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Religionsunterricht, Recht

(erstellt: Januar 2015)

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1. Einleitung

Nicht selten wird von laizistischer Seite die Abschaffung des schulischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen gemäß Art. 7,3 GG gefordert, da er ein Privileg der Kirchen sei. Ein schulischer Religionsunterricht, den der Staat als Unternehmer und Veranstalter betreibt, wird als Durchbrechen der staatlichen Neutralität bezeichnet (beispielsweise Renck, 2004).

Ist zudem die konfessionelle Erteilung des Religionsunterrichts nicht ein Relikt vergangener Zeiten? Ist angesichts einer pluralen Gesellschaft nicht ein ökumenischer oder ein interreligiöser Religionsunterricht vonnöten? Der Staat könnte seinen Bürgerinnen und Bürgern statt des konfessionellen Religionsunterrichts auch einen religionskundlichen deskriptiven Unterricht bieten, der die verschiedenen Religionen neutral darstellt. Oder muss der Religionsunterricht wieder rekatechetisiert werden?

Vor dem Hintergrund dieser manchmal auf den ersten Blick populär wirkenden unterschiedlichen Forderungen gilt es, die rechtlichen Regelungen zum schulischen Religionsunterricht in den Blick zu nehmen, die das Religionsverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland und die das Kirchenrecht der evangelischen und der katholischen Kirche getroffen hat. In welchem rechtlichen Rahmen bewegt sich der schulische Religionsunterricht? Warum hat der Staat ein Interesse an einem Religionsunterricht, der konfessionell erteilt wird? Welche Entwicklungsmöglichkeiten bietet der rechtliche Rahmen für einen Religionsunterricht, der an der Zeit ist?

2. Religionsunterricht im Kirchenrecht

2.1. Modelle evangelischer Kirchenleitung

Wird der Religionsunterricht im Kontext evangelischen Kirchenrechts betrachtet, müssen die Maßstäbe untersucht werden, die die Grundlage für das Kirchenrecht in Bezug auf Theologie und Verfassungsrecht bilden.

Einerseits werden diese Maßstäbe aus den theologischen Lehren, „den theologumena der reformatorischen Väter“ (Heckel, 1997, 564) gewonnen, die sich auf die Kirche und die Ordnung des kirchlichen Amtes beziehen. Hinsichtlich des Wesens und der Funktion des Amtes haben sich die lutherischen Reformatoren gegenüber der römisch-katholischen Auffassung distanziert, wonach der Priester durch den Bischof geweiht wird (Grane, 1996, 62). In der lutherischen Auffassung gehören alle Christen dem geistlichen Stand durch die Taufe an (Priestertum aller Gläubigen). Zwar sind alle getauften Christen Teilhabende am Priestertum aller Gläubigen, sie sind jedoch nicht alle zum Amt berufen (ebd.). Aus diesem theologischen Grundverständnis heraus sollte sich später die vocatio als kirchliche Bevollmächtigung für die Religionslehrkräfte entwickeln.

Andererseits ergeben sich die Maßstäbe aus dem geltenden Kirchenverfassungsrecht, das in den einzelnen Landeskirchen unterschiedliche Formen herausgebildet hat: Hierbei handelt es sich um den episkopal-konsistorialen, den synodalen und den aus beiden Formen gemischten Typus evangelischer Kirchenleitung. Bayern, Württemberg und Oldenburg haben das Konsistorium als Auswirkung des Landesherrlichen Summepiskopats (Heckel, 1997, 559), dessen Vorsitzender der Landesbischof ist, in seiner kirchenleitenden Funktion nicht aufgegeben. Die Synode hat in diesen landeskirchlichen Verfassungen kein unmittelbares Einwirkungsrecht auf die Kirchenleitung (Heckel, 1997, 578). Der synodale Verfassungstyp, der beispielsweise in Bremen und in der Evangelischen Kirche im Rheinland und Westfalen anzutreffen ist, hat zwar ebenfalls einen leitenden Geistlichen und ein Kirchenleitungsgremium vorgesehen, diese sind jedoch vollständig in die Synode integriert (Heckel, 1997, 580f.). Mischformen aus episkopal-synodalen Kirchenleitungstypen sind in der lutherischen Kirche Braunschweigs und Hannovers, Kurhessen-Waldecks, Schaumburg-Lippes und in Baden zu finden.

Die pluralen Strukturen landeskirchlicher Verfassungsorgane sind Ausdruck der verschiedenen konfessorischen Strömungen innerhalb der evangelischen Kirche in Deutschland, die seit der Reformationszeit bis heute unterschiedliche theologische Deutungen und kirchliche Ämterordnungen ausgeprägt haben. Der Umgang dieser landeskirchlichen Leitungsgremien mit der fortschreitenden Säkularisierung der Gesellschaft hat verschiedene institutionelle Ausprägungen des Religionsunterrichts auf der Grundlage der Deutung des Art. 7,3 GG beziehungsweise der Inanspruchnahme der sogenannten Bremer Klausel zur Folge. Ebenso wirken sich die historisch gewachsenen Kirchenleitungsstrukturen sehr unterschiedlich hinsichtlich der Frage aus, in welcher Form die Landeskirchen ihr Mitbestimmungsrecht in der Entwicklung von Lehrplänen und Curricula in den Schulen und Hochschulen konkret umsetzen (Rothgangel/Schröder, 2009).

2.2. Der Religionsunterricht in den Bildungsdenkschriften der EKD

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat kontinuierlich in zahlreichen Denkschriften und Verlautbarungen ihre Position zu religiöser Bildung und Erziehung am Standort Schule und Gemeinde veröffentlicht. Einen vollständigen Überblick der Jahre 1994 bis 2013 bietet die ins Englische übersetzte Sammlung, die das Kirchenamt der EKD herausgegeben hat. Diese Sammlung thematisiert die Programme der Kirche im öffentlichen Bildungssystem und in ihren eigenen Bildungsangeboten (Kirchenamt der EKD, 2013, 7). Die hier vorgenommene Auswahl nimmt die Schriften auf, die erheblichen Einfluss auf weitere Maßnahmen und spätere Entscheidungen genommen haben. In Bezug auf den Religionsunterricht spielen die folgenden Verlautbarungen eine wichtige kirchenpolitische Rolle, sie sind auch zentrale Schriften innerhalb der religionspädagogischen Rezeptionsgeschichte:

  • Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität (1994)
  • Aufwachsen in schwieriger Zeit. Kinder in Gemeinde und Gesellschaft (1994)
  • Maße des Menschlichen. Evangelische Perspektiven zur Bildung in der Wissens- und Lerngesellschaft (2003)
  • Kirche und Bildung. Herausforderungen, Grundsätze und Perspektiven evangelischer Bildungsverantwortung und kirchlichen Bildungshandelns (2009)
  • „Niemand darf verloren gehen!“ Evangelisches Plädoyer für mehr Bildungsgerechtigkeit (2010)

Die Denkschrift Identität und Verständigung von 1994 ist geprägt durch die Auseinandersetzung mit der Frage, wie religiöse Bildung in der pluralen Gesellschaft angesichts wachsender Orientierungslosigkeit zu verorten ist. In Bezug auf ihre Interpretation des Religionsunterrichts in Art. 7,3 GG und in Entfaltung des Rechts auf Religionsfreiheit in Art. 4 GG nimmt die Kirche ihre Bildungsverantwortung wahr, um gesellschafts- und lebensbezogen religiöse Bildung im Spannungsfeld der Entwicklung von Identität und der Verständigung mit anderen Weltdeutungen zu ermöglichen. Individuelles und gesellschaftliches Handeln lässt sich im konfessionell verantworteten Religionsunterricht in ökumenischer Offenheit entfalten. Institutionell schlägt diese Denkschrift eine eigenständige Fächergruppe vor, die aus den unterschiedlichen Formen konfessionellen Religionsunterrichts sowie dem Ethik- und dem Philosophieunterricht besteht. Die Schrift Aufwachsen in schwieriger Zeit vertieft den Aspekt, dass Kinder ein kirchlich verantwortetes Bildungsangebot benötigen, welches ihnen – als Gegengewicht zur Ökonomisierung von Bildung – Halt und Orientierung in der pluralen Gesellschaft bietet. Bildungstheoretisch fundiert und theologisch vertieft fordert die Denkschrift Maße des Menschlichen moralisch-ethische Maßstäbe zur Beurteilung von Wissen. Das lebenslange Lernen benötigt nicht allein nur Verfügungswissen, sondern eine Orientierung am Subjekt, das die persönliche Verantwortung der Menschen gegenüber den Leistungs- und Partizipationsanforderungen des Gemeinwesens in den Vordergrund stellt. Im Gegensatz zum homo optionis (U. Beck), der unter permanentem Entscheidungsdruck steht, wird die Frage nach Maß und Maßstäben für den Menschen theologisch in der Schöpfung und in der Gerechtigkeit Gottes gesehen, durch die der Mensch in seiner Geschöpflichkeit erst zur Freiheit befreit wird. Bildung, die ein solches Verständnis aufgreift, schärft ein, „Maße und Grenzen menschlicher Geschöpflichkeit ernst zu nehmen und ermutigt, in der Kraft des befreienden Evangeliums von Jesus Christus bei allen gesellschaftlichen Aufgaben verantwortungs- und hoffnungsvoll mitzuwirken“ (Kirchenamt der EKD, 2013, 64). Die Aufgaben, die sich für die Umsetzung kirchlicher Bildungsverantwortung im Staat ergeben, thematisiert die Denkschrift Kirche und Bildung aus dem Jahr 2009. Elementare Erziehung, religiöse Bildung in öffentlichen und konfessionellen Schulen, Konfirmandenunterricht, Jugendarbeit, Erwachsenenbildung und soziale Arbeit fordern adäquate Programme für die religiöse Bildung und Erziehung. Dazu werden die Subjektorientierung als pädagogisches Prinzip, eine Öffnung für das Evangelium, die Verantwortungsübernahme für die kommenden Generationen und die Realisierung einer Bildungs-, Partizipations- und Befähigungsgerechtigkeit gefordert. Diese mehrdimensional verstandene Bildungsgerechtigkeit wird in der Schrift Niemand darf verloren gehen von 2010 vertieft. Die moderne Wissensgesellschaft benötigt Bildungsgerechtigkeit von frühester Kindheit an, sie benötigt unter anderem Inklusionsprogramme, eine Überwindung der Grenzen, die sich aufgrund unterschiedlicher Bildungsverläufe in den Ländern ergeben, ein gutes Ganztagesprogramm, eine Entfaltung von Religion und Glauben als Quelle der Orientierung in der modernen Gesellschaft und Professionalisierung in den Bildungssystemen. Die beiden Begriffe Bildungsverantwortung und Bildungsgerechtigkeit bilden die programmatische Klammer um alle Denkschriften.

2.3. Römisch-katholisches Kirchenrecht und der Religionsunterricht

Die Katholische Kirche trifft in ihrem für die lateinische Kirche weltweit geltenden Gesetzbuch, dem Codex Iuris Canonici von 1983 (CIC/1983), in verschiedenen seiner Canones (cc.) Regelungen zum schulischen Religionsunterricht. Zunächst ist festzustellen, dass der CIC/1983 Katechese am Ort der Pfarrei und Religionsunterricht am Ort der Schule und unter den Bedingungen der Schule begrifflich und konzeptionell unterscheidet. Dies zeigt sich auch darin, dass das geltende Gesetzbuch Katechese und Religionsunterricht in seinem dritten Buch über den Verkündigungsdienst der Kirche einen jeweils eigenen gesetzessystematischen Ort zuweist. Religionsunterricht ist für den CIC/1983 ein Mittel katholischer Erziehung, das hilft, das in Canon (c.) 217 normierte Grundrecht aller Gläubigen auf eine christliche Erziehung zu verwirklichen und zugleich die in den cc. 226, 793, 1136 verankerte naturrechtliche Pflicht der Eltern zur Erziehung, darin eingeschlossen die katholische Erziehung, ihrer Kinder zu verwirklichen. C. 804 des CIC/1983 unterstellt jegliche religiöse Erziehung und Unterweisung am Ort der Schule, und damit auch den schulischen Religionsunterricht, der kirchlichen Autorität. Der universalkirchlich geltende CIC/1983 weist aufgrund des Subsidiaritätsprinzips und angesichts der Tatsache unterschiedlicher nationaler Regelungen des Religionsunterrichts der jeweiligen Bischofskonferenz eines Landes die Kompetenz zu, für den Bereich des Religionsunterrichts allgemeine Normen aufzustellen. Die Deutsche Bischofskonferenz hat bereits im Jahr 1973 Rahmenrichtlinien und eine Rahmengeschäftsordnung zur Verleihung der kirchlichen Unterrichtserlaubnis für die Zeit des Referendariats und der Missio Canonica nach bestandenem zweitem Staatsexamen beschlossen, die vom jeweiligen Diözesanbischof für seine Diözese in Kraft gesetzt wurden. Mittlerweile haben zahlreiche Diözesen diese Ordnungen überarbeitet und um Regelungen zur Studienbegleitung und Begleitung während des Referendariats ergänzt (Meckel, 2011b). Der jeweilige Diözesanbischof besitzt in Bezug auf den Religionsunterricht ein Regelungs- und Überwachungsrecht. Dieses Regelungsrecht zeigt sich insbesondere darin, dass es gemäß c. 804 § 2 und c. 805 dem Ortsordinarius (dem Bischof oder ihm rechtlich Gleichgestellten) zukommt, Religionslehrerinnen und Religionslehrern die spezifische Sendung (missio canonica) zu erteilen oder wieder zu entziehen. Im Unterschied zum nicht mehr geltenden Codex Iuris Canonici von 1917, der Kleriker als Religionslehrer für höhere Schulen und Laien für die anderen Schulformen vorsah, ist der Dienst des Religionslehrers gemäß c. 804 § 2 des geltenden CIC/1983 bei Erfüllung der Voraussetzungen Orthodoxie, Orthopraxie und dem Nachweis eines wissenschaftlichen Theologiestudiums für Laien wie für Kleriker offen. Falls das Kriterium der Orthodoxie oder der Orthopraxie nicht mehr erfüllt wird, kann der Ortsordinarius die missio canonica entziehen. An katholischen Schulen werden Religionslehrerinnen und Religionslehrer ernannt und haben gemäß c. 145 ein Kirchenamt (officium) inne. Lehrer an staatlichen Schulen bekleiden ein staatliches Amt, für den Dienst (munus) als Religionslehrerin und Religionslehrer benötigen sie aber die missio canonica, da sie im Namen der katholischen Kirche handeln und weil der neutrale Staat über die Einhaltung der Verleihungskriterien nicht urteilen kann. Der Staat bedarf daher der Unbedenklichkeitserklärung der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Der CIC/1983 trifft keine explizite Aussage zur Schülerschaft des Religionsunterrichts. Er setzt implizit katholische Schüler voraus, ohne dass er der Teilnahme von konfessionsfremden oder konfessionslosen Schülern etwas entgegensetzt (Meckel, 2011a, 105-149).

2.4. Der Religionsunterricht in ausgewählten Dokumenten der Deutschen Bischofskonferenz

Bis zum heutigen Tag prägt der Beschluss Der Religionsunterricht in der Schule der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland vom 22. November 1974 als Referenzrahmen die Äußerungen der Deutschen Bischofskonferenz zum schulischen Religionsunterricht. Der Beschluss führt angesichts eines Religionsunterrichts, der sich damals als Katechese in der Schule verstand, und einer immer pluraler werdenden Gesellschaft eine theologische und eine pädagogische Konvergenzargumentation für einen Religionsunterricht in der öffentlichen Schule. Die Rechtfertigung eines Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen kann sich nicht nur formal auf die Verfassung berufen, sondern muss und kann inhaltlich pädagogisch mit der Teilhabe am schulischen Bildungsauftrag und theologisch vom (diakonischen) Auftrag der Kirche her begründet werden. Der schulische Religionsunterricht unterscheidet sich nicht nur von den äußeren Bedingungen der Schule von der Katechese, sondern auch und insbesondere von den Adressaten her, da er sich an gläubige, zweifelnde oder ungläubige Schüler richtet. Aufgrund des in der Schule nur vermittelt möglichen Erfahrungsbezugs legt der Religionsunterricht gegenüber der Katechese mehr Wert auf die Reflexion und Verantwortung des Glaubens, wenngleich er auch mit der Praxis des Glaubens vertraut machen soll. Der Synodenbeschluss geht von einem konfessionellen Religionsunterricht aus, da nur von einem Standpunkt aus ein Dialog mit anderen Konfessionen und Religionen möglich ist. Konfessioneller Religionsunterricht schließt demnach eine ökumenische und interreligiöse Dimension ein. Die Konfessionalität des Religionsunterrichts wird durch die Trias der katholischen Lehre, der katholischen Lehrerinnen und Lehrer sowie in der Regel katholischer Schüler gewährleistet (Meckel, 2011a, 185-211). Dies greift das im Jahr 1996 erschienene Dokument der Deutschen Bischofskonferenz Die bildende Kraft des Religionsunterrichts wieder auf und sieht in gewissen Rahmen die Möglichkeit der Teilnahme konfessionsfremder oder konfessionsloser Schüler am Religionsunterricht. In Anschluss an die Überzeugung des Synodenbeschlusses, dass ein Dialog mit anderen Konfessionen oder Religionen nur von einem klaren Standpunkt aus möglich ist, zielt der Religionsunterricht gemäß dem Dokument über die bildende Kraft des Religionsunterrichts auf die Bildung einer gesprächsfähigen Identität der Schüler (Meckel, 2011a, 212-220). Die Deutsche Bischofskonferenz und die EKD haben im Jahr 1998 eine Vereinbarung über die Bedingungen und Inhalte einer konfessionellen Kooperation getroffen, auf deren Grundlage beispielsweise in den Ländern Niedersachsen und Baden-Württemberg gute Erfahrungen mit konfessionell-kooperativem Religionsunterricht gemacht wurden (Meckel, 2011a, 220-226). Das Dokument über die bildende Kraft des Religionsunterrichts von 1996 sowie das Dokument der Deutschen Bischofskonferenz zum Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen aus dem Jahr 2005 betonen stärker als der Synodenbeschluss von 1974 die Aufgabe des Religionsunterrichts zu religiöser Praxis anzuregen und unterstreichen den komplementären Dienst der Schulpastoral. Gemäß dem Dokument von 2005 hat der Religionsunterricht das Ziel, strukturiertes, lebensrelevantes Glaubenswissen zu vermitteln, die religiöse Urteils- und Dialogfähigkeit zu fördern und mit religiöser Praxis vertraut zu machen. So verständlich dieses Anliegen ist, muss auf die vom Religionsunterricht zu unterscheidende Chance der Schulpastoral hingewiesen werden, die nicht an das Setting der Unterrichtsstunde gebunden und zudem ein freiwilliges Angebot darstellt. Religionsunterricht, Schulpastoral und Katechese sind voneinander unterschieden und zugleich aufeinander bezogen und verwiesen; verwischt man ihre jeweilige Kontur bzw. vermischt diese miteinander, verlieren sie ihre jeweiligen Wirkmöglichkeiten (Meckel, 2011a, 217; 226-247).

3. Religionsunterricht im Verfassungsrecht und Staatskirchenrecht

3.1. Konfessionell verantworteter Religionsunterricht nach dem Grundgesetz

Das Verhältnis von Staat und Religion in der BRD gründet auf den drei Säulen der Unterscheidung von Staat und Religion (Art. 137,1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG), der Religionsfreiheit (Art. 4 GG) und dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen (Art. 137,3 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG). Der Staat spannt als religiös unmusikalischer Staat aufgrund seiner eigenen Neutralität einen Rahmen der Religionsfreiheit auf, der individuelle, kollektive, korporative, private, öffentliche sowie positive und negative Religionsfreiheit umfasst. Diese Neutralität ist nicht mit laizistischem Neutralismus bzw. der Neutralisierung von Religion im öffentlichen Raum zu verwechseln, sodass die BRD unter der Hand die Weltanschauungslosigkeit bzw. Religionslosigkeit zur Weltanschauung des Staates erheben würde. Aus Art. 137,1 WRV lässt sich das Verbot jeder institutionellen Vermischung von Staat und Religion herleiten, nicht aber ein absolutes Kooperationsverbot von Staat und Religion. Staat und Religion sind in der Wurzel restlos unterschieden, können aber, ohne sich zu vermischen, in Beziehung zueinander treten (Unruh, 2012, 49-111).

Vor diesem Hintergrund ist der konfessionelle Religionsunterricht gemäß Art. 7,3 GG an öffentlichen Schulen kein Durchbrechen der staatlichen Neutralität. Vielmehr hat der neutrale Staat ein genuines kulturstaatliches Eigeninteresse an einem konfessionellen Religionsunterricht, der gerade nicht religionskundlich deskriptiv unterrichtet wird. Der schulische Religionsunterricht ist ein Mittel zur Verwirklichung der positiven Religionsfreiheit der Schüler sowie der korporativen Religionsfreiheit der Religionsgemeinschaften gemäß Art. 4 GG und der Verwirklichung der in Art. 6,2 GG verankerten Pflicht und dem Recht der Eltern zur Erziehung ihrer Kinder, die die religiöse Erziehung mit einschließt. Eine allgemeine Moralkunde oder deskriptive Religionskunde wird von der in Art. 7,3 GG verankerten institutionellen Garantie nicht erfasst (Meckel, 2011a, 265-270). Der gegenüber allen Modifikationen unaufgebbare Kern des in Art. 7,3 GG verwendeten Verfassungsrechtsbegriffs Religionsunterricht ist nach dem Leiturteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1987 die Standpunktgebundenheit und damit die Konfessionalität (Bundesverfassungsgericht, 1987, 252f.). Dies zeigt auch das in Art. 7,2 GG verankerte Abmelderecht vom Pflichtfach Religionsunterricht, das Ausdruck der negativen Religionsfreiheit ist. Die nach Art. 7,3 GG normierte Pflicht zur Einrichtung des Religionsunterricht erfasst bei Vorliegen der landesrechtlich festgelegten Mindestschülerzahl die in staatlicher Trägerschaft befindlichen öffentlichen Schulen, während Art. 7,3 GG eine Ausnahme für bekenntnisfreie Schulen vorsieht, die auf Antrag der Eltern eingerichtet werden können. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis kann nicht umgekehrt werden. Der Religionsunterricht ist gemäß Art. 7,3 GG ordentliches Lehrfach und damit ein wissenschaftliches Fach, das am schulischen Bildungsauftrag teilhat, sich von ihm her begründet und ihn mit erfüllt. Der Religionsunterricht ist damit integraler Bestandteil der Stundentafel und darf nicht ausschließlich in Eck- und Randstunden unterrichtet werden. Wenn sich der Religionsunterricht durch seinen Charakter als ordentliches Lehrfach auf Augenhöhe mit den anderen Fächern befindet, muss er dies in seinem wissenschaftlichen, didaktischen und methodischen Niveau sowie in der Leistungsbeurteilung auch einlösen; denn nach Art. 7,3 GG ist der Religionsunterricht benotungsfähig und die Länder können seine Versetzungsrelevanz festlegen (Meckel, 2011a, 270-273). Bereits im Jahr 1973 hat das Bundesverwaltungsgericht dem kerygmatischen Konzept der Katechese in der Schule eine Absage erteilt (Bundesverwaltungsgericht, 1974, 350).

Der Staat trägt als Veranstalter die Sach- und Personalkosten und muss daher auch für entsprechende universitäre Ausbildungsstätten sorgen. Religionslehrerinnen und Religionslehrer haben unabhängig vom Beschäftigungsverhältnis Sitz und Stimme in der Lehrerkonferenz. Der Religionsunterricht unterliegt gemäß Art. 7,1 und 3 GG der staatlichen Schulaufsicht. Aufgrund der staatlichen Neutralität verankert Art. 7,3 GG das sogenannte Übereinstimmungsgebot mit den Grundsätzen der jeweiligen Religionsgemeinschaft. Das Übereinstimmungsgebot weist der Religionsgemeinschaft die Bestimmung über die Inhalte des Religionsunterrichts, die Erteilung der Lehrerlaubnis, die Entscheidung über die Teilnahme konfessionsloser oder konfessionsfremder Schüler sowie ein Einsichtsrecht in den Religionsunterricht zu (Meckel, 2011a, 273-288).

3.2. Der moderne Verfassungsstaat und der Religionsunterricht

Geschichtlich hat sich im modernen europäischen Verfassungsstaat ein wichtiger Grundsatz mit unterschiedlicher Umsetzungstiefe herausgebildet, der das Verhältnis von Staat und Kirche beziehungsweise Religionsgemeinschaft bestimmt. Nach Gerhard Robbers gibt es einen ersten Typus, der Züge von Staatskirchentum trägt (wie in England, Dänemark, Griechenland, Schweden und Finnland), einen zweiten, der durch striktes Trennungsdenken gekennzeichnet ist (Frankreich – bis auf Elsass-Lothringen – und die Niederlande) und einen dazwischen liegenden dritten, der eine grundsätzliche Trennung von Staat und Kirche beziehungsweise Religionsgemeinschaft umsetzt bei gleichzeitiger Anerkennung wechselseitiger Aufgaben (Robbers, 1995, 352; Lindner, 2008, 246). Die verfassungsrechtliche Bestimmung der Tiefe des Trennungsgrundsatzes muss mit der tatsächlichen wechselseitigen Einflussnahme von Staat auf die Religionsgemeinschaften gegengelesen werden, die im Lebensalltag davon abweichen kann. Zudem ist die Trennung des Individuums und der Gesellschaft von Staat und Religionsgemeinschaft zu beachten (Heckel, 1997). Durch eine Analyse dieser Trennungssysteme gelingt es, die tatsächlichen Spielräume zu ermitteln, die religiöse Bildung und Erziehung im modernen Verfassungsstaat haben. Laizistische Systeme, wie in Frankreich, wo es nach wie vor keinen Religionsunterricht im öffentlichen Schulsystem gibt, haben zwar häufig den Charakter einer stillen Koexistenz von Staat und Religionsgemeinschaften, jedoch können hier gesellschaftliche Beiträge der Religionsgemeinschaften beziehungsweise des Individuums unter Entfaltung der Religionsfreiheit nur bedingt wahrgenommen beziehungsweise entfaltet werden (Lindner, 2008, 250). Kooperationssysteme, die eine ausbalancierte Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften pflegen, wie in Deutschland, haben den Vorteil, dass sie Selbstständigkeit – im Sinne der Entfaltung der positiven Religionsfreiheit – und Handlungsspielräume für beide Seiten garantieren (Lindner, 2008, 250), wenn Individualrechte, Institutionen und Staatsrecht miteinander vereinbart werden sollen. Das Dilemma für den modernen Verfassungsstaat entsteht an der Stelle, dass der weltanschaulich neutrale und demokratische Staat auf die Werte angewiesen ist, die er selbst aufgrund seiner Neutralität nicht aktiv entfalten und damit garantieren kann. Daher spricht der ehemalige Verfassungsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde von einer balancierten Trennung (Böckenförde, 1991, 112). Der Religionsunterricht stellt ein solches Bindeglied im Sinne einer kooperativen Trennung von Staat und Religionsgemeinschaft dar. Die Garantie des Religionsunterrichts in Deutschland als konfessionell verankertes ordentliches Schulfach an der öffentlichen Schule erfüllt den Grundsatz staatlicher Neutralität, da er „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt wird“ (Art. 7,3 GG): „Zum einen lässt sich der Religionsunterricht an der öffentlichen Schule als Einrichtung verstehen, die dem Wunsch der Eltern und Schüler nach einer religiös-weltanschaulichen Erziehung entgegenkommt […]. Zum anderen ordnet sich der Religionsunterricht in den staatlichen Erziehungs- und Bildungsauftrag ein: da die Einstellung zu Religion und Weltanschauung ein wichtiges Element der individuellen Persönlichkeitsentwicklung darstellt, der Staat aber auf diesem Gebiet neutral zu sein hat und daher insoweit keinen authentischen Erziehungs- und Bildungsauftrag leisten kann, besteht ein möglicher Ausweg darin, einen derartigen Unterricht unter Beteiligung der Religionsgemeinschaften in die öffentliche Schule zu integrieren“ (Huster, 2002, 350f.). Damit stellt der Religionsunterricht eine adäquate Form der Wahrnehmung positiver Religionsfreiheit dar, mit seiner Abmeldemöglichkeit kommt er dem Recht auf negative Religionsfreiheit nach.

3.3. Länderregelungen zum Religionsunterricht

Der Art. 141 GG nimmt alle Länder von der Verpflichtung, Religionsunterricht an öffentlichen Schulen einzurichten, aus, in denen „[…] am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand“. Auf diese Ausnahme können sich die Länder Bremen, das das geschichtliche gewachsene Fach Biblische Geschichte auf allgemein christlicher Grundlage anbietet und Berlin, das Religionsunterricht nur als Wahlfach vorsieht, rechtmäßig berufen, während sich weder das Land Brandenburg, das das Fach LER eingerichtet hat, noch Hamburg rechtmäßig auf Art. 141 GG berufen können (Meckel, 2011a, 325-342). In Hamburg gab es von Anfang der BRD an keinen katholischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Im Gegenzug beteiligte der Stadtstaat Hamburg sich an der Finanzierung des katholischen Religionsunterrichts an katholischen Privatschulen. Aufgrund der multireligiösen Situation in Hamburg war es bereits schwierig einen flächendeckenden evangelischen Religionsunterricht anzubieten. Es hat sich ein überkonfessioneller Religionsunterricht entwickelt, der sich als Religionsunterricht für alle in evangelischer Verantwortung versteht und sich auf Art. 7,3 GG berufen möchte. Formal fungiert die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche bzw. die Gemischte Kommission Schule/Kirche als Ansprechpartner gegenüber dem Staat. Faktisch nimmt der Gesprächskreis Interreligiöser Religionsunterricht in Hamburg, an dem viele Religionen außer die katholische Kirche beteiligt sind, diese Aufgabe z.B. die Erstellung der Lehrpläne etc. wahr. Der interreligiöse Religionsunterricht möchte zur Dialogfähigkeit der Schüler beitragen. Wie dies ohne Standpunkt gelingen soll, wird nicht geklärt. Es liegt auf der Hand, dass der Hamburger Religionsunterricht für alle die Anforderungen des Art. 7,3 GG nicht erfüllt hinsichtlich der Konfessionalität und der Verantwortung durch eine konkrete Religionsgemeinschaft und des legitimierten Ansprechpartners, der für alle Beteiligten sprechen kann (Meckel, 2011a, 342-349).

Die Bundesländer Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen sehen aufgrund der religionssoziologischen Situation Religionsunterricht und Ethikunterricht als ordentliche Lehrfächer vor. Der aus Art. 7,3 GG ableitbare Pflichtfachcharakter des Religionsunterrichts ist mit der Regelung im Bundesland Sachsen-Anhalt vereinbar, das Religions- und Ethikunterricht als Wahlpflichtfach eingerichtet hat. Die Länder Thüringen, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sehen nach Abmeldung vom Religionsunterricht als Ersatzfach Ethikunterricht bzw. in Mecklenburg-Vorpommern Philosophieren mit Kindern für diese Schüler vor, das in diesem Bundesland mit dem Religionsunterricht in einer Fächergruppe vereint ist. Die vom Reichsgesetz über die religiöse Kinderziehung von 1921 festgesetzte Religionsmündigkeit ab 14 Jahren wird nur in den Ländern Bayern und dem Saarland auf 18 Jahre erhöht, sodass eine Abmeldung bis zu diesem Alter nur von den Eltern vorgenommen werden kann. Die Länder Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen verpflichten auch private Schulen zur Einrichtung von Religionsunterricht. Diese Bestimmungen wie auch die erhöhten Altersgrenzen der Religionsmündigkeit kollidieren mit den bundesrechtlichen Rahmenvorgaben (Meckel, 2011a, 304-325).

Art. 7,3 GG geht von der Verantwortung des Religionsunterrichts durch eine konkrete Religionsgemeinschaft aus, die ein Verband zur allseitigen Erfüllung eines religiösen Bekenntnisses darstellen muss, eine rechtliche Gestalt hat und am allgemeinen Rechtsverkehr teilnimmt. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ist nicht notwendig. Vor diesem Hintergrund zeigt sich, dass Art. 7,3 GG kein Privileg der Kirchen normiert. Faktisch werden die mit dem Körperschaftsstatus verbundenen Kriterien der Verfassungstreue, der Gewähr der Dauer in Bezug auf Mitglieder und Verfassung angelegt, da der Staat angesichts des hohen Aufwandes bei der Einrichtung von Religionsunterricht, die Gewähr der Dauerhaftigkeit sowie eines legitimierten Ansprechpartners bedarf, der gegenüber dem Staat die Grundsätze der Religionsgemeinschaft vertreten kann. Wenn muslimische Gemeinschaften diese Kriterien erfüllen, steht der Einrichtung eines islamischen Religionsunterrichts nichts entgegen. Da die Muslime nicht über Mitgliederregister und eine hierarchische Autorität verfügen, die verbindlich für die Gemeinschaft sprechen kann, wurde nach Lösungen für diese Probleme gesucht. Dachverbände können, wenn sie für all ihre Mitglieder sprechen können, die Funktion des Ansprechpartners gegenüber dem Staat erfüllen (Meckel, 2011a, 278-286). Das Land Nordrhein-Westfalen hat sich für die Beiratslösung entschieden, in dem muslimische Verbände aber auch nichtorganisierte Muslime vertreten sind, sodass der Beirat gegenüber dem Staat als Ansprechpartner fungiert. Die in Nordrhein-Westfalen realisierte Beiratslösung steht in Spannung zu den verfassungsrechtlichen Prinzipien der Neutralität und der Parität sowie zu Art. 7,3 GG, der von einer Anerkennung als Religionsgemeinschaft ausgeht. Zudem ist die Mitwirkung von nichtorganisierten Muslimen im Beirat problematisch. Es lässt sich nicht der Eindruck verwehren, dass der Staat bzw. das zuständige Ministerium eine zu aktive Rolle spielt, die mit dem Übereinstimmungsgebot von Art. 7,3 GG als nicht vereinbar erscheint. Fragwürdig ist auch, ob die experimentelle Einrichtung für acht Jahre nicht eine Faktenlage schafft, die die rechtlichen Bedenken bei einer Neuentscheidung über das Modell nach Ablauf des Projekts überholt. Hessen geht einen anderen Weg als Nordrhein-Westfalen, indem es keine neue Rechtslage schafft, sondern auf der Grundlage der bestehenden Rechtslage Ahmadiyya Muslim Jamaat in der BRD e.V und DITIB Landesverband Hessen e.V. als Religionsgemeinschaften anerkannt und auf dieser Grundlage konfessionellen islamischen Religionsunterricht gemäß Art. 7,3 GG eingeführt hat. Während die Ahmadiyya alle Voraussetzungen als Religionsgemeinschaft erfüllt, sind bei der DITIB in Bezug auf die Unabhängigkeit von der türkischen Religionsbehörde und der fragwürdigen allseitigen Erfüllung eines religiösen Bekenntnisses berechtigte Bedenken anzumelden.

3.4. Religiöse Bildung im Europarecht

Religiöse Bildung und Erziehung hat sich in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union geschichtlich sehr unterschiedlich ausgeprägt. Vergleicht man die drei Verfassungen von Deutschland, Frankreich und Griechenland miteinander, so wird ersichtlich, wie unterschiedlich der Trennungsgrundsatz von Staat und Religionsgemeinschaft dort jeweils umgesetzt wurde (vgl. Abschnitt 3.2). Im EU-Verfassungsentwurf wird dieser Tatsache subsidiär und korporationsrechtlich Rechnung getragen: „Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht“ (Europäischer Konvent, 2003, 67). Hier wird auf ein Mehrebenenrecht Bezug genommen, das Gesetzmäßigkeiten auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts mit denen der Mitgliedstaaten ausbalancieren soll. Der Religionsunterricht ist mit folgendem Artikel vorbehaltlos individualrechtlich und entfaltungsrechtlich geschützt: „Jeder Mensch hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen“ (Europäischer Konvent, 2003, 88). Der rechtliche Rahmen ist damit zwar entsprechend der jeweiligen Verfassung des Mitgliedstaates gesetzt. Bildungspolitisch zeichnen sich jedoch bereits Maßnahmen ab, die diese Balance stören und damit die Erhaltung vielfältiger Bildungstraditionen in den einzelnen Mitgliedstaaten gefährden könnten (zum Beispiel in Bezug auf Elternrechte und Bildungsfreiheit oder hinsichtlich des Lehrer- und Lehrerinnendienstrechts an konfessionellen Privatschulen, Lindner, 2008, 310-314). Diese Gefahr entsteht auch dadurch, dass die Schrankenregelung, die in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthalten ist, im EU-Verfassungsentwurf fehlt. Dort heißt es: „Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“ (Classen, 2003, 634). Eine explizit primärrechtliche Verankerung der Religionsgemeinschaften als europäische Akteure im Sinne von Art. 7,3 GG für den Religionsunterricht lässt der Verfassungsentwurf vermissen. Dieser war gerade durch die Europäische Bischofskonferenz und die Konferenz europäischer Kirchen in Bezug auf die korporative Religionsfreiheit gefordert worden (Lindner, 2008, 308). Gleichwohl erkennt Hans Michael Heinig im Europarecht bereits drei Grundpfeiler eines europäischen Religionsrechts: „[Die] Freiheit der Religionsausübung, [die] Gleichheit aller religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisse sowie [die] Anerkennung der öffentlichen Wirkung und des öffentlichen Wirkens von Religion“ (Heinig, 2003, 82). Diese drei individual-, kollektiv- und korporativrechtlich verankerten Grundsäulen ermöglichen damit die Freiheit, Gleichheit und die Partizipation religiöser Bildung und Erziehung in der demokratischen Gesellschaft.

4. Ausblick – Gestaltungsräume eröffnen für neuere Entwicklungen des Religionsunterrichts

Der Religionsunterricht findet am Ort der Schule und unter den Bedingungen der Schule statt. Daher sollte man die gewonnene Unterscheidung von Katechese, Religionsunterricht und Schulpastoral nicht verwischen bzw. zugunsten einer Rekatechetisierung des Religionsunterrichts aufgeben. „Nur durch die klare Unterscheidung und nicht durch den Verlust ihrer Kontur werden Religionsunterricht, Katechese und Schulpastoral ihren aus den jeweiligen Bedingungen folgenden Möglichkeiten und Chancen gerecht, Orte der Reflexion und der Erfahrung des Glaubens zu sein“ (Meckel, 2011, 369). Die Konfessionaliät bzw. die Standpunktgebundenheit gehört bei aller Möglichkeit der Modifikation nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum unaufgebbaren Kern des Verfassungsrechtsbegriffs Religionsunterricht nach Art. 7,3 GG, da der neutrale Staat ein genuines Interesse an diesem standpunktgebundenen Unterricht hat, den er selbst nicht leisten kann. Der Verfassungsrechtsbegriff ist abgesehen von diesem Kern in die Zeit hinein offen, es ist dem neutralen Staat aber verwehrt etwa aus ökonomischen Gründen Ökumene zu treiben bzw. einen ökumenischen oder interreligiösen Religionsunterricht zu urgieren. Die Ökumene unterfällt dem Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften. Sollten diese ihre Lehrunterschiede für überwindbar halten und auf der Grundlage eines gemeinsamen Bekenntnisses Religionsunterricht verantworten, müsste der neutrale Staat dies hinnehmen. Die konfessionelle Homogenität der Schüler lässt sich aus dem Verfassungsrechtsbegriff Religionsunterricht nicht als zwingend herleiten. Daher ist der konfessionell-kooperative Religionsunterricht in Baden-Württemberg oder Niedersachsen aufgrund seiner konfessionellen Erteilung mit dem Konfessionalitätsprinzip des Art. 7,3 GG vereinbar. Konfessionalität ist nicht mit Konfessionalismus zu verwechseln. Konfessionellem Religionsunterricht ist eine ökumenische und interreligiöse Dimension inhärent. Dennoch ist „ein authentischer und fruchtbarer Dialog und Perspektivenwechsel […] nur von einem eigenen klaren Standpunkt und nicht von einer metatheoretischen Vogelperspektive aus möglich“ (Meckel, 2011a, 369). Die fortschreitende Einführung von islamischem Religionsunterricht zeigt, dass Art. 7,3 GG kein Privileg der Kirchen darstellt und dass der konfessionelle Religionsunterricht Zukunft hat. Die Konfessionalität ist daher das Dialogprinzip eines Religionsunterrichts für die Zukunft, der den rechtlichen Rahmen beachtet und zugleich dessen Spielräume nutzt.

Ökumene im Sinne des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen und Religionsgemeinschaften wird in Formen interkulturellen, interreligiösen und interkonfessionellen Lehrens und Lernens sichtbar und erlebbar. In diesen Formen begegnen sich Unterrichtende und Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Konfessionszugehörigkeit. Der eigene Lebens- und Glaubensweg kann im Austausch mit den anderen reflexiv geklärt werden (Biesinger/Münch/Schweitzer, 2008, 16). „Gemeinsamkeiten stärken – Unterschieden gerecht werden“ (Schweitzer u.a., 2002) stellt einen programmatischen Titel dieses gesamten Feldes dar, der im Sinne von Identitätsbildung und Verständigung mit den Anderen (Kirchenamt der EKD, 2013, 16-32) Grundlage für den Bildungsauftrag und die Bildungs(mit)verantwortung von Individuen und Religionsgemeinschaften im Staat und in Europa werden kann.

Literaturverzeichnis

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