel gesagt werden kann. Solche Rekonstruktionsversuche sind immer abhängig von den Urteilen und Wertungen derjenigen, die diese Überlegungen anstellen. Zusätzlich ist zu bedenken, dass die fraglichen Texte aus ganz unterschiedlichen Entstehungszeiten stammen und verschiedene Lebenssituationen schildern können (etwa städtische oder bäuerliche Kultur). Daher wird im Folgenden nur ein einigermaßen gesichertes Maß an bibelkundlichen Informationen gegeben.

Wichtige Frauengestalten des AT

Gen 2-3 Eva: Mutter aller Lebenden
Gen 11-23 Sara (und Hagar ): Gefährdung der Verheißung
Gen 38 Tamar: „Sie ist im Recht“
Ex 15, Num 12 Mirjam: Prophetin und Anklägerin
Ri 4+5 Debora: Richterin Israels
Rut Die moabitische Großmutter Davids
1Sam 1+2 Hanna: Ein Prophet wird erbeten
1Sam 28 Die Beschwörerin von En-Dor
2Kön 11 Atalja: Königin Israels
2Kön 22 Die Prophetin Hulda
Ester und Judit Retterinnen ihres Volkes

Gesellschaftsordnung

Den Rechtstexten des Pentateuch wie den Erzählungen sind einige Hinweise auf die grundsätzliche Gesellschaftsordnung zu entnehmen. Es herrscht der Familienvater (Patriarchat), geheiratet wird vornehmlich innerhalb der Sippe (Endogamie), vgl. Gen 28,2. Die Erbfolge ist patrilinear, folgt also der väterlichen Linie. Erst in späterer Zeit gibt es offenbar Ausnahmen: Nach Num 27 können Frauen erben, um die Lücke zu überbrücken, bis es wieder männliche Erben gibt. Die verheirateten Frauen wohnen bei dem Ehemann (Patrilokalität), vgl. Gen 24, der seinerseits mehrere Frauen haben kann (Polygynie), vgl. Gen 29. Alle Frauen eines Mannes sind von ihm gleichermaßen mit allem Notwendigen zu versorgen (Ex 21,10).

Rechte der Frauen

Die Rechte der Frauen hängen besonders von ihrem jeweiligen Familienstand ab. Eine unverheiratete Frau untersteht dem Vater (Ex 22,16), der sie z.B. als Sklavin verkaufen kann (Ex 21,7). Mit der Heirat geht die Frau in die Verfügungsgewalt ihres Mannes über; der Ehemann gilt als בַּעַל, ba'al „Besitzer“ seiner Frau. Eine stärkere Rechtsposition erhalten Frauen nach der Geburt eines Kindes; bei Rechtssatzungen über Eltern wird nicht nach Mann und Frau differenziert (Lev 20,9). Die Namensgebung der Kinder wird sowohl von Frauen (Gen 29,32) als auch von Männern (Gen 21,3) überliefert.

Witwen gilt der besondere Schutz des Gesetzes (Ex 22,21f., vgl. Jes 1,17). Um der patrilinearen Erbfolge willen gibt es die Institution der Leviratsehe (lat. levir = Schwager): Eine kinderlose Witwe heiratet den ältesten Bruder oder nächsten Verwandten des Verstorbenen, damit so Erben entstehen (Dtn 25,5-10, vgl. Gen 38). Männer konnten ihren Frauen Scheidebriefe geben (Dtn 24,1-4), hatten also das Recht zur Ehescheidung. Dieser Brauch wird in nachexilischer Zeit mit Hinweis auf Gottes gute Schöpfung kritisiert (Mal 2,10-16).

Stellung der Frau

Umstritten ist, ob sich den biblischen Texten noch Spuren älterer matriarchalischer Stufen der (vorstaatlichen?) Gesellschaft entnehmen lassen. Als Argumente dafür werden etwa die Namensgebung durch Frauen (Gen 29,32; 30,6) und Simsons Umzug zu seiner Frau (Ri 14) gesehen, auch die Differenzierung der Stämme Israels nach den Lea- und Rahel-Stämmen.

Deutlich ist jedenfalls, dass sich in einigen Texten eine vergleichsweise selbständige Position von Frauen zeigt. Das gilt besonders für kultische Zusammenhänge. So können Rahel in Gen 31,34ff. oder Michal in 1Sam 19,13ff. mit dem Gottesbild (Teraphim) umgehen. Archäologische Funde haben zudem eine größere Zahl von weiblichen Figurinen ans Licht gebracht, die offenbar ebenfalls als Zeichen für eine spezifisch weibliche, auf Fruchtbarkeit zielende Religiosität im privaten Bereich zu werten sind. Als sicher kann mittlerweile gelten, dass es auch die Verehrung von Göttinnen (v. a. Aschera) in Israel gegeben hat; diese wurde aber wohl unter dem Eindruck der monolatrischen JHWH-allein-Bewegung verdrängt (vgl. das Thema-Kapitel zu Joschijas Reform).

Frauen im Kult

Es gibt gelegentliche Hinweise auf eine besondere Funktion von Frauen an offiziellen Heiligtümern. In Ex 38,8 ist vom Dienst mit Spiegeln die Rede; in 1Sam 2,22 dienen Frauen am Eingang des Zeltes in Silo. Nach 2Kön 23,7 webten Frauen am Jerusalemer Tempel Gewänder für die Aschera. Welche rituellen Bräuche im Einzelnen hinter diesen Notizen stehen, lässt sich heute nicht mehr klären. Umstritten ist auch, ob es Kultprostituierte gegeben hat (vgl. Hos 4,13f.).

Deutlich ist eine spezielle Beziehung von Frauen zu kultischen Liedern, wie etwa das Mirjamlied in Ex 15, das Deboralied in Ri 5 oder die Klagen der Frauen in Ri 11,40 zeigen. Einzelne Frauen werden in besonderen Positionen gezeigt, so etwa die Totenbeschwörerin von En-Dor (1Sam 28) oder die Prophetin Hulda (2Kön 22). In späterer Zeit werden Frauen offenbar wegen der zunehmenden Gewichtung der kultischen Reinheit an den Rand des offiziellen Kults gedrängt. In der weisheitlichen Literatur gibt es überdies den Topos der Warnung vor der fremden, verführerischen Frau, vgl. Pred 7,26; Prov 23,27.

Gleichberechtigung

Andere Texte aus der Spätzeit zeigen aber auch das Schwinden der bisherigen Rollenfestlegungen. So wird im Hohenlied die Frau als ebenbürtige Partnerin dargestellt, die eigene sexuelle Initiative ergreift. Frauen wie Judit oder Ester retten Israel aus der Not und treten damit in die Tradition kriegerischer Heldinnen wie Debora und Jaël (Ri 4-5) ein. Das Buch Rut zeigt, dass selbst eine Ausländerin als gemeinschaftstreu handelndes Vorbild gelten kann; damit wird wohl gegen nachexilische Vorbehalte gegen Ehen mit ausländischen Frauen vorgegangen. Der priesterliche Schöpfungsbericht konstatiert in Gen 1,27, dass Mann und Frau nach dem Bilde Gottes geschaffen sind. So ist letztlich die Geschlechtsdifferenzierung im monotheistischen Gottesbild denkerisch überwunden worden; die Glaubens- und Lebenspraxis hat damit allerdings nicht Schritt gehalten.

Literatur

L. Schottroff, M.-T. Wacker u. a. (Hg.), Kompendium Feministische Bibelauslegung, 1998.

W. Zwickel, Frauenalltag im biblischen Israel, 2005.

U. Sals, Art. Frau (AT), WiBiLex 2006, http://www.wibilex.de.

I. Fischer u. a. (Hg.), Die Bibel und die Frauen; Band 1.1, Tora, 2010; Band 1.3, Schriften und spätere Weisheitsbücher, 2013.

VG Wort Zählmarke
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