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Psalmengattungen

Methodik

Im Anschluss an Hermann Gunkels formgeschichtliche Untersuchungen unterscheidet man die Psalmen nicht mehr allein nach (oft willkürlich gewählten) inhaltlichen, sondern auch nach formalen Kriterien, den einzelnen Gattungen. Diese Methodik geht davon aus, dass zu bestimmten Anlässen eine je besondere Art von Psalmen gesungen wurde. Weiter gefasst: Der Anlass oder der Inhalt eines Textes bedürfen einer bestimmten und allgemein bekannten Form von Rede oder Text, in der sie erst ihre Aussagekraft entfalten können (modernes Beispiel: Beerdigungsanzeigen, Hochzeitsreden).

Diese feste Prägung von Gattungen und ihre wiederholte Verwendung war in altertümlichen Kulturen noch selbstverständlicher als es uns heute erscheint, dies gilt besonders für den kultischen Bereich (offiziell oder privat). In der Exegese hat sich die Einteilung folgender Psalmengattungen eingebürgert:

Hymnen

Die erste Hauptgruppe ist die der Hymnen, hb. תְּהִלָּה, tehillâ, (ca. 30x), die ein festes Aufbauschema haben:

  1. 1.Aufgesang/Einleitung,
  2. 2.Begründung und Hauptstück: Entfaltung des Gotteslobes
  3. 3.Schluss, oft Wiederholung des Eingangsteils.

Dieses Schema kann variiert werden. Ältestes und kürzestes Zeugnis für einen solchen Hymnus ist das Mirjamlied Ex 15,21, das später erweitert wurde: „(1.) Singet dem Herrn, (2.) denn hoch erhaben ist er, Ross und Reiter warf er ins Meer“, vgl. auch Ps 100: „Jauchzet dem Herrn alle Welt...“ Charakteristischer Einsatz solcher Hymnen ist הַלְלוּ־יָהךְ, das Halleluja (Ps 135,1). Wichtige Hymnen sind Ps 8; 33; 100; 104; 136; 148–150.

Ebenfalls Hymnen, aber durch ihren Inhalt klar zu unterscheiden, sind die sogenannten Thronbesteigungslieder, auch יהוה מָלָך, JHWH malak-Lieder genannt (Ps 47; 93; 96–99) und die Zionslieder Ps 46; 48; 110 (dazu Ps 84; 87; 122), die JHWHs Verherrlichung am Zion zum Thema haben.

Klagelieder des Einzelnen

Die weitaus häufigsten Psalmen sind die Klagelieder des Einzelnen (KE, ca. 50x), hebräisch תְּחִנטָּה, tehinnâ. Sie stammen ebenfalls vor allem aus dem offiziellen Kultus, doch ist hier die Nähe zum privaten Bereich erheblich größer. Auch ihr Aufbau ist geprägt:

  1. 1.Anrufung („Hilf mir, o Gott“, Ps 69,2a),
  2. 2.Klage/Schilderung der Not/Bitte („denn die Wasser gehen mir an die Kehle/Seele“, Ps 69,2b),
  3. 3.Vertrauensbekenntnis („denn der Herr erhört die Armen, und die Gefangenen verachtet er nicht“, Ps 69,34).

Daran angefügt finden sich oft weitere Bitten und Lobversprechen. Der Wechsel von der ausgedrückten Gottverlassenheit zur Rettungsgewissheit ist oft so auffällig, dass vermutet worden ist, zwischen diesen Teilen sei vom Priester ein Erhörungsorakel gesprochen worden. Möglich ist jedoch auch, in den Vertrauensteilen eigene, später zugefügte Psalmen zu sehen. Wichtigste Psalmen dieser Gattung sind die Konfessionen Jeremias (s. dort), Ps 6; 13; 22; 130. Das Motiv der Rettungsgewissheit konnte sich zum Vertrauenslied (des Einzelnen) verselbständigen, bekanntestes Zeugnis dafür ist Ps 23 neben Ps 4; 11; 16. Ps 125 und 129 sind Vertrauenslieder des Volkes.