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Das babylonische Exil

Thema

Das Exil der judäischen Oberschicht in Babylon (hebr. גּוֹלָה, gôlâ, Wegführung) mit der Erfahrung der Zerstörung Jerusalems und des Tempels ist wohl der wichtigste Einschnitt in der Geschichte der Religion Israels überhaupt. Bei der Erarbeitung dieser Thematik sind zunächst die historischen von den inhaltlich-theologischen Fragen zu trennen.

Untergang Israels

Die Verbannung der Oberschicht eines besiegten Landes und die Ansiedelung einer neuen, loyalen Führungsschicht waren normale Maßnahmen der Assyrer, die auf diese Weise Aufstände in den neuen Provinzen ihres Großreiches verhindern und das Reich vereinheitlichen wollten. Erstmals widerfuhr dem Nordreich Israel eine solche Maßnahme unter seinem König Pekach im Jahre 733, als der Assyrerkönig Tiglat-Pileser III. im sogenannten syrisch-efraimitischen Krieg den Großteil des Nordreiches eroberte (2Kön 15,29, vgl. Jes 7). Nachdem Tiglat-Pileser 727 gestorben war, setzte der israelitische König Hoschea 724 die Tributzahlungen aus, was dazu führte, dass die Assyrer unter Salmanassar V. sofort gegen Israel zogen. Es ist unklar, ob Salmanassar oder aber sein Nachfolger Sargon II. Samaria im Jahr 722 bzw. 720 eroberten und das Ende des Nordreiches Israel herbeiführten. Die Oberschicht wurde deportiert und ging in den Völkern des assyrischen Reiches auf, Flüchtlinge kamen auch nach Juda und Jerusalem (2Kön 17).

Eroberung Judas

Nach dem Untergang des assyrischen Reichs (612: Fall Ninives durch die Meder unter Kyaxares), kam das verbliebene Südreich Juda kurz unter die Vorherrschaft der Ägypter unter dem Pharao Necho (2Kön 23,28-30). Dann aber errangen die Neubabylonier unter ihrem König Nebukadnezzar die Vorherrschaft über Syrien/Palästina (605: Schlacht bei Karkemisch). Der judäische König Jojakim kündigte nach kurzer Zeit (um 601) das Vasallenverhältnis auf, was 598/7 zu einem Gegenschlag der Neubabylonier führte, nachdem Jojakim gestorben und sein Sohn Jojachin an die Macht gekommen war. Im Jahre 597 kapitulierte Jerusalem (2Kön 24,10ff.). Jojachin wurde samt Familie und Oberschicht deportiert (Jer 52,28: 3023 Personen), die sogenannte erste Wegführung. Ein neuer König namens Mattanja/Zidkija wurde eingesetzt, Juda war nun Vasallenstaat der Neubabylonier.

Untergang Judas

Zidkija kündigte aber (trotz Jeremias Warnung, Kap. 27ff.) das Vasallenverhältnis auf. Daraufhin begann Nebukadnezzar einen Feldzug gegen Juda der 587/6 zur Eroberung und Zerstörung Jerusalems und so zum Ende des Staates Juda führte (2Kön 25). Erneut wurde eine Oberschicht deportiert, doch konnte diese Gruppe in geschlossenen Ortschaften (zum Beispiel Tel-Aviv in Babylonien, Ez 3,15) siedeln. Da in Jerusalem, abweichend vom assyrischen Brauch, keine fremde Oberschicht angesiedelt wurde, konnte der nationale und religiöse Zusammenhalt der Judäer gewahrt werden. Obwohl der Tempel zerstört war, wurde ein Opferkult in bescheidenem Umfang weitergeführt.

Kyrus-Edikt

Das Exil endete mit dem sogenannten Kyrus-Edikt im Jahre 538 (Esr 6,3-5). Nachdem der Perserkönig Kyrus 539 den letzten babylonischen König Nabonid besiegt hatte, kam Syrien/Palästina unter persische Oberhoheit. Die Perser behandelten die ihnen unterworfenen Völker wesentlich toleranter als alle Vorgängerreiche, um so die Stabilität ihres Staates zu erhöhen. Daher erlaubte Kyrus in dem nach ihm benannten Edikt die Rückkehr der Verbannten nach Juda und den Wiederaufbau des Tempels, was aber erst später geschah.

Kultische Bewältigung

Neben allen Problemen, die solche Kriegs- und Leiderfahrungen verursachten, stellten der Untergang des Tempels und die Deportation nach Babylon die Judäer vor besondere kultische und theologische Schwierigkeiten. Zum einen war es nicht möglich, im unreinen Land Babylon nach den Weisungen Gottes zu leben und zu opfern. Daher bildeten sich unter den Exulanten die Observanz des Sabbat und die Beschneidung als auch im Ausland durchzuhaltende Zeichen des Bundes heraus, mit denen man sich zugleich von der andersgläubigen Umwelt unterschied.

Theologische Bewältigung

Wesentlicher waren aber die theologischen Probleme. JHWH hatte dem Volk Israel/Juda seinen ewigen Beistand versichert, hatte Jerusalem und den Zion als Ort seiner Präsenz auserwählt. Musste nicht der Untergang des Tempels als Zeichen dafür gewertet werden, dass der Gott Israels in Wirklichkeit unterlegen war, dass sich die assyrisch-babylonischen Hauptgötter Assur und Marduk als die wahren Götter erwiesen hatten? Solche Überlegungen konnten den inneren Zusammenhalt einer Religion aufs Äußerste gefährden. Doch für die Israeliten führten sie zu wesentlichen theologischen Einsichten: Das Exil wurde, in Analogie zu dem, was die Propheten angesagt hatten, als gerechte Strafe für das frevelhafte Verhalten des Volkes gesehen. Der ursprünglich weisheitliche Tun-Ergehen-Zusammenhang (vgl. das Themenkapitel „Theodizee“) erwies sich als leistungsfähiges Instrument zur Geschichtsdeutung: Das Leiden Israels galt also als Beweis für Gottes Macht. Die Tatsache, dass die Propheten die Katastrophe vorhergesagt hatten, galt als zusätzlicher Beleg, vgl. Jes 44,7: „Wer hat vorzeiten kundgetan das Künftige? Sie (gemeint sind die fremden Götter) sollen uns verkündigen, was kommen wird!“ (Das können sie natürlich nicht). In der Niederlage Israels hatte sich JHWH also als der eigentliche Sieger erwiesen. Die anderen Völker und deren Götter galten somit nur als seine Werkzeuge (so auch das deuteronomistische Geschichtswerk).

Monotheismus

Die wichtigste Entwicklung war dann aber, dass ausgehend von diesen Überlegungen vor allem bei Deuterojesaja das Gottesbild zu einer monotheistischen Konzeption ausgebaut wurde. Letztlich gebe es gar keine anderen Götter, die Völker, derer sich JHWH ja offensichtlich bedienen konnte, beten nur von Menschen gemachte Götzen an. Programmatisch ist etwa Jes 44,6: „Ich bin der Erste und bin der Letzte, und außer mir gibt es keinen Gott“, vgl. auch die Götterbildpolemik in Jes 44,9-20. Daraus erwuchs dann aber auch Hoffnung auf neues Heil, denn nach der gerechten Strafe musste ja die Begnadigung kommen. So konnte Deuterojesaja einen neuen Exodus weissagen, diesmal aus Babylon (Jes 40). In der Konsequenz dessen wurde auch die Überzeugung formuliert, JHWH als Schöpfergott zu begreifen. In der Schöpfung erwies sich Gott mehr noch als in der für Israel wechselhaften Geschichte als Herr über alles (so DtJes, Priesterschrift: Gen 1; 6-9). Gleichzeitig entwickelte man zudem Modelle künftigen Zusammenlebens in Israel, die verhindern sollten, dass Israel erneut straffällig würde, so beispielsweise in der Priesterschrift und im Verfassungsentwurf des Ezechiel.

Literatur

H. Donner, Geschichte Israels und seiner Nachbarn in Grundzügen, ATD Erg. 4/2, 1995.

R. Albertz, Die Exilszeit. 6. Jh. v. Chr., Bibl. Enzyklopädie 7, 2001.

O. Keel, Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus, 2007, Kap. 9-10.

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