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7.10. Der Hirt des Hermas (Herm)

Übersicht über den Hirt des Hermas

Vis I-IV Das Visionenbuch
Vis I 1,1f. „Vorgeschichte“ - Die Sünde des Hermas
Vis I 1,3-2,1 Die Anklage
Vis I 2,2-3,2 Die Sünden des Hermas
Vis I 3,3-4,3 Drohung und Verheißung
Vis II 1,1-3,4 Bußnotwendigkeit und Bußfrist (der Himmelsbrief)
Vis II 4,1-3 Die Identität der Greisin, Verbreitung der neuen Bußlehre
Vis III 1,1-2,3a Belehrungen über Besserung, Buße und Vollkommenheit
Vis III 2,3b-3,1a Die Allegorie vom Turmbau und den Steinen
Vis III 3,1b-7,6 Kirche, Buß- und Heilsstufen
Vis III 8,1-11a Die Tugenden des Christentums
Vis III 8,11b-9,10 Kritik und Mahnrede
Vis III 10,1-13,4 Die Kirche auf dem Weg zu Buße und Besserung
Vis IV 1,1-3,7 Die "kommende große Not" des Glaubens
   
Vis V - Sim X Das Hirtenbuch
Vis V Auftritt und Auftrag des Hirten
Mand I Glaube, Gottesfurcht, Enthaltsamkeit
Mand II Lauterkeit
Mand III Wahrheit
Mand IV Sexual- und Ehemoral, Bußmöglichkeit und Bußfrist
Mand V Geduld und Jähzorn
Mand VI Der Glaube
Mand VII Die Furcht
Mand VIII Die Enthaltsamkeit
Mand IX Der Zweifel
Mand X Die Traurigkeit
Mand XI Propheten und Pseudopropheten (Zweifel und Vertrauen)
Mand XII Böse und gute Begierde
Sim I Die Christen und die Welt (Die fremde und die Heimatstadt)
Sim II Die reichen und die armen Christen (Ulme und Weinstock)
Sim III Die Unerkennbarkeit der Gerechten in dieser Weltzeit (Der winterliche Wald)
Sim IV Die künftige Offenlegung der Unterschiede zwischen Heiden, Sündern und Gerechten (Der sommerliche Wald)
Sim V Vom wahren Fasten, christologische Deutung (Der treue Sklave)
Sim VI Sünde, Strafe, Buße, Genuss (Der Engel der Schwelgerei und der Strafengel)
Sim VII Sündenstrafe und Buße
Sim VIII Die Notwendigkeit und überwältigende Wirkung der Buße (Der Weidenbaum)
Sim IX 1,1-3 Die Perioden der Offenbarung
Sim IX 1,4-2,7 Die Vision von zwölf Bergen, Feld und Tor
Sim IX 3,1-4,8 Die Vision vom Turmbau 
Sim IX 5,1-11,8 Überprüfung und Ausbesserung des Turmes
Sim IX 11,9-16,7 Die Deutung von Fels, Tor, Turm und Steinen
Sim IX 17,1-29,3 Die Deutung der zwölf Berge
Sim IX 29,4-31,2 Die Deutung der Steine aus der Ebene
Sim IX 31,3-33,3 Schlußmahnung
Sim X Das Vermächtnis des „heiligsten Engels“ (Erscheinung Christi)

Der Herm ist die Schrift unter den Apostolischen Vätern, die in der Alten Kirche die größte Bedeutung erlangt hat. Zeitweilig hatte er faktisch kanonische Bedeutung. Erst im Zuge der Auseinandersetzung mit der Gnosis und dem Montanismus wurde sein Einfluss langsam zurückgedrängt, da er theologisch zu wenig eindeutig schien. Im krassen Gegensatz zu dieser Bedeutung in der Frühzeit der Kirche steht die Mühe, die viele Ausleger heute mit dem Herm haben, der durch ermüdende Wiederholungen, Unschärfe in der Argumentation und eine wuchernde Bilderflut als ein sehr fremdes Buch erscheint.

Der Verfasser

Der Verfasser dieser merkwürdigen Schrift teilt außer seinem Namen noch eine ganze Reihe weiterer Details aus seinem Leben mit. Er nutzt diese Angaben allerdings, um Modelle für typische christliche Verhaltensweisen zu konstruieren. Man kann deshalb nicht sicher sein, was davon Fiktion ist. Andererseits war Hermas sicher eine Person, die in dem Teil der römischen Gemeinde, den er ansprach, bekannt war. Die Angaben zur Person waren für die Adressaten also nachprüfbar. Hermas war nach seinen Angaben früher Sklave, der nach seinem Verkauf nach Rom freigelassen worden war. Er ist Christ geworden und offenbar nicht allzu glücklich verheiratet. Auch seine Kinder bereiten ihm erheblichen Kummer, denn sie haben ihre Eltern während einer Verfolgung an die Behörden verraten. Anscheinend haben sie Hermas auch geschäftlich geschädigt. Er hat früher wirtschaftlich bessere Zeiten gesehen, besitzt aber immerhin noch einiges an Land. Beruflich war er wohl ein kleiner Geschäftsmann, den die täglichen Sorgen so sehr quälten, dass er sie als Strafe für seine Sünden verstand. Es fällt auf, dass ihn das Thema Reichtum und Besitz häufig beschäftigt. Die Gedankenwelt des Herm ist ganz von dem sozialen Milieu seines Verfassers geprägt, der unter der Spannung zwischen dem alltäglichen „business as usual“ und dem moralischen Anspruch der christlichen Gemeinde leidet.

Es ist nicht klar, welche Position Hermas in der Gemeinde innehatte. Häufig wird er als Prophet angesehen, doch wollen dazu die vom ihm selbst in Mand XI für einen Propheten aufgestellten Kriterien nicht recht passen. Vielleicht war er tatsächlich ein „normaler“ Christ, der sich mit Hilfe des „Hirten“ zu einem ihn umtreibenden Thema zu Wort meldete.

Abfassungsort

Der Herm ist in Rom abgefasst worden. Er ist gemeinsam mit dem 1Clem, den er offenbar nicht kennt, ein instruktives Zeugnis für die Vielfalt des römischen Christentums in der 1. Hälfte des 2. Jh. Man wird aus der Nichtkenntnis des 1Clem vielleicht auch schlussfolgern dürfen, dass Herm nur einen Teil der christlichen Gemeinde in Rom repräsentierte und auch nur an diesen Teil gerichtet war. Die Bilder- und Vorstellungswelt des Herm lässt vermuten, dass die eigentlichen Adressaten unter den „Durchschnittschristen“ in der Gemeinde des Hermas zu suchen sind, deren Bildungsgrad dem des Verfassers entsprach.

Abfassungszeit

Die Abfassungszeit der Schrift lässt sich nur annähernd bestimmen. Die römische Kirche wird noch nicht durch einen Bischof, sondern durch ein Presbyterium geleitet. Das entspricht der im 1Clem und IgnRöm vorausgesetzten Gemeindestruktur. Anderserseits hat die Gemeinde in Rom schon mehrfach die Erfahrung von Verfolgungen machen müssen. Dabei scheint die Rechtslage der in dem Briefwechsel zwischen Trajan und Plinius d. J. vorausgesetzten zu entsprechen (Verfolgungen um des Namens [„Christ“] willen). Folgt man diesen Indizien und stellt in Rechnung, dass der Herm eine längere Entstehungsgeschichte durchlaufen hat, kommt man für die Endredaktion auf die Zeit um 140.

Gliederung

Der Herm wird traditionell in 5 Visionen (Vis), 12 Gebote (Mand [lat. mandata]) und 10 Gleichnisse (Sim [lat. similitudines]) eingeteilt. Dieser Einteilung entsprechen die im Zuge der Überlieferung später hinzugefügten Kapitel- und Zwischenüberschriften. Die Schrift selbst legt eine Zweiteilung nahe, denn Vis V leitet eindeutig die folgenden Gebote und Gleichnisse ein, was auch durch den Wechsel des Offenbarungsträgers (Vis I-IV – Greisin [in Vis II mit der Kirche identifiziert]; ab Vis V – der Hirt [der „Engel der Buße“]) unterstrichen wird. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass die Trennung zwischen Geboten und Gleichnissen von Hermas selbst so nicht vollzogen wird. Er kann die Gleichnisse in Sim VII 7 sogar als Gebote bezeichnen. Auch vom Inhalt her lässt sich die Trennung nicht durchhalten. Sie wird in der folgenden Übersicht nur beibehalten, weil in der Literatur durchgängig nach ihr zitiert wird.

Literarischer Charakter

Der Herm hat eine komplexe Entstehungsgeschichte durchlaufen. Der älteste Teil sind vermutlich Mand und Sim I-VIII. Das unabhängig davon entstandene Visionenbuch (Vis I-IV) ist dann in der Endredaktion davor gestellt worden. Vis V bildet die redaktionelle Überleitung. Im Zuge der Gestaltung des Gesamtwerkes hat Hermas, der wohl auch der Verfasser der beiden kürzeren Bücher war, dann noch die beiden Gleichnisse Sim IXf angefügt, die Vis IVf. wieder aufnehmen und weiterführen.

Die Bestimmung der Gattung des Herm fällt schwer, da der Verfasser die literarischen Formen nicht beachtet bzw. nicht zu beherrschen scheint. Er nutzt für sein Werk apokalyptische Elemente (Visionen, Entrückungen, Ich-Bericht, lange Mahnreden), aber wesentliche Inhalte einer Apokalypse (Enthüllungen der eschatologischen Zukunft bzw. der jenseitigen Welt) fehlen. Daneben ist Herm vor allem von den vielen Allegorien geprägt. Er kann deshalb am ehesten als Allegorienbuch mit apokalyptischem Rahmen bezeichnet werden. Dabei nutzt Hermas den apokalyptischen Rahmen vor allem, um seiner Botschaft die nötige Autorität zu verleihen.

Inhalt

Das hauptsächliche Thema dieser Botschaft ist die Rettung der Getauften trotz der nach der Taufe begangenen Sünden. Das NT hatte diese Möglichkeit implizit oder explizit (Hebr) ausgeschlossen. Hermas verkündet als Mittel der Rettung die exklusive Möglichkeit einer einmaligen Buße, für die er eine Frist ansetzt, nach der diese letzte Chance verpasst ist. Seine Sorge gilt nun vor allem dem Bemühen, jeden Christen, der es nötig hat, zum Ergreifen dieser Bußmöglichkeit zu bewegen. Buße meint dabei für Hermas sowohl den Nachlass der nach der Taufe begangenen Sünden als auch den Neubeginn eines veränderten Lebens.

Zur Gestaltung dieser Botschaft nutzt Hermas einen ganzen „Markt“ von Traditionen, der von der frühchristlichen Tauf- und Fastenüberlieferung bis zum erotischen Roman reicht. Dabei fällt es schwer, die benutzten Quellen exakt zu bestimmen. Hermas zitiert mit einer Ausnahme (Vis II 3,4) nie und überformt seine Vorlagen bis zur Unkenntlichkeit. Auffällig ist der breite Einfluss der frühjüdischen Literatur, der weit über die Apokalyptik hinaus reicht. Auch die Christologie des Hermas macht einen ausgesprochen jüdischen Eindruck, so, wenn er Christus mit dem Gesetz identifiziert oder als den „herrlichen Engel des Herrn“ bezeichnet. Das bedeutet aber nicht, dass Hermas ehemaliger Jude war, sondern er steht in dem breiten Strom jüdisch–hellenistischer Überlieferung, der in der frühen heidenchristlichen Kirche tradiert wurde.

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Die Texte auf dieser Seite sind mit freundlicher Genehmigung übernommen aus:

Cover der Bibelkundes des Neuen Testaments von Klaus-Michael Bull

Bull, Klaus-Michael: Bibelkunde des Neuen Testaments. Die kanonischen Schriften und die Apostolischen Väter. Überblicke – Themakapitel – Glossar, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 8. Aufl. 2018.

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