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(erstellt: Februar 2019)

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1. Stellenwert und Relevanz der Theodizeefrage

Als Kunstwort begegnet Theodizee programmatisch in Gottfried Wilhelm Leibniz‘ Schrift „Essais de Théodicée“ (1710). Der aus den griechischen Wörtern theós und díkē gebildete Neologismus Theodizee (in Anklang an Röm 3,5) bezeichnet den Entwurf Leibniz’, die Existenz der Übel in der Welt mit der Existenz eines allmächtigen und gütigen Gottes (→ Gott) unter dem Maßstab der Vernunft zu vereinbaren, und steht sowohl für das Vorhaben einer Rechtfertigung Gottes als auch für die angebotenen Lösungswege (Hick, 1966, 6). Ausgangspunkt eines solchen Prozesses können existenzielle Leiderfahrungen oder mittelbare Analysen der Inkongruenz von Gottesglaube und Leidenswirklichkeit sein (Ammicht-Quinn, 1992, 51f.). Dass sich Gläubige an dieser Frage abarbeiten, scheint offensichtlich. Aber welche Rolle spielt sie für Heranwachsende?

1.1. Einbruchstelle, Umbruchstelle, Nebenschauplatz

Vor rund 30 Jahren benannte Karl Ernst Nipkow die Enttäuschung darüber, dass Gott sich weder in der eigenen noch in fremden Biographien als Helfer und Garant des Guten erweise, als wahrscheinlich größte Schwierigkeit in der Gottesbeziehung Heranwachsender. Jugendliche erwarten Gott als liebevollen Helfer, der in Notlagen eingreift und das Gute in der Welt durchsetzt. Diese Erwartung lässt sich allerdings nicht an der erlebten Wirklichkeit verifizieren und bedingt so zunehmend einen Glaubensverlust (Nipkow, 1987, 55f.). Dass der Gottesglaube und seine Entwicklung maßgeblich davon abhängen, wie ein allmächtiger und barmherziger Gott mit dem Leiden zusammen zu denken ist, schien auf der Hand zu liegen, zumal die Theodizeefrage Kinder schon zu Beginn der Grundschulzeit auffallend und mit dem Alter noch intensiver beschäftigt (Oberthür, 1998; Sauer, 1986).

Die Kollision der Vorstellung eines guten Gottes mit der Realität des Leidens verursacht Fragen, Unsicherheit und Zweifel. Während sich diese bei Jugendlichen mit Tendenz zu einer nicht-religiösen Weltsicht zur Ablehnung der Existenz Gottes verdichten, motiviert die Unsicherheit Jugendliche mit Affinität zu einem religiös-christlichen Weltbild zum Umbau ihres Gotteskonzepts: Sie versuchen, das Verhältnis von göttlicher Macht und menschlichem Handlungsbereich neu bzw. stimmiger zu deuten (Leyh, 1994, 56f.; Sandt, 1996, 75-82;111-127). Die Theodizeefrage fungiert somit als Katalysator für die Entwicklung der Gottesfrage und des Gottesverständnisses (Barz, 1992, 122). Da der Theodizee anscheinend ein besonderer Stellenwert – sei es als Ein- oder Umbruchstelle des Gottesglaubens – zukommt, empfahl sich eine vorrangige Thematisierung derselben im Unterricht ab der Primarstufe.

Einen Kontrapunkt zu dieser Diagnose setzte das Forscherteam um Werner H. Ritter und Helmut Hanisch: Sie weisen der Theodizeefrage eine nur noch marginale Rolle im Kindes- und Jugendalter zu (Ritter/Gramzow/Hanisch/Nestler, 2006, 153). Falls die Theodizee zur Frage wird, begegnen zwei Strategien: Entweder wird sie nicht als Problem aufgefasst, da bereits plausible Erklärungen für das Nichteingreifen Gottes bestehen, oder die Radikalität des Leids wird durch andere Sinnaspekte aufgelöst (Ritter/Gramzow/Hanisch/Nestler, 2006, 101-132). Gott ist „kein Thema, geschweige denn eine Lösung angesichts des Leids, kein Stein des Anstoßes oder Anlass für eine ‚Einbruchsstelle‘ des Verlustes des Gottesglaubens“ (Schambeck, 2008, 270). Der eher marginale Stellenwert wird auf zwei Ursachen zurückgeführt: Heranwachsende sehen sich aufgrund fehlender Leiderfahrungen weder emotional noch rational herausgefordert, über das Leid und Gott nachzudenken, oder sprechen ihre Leiderfahrungen im Unterricht nicht aus. Zudem scheint mit dem Plausibilitätsverlust des Gottesglaubens im Allgemeinen und eines theistisch geprägten Gottesbildes im Besonderen die Theodizeefrage obsolet zu werden. Die „Krise des Theismus“, in der das Gottesbild eines in der Geschichte handelnden Gottes an Überzeugung verliert, könnte einen anderen Umgang mit dem Leid in der Vorstellungswelt von Heranwachsenden bedingen (Ritter/Gramzow/Hanisch/Nestler, 2006, 155-168). Dadurch, dass das christliche Bekenntnis in der Moderne an Plausibilität verlor, stieg die Bereitschaft, die Tatsache von Übel und Leid als Argument gegen die Existenz Gottes auszuspielen, die natürliche Erkennbarkeit Gottes in Frage zu stellen und die Geschichtsmächtigkeit Gottes zu begrenzen (Streminger, 1992, 12f.). An dieser Entwicklung scheinen Kinder (Gebler/Riegel, 2011, 154f.) wie Jugendliche in selbstverständlicher Weise zu partizipieren. Summa summarum wäre dann die behauptete Zentralposition der Theodizeefrage ein religionspädagogisches „Missverständnis“, das eine plausible Erklärung für den Glaubensverlust im Jugendalter liefert (Büttner/Dieterich, 2013, 184).

1.2. Heterogenität und Flexibilität

„Insgesamt lässt sich wohl festhalten, dass die Theodizee-Frage […] weder unbedingt eine Schlüsselposition bei der Entwicklung des Gottesbildes Heranwachsender innehaben muss, noch belang- und bedeutungslos geworden ist“ (Büttner/Dieterich, 2013, 184). Es gibt weniger die Theodizee bei Heranwachsenden als vielmehr perspektivische Thematisierungen und Problematisierungen derselben in unterschiedlichen Kontexten, sodass von einer „Heterogenität jugendlicher Leidverarbeitung“ (Simojoki, 2009, 72) auszugehen ist. Insofern gilt es, bei der Planung religiöser Bildungsprozesse hinzuhören, welche Brisanz die Theodizee bei einer bestimmten Adressatengruppe (nicht) besitzt.

Als maßgeblicher Kontext für den Stellenwert der Theodizeefrage ist die Gotteskonzeption zu sehen, die eine stärkere oder geringere Affinität zur Leidfrage besitzt: Während das Bild eines hilfsbereiten Gottes eher Theodizee-sensibel ist, kann ein deistisches Konzept eher als Theodizee-resistent gelten. Bereits bestehende theozentrische Sinnfiguren oder säkulare Deutungsmuster reduzieren den Stellenwert des Theodizeeproblems ebenfalls. Ob die Frage nach Gott und Leid relevant wird, ist zudem von konkreten Auslösern abhängig: Je nachdem, ob Gott aufgrund aktueller Ereignisse, biografischer Erfahrungen oder theoretischer Überlegungen mit dem Leid konfrontiert wird, variiert die Relevanz. Als weiterer Moment ist ferner die (nicht-)religiöse Positionierung zu sehen, zu welcher man aktuell tendiert (Stögbauer, 2015, 185f.). Sieben Typen oder Stile machen anschaulich, welchen Stellenwert das Thema einnehmen kann: Während 1. Bekenner die unterstützende Anwesenheit Gottes in Notsituationen als sicher ansehen, wird die Abwesenheit Gottes bei Katastrophen für 2. Zweifler zum Ärgernis am Charakter und/oder der Existenz Gottes. 3. Sympathisanten hingegen, welche Mensch und Welt in Gott als den Garanten für ein gerechtes Leben aufgehoben sehen, erkennen Widersprüche zwischen dieser Vorstellung und dem Leid, stellen aber die positiven Seiten der Gottesidee nicht zur Debatte. 4. Neutrale registrieren eine Kollision zwischen Gott und Leid, werten diese aus ihrer distanzierten Perspektive mit Blick auf die Geheimakte Gott jedoch als unbedenklich. Demgegenüber sind sich 5. Relativierer gefühlsmäßig nie sicher, ob Gott existiert, und handhaben das Verhältnis von Gott und Leid pragmatisch: Gott kann – sogar als metaphysische Selbsttäuschung – Trost und Hoffnung sein. Bei 6. Verneinern verursacht die Theodizeefrage gemäßigte Aufregung. Dadurch, dass Vernunft, Wissenschaft und persönliches Empfinden bereits gegen Gottes Existenz sprechen, ist die Realität des Leids nur ein weiteres Beweismittel. 7. Polemiker indes sehen das dokumentiert, was sie schon wussten: Gott ist ein kosmischer Tyrann. Diese Profile sind als relativ stabile Muster aufzufassen, die sich aufgrund persönlicher Erfahrungen und Impulsen aus der Umwelt oder entsprechend der momentanen Anforderungs- wie Kommunikationssituation umorganisieren und abwechseln können (Stögbauer, 2011, 222-290).

2. Heranwachsende im Diskurs mit christlichen Sinnfiguren und Umgangsstrategien

Grundsätzlich lassen sich in der Religionsgeschichte zwei Reaktionsmuster auf das Problem des Leidens auffinden, die zwei Seiten einer Medaille bilden: die theoretische Einpassung der Leiderfahrung in das religiöse Sinnsystem und die Bereitstellung von Verhaltensoptionen zur Überwindung bzw. Transformation erfahrenen Leidens (Bemporad, 1987, 99). Im Folgenden werden verschiedene Sinnfiguren und Umgangsstrategien aus christlicher Perspektive und anschließend in der Vorstellungswelt Heranwachsender nachgezeichnet.

2.1. Leiddeutung in christlicher Perspektive

Neuzeitlich präsentiert sich die Theodizee als logisches Widerspruchsproblem, das sich an den Attributen entzündet, die Gott in der jüdisch-christlichen Tradition zukommen (Hille, 2001, 49). Grundkonstanten des Problems sind die Annahme eines personalen, allmächtigen, gütigen, sittlich vollkommenen Gottes einerseits und die Tatsache von Übel und Leid andererseits, zusammengebunden unter dem ethischen Imperativ, dass Gott diese per Definition verhindern müsse. Da dem aber offensichtlich nicht so ist, steht die Realität des Leidens den theologischen Behauptungen entgegen, womit der theistische Gottesbegriff einer unbestreitbaren Erfahrungstatsache zu widersprechen scheint (Kreiner, 2005, 18). Mit diesem Dilemma sieht sich die menschliche Vernunft mit ihrem Anspruch, die Welt begreifen und vermessen zu wollen, in besonderer Weise konfrontiert, weshalb der Schluss nahe liegt, „das Theodizee-Problem sei ein typisch neuzeitliches Phänomen“ (Kreiner, 2005, 41). Als neu erweist sich der Begriff Theodizee sicherlich insofern, als er erst durch Leibniz in den Sprachgebrauch eingeführt wird. Als Sachproblem ist es hingegen „uralt“ (Kern, 1992, 113), da die Frage nach dem Verhältnis Gottes zur Existenz des Leids bereits Jahrhunderte vorher gestellt wurde.

2.1.1. Biblische Sinnfiguren

Die alt- und neutestamentlichen Schriften bieten keine systematische Entfaltung einer normierenden Theodizee, führen aber in unterschiedlichen literarischen Kontexten und zu verschiedenen Zeiten einen regen Diskurs über die Leidfrage und entwickeln Theodizee-analoge Modelle, die in einem dynamischen Denkprozess entfaltet, durchdekliniert und kritisiert werden (Bieberstein, 2001). Den Ausgangspunkt hierfür bilden im Alten Testament individuelle Leiderfahrungen sowie die Krisensituationen des auserwählten Volkes, die nach einer Bewältigung im Glauben an den geschichtsmächtigen Schöpfergott JHWH verlangen. Die erklärenden Momente (narrativ eingebettet, in weisheitlicher Diktion oder im Gebet) denken ausgehend von der altorientalischen Sinnfigur des Tun-Ergehen-Zusammenhangs das Leid als Folge schuldhaften Handelns (Spr 26,27f.) oder als Strafe Gottes für individuelles bzw. kollektives Fehlverhalten (Dtn 29,23-25), wobei auch der Gedanke der generationenübergreifenden Schuldverstrickung (Klgl 5,7) zu finden ist (Bieberstein, 2001, 6). Allerdings reiben sich diese Deutungsmuster an der Frage auf, warum guten Menschen Böses widerfährt, wie das Buch Ijob eindringlich vor Augen führt. Die Vorstellung, dass Leiden einen pädagogischen Wert besitzt und die Bewährung im Leid dem Menschen als Aufgabe zugemutet ist, begegnet im Alten Testament ebenso (Sir 2,1-18; 40,1-10), wobei sich die oder der Einzelne in einer Erinnerungsgemeinschaft von leidenden Gottessmännern und -frauen aufgehoben wissen kann. Die literarische Gestalt des leidenden Gottesknechtes (Jes 52,13-53,12) betont hingegen das unschuldige Leiden und eröffnet eine neue, paradoxe Sichtweise: Ein Mensch leidet, weil er die Folgen fremden Handelns freiwillig auf sich nimmt (Jes 53,12). Auch wenn biblisch der Ursprung von Leid und Bösem seltsam verschleiert bleibt, steht im Vordergrund, dass JHWHs Macht und Gerechtigkeit das Negative begrenzen und beenden wird (Simundson, 1992, 223).

Zudem durchzieht die Bibel ein theologisch-praktischer Bewältigungsversuch: das existenzielle Ringen mit Gott in Leid- und Unrechtssituationen, in denen dialogisch vor und mit Gott gerechtet wird (Metz, 1995, 82). Die Klage (bis hin zum Verstummen und Schweigen vor Gott) ist Ausdruck der Ratlosigkeit und des Protestes gegenüber dem unverdienten Leid und Aufforderung an JHWH, die Situation zu ändern (Ps 42,10). In der Klage kann die betende Person ihre Not aussprechen, Gott zur Rechenschaft ziehen und zum heilvollen Handeln herausfordern, insofern sie die Einzige ist, die Rettung schaffen und für Gerechtigkeit sorgen kann (Hieke, 2000, 50). So beinhaltet die Klage auch immer ein Bekenntnis der Zuversicht, dass JHWH die Bitte erhören und zum Heil des (An-)Klagenden eingreifen wird.

In den Evangelien zeigt Jesus sich solidarisch mit den Leidenden, wenn er ihnen die Zuwendung Gottes versichert (lukanische Seligpreisungen) und in Heilungswundern die Gegenwart der Basileia zeichenhaft präsent werden lässt. Solidarität mit den Leidenden und Engagement gegen das Leid prägen die Botschaft Jesu und fordern in seiner Nachfolge zur Bekämpfung und Beseitigung desselben heraus. Darüber hinaus begegnet Jesus als der exemplarisch Leidende: In der Passion durchlebt er die Radikalität menschlichen Leidens am eigenen Leib. Durch die Heilsbotschaft von Kreuz und → Auferstehung wird schließlich ein neuer Blick auf das Leiden möglich: „Im Tode Jesu ist der Tod besiegt – weil Jesus ihn für die Menschen in der Liebe Gottes stirbt“ (Söding, 2007, 60). Die nachösterlichen Deutungsversuche sind von der Situation der Urkirche her zu lesen. Das Leid um Christi wird als Bestandteil des Sendungsauftrages und als Signum der Nachfolge begriffen. Dadurch, dass Christus zum Mittelpunkt des Lebens geworden ist, kann er auch in der Situation des Leidens Vorbild sein (Gerstenberger/Schrage, 1977, 180). Ebenso wird dem Leid ein pädagogischer Zweck zugewiesen, indem es als göttliches Mittel der Prüfung, Versuchung oder Züchtigung beschrieben wird; die angemessene Reaktion darauf ist die Tugend des geduldigen Standhaltens (Röm 5,3; 1Kor 11,30; Hebr 12,5-7). Das Ausharren im Leid wird getragen von der Dynamis Gottes und von der in Jesus Christus begründeten Hoffnung, dass Gott selbst den Tod überwindet. Leid ist eine Möglichkeit, in der Gottes Nähe erfahrbar wird. Modell hierfür sind die Frommen und Gerechten Israels, die gerade wegen ihrer besonderen Gottesbeziehung dem Leiden und Erdulden ausgesetzt waren. Leiden kann Widerstandskräfte mobilisieren und trotz Zweifel die Hoffnung stärken (Röm 5,3). Diese paradoxe Wirkung ist allerdings nicht als Rezept zu verordnen, sondern vollzieht sich – wie in der Klage – im Vertrauen auf Gott und seine Zuwendung in Jesus Christus. In eschatologischer Perspektive ist das Leid Kennzeichen der noch unvollendeten Schöpfung, die „seufzt und in Geburtswehen liegt“ (Röm 8,22), auch wenn die entscheidende Wende mit Jesus Christus bereits eingetreten ist. Zum anderen gehört das Leid zur Bedrängnis der Endzeit und kann als Hinweis auf den unmittelbar bevorstehenden Anbruch der Gottesherrschaft gelesen werden.

2.1.2. Leiddeutung in theologisch-systematischer Perspektive

In der Theologie stehen drei Grundstrategien zur Verfügung, um die Realität von Gott und Leid argumentativ aufeinander zu beziehen (Stosch, 2013):

1. Strategie der Depotenzierung von Übel und Leid: Ausgehend von der Fragestellung „Wozu das Übel?“ weist die Strategie der Depotenzierung diesem in der Schöpfung eine kontrastive und letztlich positive Funktion zu. Erst durch seine Existenz kann das Wahre, Gute und Schöne in seiner ganzen Fülle erkannt werden. Als theologiegeschichtlicher Exponent dieses Erklärungsansatzes gilt Augustinus.

2. Strategie der begründeten Zulassung von Übel und Leid durch Gott: Ausgehend von der Frage, warum Gott uns leiden lässt (Rahner, 1980, 451), versucht diese Strategie das Übel als „unvermeidliches Mittel zur Erreichung guter Zwecke“ (Kessler, 2000, 89) zu bestimmen. Unter den Begriffen free-will-defence und soul-making-theodicy wurde dieser Weg im 20. Jahrhundert verstärkt von der angelsächsischen Religionsphilosophie beschritten. Seit den 1970er Jahren wird das Argument der Willensfreiheit, maßgeblich von Richard Swinburne entfaltet, als eines der leistungsfähigsten Konzepte gewertet (Green, 1987, 432). Die Argumentation setzt bei der Prämisse an, dass Gott in sich Wertvolles, nämlich Wesen mit freiem Willen, erschaffen wollte. Willensfreiheit setzt aber unterschiedliche Wahl- und Realisierungsmöglichkeiten voraus, die keiner Determination unterliegen. Somit steht dem Menschen grundsätzlich die Möglichkeit offen, seine Freiheit zu missbrauchen und anderen Leid zuzufügen (Kreiner, 2005, 212-227). Mit der Behauptung, dass nur in einer naturgesetzlich regulierten Welt, in der Ereignisse nach antizipierbaren Bedingungen ablaufen, sittlich relevante Entscheidungen gefällt werden können, versuchen Vertreter der free-will-defence zudem das Problem der natürlichen Übel zu lösen. John Hick stellt in seiner soul-making-theodicy demgegenüber die Personbildung in den Mittelpunkt. Leiderfahrungen sind notwendig, um ethische und spirituelle Werte zu entwickeln. Nur in einer unvollendeten, ambivalenten Welt ist es möglich, gestaltend und hilfreich einzugreifen und so zur Gottähnlichkeit heranzureifen. Wertvoll ist in dieser Perspektive nicht das Leiden, sondern der Einsatz des Menschen gegen das Leid (Schmidt-Leukel, 1999, 121).

3. Strategie der Arbeit am Gottesverständnis zur Deutung von Übel und Leid: Diese Strategie versucht diejenigen Gottesattribute präziser zu fassen, welche die Theodizee als logisches Widerspruchsproblem konstituieren (Güte und Allmacht Gottes), und setzt sich das Ziel, ausgehend vom Gottesbegriff hermeneutische Leitgedanken im Umgang mit der Theodizeefrage zu formulieren (Kraus, 1997, 303). Maßgeblich ist dabei die Suche nach einer angemessenen Rede von Gott: Allmacht bedeutet beispielsweise nicht, dass Gott alles macht, was er kann, sondern alles macht, was er aus Freiheit und zum Heil des Menschen will. Deshalb ist die Spannung auszuhalten „zwischen dem Glauben an die alles verwandelnde Macht Gottes und der faktischen Erfahrung, daß der allmächtige Gott nicht sichtbar, nicht direkt, nicht sofort eingreift“ (Kraus, 1997, 309). Schließlich verbindet sich mit dieser Strategie die epistemologische Frage, inwieweit es der begrenzten menschlichen Erkenntnisfähigkeit überhaupt möglich ist, Gottes Wesen und sein Verhältnis zur Existenz des Leidens zu erfassen: „Die Unbegreiflichkeit des Leides ist ein Stück der Unbegreiflichkeit Gottes“ (Rahner, 1980, 463).

Der Geheimnischarakter des Leids entbindet die Theologie aber nicht von rationalen Deutungsversuchen und fordert zur selbstkritischen Überprüfung ihrer Denkwege auf. Einerseits ist mit Blick auf religionskritische und atheistische Einwände das christliche Bekenntnis in der Konfrontation mit dem Leid vernunftgemäß zu begründen. Es geht darum, einsichtige Gründe aufzuweisen, „warum die Wirklichkeit, so wie sie ist, nicht dem christlichen Glauben widerspricht“ (Wiertz, 1996, 241f.). Andererseits ist kritisch zu beurteilen, ob die angebotenen Deutungsversuche für die Einzelnen im Leid tröstend und sinnstiftend oder eher hemmend und belastend sind (van der Ven, 1994). Darüber hinaus sind Sinnfiguren an ihrer ethischen Sensibilität bzw. moralische Adäquatheit kritisch zu messen, da Theodizeen ethische Konsequenzen und moralische Imperative nach sich ziehen, die sich als problematisch erweisen können (z.B. Leiden um Gottes willen).

2.1.3. Theodizee als praktische Herausforderung

Im 20. Jahrhundert wird das sich hinter der Chiffre Auschwitz verbergende unermessliche Leid der Unschuldigen zur unumgänglichen Herausforderung des theistischen Bekenntnisses und der theologischen Theodizee (Ammicht-Quinn, 1997; Metz, 1995). Die theoretische Annäherung, die vernunftdiktierte Distanz und die harmonisierende Grundtendenz moderner Theodizeen werden scharf kritisiert. Als neuralgisches Zentrum wird dabei die augenscheinliche Negierung der Opfer durch die Einreihung in eine funktionale Sinnstruktur ausgewiesen, um Gott letztendlich entlasten und theologisch Sinn schaffen zu können (Ammicht-Quinn, 1997, 216). Die Theodizee und mit ihr die Theologie geraten unter Ideologieverdacht: Werden unter ihrem Deckmantel die Leiden der Opfer lückenlos in die Geschichte der Sieger eingereiht? Im Angesicht von Auschwitz stellt sich die beunruhigende Frage, „warum […] man der Theologie diese Katastrophe – wie überhaupt die Leidensgeschichte der Menschen – so wenig oder überhaupt nicht“ (Metz, 1995, 82) ansieht. Vertreter praktischer Theodizeen (u.a. Hans Küng, Jürgen Moltmann, Dorothee Sölle) fordern deshalb, das Theodizeeproblem als praktische Herausforderung aufzufassen, sodass nicht die logische Auflösung eines Widerspruchproblems oder die konsistente Erklärung des Leids, sondern die Solidarität mit den Opfern und der Einsatz gegen das Leid wesentlich werden.

Maßnehmend am biblischen Bild eines mitleidenden und gekreuzigten Gottes, der aus Liebe freiwillig (nicht passiv, defizitär oder ohnmächtig) mit seinen Geschöpfen mitleidet, verweisen praktische Theodizeen auf die Gemeinschaft Gottes mit den Leidenden. Gott ist nicht als ein im Himmel thronender Beobachtergott zu denken, der apathisch das Leid seiner Geschöpfe hinnimmt oder willentlich als Strafe bewirkt und so von einer Mittäterschaft für das Böse nicht mehr freizusprechen wäre (Sölle, 1988, 276), sondern als im Leid zugegen. Diese Vorstellung umfasst den Glauben an eine göttliche Macht, die das Leid letztlich aktiv überwinden und beenden wird. Dieses veränderte Gottesverständnis bietet einen praktischen Beitrag zur Überwindung des Leidens in der Hoffnung auf die leidenschaftliche Liebe Gottes: „Nicht rationale Argumente bieten religiösen Trost, sondern das persönliche Gottvertrauen“ (Loichinger, 2015, 13). Kritisch bleibt allerdings zu fragen, ob es sich bei der Rede vom mitleidenden Gott nicht um eine „sublime Verdoppelung menschlichen Leidens“ (Metz, 1995, 95) handelt, die schließlich zu einer Verohnmächtigung Gottes führt (Marquard, 1990, 95).

2.2. Sinnfiguren von Kindern und Jugendlichen

Relativ unabhängig davon, ob Heranwachsende der Theodizeefrage eine persönliche Relevanz zusprechen, können sie diese als Widerspruchsproblem bedenken, bearbeiten und diskutieren. Dabei vertreten sie eine Bandbreite an theoretischen Antwortstrategien (Gebler/Riegel, 2011, 142-145;151-154; Stögbauer, 2011, 263f.), die mitunter deutliche Bezüge zu biblischen und systematisch-theologischen Deutungsversuchen aufweisen. Allerdings gibt es für Heranwachsende meist nicht nur einen Weg, sondern verschiedene, gleich gültige Erklärungen, welche den realen Gegebenheiten standhalten und für die Einzelnen einsichtig und gefühlt richtig sein müssen. Hier zeigt sich eine gewisse Flexibilität im Umgang mit Deutungsmustern, die weniger nach dem Kriterium der Konsistenz oder der theologischen Erwünschtheit als vielmehr nach dem der persönlichen Plausibilität und Nachprüfbarkeit anerkannt werden.

Es legt sich die Annahme nahe, dass die Theodizeefrage gemäß dem strukturgenetischen Entwicklungsniveau beantwortet wird (Bucher, 1992). Demzufolge argumentieren Kinder mit dem direkten Eingreifen Gottes oder im Muster von do ut des, während Jugendliche in den Kategorien von Autonomie und Selbstbestimmung denken oder Gott als Sinnbürge verstehen. Betrachtet man jedoch Auftreten und Präferenz von Deutungsmustern im Kindes- und Jugendalter, lässt sich kaum eine entwicklungspsychologische Stufenlogik ablesen (Büttner/Dieterich, 2013, 176-180; Ritter/Gramzow/Hanisch/Nestler, 2006, 170-173).

Zu betonen ist, dass ein Großteil der Heranwachsenden säkulare bzw. immanente Leiddeutungen favorisiert (Leid als Schicksal, Zufall, Naturgesetz oder Produkt menschlichen Handelns, zeitliche Begrenztheit von Leid; Gebler/Riegel, 2011, 154). Selbst bei religiös sozialisierten Heranwachsenden ist die transzendente Sinngebung nicht selbstverständlich, sondern eine Möglichkeit neben anderen. Viele beziehen sich zur Leiddeutung auf immanente Größen, wobei weniger die Erklärung des Leids wichtig ist, sondern die Versicherung, mit wem und wodurch das Leid ertragbar wird. Gott ist dabei nicht die primäre oder einzig mögliche Bezugsperson, sondern eine extra Möglichkeit neben Familie und Freunden (Vossen, 1989, 176). Wenn Kinder das Verhältnis von Gott und Leid bedenken, zeigt sich die Tendenz, Gott zu entschuldigen bzw. plausible Gründe zu nennen, warum er nichts für das Leid kann (Arnold/Hanisch/Orth, 1997). Darüber hinaus bringen sie Sinnfiguren ein, die auch in der biblischen und systematischen Theologie ausbuchstabiert werden: Leid als Konsequenz der menschlichen Willensfreiheit, als göttliches Straf- oder Erziehungsmittel sowie Gottes Beistand im Leid. Ebenso denkbar ist für wenige Kinder ein magisch-helfendes Eingreifen Gottes (Gebler/Riegel, 2011, 151-154; Mokrosch, 1995).

Von Jugendlichen werden diejenigen religiösen Lösungsstrategien bevorzugt, welche die Autonomie des Individuums belassen, keinen moralisch fragwürdigen Gott produzieren und das Leid nicht in die Sinnlosigkeit entlassen. Sie präferieren Deutungen, in denen eine fürsorgliche Zuwendung Gottes und/oder eine sinnvolle Transformation des Leids erkennbar werden. Konzeptionen, die das Leid in seiner Sinnlosigkeit bestärken oder auf einen moralisch fragwürdigen Gott zurückführen – wozu anscheinend auch der Gedanke des stellvertretenden Leidens gehört –, werden eher negativ bewertet (van der Ven, 1989, 103-109). Jugendliche versuchen, plausible Erklärungen für das Nichteingreifen Gottes zu finden und die Handlungswirksamkeit Gottes zu modifizieren. Neben der grundsätzlichen Verneinung seiner Existenz bietet dabei das Konzept der Verinnerlichung Gottes eine ebenso überzeugende Lösung wie die Annahme einer begrenzten Macht Gottes, eines distanzierten Beobachters oder an sich ungerechten und lieblosen Gottes (Ritter/Gramzow/Hanisch/Nestler, 2006, 119). Diese Erklärungsmuster werden unterschiedlich bewertet: Während die Vorstellung eines apathischen oder strafenden Gottes sowie der Gedanke des stellvertretenden Leidens wenig attraktiv erscheinen, erhalten die Modelle eines nicht einsichtigen Heilsplans, eines empathischen Gottes oder die Idee einer Vereinigung mit Gott im Leid eher positive Bewertungen (van der Ven, 1989).

Im Umgang mit dem Theodizeeproblem sind Heranwachsende aufmerksam gegenüber dem Leid von Welt, Mensch und Tier, zum anderen aber locker, unaufgeregt und wenig traditionsorientiert im Umgang mit der Gottesvokabel. Im Unterschied zu den genannten theologischen Sinnfiguren (vgl. 2.1) scheuen sich Kinder nicht, Gott ausdrücklich in Schutz zu nehmen, während Jugendliche wenig Scheu zeigen, Gott zu entperfektionieren, zu depotenzieren (Gott ist faul, in Rente, mitleidslos) und zu entontologisieren. Christozentrische Leiddeutungen sind in den vorliegenden Befragungen nicht zu finden.

3. Perspektiven einer Theodizee-Didaktik

Wenn im Religionsunterricht die Frage nach Gott angesichts des Leids gestellt wird, geht es nicht um eine „Glaubensverlustprophylaxe“ (Langenhorst, 2007, 306), die mittels kognitiver Durchdringung Gott zu rehabilitieren sucht. Lernende sollen in Auseinandersetzung mit jüdisch-christlichen Theodizeen ihr Gottesbild sowie ihre Strategien der Leidensdeutung und des Umgangs mit dem Leid im dialogischen Geschehen des Unterrichts bedenken und überprüfen sowie gegebenenfalls erweitern und modifizieren können. Zur Theodizee liegen diverse Themenhefte (z.B. Entwurf 43 (2012), Grundschule Religion 27 (2009), in Religion 3 (2007), Rellis 17 (2015) 3) und Unterrichtsvorschläge (z.B. Oberthür, 1998; Rommel, 2011; Sauer, 1991; Verweyen-Hackmann/Weber, 2004; rpi virtuell) vor. Im Folgenden werden vier Lernbereiche, die bei der Thematisierung der Theodizee im Religionsunterricht elementar sind, vorgestellt sowie Herausforderungen benannt, die bei der Planung und Gestaltung zu beachten sind.

3.1. Theodizee-sensibel reden

Die Theodizee verlangt theologisch nach einer Rede von Gott, die das Leiden der Vergessenen anklagt, im Vertrauen auf den rettenden Gott spricht und das Verheißungsdefizit in die Gottesbeziehung einschreibt (Metz, 1995). Deshalb wäre im Kontext der Theodizeefrage das eigene Reden von Gott sowohl inhaltlich (Wie ist Gott für mich?) als auch erkenntnistheoretisch (Woher weiß ich das über Gott?) sorgsam zu bedenken – von Lehrenden und Lernenden, ebenso in Schulbüchern und Unterrichtsmaterialien. Insbesondere eine unbedachte, formelhafte oder selbstgewisse Rede vom „lieben Gott“, der „immer bei uns ist“, „uns vor allem beschützt“, „alles sieht, hört und weiß“ sowie „alles machen kann“‘ ist mit Blick auf die Theodizeefrage als kontraproduktiv zu sehen (vgl. Englert, 2007, 181-183; Hanisch, 2012, 377-379). Im Religionsunterricht ist eine spannungs- und facettenreiche Gottesrede wichtig, die auch und gerade die Ambivalenz- und Negativ-Erfahrungen des Menschen mit Gott in Tradition und Gegenwart zu Wort kommen lässt, die sich zwischen der mächtigen Liebe Gottes und der Freiheit des Menschen, zwischen Unveränderlichkeit und Menschwerdung, zwischen dunklen und hellen Seiten bewegt, damit neben den positiven die fragmentarischen und befremdlichen Erfahrungen des Menschen mit Gott zu Wort kommen. Darüber hinaus ist im Unterricht die Frage zu stellen, wie man sich das Handeln Gottes vorstellt und was man von ihm (nicht) erwartet, da die Theodizeefrage unmittelbar mit der Frage nach Gottes Handeln in der Welt verknüpft ist (Bederna, 2015, 124f.).

3.2. Umkreisen und theologisieren

Zwei Zugänge zur Theodizee gelten als bewährt: das umkreisende Verstehen und das → Theologisieren mit Kindern bzw. Jugendlichen (Englert, 2007, 177-179). Das umkreisende Verstehen erprobt in diskursiver Weise die Tragfähigkeit verschiedener Standpunkte (Niehl, 1993, 96). Wenn im Unterricht über Gott und das Leid nachgedacht wird, müssen daher unterschiedliche Positionen (biblische, christentumsgeschichtliche, gegenwartschristliche, fremdreligiöse, säkulare Deutungen des Leids) von Lernenden betrachtet und bewertet werden. Medial steht eine Bandbreite an Möglichkeiten offen: Selbstaussagen von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen (z.B. in empirischen Studien oder in Blogs); biblische (z.B. Klagepsalme, → Ijob, Passionserzählungen (→ Passion und Auferstehung, bibeldidaktisch, Sekundarstufe, Paulusbriefe), theologische und philosophische Texte (von Augustinus über Epikur bis Metz und Swinburne in Auszügen); literarische Zeugnisse (von Borchert über Camus bis Eli Wiesel und Zvi Kolitz); Kinder- und Jugendbücher (z.B. Nicholls, Wie man unsterblich wird; Pausewang, Ich geb dir noch eine Chance, Gott; Mazetti, Es ist Schluss zwischen Gott und mir; Richter, Hechtsommer); Filme (z.B. Spin; Adams Äpfel). Dabei sollte ein sinnvolles „Curriculum der Materialien“ (Bederna, 2015, 123) zusammengestellt (und gegebenenfalls zur Auswahl gestellt) werden, das einen mittleren Fremdheitsgrad für Lernende bietet. Zu berücksichtigen ist, dass einige biblisch-christliche Sinnfiguren (Figur des leidenden Gerechten/Ijob, Leid als Bewährung vor Gott, christozentrische Leidensdeutungen; vgl. 2.2) Lernenden fremd sind und deshalb einer bedachten Erschließung bedürfen. Auch fremdreligiöse Sichtweisen (Loichinger/Kreiner, 2010) auf das Leid sind medial überlegt zu repräsentieren (authentische Stimmen und Zeugnisse!) und einzusetzen, um simplifizierenden Aussagen und unsachgemäßen Vergleichen vorzubauen.

Beim Theologisieren steht das dialogische Nachdenken über die Frage nach Gott und dem Leid im Mittelpunkt, das auch über diskursive Inszenierungen (Gerichtsverfahren zur Theodizee; Stögbauer, 2011) erfolgen kann. Bei der Planung ist zu überlegen, auf welche Weise die Theodizeefrage initiiert wird, da der Gesprächsverlauf davon maßgeblich abhängt. Während des Gesprächs sollte ein Augenmerk auf die begründete Darstellung der Standpunkte gelegt sowie das kritische Überdenken von Sinnfiguren mithilfe von Kriterien (vgl. 2.1; Bederna, 2015, 123f.), Gedankenexperimenten, Fallbeispielen sowie erkenntnistheoretischen Fragen (Warum denke ich so? Woher weiß ich das? Rommel, 2011, 225) angeregt werden. Die Unbeantwortbarkeit der Theodizeefrage ist beim Theologisieren ebenfalls zu kommunizieren. Ein Kunststück für Lehrende besteht darin, authentisch zu bleiben, zugleich aber reflektiert und selbstkritisch zu agieren, um keine normativen Aussagen über Gott und das Leid vorzuschützen. Die Thematisierung persönlicher Leiderfahrungen sollte im Gespräch nicht eingefordert und insbesondere nicht als Einstieg in die Theodizeefrage verzweckt werden.

3.3. Mitfühlen, klagen, handeln

Neben der denkerischen Durchdringung besteht im Unterricht gleichrangig der Anspruch einer praktischen Theodizee, um eine Haltung der Empathie und des Mitgefühls sowie der Empörung und Auflehnung gegen Leid und Unrecht zu kultivieren. In der Moralpädagogik begegnet dieser Anspruch in den Konzepten der Empathieschulung und eines Sinns für (Un-)Gerechtigkeit (Oser/Spychiger, 2005). Charakteristisch für diesen Zugang ist die indirekte Thematisierung, insofern nicht persönliche Leiderfahrungen, sondern das Leid anderer Menschen (und Lebewesen?) im Mittelpunkt steht, sowie der Perspektivwechsel als entscheidender Lernmodus. Lernende begegnen Leiderfahrungen im Medium von Kunst, Musik und Literatur (z.B. Rommel, 2011; Schambeck/Stögbauer, 2007), um sich in Leidsituationen hineinzuversetzen und für Ungerechtigkeit sensibilisiert zu werden (Bederna, 2015, 125). Das Wecken von Empathie und Empörung kann sich im Unterricht allerdings als Gratwanderung zwischen Voyeurismus (z.B. realistische Fotografien) und einer pädagogischen Verzweckung der Opfer sowie zwischen Überforderung und emotionaler Vereinnahmung der Lernenden erweisen. Die Diskussionen um die Holocaust-Education sind hierbei zu berücksichtigen (Schambeck, 2013).

Zudem stellt sich im Religionsunterricht die Frage nach dem Umgang mit dem Leid aus religiöser Perspektive: Anhand fremder Biografien, die vom Gottvertrauen im Leid bis hin zum Glaubensverlust reichen, können Schülerinnen und Schüler nachspüren, wie Menschen in Vergangenheit und Gegenwart mit dem Leid umgegangen sind, um in Identifikation und Abgrenzung zu diesen Modellen Orientierungen für die eigene Leiddeutung zu gewinnen (Hanisch, 2012, 379-383; Ritter/Gramzow/Hanisch/Nestler, 2006, 188-213). Inwiefern in diesem Zusammenhang auch religiöse Sprachformen der Leidtransformation (z.B. Trost und Klage in Form von Psalmversen oder elementaren Sätzen aus dem Buch Ijob; Oberthür, 1998) ausprobiert werden, ist mit Lernenden gemeinsam zu entscheiden und in einer vorsichtigen Performanz zu gestalten, zumal Gott für viele Heranwachsende gerade nicht die primäre Bezugsperson im Leid darstellt (vgl. 2.2).

Schließlich sollten Möglichkeiten der Leidverminderung/-bekämpfung gesucht und umgesetzt werden (Ritter/Gramzow/Hanisch/Nestler, 2006, 191). Auch wenn diese Zielsetzung am institutionalisierten Lernort Schule mit verschiedenen Herausforderungen verbunden ist, wäre es z.B. in der Form von Ausstellungen, Projekten und Praktika anzustreben, dass die Schülerinnen und Schüler selbst in einem überlegten, begrenzten Rahmen gegen das Leid aktiv werden und in ihrer Schulgemeinschaft das Leiden anderer ins Gedächtnis rufen.

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