Übergänge im Unterricht gestalten
(erstellt: Februar 2016)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.bergnge_im_Unterricht_gestalten.100138
1. Unterricht und Übergänge
Der Begriff „Übergang“ bezieht sich in seiner wort-wörtlichen Bedeutung auf das Bewältigen von Wegstrecken und meint damit besonders das „Überqueren, Überschreiten, Hinübergehen“ beziehungsweise die „Einrichtung zum Überqueren, Passieren“. Im übertragenen Sinn bedeutet „Übergang“ den „Wechsel zu etwas anderem, Neuem, in ein anderes Stadium“ (Duden).
Organisatorische wie inhaltliche Wechsel zu etwas Anderem und Neuen sind essenzielle Kennzeichen jedes Schulalltags. Solche Übergänge verleihen jeder Unterrichtseinheit und -stunde wie dem unterrichtlichen Geschehen insgesamt die nötige innere Strukturierung und tragen so maßgeblich zum Ge- oder Misslingen der intendierten Lernprozesse bei. Das gilt für den Religionsunterricht (→ Religionsunterricht, evangelisch
Eine systematische Zusammenstellung unterrichtlicher Übergangssituationen ist in der Literatur bislang nicht erfolgt. Elemente einer Didaktik der Übergänge finden sich allerdings bei Jansen (2007).
2. Übergänge zum Unterricht
Der Beginn und das Ende einer Unterrichtsstunde bilden den Rahmen des unterrichtlichen Lernprozesses. Sie bilden gewissermaßen die großen Übergänge, die den Schultag strukturieren. Von ihrer Gestaltung hängt entscheidend ab, ob und in welcher Zeit es den →
Schülerinnen und Schülern
2.1. Unterrichtsbeginn
Ziel des Unterrichtseinstieges ist es, den Anfang des gemeinsamen Lernprozesses zu markieren (vgl. Bauer, 2005, 203), den Kontakt zwischen →
Lehrenden
2.2. Unterrichtsende
Auch das Unterrichtsende muss „würdig“ (Bauer, 2005, 214), das heißt erkennbar gestaltet sein, damit der Lernprozess innerlich abgeschlossen werden kann und sich nicht in ein offenes Ende verliert. Obwohl dieser Abschlussaspekt in der Lehrerbildung durchaus zur Geltung gebracht wird (in den → Unterrichtsentwürfen
3. Übergänge im (Religions-)Unterricht
Neben den großen Übergängen des Anfangs und des Endes muss jede Unterrichtsstunde durch Übergänge innerlich strukturiert werden; eine sinnvolle Rhythmisierung von Konzentration und Entspannung, von Erarbeitung und Reflexion, von Übung und Entdeckung ist wichtig. So gehören neben dem Wechsel von → Methoden-
3.1. Klassenführung
Die eindeutige und prägnante Organisation des Übergangs von einem zum anderen Unterrichtsschritt nennt Meyer (vgl. Meyer, 2004 mit Verweis auf Kounins Arbeiten aus 1976) als ein Kriterium effektiver Klassenführung. Dieser Aspekt wird in den Arbeiten von Ophardt/Thiel (2013) aufgegriffen. Die Störungsanfälligkeit von Übergängen (vgl. Thiel/Richter/Ophardt, 2012, 39), die vor allem bei Unterrichtsnovizen deutlich wird und die zu einer Reduktion der aktiven Lernzeit führt, lässt sie in ihrem Klassenführungskonzept die Übergänge als eigene Aktivitätsstrukturen verstehen, deren Steuerung eine besonders hohe Aufmerksamkeit und Strategie der Lehrkraft erfordert (Ophardt/Thiel, 2013, 78; auch Cocard/Krähenbühl, 2013, 7). Beispielhaft werden Instruktionsprozeduren für wiederkehrende Lehr-Lernaktivitäten sowie Managementprozeduren für organisatorische Aktivitäten (z.B. Verteilen und Wegräumen von Arbeitsmaterialien) vorgestellt. Die bewusste Gestaltung von aufeinander folgenden Einheiten des Lehrer-Schüler-Verhaltens wird durch den Hinweis auf die mögliche Nutzung eines „instructional center“, einer bestimmten Position im Raum, von der aus Ansagen gemacht werden (Ophardt/Thiel, 2013, 39), oder im möglichen Einsatz akustischer wie optischer (z.B. Gesten) Signale, die den Beginn oder das Ende einer Aktivitätsstruktur deutlich markieren, erläutert. Diese auch als Prozeduren, Rituale oder Routinen bezeichneten Interaktionsskripte, die das Verhalten regeln (Ophardt/Thiel, 2013, 78f.), können die Übergänge von einer Lernaktivität zur nächsten (von der Gruppenarbeit zur Präsentation, von Unterricht zum abschließenden Gebet) zügig und wohltuend „ohne verbale Durchstrukturierung der Lehrkraft“ (Gudjons, 2007, 245) gestalten. Sie haben vor allem in Klassen, die über wenige Selbstorganisationsfähigkeiten verfügen, eine orientierende Funktion. Sie müssen aber, wenn sie pädagogisch sinnvoll und stimmig sein sollen, zur jeweiligen Lehrperson passen und einer kritischen Überprüfung standhalten.
3.2. Übergang zu einem neuen Thema
Natürlich sind Übergänge immer offene Zeiten und Situationen, die von den einzelnen Schülern in unterschiedlicher Geschwindigkeit gemeistert werden. Einigen fällt es leicht, sich auf etwas Neues einzulassen; andere hingegen hängen noch dem Vorangegangenen nach. Solche Ungleichzeitigkeiten sind unvermeidbar, sie erfordern neben Zeiten, die vom individuellen Lerntempo bestimmt werden, solche der gemeinsamen Fokussierung, damit gruppenbezogenes Lernen möglich wird. Unter dieser Perspektive sind folgende Gestaltungselemente von Übergängen zu neuen Themen bedeutsam: 1. Das vorhergehende Thema muss für die Lernenden zu einem subjektiv nachvollziehbaren Abschluss gekommen sein. Subjektiv nachvollziehbar bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler Raum und Zeit haben, das Gelernte auf ihre Situation zu beziehen und dabei überprüfen können, welchen Sinn das Gelernte für sie persönlich besitzt. Mit Blick auf diesen Grundsatz der ignatianischen Pädagogik gibt Mertes (2004, 16-18) einige Anregungen, wie dieser Schritt der Reflexion gestaltet werden kann. 2. Zugleich glückt ein Übergang zu einem neuen Thema dann, wenn er das Neue mit dem bereits Bekannten vernetzt. Schon aus lerntheoretischen und kognitionspsychologischen Gründen muss bekanntes Wissen aktiviert werden, um neue Inhalte zunächst einordnen zu können und sodann das Innovationspotenzial des Neuen zur Wirkung kommen zu lassen. Ein bewährter Prozess dieser Verknüpfung setzt mit dem Bewusstmachen von mitgebrachten Einstellungen und Erfahrungen zu einer Thematik ein, aus den benannten Vorerfahrungen und Einstellungen werden Fragen formuliert, die dann durch Reflexion und Information bearbeitet werden (vgl. Grom, 1988, 137-140). Dieses Verfahren bietet sich als Übergang für viele Themenbereiche des Religionsunterrichts an. Brainstorming und Mappingverfahren eignen sich als Einstieg dazu (vgl. u.a. Jansen, 2007, 11).
3.3. Übergang von der Lebenssituation zur religiösen Tradition
Wie in vielen Unterrichtsfächern ist auch im Religionsunterricht (→
Religionsunterricht, evangelisch
4. Grundkompetenzen der Lehrenden
Die Gestaltung von Übergängen als strukturgebende, orientierende Geländer im unterrichtlichen Geschehen gehört zu den Aufgaben der Religionslehrerinnen und -lehrer. Damit die vielfältigen Übergänge gelingen können, benötigen Lehrende zusammengefasst
- 1.die Wahrnehmungskompetenz für inhaltlich wie organisatorisch erforderliche Übergangssituationen sowie für die Lebenswelt und Deutungen der Lernenden;
- 2.die Planungskompetenz, um die notwendigen organisatorischen Prozeduren zu entwickeln sowie den Schülerinnen und Schülern einen fachlich begründeten inhaltlichen Rahmen zu geben, in dem diese ihre lebensweltlichen Bezüge, Fragen und Perspektiven ins Gespräch bringen können;
- 3.die Gestaltungskompetenz, in der konkreten Situation den Übergang so anzuleiten und zu begleiten, dass er passungsfähig wird und nachhaltige Lehr-Lernprozesse initiiert.
Bei alledem darf nicht vergessen werden, dass keine Planung von Bildungsprozessen deren Erfolg garantieren kann. Gelegentlich sind es sogar die unvermittelten, anstrengenden und/oder verschleppten Übergänge, die ‚den Knoten platzen lassen‘ und so das Lernen der Schülerinnen und Schüler befördern.
Literaturverzeichnis
- Bauer, Karl-Oswald, Pädagogische Basiskompetenzen. Theorie und Training, Weinheim/München 2005.
- Cocard, Yves/Krähenbühl, Samuel, Pädagogisches Wissen in Klassenführung. Forschungsbericht, Bern 2013.
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- Grom, Bernhard, Methoden für Religionsunterricht, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung, Düsseldorf/Göttingen 8. Aufl. 1988.
- Gudjons, Herbert, Frontalunterricht – neu entdeckt. Integration in offene Unterrichtsformen, Bad Heilbrunn 2. Aufl. 2007.
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- Mertes, Klaus, Verantwortung lernen. Schule im Geist der Exerzitien, Würzburg 2004.
- Meyer, Hilbert, Was ist guter Unterricht?, Berlin 2004.
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- Thömmes, Arthur, Unterrichtseinheiten erfolgreich abschließen. 100 ergebnisorientierte Methoden für die Sekundarstufe, Mülheim/Ruhr 2006.
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