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(erstellt: Februar 2020)

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1. Hinführung

Sprache ist ein schier unerschöpfliches Thema. Deshalb zu Beginn in gebotener Kürze einige Grundeinsichten zur Vergegenwärtigung und Orientierung: Sprache ist ein komplexes System von verbalen und nicht verbalen (!) Zeichen (→ Körpersprache). Sie dient als Medium der menschlichen Verständigung und Kommunikation. Sprache ist eine grundlegende menschliche Ausdrucksmöglichkeit, die in allen Lebensbereichen unterschiedlich gebraucht wird. Ideen und Meinungen wollen mitgeteilt werden und sich so der Rekonstruktion und Überprüfung durch andere stellen. Fragen wollen gestellt und beantwortet, Informationen eingeholt werden. Sprachspiele, Reime und Wortwitz sorgen für Vergnügen und Amüsement. Akzente, Soziolekte, Regiolekte und Dialekte sind Ausdruck einer eigenen Identität und inneren Mehrsprachigkeit. Fangesänge von Fußballfans verweisen auf Gruppen-Identität. Sprache befördert Emotionen. „Hallo, wie geht’s?“ als Auftakt eines Gesprächs baut soziale Beziehungen auf. Sprache verändert die Welt. Einem Kind wird im Taufakt die Nähe Gottes und die Aufnahme in die Glaubensgemeinschaft zugesprochen. Last but not least: Sprache hilft beim Denken. Wer schon einmal alleine mit Hilfe einer komplizierten Anleitung ein Regal aus dem Baumarkt aufgebaut hat, weiß um den Wert des lauten Denkens. Kurzum: Sprache ist eingebunden in die konkrete Lebenspraxis. Darüber gewinnt sie ihre anthropologische Bedeutung als Ausdruck, Deutung und Erschließung von Leben und Welt sowie Konstruktion von Wirklichkeit.

Wie entstehen Töne im Rachen und Mundraum? Wie erwirbt der Mensch Sprache? Worin liegt der Ursprung der Sprache? Warum gibt es Sprachsterben, Sprachwandel, neue Wortgeburten und Sprachschöpfungen? Was haben moderne Phänomene wie Emoticons mit Sprachkultur zu tun? Welche Bedeutung haben Auslassungen in SMS-Nachrichten in der digitalen Kommunikation? Diese und weitere Fragen werden in den vielen Wissenschaften erforscht, die sich mit Sprache beschäftigen: den Sprachwissenschaften, der Sprachphilosophie, den Kommunikationswissenschaften, der Literaturwissenschaft etc.

2. Sprache im Kontext der Theologie und Religionspädagogik

2.1. Sprache und Religion

Die Bedeutung der Sprache in der Theologie und Religionspädagogik ist unbestritten. Mit der anthropologisch-theologischen Frage nach der Sagbarkeit Gottes in der Geschichte und Gegenwart wird der hermeneutische Rahmen des Sprachproblems der Gottesrede abgesteckt (→ Hermeneutik). Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen religiösen Dispositionen in Kultur und Gesellschaft geht es einerseits darum, theologisch von den Möglichkeiten menschlicher Gottesrede zu sprechen und Zugänge zur Beschreibung religiöser Sprache in einer sich rasant wandelnden Gesellschaft zu entfalten. Andererseits geht es darum, religionspädagogisch die Bildungspotenziale und Lernmöglichkeiten des Sprechens von Gott, zu Gott und über Gott aufzuzeigen.

Martin Breul gibt zu bedenken: „Religionen gehen zwar nicht in Sprache auf, aber sie sind auch nicht ohne Sprache denkbar“ (Breul, 2018, 5). Einerseits erschließt sich im Medium der Sprache die existenzielle Bedeutsamkeit einer Religion. Andererseits „kann nur eine versprachlichte Religion anschlussfähig für die öffentlichen Debatten einer pluralisierten und interreligiösen Öffentlichkeit sein“ (Breul, 2018, 6). Schon die Theologie des 19. Jahrhunderts ging von der grundlegenden Überzeugung aus, dass Religion im Medium der Sprache kommuniziert wird. Religion ist abhängig von sprachlichen Überlieferungen, mithin eingebunden in eine sprachlich vermittelte Tradition. Des Weiteren sind die individuelle Aneignung religiöser Sprache sowie der Gebrauch symbolischer Formen und deren Benutzung notwendig (vgl. Danz, 2018, 28). So bildet sich Religion als eine Sinnform in der Kultur heraus und setzt sich durch Kommunikation fort (vgl. Danz, 2018, 29).

Religionspädagogisch wird auf die charakteristische Anderssprache (Stefan Altmeyer) verwiesen. Die Sprache der Religion unterscheidet sich von anderen Lebensbereichen und Wissensdomänen. Sie nutzt zwar den Wortschatz der Alltagssprache, hat aber ihre Eigenart darin, dass sie durchweg symbolisch, metaphorisch oder narrativ geformt ist. Sie ist Ausdruck der individuellen Religiosität sowie des intersubjektiven Austauschs über Religion und religiöse Sprache.

2.2. Herausforderungen religiöser Sprache

Seit gut 40 Jahren hält sich beharrlich die Zeitdiagnose von der Fremdheit religiöser Sprache, an der sich eine tiefgreifende (Sprach)Krise des Christentums ablesen lässt: Einerseits wird vehement der Sprachverlust der Religion konstatiert, andererseits die religiöse Sprachlosigkeit der Menschen beklagt. Demzufolge ist jede Rede von Gott als Kern religiöser Sprache mit Schwierigkeiten konfrontiert, die gleichsam auch die existenziellen Herausforderungen an Kirche, christliches Leben und religiöse Bildung in der Gegenwartsgesellschaft offenlegen. „In der Praxis (…) religiöser Bildung wird der Bezug auf theologische Begriffe und Sprachformen der Überlieferung vielfach als der Gebrauch einer Fremdsprache wahrgenommen. Aus der Perspektive der Subjekte wiederum scheint es so, als ob eine individuell passende und authentische Sprache für die eigene Religiosität vielfach zu suchen und – dem Erlernen einer Fremdsprache nicht unähnlich – erst mühsam anzueignen ist“ (Altmeyer, 2011, 13).

Die Doppelthese vom Sprachverlust der Religion und der religiösen Sprachlosigkeit der Menschen ist in Frage zu stellen beziehungsweise zu modifizieren. Es scheint angemessener, von einer grundlegenden Transformation der Gottesrede zu sprechen, um den subjektiven und intersubjektiven Ansprüchen der religiösen Sprecher und Sprecherinnen als nach Gottesbeziehung Suchenden und der vielfältigen Praxis religiösen Sprechens gerecht zu werden. Mithin wäre Suchsprache ein Gütesiegel religiöser Sprache. Auch die Frage des Umgangs mit sprachlicher Fremdheit in religiösen Bildungsprozessen ist im Blick auf die an diesen Prozessen Beteiligten zu modifizieren, weil die jugendliche Sprache als ein Beispiel der grundlegenden religiösen Sprachfähigkeit des Menschen gelten kann. Allerdings gilt: „Die Dimensionen der individuellen Religiosität wie des intersubjektiven Austauschs über Religion und religiöse Sprache sind (…) nur greifbar, wenn auf überlieferte Formen der Gottesrede zurückgegriffen wird“ (Altmeyer, 2011, 318f.). Mithin steht die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen einer Transformation religiöser Sprache in die Gegenwart und moderne Kultur zur detaillierten Bearbeitung an.

In diesem Kontext ist beispielsweise die Frage nach religiöser Sprache im Netz zu verorten. Durch die Digitalisierung unterliegt Kommunikation in der gegenwärtigen Gesellschaft einer hohen Veränderungsdynamik, deren Auswirkungen sich noch gar nicht absehen lassen. „Dass davon die religiöse Sprache in einem noch höheren Maße als bisher betroffen sein wird, ist unausweichlich“ (Danz 2018, 33). So fragt Jonas Müller zu Recht: „Gibt es einen speziellen Duktus religiöser Sprache im Netz?“ (Müller, 2018, 46). Web 2.0 offeriert religiöse Angebote vornehmlich in den Bereichen von Blogs und Foren, Nachrichtenseiten und deren Kommentarspalten, religiöser Sinnangebote sowie sozialer Medien (→ Soziale Medien). Müller resümiert: „In jedem der unterschiedlichen Bereiche gibt es eine je unterschiedliche Art der religiösen Sprache“ (Müller, 2018, 46). Von daher ist es ratsam, sich im Zuge der Persönlichkeitsbildung junger Menschen in religiösen Bildungsprozessen gemeinsam mit den Heranwachsenden auf die Spurensuche religiöser Sprache in ihren Netzwerken zu begeben und deren Netzästhetik zu verstehen sowie Aspekte kritischer Medienbildung (→ Medienkompetenz) zu erarbeiten (vgl. Müller, 2018, 47).

2.3. Sprache und religiöse Bildung

Die aktuellen Topoi – Fremdsprache Religion, religiöse Sprache und religiöse Sprachbildung in der Krise, Sprachlosigkeit der Kirche und abnehmende religiöse Sprachfähigkeit in der Gesellschaft – plädieren nachdrücklich dafür, die zunehmende religiöse und sprachliche Heterogenität kommunikativer Kontexte zu bearbeiten, in die religionspädagogische Theoriebildung einzutragen sowie die Theorie und Praxis der religiösen Bildungsorte dementsprechend fortzuschreiben. Eine religionspädagogisch-didaktische Profilierung der Sprache in den Praxisfeldern des schulischen Religionsunterrichts, mithin auf der Ebene des Unterrichts und seiner Inhalte, des Lehrerhandelns und der Kommunikation im laufenden Unterrichtsprozess, wäre in diesem Zusammenhang nicht nur wünschenswert, sondern angesagt und längst überfällig.

Kurzum: Die Religionspädagogik ist auf alle Überlegungen angewiesen, die über menschliches Reden und Hören, über Kommunikation, über die Wege sprachlicher Verständigung, über den Reichtum und die Vielfalt sprachlicher Möglichkeiten angestellt werden. In diesem Zusammenhang realisiert sich das Selbstverständnis der Religionspädagogik als Verbundwissenschaft. Einerseits kann religiöse Sprache und ihre Transformation in der modernen Kultur im Binnenraum der Theologie bearbeitet werden. Andererseits bedarf es der Erträge der nichttheologischen Fächer, um Sprachbildung und Sprachförderung an den unterschiedlichen Bildungsorten zu profilieren und die zunehmende sprachliche und religiöse Vielfalt kommunikativer Kontexte zu bearbeiten. Im Zuge dessen sind die Erforschung internetbasierter Kommunikation oder sprachempirische Studien im Kontext religiöser Bildung eigene Erkenntnisproduktionen der Religionspädagogik und als solche wissenschaftstheoretisch zu verantworten.

Religionspädagogische Theoriebildung erwächst aus den Erfordernissen der Praxis religiöser Bildung. Ein Beispiel: Für immer mehr Kinder und Jugendliche, die in Deutschland aufwachsen, ist Mehrsprachigkeit eine reale Praxis. Auch im Religionsunterricht ist sie eine Gegebenheit. So wird religionspädagogisch im interdisziplinären Diskurs die Aufgabe zu bewältigen sein, die Mehrsprachigkeit als eine der Ausgangslagen der Kinder und Jugendlichen wahrzunehmen und Wege des produktiven Umgangs damit zu ebnen. Das Bewusstsein sowie die Bearbeitung dieser Thematik sind religionspädagogisch gerade erst in Gang gekommen. Die Praxis zeigt: Die Bearbeitung der Frage nach dem Umgang mit der Mehrsprachigkeit der Kinder und Jugendlichen im Religionsunterricht geht oft einher mit religiöser Pluralität und somit mit der Frage nach der Bedeutung der Religion für Mensch und Welt.

Religiöse Sprache per se zu verstehen, ist für Schülerinnen und Schüler nicht selbstverständlich. Sie tun sich schwer im Umgang mit religiöser Sprache. „Für die meisten Schülerinnen und Schüler stellen (…) die theologischen Sprachformen und Denkstrukturen eine ihnen fremde Welt dar; sie sind mit ihrer Alltagssprache und den ihnen geläufigen, häufig naturwissenschaftlich geprägten Denkmustern wenig kompatibel und können nur schwer in ihren eigenen Lebens- und Erfahrungskontext übersetzt werden“ (Kirchenamt der EKD, 1997, 29). So sind vielerorts im Religionsunterricht das Verstehen religiöser Sprache und die Verständigung darüber allererst anzubahnen. Seit den 1970er Jahren sind eigene Zugänge religiöser Sprachbildung entstanden. Stefan Altmeyer hat sie vier Richtungen religiöser Sprachbetrachtung zugeordnet, die allesamt das Lernziel: Religiöse Sprache im Blick haben: Religiöse Sprache im Vermittlungsparadigma zielt auf das Verstehen-Lernen (Grabner-Haider, Leimgruber, Gärtner, Halbfas). Religiöse Sprache im Aneignungsparadigma zielt auf das Sprechen-Lernen (Bochinger, Weidmann, Schulte). Religiöse Sprache im Wahrnehmungsparadigma zielt auf das Sensibel-Werden und Entdecken-Lernen (Schulz, Pirner). Religiöse Sprache als Thema englischsprachiger Religionspädagogik zielt auf das Auskunft-geben-Lernen (religious literacy) (Prothero, Homan, Wright) (vgl. Altmeyer, 2011).

3. Sprache im Kontext des Religionsunterrichts

3.1. Sprachliches und fachliches Lernen im Religionsunterricht

Sprachliche Bildung und Sprachförderung sind unverzichtbare Bestandteile des Bildungsauftrags der Schule. Demzufolge haben sich alle Unterrichtsfächer gleichermaßen dieser Querschnittsaufgabe zu stellen und die Verknüpfung von sprachlichem und fachlichem Lernen durch das sprachbewusste Lehren und Lernen im Fachunterricht zu entwickeln und zu entfalten. Auch für den Religionsunterricht setzt dieser Anspruch einen angemessenen, kundigen und kompetenten Umgang mit den sprachlichen Gepflogenheiten des Fachs voraus. Schülerinnen und Schüler sind angehalten, sich ein facheigenes Vokabular, eine facheigene Semantik anzueignen sowie fachspezifische Sprachstrukturen zu verwenden und sich eigene kommunikative Praktiken zu eigen zu machen (Fachkommunikation). Eine nicht hinreichende Sprachfähigkeit sowie gering ausgebaute Kenntnisse der für das Unterrichtsfach Religion typischen Sprachverwendung erschwert den Schülerinnen und Schülern den Zugang zu den Lerninhalten.

Wenn die Lernenden beispielsweise den Erklärungen der Religionslehrkraft nicht folgen oder einen Text aus dem Religionsbuch nicht verstehen können, wenn sie ihre Fragen (im theologischen Gespräch) nicht angemessen formulieren oder eine Bildbeschreibung nur mit Mühe abfassen können, dann sind sie mit den Begriffen, den sprachlichen Besonderheiten und Routinen des Religionsunterrichts möglicherweise nicht hinreichend vertraut. Mithin gilt: Die integrale Betrachtung von sprachlicher und religiöser Bildung ist auch für religiöse Lern- und Bildungsprozesse substantiell und konstitutiv.

Die Beispiele heben die Bedeutung der kognitiven Funktion von Sprache hervor und verweisen auf die Schulsprache Religion. Schulsprache bezeichnet sprachliche Muster und Handlungen, die an institutionell schulischen Sprachpraktiken ausgerichtet sind (vgl. Kniffka/Roelcke, 2016, 50). „Schulsprache (…) umfasst die Gesamtheit der sprachlichen Instrumente des Lehrens und die damit verbundenen sprachbezogenen Verhaltenserwartungen“ (Feilke, 2013, 119). Sprachliche Verhaltenserwartungen des Religionsunterrichts sind z.B. das Erzählen biblischer Narrative (→ Bibel erzählen; → Erzählen, bibeldidaktisch), das theologische Gespräch (→ Jugendtheologie; → Kindertheologie) oder die Interpretation eines theologischen Textes (→ Textarbeit). Sie beschränken sich im Wesentlichen auf den Raum Schule und dienen der Unterstützung eines umfassenderen Lernprozesses: „Sie sind primäre didaktische Instrumente der Förderung allgemeinerer bildungssprachlicher Potentiale“ (Feilke, 2013, 120). Mithin kann Schulsprache dazu dienen, den Erwerb bildungssprachlicher Kompetenzen zu unterstützen.

Die Kernlehrpläne für die Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen für die Fächer Evangelische und Katholische Religionslehre beispielsweise geben in wörtlicher Übereinstimmung ein beredtes Zeugnis ab: „Der Erwerb religiöser Bildung muss mit einer fachbezogenen Sprachförderung verknüpft werden. Kognitive Prozesse des Umgangs mit Fachwissen, der methodischen Fähigkeiten und der Beurteilung und Bewertung von religiösen Sachverhalten und Problemstellungen sind ebenso sprachlich vermittelt wie die Präsentation von Lernergebnissen und der kommunikative Austausch darüber“ (Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2013b, 12; Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2013a, 11).

„Religionsunterricht ist damit immer auch Sprachunterricht (…). Die Sprache der Religion birgt aufgrund ihrer besonderen Merkmale eigene Potenziale der Förderung sprachlichen Lernens (Erfahrungslernen, Sinnlichkeit, Symbollernen, Kreativität und sprachliche Komplexität etc.), aber auch besondere Herausforderungen für die Schülerinnen und Schüler. Didaktische Ansätze, die sich auf das Erschließen dieser besonderen Fachsprachlichkeit richten, haben von daher in der Religionsdidaktik eine lange Tradition und lassen sich nach vier Grundausrichtungen – hermeneutisch, kommunikativ, performativ und diskursorientiert – unterscheiden“ (Altmeyer, 2014, 171;172; → hermeneutischer Religionsunterricht; → performativer Religionsunterricht, evangelisch; → performativer Religionsunterricht, katholisch).

3.2. Religionsunterricht und religiöse Sprachbildung

Sprachbildung gehört zum Auftrag der Schule und aller Unterrichtsfächer. Dem Religionsunterricht kommt die zentrale Aufgabe religiöser Sprachbildung zu. Die Bildungs- und Lehrpläne der Bundesländer bestimmen als Kern religiöser Sprachbildung die Förderung der Sprach- und Ausdrucksfähigkeit in Sachen Religion sowie die Anbahnung, den Erwerb und Gebrauch religiöser Sprache. Dabei sind die Lernbereiche Sprache und Sprechen gleichermaßen in Anschlag zu bringen und auf religiöse Lernprozesse zu beziehen. Hierbei richtet sich die Aufmerksamkeit einerseits auf die Sprache der Religion sowie die Sprache für Religiöses, andererseits auf das religiöse Sprechen sowie das Sprechen über Religion. Von Schülerinnen und Schülern wird mithin erwartet, dass sie in diesen vier Bereichen entsprechende Kompetenzen ausbilden und erwerben. Die Sprache der Religion ist von der Sprache für Religiöses zu unterscheiden. Zum einen geht es um das Verstehen und Deuten religiöser Sprache sowie überlieferter Formen der Gottesrede, zum anderen um die Sprach- und Ausdrucksformen individueller Religiosität (→ Religiosität, Jugendliche). Das religiöse Sprechen ist von dem Sprechen über Religion zu unterscheiden. Dabei geht es sowohl um den Gebrauch religiöser Sprache in der Kommunikation mit sich selbst und anderen als auch um die Teilhabe am Dialog mit anderen Religionen und Weltanschauungen (vgl. Altmeyer, 2018; Kirchenamt der EKD, 2010) Dieses ausdifferenzierte Modell religiöser Sprachbildung integriert die bislang in der Religionspädagogik und Religionsdidaktik entworfenen sprachorientierten Ansätze. Es verknüpft gleichermaßen fachliches und sprachliches Lernen als Ziel des Religionsunterrichts.

3.3. Sprachbezogene Kompetenzen der Religionslehrerinnen und Religionslehrer

Die Bedeutung der Lehrersprache im Religionsunterricht wird bislang weitgehend unterschätzt. Dabei sind der religionsunterrichtliche Umgang mit (Wort)Sprache sowie das pädagogisch-didaktische Sprechen der Religionslehrkräfte wichtige Kompetenzen.

Augenscheinlich sind Religionslehrkräfte kaum darin geübt, sprachbezogene sowie (fach)kommunikative Kompetenzerwartungen und -ziele für ihren Unterricht zu formulieren. Zwar haben sie tagtäglich auf allen Schulstufen mit biblischen Texten sowie verschiedenen anderen Textsorten zu tun, haben den Schülerinnen und Schülern Lernaufgaben mit lern- und situationsadäquaten Operatoren an die Hand zu geben sowie sprachorientierte Methoden einzuüben (Gespräch, Diskussion, Rollenspiel, Talkshow etc.), die die mündliche Unterrichtskommunikation befördern sollen. Kurzum: Religiöses Lernen erfolgt beim Lesen, Schreiben und Sprechen über Religion. Allerdings sind die Lehrkräfte wenig vertraut damit, in der Unterrichtsplanung und -vorbereitung auch sprachliche Anforderungen in einer Unterrichtseinheit zu berücksichtigen, sprachliche Verstehensbarrieren zu identifizieren sowie Rezeptionshürden zu erkennen. Hier sensibilisiert die Fachsprachendidaktik differenziert für die Merkmale schulischer Fachsprache, an denen sich auch Religionslehrkräfte orientieren können (vgl. Kniffka/Neuer, 2017).

Religionslehrerinnen und Religionslehrer sind daraufhin zu sensibilisieren, die spezifische Sprachqualität des Religionsunterrichts zu benennen und einschätzen zu können. Auch die Kommunikation im Fachunterricht hängt wesentlich von den sprachlichen Angeboten der Lehrkraft ab. Des Weiteren führt der genannte Fokus zur kritischen Reflexion darüber, ob ein kognitives Verstehen sprachlicher Phänomene des Religionsunterrichts nicht viel zu oft und stillschweigend vorausgesetzt wird. Hinzu kommt: „Auch eine marginale Reflexion der besonderen Bedeutung der Sprache für das fachliche Lernen kann bei Lehrer*innen zu einer weniger diversitätsorientierten und inklusiven Unterrichtsgestaltung führen“ (Grannemann/Oleschko/Kuchler, 2018, 8).

4. Anregungen für die Praxis eines sprachsensiblen Religionsunterrichts

Anregungen für die Praxis des Religionsunterrichts sollten differenziert in den Blick genommen werden. Folgende Struktur ist denkbar:

4.1. Reflexionsebene: Die eigene Sprachlichkeit der Religionslehrerin und des Religionslehrers

  • Vergegenwärtigung der grundlegenden Funktionen der Sprache
  • Bewusstsein der eigenen religiösen respektive theologischen Binnensprache
  • Berücksichtigung allgemeiner Merkmale von Lehrersprache, z.B.
    • klare, lautreine Artikulation
    • Antlitzgerichtetheit
    • Gebrauch einfacher Sprache (kurze, prägnante Sätze; Verzicht auf Nebensätze)
    • Sprachniveau etwas über dem der Schülerinnen und Schüler
    • Einsatz von Mimik, Gestik: prosodische und nonverbale Hinweisreize
  • Gebrauch unterschiedlicher Frage-Formen (vgl. Kohler-Spiegel, 2017, 16-19)
  • Reduktion der Komplexität der Lehrersprache
  • syntaktisch-morphologische Vereinfachungen
  • semantisch-lexikalische Vereinfachungen

4.2. Curriculare Ebene des Unterrichts: Absprachen in der Fachschaft/im Fachkollegium

  • Einsatz jahrgangsspezifischer, einheitlicher Arbeitsblätter mit Übungsaufgaben und Methodenübersicht
  • jahrgangsspezifische, einheitliche Zugänge zu biblischen Texten
  • Einsatz von Übungen im Mikro-Format (z. B. Herausarbeiten von Schlüsselwörtern, Erstellen eines Begriffsnetzes zur selbstständigen Abfassung von Texten, sprachlich angemessener Einbau von Fachbegriffen in eigene Syntaxstrukturen)
  • kontinuierlicher Einsatz von Feedback
  • überschaubarer Umfang von Lernprodukten

4.3. Planungsebene des Unterrichts: Berücksichtigung sprachlicher Anforderungen

  • Kenntnis der Religionslehrkraft über sprachliche Merkmale der schulischen Fachsprache Religion
  • Analyse sprachlicher Verstehensbarrieren und Rezeptionshürden im Umgang mit dem jeweiligen Unterrichtsthema (vgl. Kniffka/Neuer, 2017)
  • Konzeption von Lernaufgaben mit Transparenz der zu realisierenden Sprachhandlungen (Operatoren)

4.4. Gestaltungsebene des Unterrichts: Ermöglichung von 'scaffolds' (Baugerüsten)

  • Inhaltliche Hilfestellungen zu Vokabularen
  • Er- und Bereitstellung von Wortschatzlisten und Glossaren zu religiösen Fachtermini
  • Bearbeitung von Lernaufgaben durch Vorgabe von Satzanfängen (z.B. zur Klärung von Operatoren)
  • Brückentexte
  • Tabellen mit Antwortmöglichkeiten, zu denen sich die Lernenden positionieren sollen
  • Lesestrategien für ein besseres Textverständnis

4.5. Kommunikationsebene: Unterrichtsinteraktion

  • Interaktive Lern- und Arbeitsformen mit kommunikativem Potenzial
  • Übertragung wichtiger Unterrichtserkenntnisse in Schriftsprache
  • Förderung von Sprachreflexionsprozessen (z.B. im Portfolio)
  • Unterstützung des Erwerbs von Fachsprache und Gebrauch der im Religionsunterricht verwendeten Sprache
  • Re-Kodierung von Schüleräußerungen und Reagieren auf individuelle Äußerungen der Lernenden
  • Vergegenwärtigung fachsprachlicher Register
  • Lehrergestützte Berichte
  • Verlangsamung
  • Aktives Zuhören aller am Unterricht Beteiligten

Last but not least sind die Grenzen religiösen Lernens im Medium der Sprache und des Sprechens sowie religionspädagogischer Sprachbildung und religionsunterrichtlicher Sprachförderung deutlich zu benennen: Religion ist Sprache, aber Religion wird nicht allein durch Sprache erlernbar.

5. Entwicklungen und Forschungsperspektiven

Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Plädoyers für die stärkere Integration der Sprache in die religionspädagogische Theoriebildung (vgl. Schulte, 2018). Dabei fordert die interdisziplinär und bildungspolitisch relevante Debatte über Sprachbildung und Sprachförderung die Religionspädagogik und die Religionsdidaktik gleichermaßen dazu heraus, den Blick über die facheigenen Grenzen hinaus zu weiten und den interdisziplinären Diskurs zu intensivieren. Vor diesem Hintergrund verstehen sich die folgenden Anzeigen zu weiteren Forschungen.

5.1. Förderung der (religiösen) Sprachkompetenz der Religionslehrerinnen und Religionslehrer

Sprachbildung bzw. Qualifizierung der Religionslehrenden ist eine Querschnittsaufgabe, die als wesentlicher Baustein für einen gelingenden Religionsunterricht in allen Phasen der Ausbildung zu implementieren wäre. Religiöse Sprachkompetenz geht mit einem reflektierten Verständnis von (religiöser) Sprache und deren Bedeutung für das fachliche Lernen, dem Bewusstsein der eigenen Sprachlichkeit, kommunikativer Sensibilität sowie einem reflektierten Gebrauch von Sprache einher. Mit dem Fokus auf die Lehrer- und Unterrichtssprache wird langfristig eine Forschungslücke hinsichtlich der Bedeutung der Sprache in der religionspädagogischen Theoriebildung geschlossen (vgl. Schulte, 2018).

5.2. Sprachliche Vielfalt im Religionsunterricht

Die Fragen von Integration und Inklusion in der Schule lenken die Aufmerksamkeit auf den Umgang mit sprachlicher Vielfalt im Unterricht (vgl. Danilovich/Putjata, 2019). Sprachliche und religiöse Heterogenität der Schülerinnen und Schüler ist eine Gegebenheit des Religionsunterrichts, weil sie für immer mehr in Deutschland aufwachsende Kinder und Jugendliche eine reale Praxis ist. Mehrsprachigkeit bezieht sich auf Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Muttersprache, die im Unterricht jedoch Probleme im Umgang mit der (schulischen) Bildungssprache und dem Erwerb ihrer vielfältigen Register haben, auf Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte und Fluchthintergrund, die Deutsch als Zweitsprache (DaZ) lernen. Auch die individuelle sowie innere Mehrsprachigkeit der Lernenden bewegt sich in diesem Spektrum und wirft beispielsweise die Frage auf, wie Kinder und Jugendliche Sprache nutzen respektive religiöse Sprache gebrauchen (vgl. Gennerich, 2011). Mithin ist Mehrsprachigkeit eine der (Lern)Ausgangslagen der Kinder und Jugendlichen, die es auch im Religionsunterricht bewusster wahrzunehmen und didaktisch zu erschließen gilt. Religiöse Vielfalt im Religionsunterricht ist auch an die u.a. migrationsbedingte sprachliche Heterogenität der Schülerinnen und Schüler gekoppelt (vgl. Danilovich, 2019, 158). Dementsprechend wird religionspädagogisch das Terrain zu bearbeiten sein, Sprache und Mehrsprachigkeit in ihrem Verhältnis zu Religion und (religiöser) Bildung zu thematisieren.

5.3. Internetbasierte respektive Online-Kommunikation

Die mobile Internetkommunikation hat zu einer Häufung schriftsprachlicher Kommunikation und zu einem Bedeutungszuwachs von Online-Kommunikation geführt. Die Online-Kommunikation eröffnet ein weites Feld u.a. auch für mediatisierte religiöse Kommunikation im Medium der Sprache. Die Erforschung, „wie Menschen Online-Kommunikation nutzen, um sich zu sich selbst und ihrer Umwelt in Beziehung zu setzen, wo Online-Kommunikation zu (religiös) sinnstiftender Kommunikation wird und welche Konsequenzen dies auch für die alltägliche Lebenswelt ‚offline‘ hat“ (Merle, 2018, 293), sollte beispielsweise sprachempirische Studien zum Verständnis religiöser Bildung im digitalen Kontext integrieren.

Literaturverzeichnis

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  • Altmeyer, Stefan, Fremdsprache Religion? Sprachempirische Studien im Kontext religiöser Bildung, Stuttgart 2011.
  • Breul, Martin, Die Versprachlichung des Religiösen, in: IRP-IMPULSE 1 (2018), 4-9.
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  • Danz, Christian, Sprache, Kommunikation, Religionsunterricht. Theologische Annäherungen, in: Schulte, Andrea (Hg.), Sprache. Kommunikation. Religionsunterricht. Gegenwärtige Herausforderungen religiöser Sprachbildung und Kommunikation über Religion im Religionsunterricht, Leipzig 2018, 21-36.
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  • Gennerich, Carsten, Gottesbilder Jugendlicher: Ihre Erfahrungsabhängigkeit und Bildungsrelevanz, in: Jahrbuch für Kindertheologie. Sonderband, Stuttgart 2011, 176-192.
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  • Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.), Kernlehrplan für die Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen. Katholische Religionslehre, Düsseldorf 2013b.
  • Müller, Jonas, Religiöse Sprache im Netz, in: IRP-IMPULSE 1 (2018), 46-47.
  • Schulte, Andrea (Hg.), Sprache. Kommunikation. Religionsunterricht. Gegenwärtige Herausforderungen religiöser Sprachbildung und Kommunikation über Religion im Religionsunterricht, Leipzig 2018.

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