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Wallfahrten, buddhistisch

Andere Schreibweise: Japanische Pilgerorte/wege/fahrten

(erstellt: Februar 2021)

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1. Einleitung

Die Praxis buddhistisch geprägter Wallfahrten (→ Wallfahrten, christlich), die in Japan relativ populär ist, hat dort eine lange Tradition. Der Buddhismus wurde vor etwa 1500 Jahren von der koreanischen Halbinsel her nach Japan importiert. Die Religion Japans war zu dieser Zeit lokal geprägt, der Buddhismus avancierte in dieser Situation zur Staatsreligion des ersten japanischen Kaiserreiches, das 604 n. Chr. mit den 17 Artikeln des Shōtoku Taishi und generell in der Asuka Zeit (592-710) rhetorisch und offiziell seinen Anfang fand. In der darauffolgenden Nara Zeit (710-794) wurden dann erstmals größere buddhistische Klöster und Institutionen gegründet. Zur gleichen Zeit wurden die verschiedenen lokalen Religionen und Gebräuche, die es schon vor der Ankunft des Buddhismus in Japan gab, Shintō genannt, mittels einer relativ einheitlichen mythologischen Struktur interpretiert und in das neue politische Gefüge integriert. Die Kleriker und Zeremonien des Buddhismus und des Shintō wurden gleichermaßen in den Dienst des Kaiserhofes gestellt. Die Heiligtümer beider Religionen in der Hauptstadt Nara wie der Tōdaiji und der Kōfukuji, die dem Buddhismus zugeordnet sind, und der Kasuga Taisha, der der Ausübung des Shintō dient, wurden dann zwangsläufig, wie auch der Ise Jingū in der heutigen Mie Präfektur, Ziele von Wallfahrten der politischen und auch der religiösen Elite. Die Endung ji oder dera deutet darauf hin, dass es sich um den Namen eines buddhistischen Tempels handelt. Jingū, Jinsha, und Taisha weist ein Heiligtum des Shintō aus. Heutzutage sind Wallfahrten in Japan bei Mitgliedern aller sozialen Schichten beliebt. Was sie in Japan besonders interessant macht ist, dass sich dort in der Praxis religiöse Übung mit dem Tourismus, dem Sport und der sozialen Begegnung vermischen. Die japanische Praxis der Wallfahrten lehrt außerdem, dass eine Wallfahrt nicht nur eine religiöse Übung, sondern auch eine Lebenseinstellung ist. In diesem Sinne hoffe ich, dass dieser Aufsatz nicht nur zu einem Verstehen und zu einer Wertschätzung des Phänomens der Wallfahrt in Japan, sondern auch zu einem sozusagen nicht an religiöse Gemeinschaften gebundenen oder auch übergreifenden Wallfahrtsverständnis beiträgt.

2. Der Religionsbegriff in Japan

Der Titel dieses Eintrages mag manchem Leser und mancher Leserin seltsam vorkommen. Warum hat der Autor (also ich) nicht die Praxis einer religiösen Tradition, sondern eher die eines Kulturkreises als Thema dieses Eintrags gewählt? Die Antwort zu dieser zentralen Frage liegt in der spezifischen Begrifflichkeit Religion und Tradition, die ihre Herkunft im europäischen Kulturkreis hat. Das heißt natürlich nicht, dass es in Japan keine Religion oder keine religiösen Traditionen gibt, sondern dass diese Begrifflichkeit dort anders verstanden wird als in Deutschland. Im europäischen Kulturkreis beinhaltet der Begriff der religiösen Tradition eine gewisse Exklusivität, die dem traditionellen Religionsverständnis in Japan einigermaßen fremd ist. In der japanischen Sprache gibt es zwar Begriffe, die den deutschen Wörtern Religion und Tradition entsprechen, diese wurden aber in der Meiji Zeit (1868-1912), während der sich Japan der europäischen und nordamerikanischen Kulturen öffnete, entweder eingeführt – Amane Nishi (1829-1897) erfand das Wort shūkyō, um den Begriff der Religion zu übersetzen – oder, wie im Falle des Begriffes dentō (jap.: Tradition), uminterpretiert. Vor der Moderne, die in Japan mit der Meiji Zeit datiert wird, wurde in Japan das Wort sankyō (jap.: die drei Lehren) benutzt, um die Verknüpfung von Shintō, Buddhismus und Konfuzianismus miteinander auszudrücken. Dieses Verständnis von Tradition und Traditionen, das unter dem Einfluss europäischen Gedankenguts in der Edo Zeit (1603-1868) langsam in Frage gestellt und in der Meiji Zeit per Gesetz durch ein europäisches Traditionsverständnis ersetzt wurde, beeinflusst das Verständnis von Religion und Tradition vieler Japaner und Japanerinnen jedoch noch heute. So kommt es, dass eine Rivalität zwischen verschiedenen Schulen des Buddhismus größer sein kann als zwischen z.B. Buddhismus und Shintō, da im wirklichen Leben die verschiedenen buddhistischen Institutionen ähnliche Dienste wie z.B. Beerdigungen anbieten, während sich die Zeremonien, Institutionen und Priester sowie Priesterhelferinnen des Shintō auf andere Lebensgebiete wie z.B. die Rituale der Namensgebung, der Volljährigkeit und der Hochzeit spezialisieren. Praktisch heißt das, dass in der Wahrnehmung vieler Japaner und Japanerinnen buddhistische Wallfahrten in Japan mehr mit Wallfahrten, die dem Shintō zugeordnet werden, gemeinsam haben als mit buddhistischen Wallfahrten in anderen Kulturkreisen. Hier wäre z.B. an die Wallfahrten zu dem Sri Dalada Maligawa in Kandy auf Sri Lanka zu denken, in dem ein Zahn des Buddha als Relikt verwahrt und verehrt wird, oder an tibetische Wallfahrtswege, die Skor ra genannt werden und auf denen die Praktizierenden ein Heiligtum pilgernd umrunden.

3. Die Vielfalt der Wallfahrten in Japan

Obwohl es Wallfahrten in Japan schon seit spätestens der Nara Zeit gab, wurde diese Praxis erst in der Edo Zeit (1603-1868) von der weiteren Bevölkerung entdeckt. Ein Grund hierfür ist, dass sich erst jetzt langsam eine Mittelklasse entwickelte und daher ein größerer Teil der Bevölkerung Zeit und Mittel, aber auch das Wissen hatte, um sich auf Wallfahrten zu begeben.

Der Prototypus der buddhistischen Wallfahrt findet sich in der heutigen Grenzregion zwischen Indien und Nepal. Die vier wichtigsten dieser Wallfahrtsorte sind Lumbinī, Bodh Gaya, Sarnath, auch als Wildpark ­ – um genau zu sein als Park der Rehe bekannt – und Kuśīnagara. Dies sind die Orte, an denen der Buddha geboren wurde, erwachte, in seiner ersten Predigt die vier edlen Weisheiten verkündete und dann in dem Augenblick seines körperlichen Todes in das ewige Parnirvāṇa eintrat.

In der Vormoderne war es Japanerinnen und Japanern im Großen und Ganzen unmöglich, sich auf eine Pilgerfahrt nach Indien zu begeben. Reisen nach China, wie einige Mönche und Religionsstifter sie unternahmen, um neue Formen des Buddhismus zu erlernen, heilige Schriften und religiöse Kunstgegenstände nach Japan zu bringen und auch, wie im Falle des Ōbaku Zen, einen Austausch mit den buddhistischen Institutionen Chinas zu pflegen, waren beschwerlich und oftmals gefährlich. Trotzdem war es einigen Mönchen möglich, Heiligtümer wie den Berg Tiantai in China zu besuchen und wieder lebendig nach Japan zurückzukehren. Kūkai (754-835), der Gründer der Shingon Schule, reiste sogar bis nach Chang’an, dem heutigen Xi’an in der Shaanxi Provinz Chinas; auch dafür wird ihm noch heute in Japan ein Heldenstatus zugeschrieben. Da es in der Vormoderne schwierig war die originalen Heiligtümer des Buddhismus in Indien aber auch in China zu besuchen, wurden einige dieser Orte in der Kunst abgebildet. Über die Jahrhunderte hinweg bildete sich aber in Japan auch eine eigene Wallfahrtskultur mit spezifischen Wallfahrtsorten und sehr bestimmten Verhaltensregeln und Übungen. Heutzutage sind Wallfahrten in Japan sehr populär. Im Fernsehen laufen regelmäßig Sendungen über Pilgerfahrten und Pilgerorte, in den Buchhandlungen gibt es ein relativ großes Angebot an Büchern und Zeitschriften zu diesem Thema, Wallfahrten werden oft von Reisebüros angepriesen und sogar Menschen, die darauf bestehen, dass sie nicht religiös seien, nehmen des Öfteren an Wallfahrten teil.

Bevor nun das japanische Wallfahrtsverständnis näher erläutert wird, ist es gewiss hilfreich, wenn wir uns zuerst die Vielfalt der Wallfahrten in Japan vor Augen führen. Drei verschiedenen Wallfahrtstypen sind mindestens zu unterscheiden: 1. individuelle Wallfahrtsorte, 2. Pilgerwege zu einem bestimmten Wallfahrtsort, das deren Ziel darstellt, schließlich 3. Pilgerwege, die mehrere Wallfahrtsorte miteinander verbinden, bei denen der Weg selbst in seiner Vollkommenheit das Ziel darstellt. Alle diese Orte werden von Gläubigen und Touristinnen und Touristen gleichermaßen besucht und, in gewissem Sinne, auch verehrt.

3.1 Individuelle Wallfahrtsorte

Unter den ersten Typus fallen Wallfahrtsorte wie der Kōyasan, Dainichibō und Chūrenji, der Osorezan und der schon erwähnte Ise Jingū. Auf dem Kōyasan in der Wakayama Präfektur wurde eine Tempelstadt aufgebaut, sie beherbergt den Stammsitz und das Hauptheiligtum des Shingon Buddhismus. Letzteres ist der Okunoin, ein Mausoleum, in welchem – dem Shingon Glauben gemäß – Kūkai seit fast 1200 Jahren in Meditation sitzt. Das Prestige Kūkais ist in Japan so groß, dass, unabhängig von der religiösen Überzeugung der Verantwortlichen, viele Familien und Unternehmen, die ihre reale oder auch eingebildete Bedeutung für Japan ausdrücken und einen gewissen Ruf kultivieren wollen, in dem Friedhof, das den Okunoin umgibt, ein Grab besitzen. In der Tempelstadt wurde auch ein dreidimensionales Mandala angelegt, der Garan, das den Glauben des Shingon Buddhismus verkörpert und veranschaulicht. In den beiden Tempeln Dainichibō und Chūrenji in der Yamagata Präfektur finden sich die beiden berühmtesten buddhistischen Mumien Japans. Auf Japanisch werden sie Sokushinbutsu, (wörtlich Buddha in diesem Körper) genannt. Sie sind die unversehrten Leichen von Mönchen, die sich vor etwa 300 Jahren in der Edo Zeit mittels jahrelanger und entbehrungsreicher Übungen selbst mumifiziert haben. Der Osorezan in der Aomori Präfektur im Norden der Hauptinsel Japans besteht aus einem Tempel des Sōtō Zen Buddhismus namens Bodaiji und einem Gelände ohne institutionelle Struktur, wo Menschen ihrer Toten gedenken und ihnen begegnen. Shamaninnen und Shamanen (jap. itako) bieten hier in der Tradition des Shintō ihre Dienste an, z.B. solche, die ein Gespräch mit den Toten ermöglichen. Der Ise Jingū ist das Hauptheiligtum des Shintō, wo die Sonnengöttin Amaterasu, die höchste Gottheit in der Mythologie des Shintō, verehrt wird. Der Kaiser Japans macht jährlich eine Pilgerfahrt zu diesem Heiligtum. Was diesen Typus der Wallfahrt auszeichnet ist, dass es hierbei nur auf den Ort selbst ankommt und die Reise dorthin zweitrangig ist. Die Orte zeichnen sich aus durch die Bedeutung, die sie entweder für die japanische Kultur haben wie der Kōyasan und der Ise Jingū, oder auch für das Leben der Betroffenen wie die Begegnung mit den Toten auf Osorezan. Ein Besuch an Pilgerorten wie Dainichibō und Chūrenji konfrontiert die Pilgerinnen und Pilger direkt mit religiösen Themen, insbesondere sind dies die eigene Sterblichkeit und die Möglichkeit einer postmortalen Existenz.

3.2 Pilgerwege zu einem bestimmten Wallfahrtsort

Im Gegensatz zu den Wallfahrten des ersten Typus ist der Pilgerweg zum Wallfahrtsort, und nicht nur das Ziel selbst, bei dem zweiten Typus wichtig. Beispiele für diesen zweiten Typus sind die Pilgerwege zum Fujisan südwestlich von Tokyo in der Shizuoka Präfektur, zum Ōyama in der Kanagawa Präfektur, zum Takaosan im Westen Tokyos, wie auch zu den Yudonosan und Yamadera in der Yamagata Präfektur. An dieser Liste fällt sofort auf, dass all diese Pilgerorte heilige Berge sind. Zu diesen Wallfahrten gehört das Wandern und das Ausgesetztsein in der Natur genauso wie das Heiligtum selbst dazu. Bei all diesen Wallfahrtsorten finden sich auf oder in den Bergen wichtige religiöse Heiligtümer des Buddhismus und des Shintō, nämlich der Fuji Hongū Sengen Taisha und der Taisekiji, der Haupttempel des Nichiren Buddhismus, am Fujisan, der Ōyama Afuri Jinja, der für Shintō und Shugendō gleichermaßen heilig ist am Ōyama, der Yakuōin Yūkiji auf dem Takaosan, ein Tempel der Shingon Schule der dem Tengu, einem Wesen der Shintō Folklore, geweiht ist, verschiedenen Heiligtümer, die der Shingon Schule, dem Shintō und dem Shugendō heilig sind, am Yudonosan und der Risshakuji am Yamadera, der der Tendai Schule angehört. Diese Beispiele machen zugleich nachvollziehbar, wie willkürlich eine Aufsplitterung des Buddhismus, des Shugendō und des Shintō in drei Religionen ist. In manchen Fällen, wie am Fujisan und am Yudonosan, sind die Heiligtümer verschiedener sogenannter Religionen getrennt angelegt, während sie am Takaosan und am Yamadera ineinander gebaut sind. So befindet sich z.B. im Tempelgelände das Yakuōin Yūkiji auf dem Takaosan ein Shintō Heiligtum, das dem Tengu geweiht ist.

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Auch kommen die meisten Besucherinnen und Besucher von Wallfahrtsorten wie dem Takaosan, der ein überaus beliebtes Freizeitziel in Tokyo ist, nicht vornehmlich aus Beweggründen, die in der Glaubensstruktur des Buddhismus oder im Shintō zu finden wären, sondern hauptsächlich um am Wochenende dem unsagbaren Stress und Gewirr der Großstadt zu entkommen und die Natur am Takaosan zu genießen. Das Gebet und das Ritual im Heiligtum gehören ganz einfach zu einem Ausflug dazu und es ist für die meisten Anreisenden zweitrangig, zu welcher Tradition oder Schule das Heiligtum gehört. Wichtig ist hingegen, dass in dem Heiligtum sozusagen das Herz (jap. kokoro) des Berges und in gewissem Sinne auch der Menschen in der Stadt untergebracht ist. Der tiefere Grund von Übungen wie diese Pilgerfahrten liegt in einem Auftanken des Körpers, der Psyche und des Geistes (siehe auch Kasulis, 2004, 38-70). Wallfahrten wie diese sind Religionspraxen, die den Respekt vor der Natur und die Besinnung auf geistige und seelische Werte in unserem täglichen Leben anerkennen. Die Wallfahrt ist ein „Weg heim“ (Kasulis, 2004). Es ist kein Zufall, dass Filme über Menschen, die ihr Leben in der Großstadt aufgeben, um in den Bergen den Sinn des Lebens wieder zu entdecken, wie z.B. Haru wo seotte und Okuribito (Departures), in den letzten Jahren in Japan sehr beliebt geworden sind. Diese Suche nach einer Alternative zum alltäglichen, sehr stressigen Leben, die dann auch Elemente von Transzendenzerfahrungen enthält, ist einer der Hauptgründe der Wallfahrten des zweiten Typus.

3.3 Pilgerwege, die mehrere Wallfahrtsorte miteinander verbinden

Wallfahrten des dritten Typus, nämlich Pilgerwege, die mehrere Wallfahrtsorte thematisch und geographisch miteinander verbinden, beanspruchen einen gewissen Einsatz von Zeit, Geld und Hingabe. Diese Wallfahrten sind im Großen und Ganzen thematisch mit der Shingon Schule verbunden, obwohl zu ihnen auch Tempel anderer buddhistischen Schulen gehören und Pilger sowie Pilgerinnen unabhängig ihrer religiösen Zugehörigkeit oder Ausrichtung daran teilnehmen können. Es gibt verschiedene Arten der Pilgerwege des dritten Typs, die sich aber in drei Grundformen unterscheiden lassen. Da gibt es 88 Tempel im Gedenken an Kūkai, die 33 Tempel zur Verehrung des Kannon Bodhisattva und die 36 Heiligtümer, die dem Mantrakönig Fudō geweiht sind.

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Es gibt auch noch die 13 dem Kannon geweihten Heiligtümer in Ōsaka und die 108 Tempel in Kyūshū. Zu dieser Fülle treten immer neu kreierte Wallfahrten hinzu. Das Vorbild der 88 Temple-Wallfahrt zu Ehren Kūkais ist auf Shikoku, der viertgrößten Insel Japans, auf der Kūkai geboren wurde und aufgewachsen ist, beheimatet. Daher ist es schon sinnvoll, eine Wallfahrt zu seinen Ehren auf Shikoku zu machen, aber es gibt noch einige Kopien dieser Wallfahrt an anderen Orten in Japan. Diese Kopien ermöglichen es Gläubigen in anderen Gegenden Japans, die entweder nicht genug Geld oder Zeit haben, den Pilgerweg auf Shikoku zu begehen, die Wallfahrt zu Ehren Kūkais sozusagen zuhause zu realisieren. Manche dieser Kopien sind sogar in einem Gebäude untergebracht wie im Jakushōji in Tendō, Yamagata Präfektur, und dem Muryōzan Saikōji in der Saitama Präfektur. Die originale Version dieser Pilgerfahrt auf Shikoku ist ungefähr 1400 Kilometer lang und schlängelt sich der Küste entlang um die gesamte Insel herum. Sie führt die Pilgerinnen und Pilger durch faszinierende Natur und verbindet Heiligtümer, die einmal spektakulär und einmal unauffällig wirken, zugleich sind sie aber immer garantiert ehrfurchtgebietend. Diese Wallfahrtskultur Shikokus zieht mittlerweile jährlich Tausende von Pilgerinnen und Pilger aus aller Welt an. Man trifft dort Menschen, die sich 4 bis 6 Wochen Zeit genommen haben, um den ganzen Wallfahrtsweg zu wandern, Fahrradfahrer, Touristinnen und Reisegruppen, die die Wallfahrt ganz oder in Stücken mit dem Bus abfahren. Es werden währenddessen unter Einzelnen oder in Gruppen Freundschaften geknüpft. Die Gründe, die Menschen nach Shikoku bringen, sind so unterschiedlich wie die Pilgerinnen und Pilger selbst. Für manche bietet der Pilgerweg die Möglichkeit mit einem gravierenden Lebenseinschnitt wie einer Scheidung, einem Tod in der Familie, Arbeitslosigkeit oder auch dem Ruhestand klar zu kommen. Für Andere ist die Wallfahrt ein Gebet um Heilung für einen Kranken, manchmal auch sich selbst, oder für Weltfrieden. Für wieder andere ist es – wie gesagt – wichtig, Stress abzubauen oder manchmal auch nur eine Möglichkeit, tolle Fotos für Snapchat oder Instagram zu machen.

Die Ausstrahlungskraft dieses Pilgerweges ist so stark, dass viele oft vergessen, dass es in Japan auch noch andere faszinierende Pilgerwege gibt wie z.B. jenen, der die 36 dem Fudō geweihten Heiligtümer in Tōhoku verbindet und der Pilgerweg, der die Pilgernden in Chichibu zu den 34 Heiligtümer Kannon Bodhisattvas führt. Der Wallfahrtsweg in Tōhoku führt in das Reich der Bergasketen, die Yamabushi, und der Mönche, die in der Edo Zeit versucht hatten, sich selbst zu mumifizieren. Auf diesem Wallfahrtsweg beeindruckt die Pracht wie auch die für Japan ungewohnte Einsamkeit der japanischen Alpen, wo noch vereinzelt Jäger mit herkömmlichen Methoden Bären jagen, bevor sie am Meer der Westküste entlang nach Norden wandern, um Wochen später in den Iwate und Miyagi Präfekturen an der Ostküste mit dem Ausmaß der Zerstörung, das der Tsunami vom 11. März 2011 angerichtet hat, konfrontiert zu werden. Der Wallfahrtweg der 34 Heiligtümer in Chichibu in der Saitama Präfektur kann zwar nicht mit der wilden Schönheit und Einsamkeit Tōhokus wetteifern, da Chichibu im Großraum Tokyos liegt, dafür aber bietet dieser Weg andere Besonderheiten wie den Kinshōji, der der Befreiung von Frauen, die von gewalttätigen Ehemännern missbraucht wurden, durch Kannon gedenkt und auch eine der in Japan eher seltenen Statuen, die Kannon Bodhisattva als Mutter darstellen, beherbergt, wie auch der schon erwähnte Muryōzan Saikōji, in dem die 88 Heiligtümer Shikokus abgebildet sind und man den Pilgerweg zu Ehren Kūkais statt in sechs Wochen in weniger als einer Stunde absolvieren kann.

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Im Großen und Ganzen gibt es drei Gründe, warum der Pilgerweg der 88 Heiligtümer in Shikoku so berühmt ist. Der erste liegt in der Geschichte Japans. Kūkai wurde seit dem neunten Jahrhundert oft als so etwas wie ein Nationalheld verehrt. Was noch wichtiger war ist, dass Shikoku gleichzeitig erreichbar und doch weit genug entfernt von Kyoto war, um zumindest vor dem Anbruch der Moderne in der Meiji Zeit den idealen Ort sowohl für einen Pilgerweg wie auch für ein politisches Exil darzustellen. Über viele Jahrhunderte hinweg war Kyoto die reale oder nominelle Hauptstadt und damit auch das reale oder symbolische Zentrum der Macht Japans. Der zweite Grund seiner Popularität liegt darin, dass dieser Pilgerweg, wenn er auch zu Fuß etwas lang ist, gut ausgebaut und machbar ist. Ein weiterer Grund der zentralen Stellung des Shikoku Pilgerweges in Japan ist etwas esoterisch, im eigentlichen Sinne des Wortes, und liegt in der Religionsausübung der Shingon Schule. Texte der Shingon Schule identifizieren als Schwerpunkt ihrer religiösen Praxis die sogenannten drei Mysterien. Gemäß dieser Lehre verunreinigen wir uns im täglichen Leben durch die Handlungen unseres Körpers, unserer Sprache und unserer Gedanken. Der Zweck dieser religiösen Übung besteht dann darin, dass wir unseren Körper, unsere Sprache und unsere Gedanken reinigen, indem wir besondere Handpositionen, sogenannte Mudras, üben, bestimmte Mantras, heilige Verse oder Sprüche artikulieren und bestimmte Abbildungen Buddhas, die Mandalas, visualisieren.

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Das Ziel dieser Übungen ist, dass durch die endlose Wiederholung dieser Mudras, Artikulationen der Mantras und Sichtbarmachung aller Erscheinungsformen des höchsten Buddhas, Dainichi Nyorai genannt, unser Körper, unsere Sprache und unsere Gedanken nicht nur gereinigt werden, sondern der Körper, die Sprache und der Geist Buddhas werden. Die Mönche und Nonnen der Shingon Schule widmen, zumindest theoretisch, ihr Leben diesen Übungen. Laien, deren Schwerpunkt das Familien- und Berufsleben ist, nehmen an diesen Übungen entweder symbolisch oder sporadisch teil oder sie begeben sich, wenn sich die Möglichkeit ergibt, auf den Pilgerweg in Shikoku und praktizieren dort die drei Mysterien. Um dies deutlich zu machen, möchte ich kurz auf die Übungen hinweisen, die die Pilger auf dem Wallfahrtsweg in Shikoku an jedem der 88 Heiligtümer praktizieren. Jedes dieser Heiligtümer besitzt einen Hauptaltar, der einer bestimmten Gottheit geweiht ist, die dort verehrt wird. Der Abbildung einer Gottheit in jedem Tempel, jeweils eine bestimmte Erscheinungsform des Dainichi Nyorai, ist ein bestimmtes Mantra zugeordnet. Die Pilgernden betreten jeden einzelnen der 88 Tempel durch das Haupttor, verneigen sich dort in Richtung der Haupthalle, gehen zu dem Temizuya, einem Behälter der Wasser für die symbolische Reinigung enthält, reinigen sich dort Hände, Mund und Stirn und gehen zum Hauptaltar in der Haupthalle des Heiligtums. Dort verbeugen sie sich vor der Abbildung der Gottheit, rezitieren das betreffende Mantra und legen ihre Handflächen zusammen, um so eine einfache Mudra zu bilden. Danach rezitieren die Pilgerinnen und Pilger das Herz Sūtra, lassen sich eine Kalligraphie in ihr Pilgerbuch schreiben und begeben sich wieder auf den Pilgerweg zum nächsten Tempel. Der Sinn dieser Praxis ist demnach 88 Mal die drei Mysterien zu üben, um sich so zu reinigen und den Körper, das Wort und den Geist des Dainichi Nyorai zum Ausdruck zu bringen. Es gibt auch einige Pilgerreisende, die den ganzen Pilgerweg mehrere Male hintereinander begehen und ihr Leben zumindest für eine gewisse Zeit Buddha widmen.

4. Das Wallfahrtsverständnis in Japan

Was die Praxis der Wallfahrten in Japan so interessant macht ist nicht nur das reiche Angebot an Pilgerwege und Wallfahrtsformen, die es in Japan gibt, sondern auch die Vielzahl an Motiven, die die Praktizierenden motivieren an dieser Praxis teilzunehmen. Nicht wenige sehen in einem Pilgerweg eine Art Aktivurlaub, ob es nun für einen Tag, ein Wochenende oder auch sechs Wochen ist. In der Natur sein, sich zu bewegen und auch über das Leben reflektieren, erfrischt den Körper und die Seele. Die Heiligtümer, ob sie nun das Ziel markieren oder verschiedene Stationen auf dem Weg darstellen, helfen die Tour zu strukturieren und erinnern daran, dass Körper und Geist nicht getrennt sind, sondern, im Gegenteil, wie alle Sportlerinnen und Sportler wissen, körperliche Anstrengungen auch den Geist und die Konzentration fordern.

Und das bringt uns zu einem zweiten, möglichen Beweggrund, um an Wallfahrten teilzunehmen oder Pilgerwege zu begehen. Viele Gläubige sehen Wallfahrten als religiöse Übung. Dies kann im weiteren Sinn, in dem die Wallfahrt eine religiöse Praxis darstellt, oder auch im engeren Sinne der 3 Mysterien der Shingon Schule verstanden werden. D.h. ein Ziel des Shikoku Pilgerweges ist, dass unser Körper, unsere Sprache und unser Geist in den Körper, die Sprache und den Geist Buddhas verwandelt verstanden werden. Selbst für Leute, die an diesen Wahlfahrten als Aktivurlaub oder als Besichtigung interessanter Gebiete Japans teilnehmen, ist die religiöse Dimension der Wallfahrt nicht wegzudenken. Nicht nur nehmen alle Pilger und Pilgerinnen an den religiösen Zeremonien in den Heiligtümern teil, viele kleiden sich auch in der traditionellen Pilgertracht. Zu dieser Tracht gehören ein Pilgerstab, eine traditionelle Kopfbedeckung, die vor Sonne und Regen schützen soll, und ein weißes Pilgergewand, das den Eintritt in das Todesreich symbolisiert. In der Vormoderne beinhalteten gewisse Religionsübungen wie die oben erwähnte Selbstmumifizierung und auch Senjitsukaihōgyō (Tausend-Tägige Umrundung des Hieizan im Osten Kyotos) sogar die Forderung, dass die Praktizierenden diese Übung entweder erfolgreich beenden oder, im Falle einer Unterbrechung, aus welchem Grund auch immer, sich selbst opfern. Der japanische Philosoph Yasuo Yuasa (1925-2005) hat in seinem Werk vorgeschlagen, dass die Bedeutung religiöser Übungen wie der drei Mysterien die Überwindung des Körper-Geist Dualismus ist. Sie wird als eine Verwandlung der Entfremdung von uns selbst vorgestellt, so dass Körper und Geist von uns selbst und von anderen je zu einer Einheit werden. Im deutschsprachigen Raum hat Peter Sloterdjik Religion als Übung aufgefasst und beschreibt den Beweggrund solcher religiösen Übungen mit den Worten des berühmten Dichters Rainer Maria Rilke (1875-1926) folgendermaßen: „Du mußt Dein Leben ändern“ (Sloterdjik, 2009).

Eine dritte Motivation, um an Wallfahrten teilzunehmen, ist die Begegnung mit anderen Pilgernden, mit einer oder mehreren Gottheiten und mit sich selbst. In Japan können Wallfahrten sehr gesellig sein. Folglich trifft man auf der Pilgerfahrt Gleichgesinnte. Auch wenn Pilgerinnen und Pilger alleine den Pilgerweg begehen, ist es sehr wahrscheinlich, dass sie auf bekannteren Pilgerwegen Gleichgesinnte treffen mit denen eine Austausch über den Weg, das Wetter, aber auch das Leben möglich ist. Aber selbst wenn Pilgernde alleine unterwegs sind, heißt dies nicht, dass sie auch wirklich einsam sind. In den Heiligtümern unterwegs und am Ziel begegnen die Pilgerinnen und Pilger Gottheiten wie Buddhas, Bodhisattvas, Mantrakönige, Götter, Mumien und Geister. Zudem ist das offizielle Schlagwort des Shikoku Pilgerweges zu zweit gemeinsam auf dem Weg (jap. dōgyōninin). Dieser Spruch bedeutet, dass, gemäß dem Glauben der Shingon Schule, auf dem Shikoku Pilgerweg niemand alleine ist, weil Kūkai immer dabei ist. Wie dem auch sei, auf jedem Pilgerweg begegnen die Pilgernden auch sich selbst: auf dem Weg, in den Bergen, im Heiligtum erkennen wir unsere Grenzen, unsere Gedanken, unser Verlangen, unsere Sehnsüchte und unsere Beweggründe. Wallfahrt ist die Begegnung mit sich selbst. Und in diesen Begegnungen erfahren wir, dass das Leben ein Pilgerweg ist. Im gewissen Sinne ist die Teilnahme an einer Wallfahrt Übung fürs Leben, weil das Leben ein Pilgerweg und Wallfahrt eine Einstellung ist.

5. Religionspädagogische und religionsdidaktische Ausblicke

Für eine fachwissenschaftliche Bearbeitung des Themas Wallfahrten in Japan liegen in der deutschen Sprache erhältlich die Erfahrungsberichte von Marie-Édith Laval (2016) und Lena Schnabl (2019), die von ihren Begehungen des Shikoku Pilgerweges erzählen, und die Reiseführer von Gérard Krebs (2017) und Oliver Dunskus (2019) vor. Zum religionsgeschichtlichen und religionsphilosophischen Hintergrund des Shintō und der Shingon Schule kann man in deutscher Sprache auf Scott Littleton’s Shintoismus (2005) und Taiko Yamasaki’s Shingon: Esoterischer Buddhismus in Japan zurückgreifen. Etwas anspruchsvoll, aber gerade daher sinnvoll sind die deutschsprachigen Übersetzungen der Primärliteratur wie Die historischen Quellen der Shinto-Religion: aus dem Altjapanischen und Chinesischem übersetzt und erklärt von Karl Florenz (2014) und Kōbō Daishi - Kukai: Ausgewählte Schriften (1992). Eine zugängliche Einführung zum Buddhismus in Japan findet man auf buddhistdoor.org (Kopf, 2014-2020).

Zwei der Filme, die Doris Dörrie zum Thema Japan gedreht hat, Erleuchtung garantiert (1999) und Kirschblüten (2008), kann man als metaphorische Wallfahrten verstehen und können daher den Sinn von Wallfahrten verdeutlichen (Altersfreigabe ab 12 Jahre). Der Horrorfilm Shikoku - Rückkehr zur Insel der Toten (1999), der auch mit deutschen Untertiteln erhältlich ist, thematisiert die Praxis der Wallfahrten zwar nicht, stellt aber Shikoku, die Insel, die weit von Tokyo weg ist, und im japanischen Gedankengut mit Exil und Wallfahrt assoziiert wird, als den Ort dar, wo das Totenreich sich mit der Welt der Lebenden überschneidet. Der Titel des Films, wörtlich „Land des Todes“, ist gleichlautend mit dem Namen der viertgrößten Insel Japans, Shikoku, wörtlich „Vier Länder“.

Internetplattformen wie YouTube bieten Ressourcen mit schwankender Qualität und eingeschränkter Abrufbarkeit. Dazu gibt es viele Karten, Beschreibungen und Fotos des Shikoku Pilgerweges online auf japanisch und englisch. Der Eintrag zum „Shikoku-Pilgerweg“ auf de.wikipedia.org scheint weitgehend zuverlässig recherchiert zu sein.

Da die japanische Wallfahrtskultur den westlichen Religionsbegriff (→ Religion) nicht kennt, liegt hier bereits ein interessanter fachwissenschaftlicher Ansatzpunkt, der mit Schülerinnen und Schüler thematisiert werden kann. Zudem eröffnen sich Perspektiven für einen Vergleich zwischen der japanischen-buddhistischen und der christlichen sowie auch der muslimischen Wallfahrtspraxis: Was sind die Motive der Pilgerinnen und Pilger, die den Jakobsweg, den Haddsch nach Mekka machen oder den Pilgerweg in Shikoku gehen? Wie bereiten sich die Pilgernden in den verschiedenen Fällen auf ihre Wege vor? Wie fügt sich die Pilgerfahrt in das Leben und die Weltanschauung der Pilgernden? Wie verträgt sich die religiöse Übung mit dem Tourismus? Ist es angemessen, dass die Betreiber von Wallfahrtsstätten Geld für ihre Dienste verlangen. Dies ist ein wichtiges Thema in Ländern, in denen es keine Kirchensteuern gibt. Ist eine reine Religionsausübung möglich? Und ist es vertretbar, dass Religion von der Tourismusindustrie instrumentalisiert wird? Der Religionsanthropologe Ian Reader (2015) sieht Vergleichspunkte zwischen mehreren Wallfahrten verschiedener Traditionen und Kulturen in der religiösen Praxis wie auch in ihrer wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Funktion. Lena Schnabl nennt den Pilgerweg Shikokus sogar den „japanischen Jakobsweg“ und lädt damit zu einem Vergleich der zwei Pilgerwege und Wallfahrtskulturen ein. Studien über die japanische Wallfahrtspraxis ermuntern uns, unsere Begrifflichkeit, mit der wir religiös genannte Phänomene bezeichnen, in Frage zu stellen und schärfen unseren Blick für ihr Auftreten im globalen Vergleich. Sie ermutigen uns aber auch, das eigene Leben und nicht nur den Nachvollzug ausgewählter Mythen und auch kommerzielle Filme als Wallfahrt zu sehen. Diese Möglichkeit ist eine Sichtweise, die unser Leben und Lernen nur bereichern kann.

Die fachdidaktische Bearbeitung des Themas kann an eine Vielzahl religionsdidaktischer Konzepte anschließen (→ Buddhismus im Religionsunterricht). Hier sollen zwei besonders hervorgehoben werden: 1. Wallfahrten können im Referenzrahmen außerschulischen Lernens didaktisch reflektiert werden; 2. sie sind offen für performativ orientierte Lernformen.

1. Das Erfahrungslernen an außerschulischen Lernorten (→ außerschulisches Lernen, Erkunden) ist wichtig, vor allem wenn es um das Kennenlernen anderer Kulturen und die Begegnung mit anderen Menschen geht. Ideal wäre natürlich eine Exkursion nach Japan, um eine oder mehrere der hier besprochenen Wallfahrten in Japan betrachten und studieren zu können. Diese Option ist natürlich Zeit- und Geldintensiv und wahrscheinlich auf die Oberstufe begrenzt. Eine andere Möglichkeit wäre buddhistische Zentren aber auch Häuser der japanischen Kultur, wie z.B. das EKŌ-Haus in Düsseldorf, in der unmittelbaren Gegend der Schule zu besuchen, um dort eine Teezeremonie zu erleben und der japanischen Kultur zu begegnen.

Eine dritte Möglichkeit des außerschulischen Lernens wäre die Kreation neuartiger Wallfahrten wie z.B. die der 7 Buddhas Mitteleuropas. Diese könnte folgende Orte einschließen: 1. Der Buddha der Lotus Sūtra in der Friendenspagoda Nipponzan Myohoji in Wien, 2. der Buddha des thailändischen Sala im Westpark in München, 3. der Buddha vor dem Völkermuseum in Heidelberg, 4. der Amida Buddha im EKŌ-Tempel des japanischen Hauses in Düsseldorf, 5. der Friedensbuddha im Japanischen Garten der botanika in Bremen, 6. die Quan Âm (viet.: Kannon) Bodhisattva im Viên Giác Pagode in Hannover und schließlich 7. der sogenannte Buddha vom Viktualienmarkt des Bodhicharya Tempels in Berlin. Vor jeder Statue verneigen sich die Pilger, legen die Handflächen wie bei einem Gebet zusammen und rezitieren ein Mantra. Das Mantra für Tempel 4 ist „namu mida nyorai henjō,“ für Tempel 6 „namu kannon bosatsu henjō,“ für die anderen Tempel „namu shakka nyorai henjō.“

Diese Wallfahrt, die am besten mit dem Bus oder öffentlichen Verkehrsmitteln fertigzustellen ist, hätte das gleiche Muster wie viele der weniger bekannten Pilgerwege in Japan. Sie würde nicht nur zeigen, dass der Buddhismus in Deutschland angekommen ist, und eine Feier der religiösen Pluralität in Deutschland darstellen, sondern auch zusätzlich der Völkerverständigung dienen.

2. Eine faszinierende aber leider auch zeitaufwendige Unterrichtsstrategie wäre den Pilgerweg Shikokus nachzubauen, um ihn dann sozusagen virtuell zu begehen (→ Performativer Religionsunterricht, evangelisch; → Performativer Religionsunterricht, katholisch). Dies wäre eine Art des Erfahrungslernen, das keine Reise benötigt und vor Ort ausgeführt werden kann. Diese Unterrichtseinheit hätte drei Phasen. In der ersten Phase recherchieren die Schüler und Schülerinnen unter der Anleitung der Pädagoginnen und Pädagogen an Hand, der im fünften Abschnitt dieses Beitrags erwähnten und im Literaturverzeichnis angegebene Ressourcen den Shikoku Pilgerweg. Jeder der 88 Tempel des Shikoku Pilgerweges hat einen Namen, einen Hauptgegenstand der Anbetung (honzon auf japanisch) und ein dazu gehöriges Mantra. Diese drei Kennzeichen aller 88 Tempel müssen identifiziert werden.

In der zweiten Phase dieser Unterrichtseinheit wird dann die Wallfahrt installiert. Es gibt einige Möglichkeiten wie dies vollzogen werden könnte. Die einfachste dieser ist Bilder der 88 Tempel und ihrer Anbetungshauptgegenstände auf Kommunikationsgeräte und Rechner herunterzuladen und diese Geräte in einem oder mehreren Räumen in der Schule aufzustellen. Traditionell wird der Shikoku Pilgerweg gemäß der vier Präfekturen auf Shikoku in vier Abschnitte geteilt: Tempel 1-23 in der Tokushima Präfektur symbolisieren die Inspiration und den Entschluss erleuchtet zu werden (hosshin), Tempel 24-39 in der Kōchi Präfektur das Training und die Disziplin der religiösen Übung (shugyō), Tempel 40-65 in der Ehime Präfektur das Erwachen (bodai), und Tempel 66-88 in der Kagawa Präfektur den Eintritt ins Nirvāṇa (nehan).

Wallfahrten, buddhistisch 5

Daher wäre es schon sinnvoll, die 88 Geräte auf vier Räume zu verteilen. Die zweite Möglichkeit, eine Nachahmung des Shikoku Pilgerweges in Deutschland zu installieren, ist Abbildungen der 88 Tempel und ihrer Anbetungshauptgegenstände zu erstellen und sie in einem Klassenzimmer der Reihe nach aufzuhängen oder auf vier oder mehrere Räume zu verteilen. Die anspruchsvollste Möglichkeit der Installation wäre, wie im Falle eines Kreuzweges, 88 Stationen in einem Garten oder Waldgut anzufertigen. Jede Station bestünde dann aus einer dreidimensionalen Abbildung des jeweiligen Tempels wie auch dessen Anbetungshauptgegenstand.

In der dritten Phase begeben sich alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen zu allen 88 Stationen, verneigen sich an jeder Station, legen dort die Handflächen wie beim Gebet zusammen, stellen sich den jeweiligen Anbetungshauptgegenstand vor und rezitieren das entsprechende Mantra. Eine längere Version dieser Wallfahrt würde auch die Rezitation der Herz Sūtra an jeder einzelnen Station beinhalten. Das Ziel dieser Übung ist es, den Religionsunterricht durch eine Erfahrungskomponente zu erweitern und zu bereichern sowie religiöse Praxis im Sinne eines Probehandelns zu erkunden, dabei nicht einfach nur Vorgegebenes nachzuvollziehen, sondern selbst gestalterisch mit religiöser Praxis zu experimentieren.

Literaturverzeichnis

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  • Yasuo, Yasuo, The Body: Toward an Eastern Mind-Body Theory, Albany 1987.

Abbildungsverzeichnis

  • Tengu als Wächter des Yakuōin Yūkiji (Takaosan, Tokyo) © Gereon Kopf
  • Mantrakönig Fudō im Ryūshōji, Nr. 64 der 108 Heiligtümer in Kyūshū (Nagasaki Präfektur) © Yōko Seki
  • Kannon Bodhisattva als Mutter (Kinshōji, Nr. 4 der 34 Heiligtümer in Chichibu) © Gereon Kopf
  • Die Garbhadhātu Mandala des Shingon Buddhismus (Yamadera) © Gereon Kopf
  • Der Eintritt Buddhas in das Parnirvāṇa (Unpenji, Nr. 66 der 88 Heiligtümer in Shikoku) © Gereon Kopf

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