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(erstellt: Januar 2015)

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1. Theologie als Rede von Gott

Theologie ist dem Wortlaut her als „Rede von Gott“ oder mit Friedrich-Wilhelm Marquardt als „Zur-Sprache-Kommen Gottes“ zu bezeichnen. Als Begriff hat sich die „Theologie“ erst im Laufe der Begegnung von christlicher Kirche und griechischer Philosophie entwickelt (vgl. dazu Schwöbel, 2005), in der Sache ist die Theologie als Reflexion religiöser Praxis von Anfang an essenzieller Bestandteil (nicht nur) von jüdischem Volk und Kirche.

Allein in diesen ersten Tastversuchen werden basale Verhältnisbestimmungen deutlich, die immer wieder zum Gegenstand theologischer Arbeit gehören: In welcher Beziehung stehen religiöse Praxis (was immer das im Einzelnen ist) und Theologie als Reflexion dieser Praxis zueinander? Gibt es in irgendeiner Hinsicht normative Zugänge, die vielleicht sogar „richtige“ von „falscher“ Praxis unterscheiden? Und wenn es diese gibt: Wo ist die Norm zu finden oder wie zu begründen? Eine Grundfrage in beiden Konfessionen, besonders aber in der evangelischen Theologie, ist in der von Karl Barth in den zwanziger Jahren aufgestellten dialektischen These zu erkennen, die der Spannung nachgeht, inwiefern Menschen überhaupt von Gott (→ Gott) reden können, der doch nicht einfach Teil der gegenständlichen menschlichen Welt ist: „Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können wissen und eben damit Gott die Ehre geben“ (Barth, 1922, 199).

Die christliche Theologie, die an dieser Stelle allein Untersuchungsgegenstand ist, hat als konstitutive Bezugsgrößen die Person Jesu Christi ( Christus), wie auch immer sie theologisch verstanden wird, und die Kirche, ganz gleich, ob sie als evangelische oder katholische oder als die eine Kirche Jesu Christi verstanden wird: Gäbe es die Bezugnahme auf Jesus Christus (→ Jesus Christus, bibeldidaktisch, Grundschule; → Jesus Christus, bibeldidaktisch, Sekundarstufe) nicht, wäre das Spezifikum als christlicher Theologie nicht erkennbar; ohne vorhandene Kirche und also Menschen, die glauben und religiöse Praktiken vollziehen, wäre sie eher als religiöse Philosophie zu kennzeichnen. Die erste Frage, die der Theologie, jedenfalls aus systematisch-theologischer Perspektive, insgesamt aufgegeben ist, ist die Rechenschaft ihrer Erkenntnis: Wie kommen Menschen dazu, von Gott zu reden? Und wenn sie von Gott reden, reden sie dann wirklich von „Gott“ (und also vom selben „Gegenstand“) oder doch (nur?) von ihrer jeweiligen subjektiv geprägten Gottesvorstellung?

2. Verhältnisbestimmungen von Glaube und Vernunft und die jeweilige Aufgabe der Theologie

Verschiedene, hier nur vergröbert darstellbare Verhältnisbestimmungen haben sich diesbezüglich im Laufe der langen Theologiegeschichte herausgebildet. Grundlegend war im Mittelalter das von Thomas von Aquin auf Basis aristotelischer Philosophie erarbeitete Modell, das von einer Zweiteilung menschlicher Erkenntnisfähigkeiten ausgeht: Von sich aus sei der Mensch in der Lage, die Existenz einer Gottheit oder eines göttlichen Wesens oder jedenfalls eines Urprinzips alles Seins zu erkennen; diese in der Natur des Menschen aufgrund göttlichen Schöpferhandelns ( Schöpfung) vorhandene Fähigkeit reiche jedoch nicht hin, um Gott als konkret handelnde Person in der Geschichte wahrzunehmen. Wer Gott wirklich ist, muss Gott selber bekunden – und er hat das in seiner Offenbarung (→ Offenbarung), vermittelt in der Bibel, auch getan. Gott knüpft in seinem Sich-zu-erkennen-Geben an die in der menschlichen Natur und also bei allen Menschen vorhandenen Ahnungen und Erkenntnisse an; Aufgabe der Theologie ist demnach die Reflexion der in der Bibel grundgelegten und in der Kirche tradierten göttlichen Offenbarungseinsichten.

Das zweite Modell ist in ausdrücklicher Absetzung davon nachaufklärerisch im evangelischen Kontext von Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher entwickelt worden. Er setzt die kantsche Kritik voraus, nach der die menschliche Vernunft nicht in der Lage ist, irgendetwas außerhalb ihrer eigenen Reichweite zu erkennen, weshalb Kant auch jeden Gottesbeweis verwirft. Schleiermacher fragt deshalb zunächst nach dem spezifischen Ort von Religion und macht diese im je individuellen menschlichen religiösen Erleben aus: Jeder Mensch macht seine eigenen religiösen Erfahrungen. Der Kern dieser religiösen Erfahrungen sei nun als „Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit“ (Schleiermacher, 1830, 44) zu bezeichnen oder auch als „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“ (Schleiermacher, 1799, 212). Diese Verortung von Religion hat konsequenterweise zur Folge, dass die gegenständliche Rede etwa von Gott als Person immer erst in zweiter Linie als Deutung der jeweiligen Erfahrung möglich ist: Theologie hat hier die Aufgabe, religiöse Erfahrungen zu interpretieren; die Erfahrung beziehungsweise das Gefühl und damit die gelebte Religion hat im Blick auf den religiösen Wert das Primat und steht jeglicher Theologie an Wahrheit voran.

Ein drittes Modell antwortet auf evangelischer Seite wiederum auf das schleiermachersche Erfahrungsparadigma und ist vor allem von Karl Barth beeinflusst worden. Gegenüber der je individuellen Erfahrung, die von Barth potenziell als sehr plurales Wirken des → Heiligen Geistes verstanden werden kann, ist die Orientierung der Kirche und damit auch der Theologie am einen Wort Gottes nötig; dieses eine Wort Gottes ist Gottes Selbstoffenbarung in → Jesus Christus. Weil aber nur die Bibel diese Selbstoffenbarung Gottes bezeugt, sie aber nicht selber ist, ist die Bibel als Quelle und Norm für die Theologie notwendig. Die Theologie hat zur Kernaufgabe die kritische Begleitung kirchlicher Praxis – weshalb die theologische Religionskritik permanent Bestandteil theologischer Arbeit ist – und so (!) selber eine Funktion der Kirche ist (Barth, 1932, 1). „Religion“ ist also aus der barthschen Perspektive als kreatürliches Phänomen zu würdigen und als solches nicht göttlich zu überhöhen; ein Wahrheitsanspruch o.ä. ist also der jeweiligen, auch individuellen Erfahrung nicht zu unterstellen. „Wahr“ im Sinne von absolut zuverlässig ist alleine das von der Bibel bezeugte Kommen und den Menschen befreiende und in Dienst nehmende Handeln Gottes.

Die katholische Theologie hat ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts durch R. Guardini, H. U. von Balthasar, K. Rahner, E. Biser, H. Küng und weitere die evangelische Kritik konstruktiv aufgenommen und zu einem fundamentalen Neuansatz geführt, der die traditionelle Rede von einer „natürlichen“ Theologie durch andere Formulierungen ersetzt. Die Frage, ob der Mensch durch die Vernunft oder den Glauben (→ Glaube) zur Gotteserkenntnis kommt, beantwortet die gegenwärtige katholische Theologie dahingehend, dass der Glaube der eigentliche Grund der Gotteserkenntnis sei; insofern er sich der göttlichen Gnade verdanke, sei eine sogenannte „natürliche“ Gotteserkenntnis ausgeschlossen. Andererseits macht die katholische Theologie im Widerspruch zu Barths Abwertung der Vernunft geltend, dass die Vernunft innerlich dem Glauben zugehörig sei und darum im Dialog mit der Theologie stehe. Dieser komme als bleibende Aufgabe zu, die Vernunftgemäßheit und Verstehbarkeit des Glaubens zu erweisen. Da der Weg der katholischen Theologie heute im Unterschied zu Thomas von Aquin nicht von der Vernunft zum Glauben, sondern vom Glauben zur Vernunft führt, plädiert sie mehrheitlich dafür, den Begriff „natürliche Theologie“ zugunsten der Umschreibung als „verifikative Theologie“ aufzugeben, weil sie die Aussagen des Glaubens als vernünftig verifiziert.

Alle Modelle haben je ihre Stärken und Schwächen. Der die natürliche Theologie betonende erste Ansatz integriert tendenziell alle möglichen religiösen Suchbewegungen von Menschen, vereinnahmt sie aber auch. Das schleiermachersche Anliegen setzt die Vielfalt religiöser Erfahrungen und die Nichtkommunizierbarkeit letzter Wahrheiten voraus, hat gleichzeitig aber Mühe, das in der Bibel bezeugte Handeln Gottes, das ja auch argumentierend etwa in den paulinischen Briefen reflektiert wird, zu thematisieren. Das barthsche Modell hat den großen Vorteil, den Erfahrungen eine Wahrheit gegenüberstellen zu können; aber es kann diese Wahrheit nicht selber plausibilisieren – die universale Gültigkeit bleibt für viele nur als Postulat erkennbar. Das Verifikationsmodell schließlich bietet keine Antwort auf offenkundig bestehende Widersprüche zwischen bestimmten Glaubensaussagen und der menschlichen Vernunft.

3. Theologie – eine Einheit?

Innerhalb der letzten Jahrhunderte hat sich die theologische Wissenschaft in Teildisziplinen gegliedert, was dazu geführt hat, dass die Teildisziplinen zuweilen Mühe haben (vgl. Dalferth, 2006), die Einheit zu betonen. Die → Religionspädagogik, unabhängig ob sie als Teilgebiet der Praktischen Theologie oder eigenständig verstanden wird, ist ebenso Teil theologischer Wissenschaft wie die alt- und neutestamentliche Wissenschaft, die Kirchen- und Theologiegeschichte und die Systematische Theologie, die die Kerngebiete der christlichen Theologie aller Konfessionen darstellen. Im Folgenden möchte ich deshalb versuchen, die Notwendigkeit der Zuordnung der Teildisziplinen im Blick auf die Religionspädagogik und, kürzer, auch umgekehrt zu formulieren.

4. Die Unverzichtbarkeit biblischer Theologie für die Religionspädagogik

Ohne jetzt auf die spezifischen Aufgaben, Tätigkeitsfelder und Methoden der alt- und neutestamentlichen Wissenschaft eingehen zu können, ist die Arbeit am Urdokument der christlichen Kirche auch für die religionspädagogische Arbeit notwendig. Die historische Erforschung des Zustandekommens, der Redaktion und der bereits innerbiblisch erkennbaren Wirkungsgeschichte der einzelnen Schriften und ihrer Teile hat nicht nur die Aufgabe, einen Erkenntnisgewinn im Blick auf die Entstehungssituation zu bringen, sondern sie dient auch dazu, einer vorschnellen Vereinnahmung biblischer Texte oder christlicher Selbstverständlichkeiten zu wehren – die alt- und neutestamentliche Theologie fördert auch die Fremdheit biblischer Aussagen (vgl. Ebeling, 1950). Damit aber sorgt die biblische Theologie dafür, dass die Bibel mit ihren vielfältigen Aussagen als Quelle der Botschaft der Kirche auch für die religionspädagogische Arbeit in Schule und Kirchengemeinde entscheidend wichtig ist ( Bibeldidaktik, Grundfragen). Gerade weil diese Botschaft nur in Form verschiedener Texte vorliegt, deren Verfasser auch je eigene theologische Sichtweisen in ihre Texte eintragen, kann die Botschaft des Evangeliums auch nicht losgelöst von diesen Texten und Schriften destilliert werden – es ist eine in der Weltgeschichte bezeugte Geschichte des Handelns Gottes. Die → Religionspädagogik braucht diese Orientierung immer wieder neu, will sie sich nicht in einer allgemeinen Religiosität verlieren oder aber bei der Letztgültigkeit je individueller Erfahrungsaussagen stehen bleiben. Die Bibel verlangt ja gerade danach, mit ihr ins Gespräch zu kommen, sie zu befragen und von ihr befragt zu werden, inwiefern die dort zu lesende und zu hörende Gottesgeschichte mit anderen auch mit der eigenen Lebensgeschichte verwoben werden kann. Deswegen wäre eine rein historisch ausgerichtete biblische Theologie für die Religionspädagogik auch nicht genug: Sie braucht die (auch) elementaren Deutungen und Interpretationen biblischer Aussagen, die diese für die gegenwärtigen Leser und Leserinnen transparent werden lassen – und das gilt für alle Lebensaltersstufen. Damit hat die biblische Theologie für die Religionspädagogik zwei wesentliche Aufgaben: Die Entfremdung der Bibel, die auch durch Historisierung und Kontextualisierung geschieht, und das Durchsichtig-Machen biblischer Texte und Linien für den je gegenwärtigen Menschen. Dabei ist der Reichtum biblischer Horizonte wohl prinzipiell nie religionspädagogisch auslotbar.

5. Die Unverzichtbarkeit historischer Theologie für die Religionspädagogik

Einerseits hat die historische Theologie im Ganzen gesehen dieselbe Aufgabe wie die biblische Theologie, die ja zum deutlichen Teil auch historisch-analytisch vorgeht: Die Erhellung der Entstehungssituation wesentlicher Erkenntnisse für die christliche Kirche. Auch die Kirchen- und Theologiegeschichte nimmt die grundlegende Ebene des Vergangenen in den Blick und distanziert unsere Situation von der der Urkirche, der Reformation (Martin Luther [Reformation]) oder der Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils: Die dort gewonnenen Einsichten und Erkenntnisse sind zunächst einmal nicht unsere, sondern gehören in einen anderen Kontext. Sicherlich ist die These, dass die Kirchengeschichte als Geschichte der Auslegung der Heiligen Schrift (vgl. Ebeling, 1947) zu verstehen ist, in dieser Form zu eng. Und doch ist der Wahrheitsgehalt dieser These darin zu sehen, dass die früheren Generationen in der Kirche die Bibel gelesen und sie als Quelle ihrer Einsichten verstanden haben – auch kontrovers. Die unterschiedliche Bibelauslegung hat im Zusammenhang mit der in sich bereits mehrstimmigen Bibel dann konsequenterweise als Ergebnis eine Pluralität von Positionen gezeitigt – man wird die Kirchengeschichte nicht als eine einzige geradlinige Entwicklung einschätzen können. Die Vielfalt von 2000 Jahren Kirchengeschichte führt, da die Geschichte nicht in gleicher Weise Ursprungsquelle wie die Bibel ist (das gilt für alle Konfessionen, auch wenn auf katholischer Seite die Rolle der Tradition prinzipiell anders gewichtet wird), dann auch notwendigerweise dazu, dass in der Unterrichtspraxis selektiert wird, wobei die Kriterien für die Auswahl zu begründen sind – eine spezifische → kirchengeschichtliche Didaktik ist als Desiderat erkannt, ihre Erforschung hat noch kein allgemein akzeptiertes Format gefunden. Die Erforschung der Kirchen- und Theologiegeschichte trägt dazu bei, die eigene Situation nicht zu isolieren und zu entdecken, dass heutige Fragen auch schon zu früheren Zeiten gestellt wurden – und die Antworten anderer Generationen unsere eigenen Antwortversuche bereichern und herausfordern können, auch wenn Lehrkräfte und Schüler sowie Schülerinnen eigene Wege zu gehen haben.

6. Die Unverzichtbarkeit Systematischer Theologie für den Religionspädagogen und die Religionspädagogin

Die Systematische Theologie reflektiert die Inhalte der christlichen Theologie und ist deshalb immer mit der Wahrheitsfrage konfrontiert – und hat sie damit als solche auch zu stellen. Das betrifft ihre Teilgebiete der → Dogmatik und → Ethik, sofern beide Gebiete überhaupt voneinander trennbar sind. Diejenigen, die das Berufsziel Religionslehrer oder Religionslehrerin in der Schule anstreben und noch mehr diejenigen, die sich auf einen religionspädagogischen Beruf im Bereich der Kirche vorbereiten, werden ihr Theologiestudium (hoffentlich) nicht ohne die Frage nach ihrer eigenen Glaubensüberzeugung betreiben. Die Systematische Theologie, die die Lehre der Kirche vorstellt und kritisch begleitet, dient auch dazu, dass diese Frage gestellt und erarbeitet werden kann. Denn die religionspädagogisch Arbeitenden sind mit ihrer Person in den Gegenstand des Unterrichts involviert und haben damit zu rechnen, dass sie auf ihre Auskunftsfähigkeit in Sachen christlicher Glaube von den Schülerinnen und Schülern befragt werden. Die Systematische Theologie hat die Aufgabe, auch diese elementare Auseinandersetzung der eigenen Person mit den Inhalten des christlichen Glaubens zu ermöglichen. Dabei kann es nicht darum gehen, unkritische Zeitgenossen zu erzeugen, die alle kirchlichen Äußerungen apologetisch zu verteidigen haben; Ziel ist die Gewinnung eigener theologischer Existenz und Kompetenz. Dass hierbei Spannungen nicht ausgeschlossen sind, ist zu konstatieren: Wenn etwa der schulische Religionsunterricht laut Artikel 7,3 Grundgesetz „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt“ werden soll, dann ist es a priori nicht unmöglich, dass die persönlichen Auffassungen der Lehrkraft eben diesen Grundsätzen nicht in allem entsprechen.

7. Die Unverzichtbarkeit Systematischer Theologie für die Religionspädagogik

Das Verhältnis zwischen Systematischer Theologie und → Religionspädagogik war in den letzten Jahrzehnten bis in die Gegenwart hinein nicht spannungsfrei (vgl. Laube, 2013; zum Verhältnis der religionspädagogischen Bezugswissenschaften allgemein Wegenast, 1978, 228-230; Lämmermann, 1998, 77-89). Ein Grund dafür ist sicher mit Martin Rothgangel darin zu sehen, dass im Bereich der Religionspädagogik zuweilen behauptet wird, dass (etwa eine in der Tradition der Theologie Karl Barths verfahrende) Systematische Theologie ein „Dominanzmodell“ nahelege (Rothgangel, 2013, 76), das die Religionspädagogik zur Anwendungswissenschaft degradiere. Auf katholischer Seite leisteten entsprechende Äußerungen des römischen Lehramtes einem solchen „Dominanzmodell“ Vorschub (vgl. die 1985 zwischen Jürgen Werbick und Kardinal Kasper in den Katechetischen Blättern ausgetragene Kontroverse, vgl. auch das Verständnis von Religionspädagogik von Benedikt XVI.). Von evangelischer Seite ist zu fragen, ob etwa die in der Religionspädagogik tendenziell negativ eingeschätzte barthsche Theologie notwendigerweise dieses Herrschaftsverhältnis nahelegt. Immerhin gibt es im Unterschied zu früheren Abgrenzungsbemühungen auch die friedliche Koexistenz von Systematischer Theologie und Religionspädagogik, deren problematische Kehrseite allerdings in einer drohenden Beziehungslosigkeit besteht. Vertreterinnen und Vertreter beider Disziplinen (Rudolf Englert, Sabine Pemsel-Maier u.a.) sind bemüht, sie auf ein kritisch-konstruktives Wechselspiel hin aufzubrechen.

Die Systematische Theologie und insbesondere die Dogmatik hat die Aufgabe, den Glauben zu verstehen (fides quaerens intellectum). Sie hat nicht die Aufgabe, ihn zu begründen, sondern hat deshalb eine nachgängige Aufgabe mit zwei Bezugsgrößen: Einerseits ist die real existierende Kirche mit ihren zum Teil sehr kontingenten Glaubensweisen der Systematischen Theologie vorgeordnet; die Systematische Theologie ist ihr zugeordnet. Hier hinein ist der Glaube als „fides qua“, also als von den Menschen sehr unterschiedlich vorhandene Art und Weise der Religiosität zuzuordnen. Andererseits bezieht sich die Systematische Theologie auf die „fides quae“, also auf den Inhalt des Glaubens, der in der Heiligen Schrift und den auf sie bezogenen Bekenntnissen zu finden ist. Die ja nicht einheitlichen Glaubensbekenntnisse sind ihrerseits schon Produkte dogmatischer Arbeit, die ein Verstehen der Inhalte des Glaubens zum Gegenstand haben.

Die Systematische Theologie hat nun ihrerseits die unverzichtbare Aufgabe, das Verständnis von Quelle und Norm als ständige Grundlage ihrer Tätigkeit zu verstehen. Die Bibel als Quelle theologischer Erkenntnisse anzusehen, bedeutet noch keine normative Tätigkeit. Indem aber innerhalb der Systematischen Theologie die Bibel auch als ihrerseits natürlich plural wahrnehmbare Norm akzentuiert wird, kann sie nicht umhin, selber die Frage der Normativität zu bedenken. Das heißt: Nicht die Systematische Theologie ist normativ – das würde sie völlig überhöhen –, sondern die Kirche hat z.B. in ihren Bekenntnissen normative Äußerungen vollzogen, auf die die Systematische Theologie zu rekurrieren hat: Nicht die Dogmatik beschließt die Bekenntnisse, sondern die Kirche (also z.B. eine Synode). Die Dogmatik hat deshalb die Frage nach der Relevanz des kirchlichen Bekenntnisses an der Heiligen Schrift zu prüfen – und gegebenenfalls auch falsche Lehren als solche zu erkennen und zu benennen.

Die Systematische Theologie steht deshalb nicht über der Religionspädagogik oder ihr gegenüber, sondern versieht (auch) für sie eine wichtige Aufgabe. Sie ist für die Religionspädagogik nicht die einzige Bezugswissenschaft, aber doch eine wesentliche, weil sie die Aufgabe hat, das Verstehen des Glaubens zu ermöglichen: Das Ziel auch der Systematischen Theologie ist es, Menschen auf dem Weg ihrer (nie abgeschlossenen) Mündigkeit zu fördern.

8. Die Unverzichtbarkeit der Religionspädagogik für die („fachwissenschaftliche“) Theologie

Die Begrifflichkeit der „Fachwissenschaft“, zu der die theologischen Teildisziplinen Altes Testament, Neues Testament, Kirchengeschichte und Systematische Theologie zählen, zu der dann die Fachdidaktik, in die die Religionspädagogik zuweilen eingeordnet wird, hinzu kommt, verdankt sich der klassischen Nomenklatur, wie sie immer noch in den Fakultäten mit Lehramtsausbildung gepflegt wird. Diese Begrifflichkeit aber lässt die Religionspädagogik zur „Anwendungswissenschaft“ (Rothgangel/Thaidigsmann, 2005, 9) verkommen, die nur eine einseitige Bewegung (von der ‚Fachwissenschaft‘ hin zur Fachdidaktik) zu kennen scheint. In Wirklichkeit aber ist die Lage auch hier, zum Glück, komplexer. Denn bereits durch den engen Zusammenhang von Forschung und Lehre ist von Wechselwirkungen zu sprechen; ansonsten wäre die universitäre Lehre selber nur eine Anwendung abstrakt gewonnener Forschung – und die Studierenden wären keine Menschen mit eigenen Fragen und Erkenntnissen, sondern vielleicht gut zu füllende Hohlräume. Konkret lautet die Frage, inwiefern die Religionspädagogik selber eine Bezugswissenschaft der anderen theologischen Fächer ist. Den von Rothgangel reflektierten Begriff der „Vermittlung“ (Rothgangel, 2013, 77f.) sehe ich zwar kritisch, weil er die Theologen und Theologinnen in Universität und Schule theologisch überhöht und nicht alle Menschen gleichberechtigt nebeneinander vor Gott stehend sieht. Aber es wird doch deutlich, dass die etwa empirisch ( Empirie) in der Religionspädagogik gewonnenen Beobachtungen und die aus ihnen gewonnenen Fragestellungen selber in die theologischen Disziplinen zu integrieren sind. Das heißt etwa im Blick auf die Systematische Theologie nicht, dass die Situation der Schüler und Schülerinnen selber zum Gegenstand ihrer Untersuchungen zu werden hat; wohl aber, dass die von dorther sich ergebenden Fragestellungen in die Bearbeitung der zentralen Erkenntnisse einzubeziehen sind. Die empirischen Ergebnisse werden in der Systematischen Theologie nie normativen Rang einnehmen dürfen (das wäre auch eine Verabsolutierung des Zeitgeistes, den Theologie und Kirche kritisch zu begleiten haben), gleichwohl wird die Frage der Verständlichkeit der theologischen Ergebnisse selber als Bestandteil der theologischen Forschung zu bedenken sein. Gerade dann, wenn Theologie als eine Funktion der Kirche zu verstehen ist, hat sie ja eine prüfende und orientierende Aufgabe, die an der Praxis auszurichten ist. Auch der schulische Religionsunterricht ( Religionsunterricht, evangelisch; Religionsunterricht, katholisch) ist hier aus theologischer Sicht kein kirchenferner Raum, wenn auch für ihn natürlich besondere Rahmenbedingungen existieren. Die → Religionspädagogik verweist die anderen Disziplinen auf ihre Aufgabe, Theologie nicht als Selbstzweck zu verstehen. So ist die Beschränkung auf die rein historische Arbeit in den exegetischen Fächern gerade aus der Sicht der Religionspädagogik ein Problem, weil sie dann nicht dazu verhilft, die gegenwärtige Relevanz biblischer Texte auch für die Gegenwart der Schüler und Schülerinnen zu erschließen. So ist die Beschränkung auf ein Faktensammeln in der Kirchen- und Theologiegeschichte dann ein Problem, wenn man das Ringen um das rechte Verstehen des → Glaubens in spezifischen Kontexten für heutige Herausforderungen nicht durchlässig macht, ohne hier die Geschichte zu vereinnahmen. Und so ist die Beschränkung der Systematischen Theologie auf eine abstrakte Wahrheitsfrage ein Problem, wenn sie nicht auch dazu verhilft, auf heute relevante Fragen eingehen zu können. Das rührt auch die Frage nach der → Elementarisierung an.

9. Theologie als Verheißung

Theologie ist das „Zur-Sprache-Kommen Gottes“ – und kann so immer nur als Verheißung verstanden werden. Denn es ist keinem Menschen möglich, zu veranlassen, dass genau dieses gelingt. Anders gesagt: Wir können in der Theologie und in der Schule viel „von Gott“ reden, und dabei richtige und problematische Aussagen vollziehen. Im Entscheidenden ist das „Zur-Sprache-Kommen Gottes“ aber etwas, was nur Gott selber vollbringen kann und für das keine theologische Wissenschaft garantieren kann. Alle Disziplinen der Theologie haben aber darin ihre je spezifische Aufgabe, dass sie das Kommen Gottes bezeugen – in der Geschichte und deshalb auch für die Gegenwart erwartend. Dass Gott selber von sich redet und sich so zu erkennen gibt, bleibt eine Hoffnung. Theologie ist deshalb als Wissenschaft gleichzeitig eine Verlegenheit und eine Verheißung.

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