Religionsunterricht in Österreich
(erstellt: Februar 2019)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Religionsunterricht_in_sterreich.200638
1. Grundlegende Aspekte
In Österreich wird ein konfessioneller Religionsunterricht angeboten, für den auf je spezifische Weise die Kirchen/Religionsgesellschaften sowie der Staat zuständig sind (Jäggle/Klutz, 2013). Dementsprechend heißt es im Religionsunterrichtsgesetz Art. 2 Abs. 1: „Der Religionsunterricht wird durch die betreffende gesetzlich anerkannte Kirche oder Religionsgemeinschaft besorgt, geleitet und unmittelbar beaufsichtigt. Dem Bund steht jedoch [...] das Recht zu, durch seine Schulaufsichtsorgane den Religionsunterricht in organisatorischer und schuldisziplinärer Hinsicht zu beaufsichtigen.“
Insbesondere sind die Kirchen bzw. die Religionsgemeinschaften auch für die inhaltliche Gestaltung des Religionsunterrichts zuständig, wobei in Österreich keineswegs wie im katechetisch geprägten Religionsunterricht der Visegrád-Staaten (Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn) dogmatische, liturgische und ethische Aspekte dominieren (Jäggle/Rothgangel/Schlag, 2013). Vielmehr liegt in Österreich zugleich eine grundlegende Orientierung an Schülerinnen und Schülern vor und nimmt der Dialog mit anderen Konfessionen (→ Konfession(en)
2. Rechtliche Aspekte
Alle gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften in Österreich besitzen das Recht, einen Religionsunterricht anzubieten (ausführlich dazu Schwarz, 2006). Zurzeit gibt es 16 Religionsgesellschaften, die einen konfessionellen Religionsunterricht erteilen dürfen. In alphabetischer Reihenfolge sind dies die
-
Alevitische Glaubensgemeinschaft in Österreich (ALEVI)
, -
Altkatholische Kirche Österreichs
, -
Armenisch-apostolische Kirche in Österreich
, - Evangelische Kirche Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses,
-
Evangelisch-methodistische Kirche in Österreich (EmK)
, -
Freikirchen in Österreich
, -
Griechisch-orientalische (=orthodoxe) Kirche
, -
Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich
, -
Israelitische Religionsgesellschaft
, -
Jehovas Zeugen in Österreich
, -
Katholische Kirche
, -
Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) in Österreich
, -
Koptisch-orthodoxe Kirche in Österreich
, -
Neuapostolische Kirche in Österreich
, -
Österreichische Buddhistische Religionsgesellschaft
sowie die -
Syrisch-orthodoxe Kirche in Österreich
(zum jeweiligen Überblick Bundesministerium, o.J.a).
Die zunehmende Anzahl gesetzlich anerkannter Religionsgemeinschaften dokumentiert in positiver Hinsicht die religiöse Pluralität in Österreich. Gleichwohl besteht ein schulorganisatorischer Nachteil darin, dass – jenseits des katholischen Religionsunterrichts – für kleinere Religionsgesellschaften die ohnehin schon schwierige Gruppenbildung für den Religionsunterricht durch weitere Abspaltungen nochmals erschwert wird. Dabei haben die religiösen Rechte von Minderheiten in Österreich einen hohen Stellenwert. So dürfen Minderheiten schulübergreifend Religionsgruppen bilden, wobei vom Staat ab drei Schülerinnen und Schülern eine Stunde Religionsunterricht und ab zehn Schülerinnen und Schülern zwei Stunden Religionsunterricht finanziert werden. Dies stellt eine wichtige Finanzierungsquelle für Kirchen und Religionsgemeinschaften dar. Der Religionsunterricht ist ein Pflichtgegenstand für Schülerinnen und Schüler einer Religionsgemeinschaft, wobei diese gerade aufgrund des Minderheitenschutzes nur den Religionsunterricht ihres Glaubens besuchen dürfen. Ansonsten könnte aus organisatorischen Gründen der Druck entstehen, dass sie den Religionsunterricht der Mehrheitskonfession besuchen sollen. Für Schülerinnen und Schüler ohne Bekenntnis ist der Religionsunterricht ein Freigegenstand, was Georg Ritzer (2003) zu dem griffigen Titel „Reli oder Kaffeehaus?“ führte, da kein Ethikunterricht oder Ähnliches für die vom Religionsunterricht abgemeldeten Schülerinnen und Schüler als verpflichtendes Ersatz- oder Alternativangebot besteht.
3. Kontextuelle Aspekte
Religionsunterricht im religiös pluralen Wien findet einen anderen Kontext vor als in katholischen Regionen Österreichs. Da aktuell keine religiösen Daten mehr von Seiten des Staates erhoben werden, basieren – unabhängig von den Selbstauskünften der Religionsgemeinschaften sowie gegenwärtigen Schätzungen – die letzten verlässlichen Zahlen aus dem Jahre 2001. Bereits damals zeigte sich eine deutliche Differenz zwischen Wien und Gesamtösterreich: Fast drei Viertel der österreichischen Bevölkerung gehörten der katholischen Kirche an (73,6 %, 5.915.421 Personen), während in Wien nur jede zweite Person römisch-katholisch (49,2 %) war. Umgekehrt lag 2001 die Zahl von muslimischen Personen in Österreich insgesamt bei 4,2 % (338.988 Personen), in Wien jedoch bei 7,8 %. Auch die Zahl orthodoxer Christen war in Wien (5,8 %) entschieden höher als insgesamt in Österreich (2,3 %). Allein die Evangelische Kirche Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses wies zahlenmäßig keine Unterschiede auf, da ihr in Wien wie in Österreich (376.150 Personen) jeweils 4,7 % angehörten.
Vergleicht man dies mit den Selbstauskünften der katholischen und evangelischen Kirche Ende 2017 (Statista - das Statistik-Portal, 2018), so ist bei beiden zwischenzeitlich ein beachtlicher Rückgang festzustellen, weil die Gesamtzahl katholischer Personen auf 5,11 Millionen Personen (57,9 % der Gesamtbevölkerung) und die von evangelischen auf ca. 298.000 Personen gesunken ist (3,4 % der Gesamtbevölkerung). Hinsichtlich der gegenwärtigen Zahl muslimischer Personen in Österreich gehen Schätzungen von rund 700.000 Personen aus. In jedem Fall haben diese genauso wie Angehörige der orthodoxen Kirchen zahlenmäßig die Evangelische Kirche Augsburgischen und Helvetischen Bekenntnisses in den letzten zehn Jahren weit überholt. Nicht zu vergessen ist der Blick auf Menschen jüdischen Glaubens: Die meisten der 10.000-16.000 Jüdinnen und Juden Österreichs (0,1-0,2 %) leben in Wien; führt man sich vor Augen, dass im Jahre 1910 fast 200.000 Jüdinnen und Juden in Wien lebten, führt dies erschreckend die Zäsur der Naziherrschaft vor Augen.
Praktisch kann dies bedeuten, dass es Schulen (→ Schule
4. Didaktische Aspekte
Auf den ersten Blick mag es überraschen: Aber Österreich besitzt eigentlich ein besonderes Potential für eine zukunftsträchtige Lösung konfessionellen Religionsunterrichts, das sich sonst in Europa nicht findet. Es wurde nämlich im Blick auf das Selbstverständnis, den Auftrag und die Zielsetzung eine entscheidende Weichenstellung für die Zukunft gelegt, da sich alle für den Religionsunterricht zuständigen Kirchen und Religionsgemeinschaften Österreichs für die Matura sowie kurze Zeit darauf für die Sekundarstufe II auf ein gemeinsames religiöses Kompetenzmodell mit 14 Kompetenzen einigen konnten (Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, 2012, besonders 9-11). Diese werden in fünf Abschnitten gegliedert: „Wahrnehmungskompetenz [...] Religiöse Sach- und Darstellungskompetenz [...] Interkulturelle und interreligiöse Kompetenz [...] Ethische Deutungs- und Urteilskompetenz [...] Lebensweltliche Anwendungskompetenz [...]“ (Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, 2012, 10-11).
Somit besteht in Österreich ein konfessions- und religionsübergreifender Konsens, wodurch sich religiös kompetente Schülerinnen und Schüler auszeichnen. Diese religiösen Kompetenzen werden aber nicht durch eine neutrale → Religionskunde
Keineswegs geht es darum, dass der Religionsunterricht unkritisch einem funktionalen Kompetenzbegriff folgen würde. Gerade im Blick auf die Schulentwicklung ist aus bildungstheoretischen wie auch aus rechtfertigungstheologischen Gründen ein Punkt sehr wichtig, der wiederum aus dem Volksschullehrplan katholische Religion zitiert sei: „In diesem Zusammenhang kommt dem Religionsunterricht aber auch die Aufgabe eines kritischen Korrektivs in der Schule zu, indem er darauf besteht, dass es in der Schule nicht bei der Förderung funktional wertvoller Fähigkeiten und Fertigkeiten bleiben kann. Menschen gehen nicht in ihren Kompetenzen und Leistungen auf, sondern besitzen Eigenwert und spezifische Würde. Durch diese Kultur der vorgängigen Anerkennung kann Schule zu einem förderlichen Lebensraum für alle werden.“ (Interdiözesanes Amt für Unterricht und Erziehung, 2013, 6). Zugleich stellt das für den Religionsunterricht in Österreich entwickelte Kompetenzmodell eine hervorragende Basis für zukunftsweisende Reformen dar, wie etwa für einen Wahlpflichtbereich Religion und Ethik mit gemeinsamen und getrennten Phasen, der in seinen gemeinsamen Phasen im Teamteaching unterrichtet werden könnte.
5. Herausforderungen und Perspektiven
In Anbetracht des Anstiegs von Schülerinnen und Schülern ohne Bekenntnis sowie der zunehmenden religiösen Pluralisierung stellt sich die Frage nach der organisatorischen Gestalt des Religionsunterrichts sowie verschärft nach einem Alternativfach für den Religionsunterricht. Große öffentliche und politische Aufmerksamkeit hat der Schulversuch Ethik gefunden, weil in Österreich Ethik bzw. Philosophie (→ Philosophie, philosophische Bildung
Ein weiterer Punkt betrifft unmittelbar die Gestaltung des konfessionellen Religionsunterrichts. Angesichts der zunehmenden religiösen Pluralisierung wurde in Wien ab 2002/03 das Projekt KoKoRu (→ konfessionell-kooperativer Religionsunterricht
Vereinzelt wird in Österreich auch für eine Aufgabe des konfessionellen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen und für die Etablierung eines religionskundlichen Faches wie Ethik und Religionen plädiert (Die Presse, 2015). Vor diesem Hintergrund haben die beiden theologischen Fakultäten der Universität Wien ein gemeinsames Positionspapier verabschiedet, in dem sie u.a. das Modell einer Fächergruppe Religion/Ethik/Philosophie vorschlagen (Schelkshorn, Johann/Lehner-Hartmann, Andrea/Rothgangel, Martin, 2014). Es wird sich zeigen, wie lange ein Aussitzen dieser konzeptionellen Herausforderungen insbesondere von politischer Seite, aber auch von Kirchen und Religionsgemeinschaften noch möglich sein wird, um konfessionellen Religionsunterricht ohne strukturelle Kooperation und ohne Alternativfach durchführen zu können.
Literaturverzeichnis
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- Ritzer, Georg, Reli oder Kaffeehaus. Eine empirische Spurensuche nach Einflussfaktoren zur Beteiligung am und Abmeldung vom Religionsunterricht bei über 1500 SchülerInnen. Mit einer Handreichung zur Evaluierung der Einflussfaktoren an Schulen, Thaur 2003.
- Schelkshorn, Johann/Lehner-Hartmann, Andrea/Rothgangel, Martin (Hg.), Der Stellenwert von Religion und Ethik in einer modernen Gesellschaft. Interfakultäres Positionspapier zur gegenwärtigen Debatte über den Ethikunterricht in Österreich, o.O. 2014. Online unter: https://ktf.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/f_ktf/2016/FSP_Ethik/Positionspapier_2016_Ethik_Religion.pdf
, abgerufen am 09.08.2017. - Schwarz, Karl, Konfessionelle Minderheiten in der Schule. Der Religionsunterricht – ein Seismograph für die Gewährleistung religiöser Interessen in der Gesellschaft, in: Breitsching, Konrad/Rees, Wilhelm, Recht – Bürge der Freiheit, Berlin 2006, 1003-1020.
- Statista - das Statistik-Portal (Hg.), Anzahl der Gläubigen von Religionen in Österreich im Zeitraum 2012 bis 2018, o.O. 2018. Online unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/304874/umfrage/mitglieder-in-religionsgemeinschaften-in-oesterreich/
, abgerufen am 15.07.2018. - Van Dellen, Alexander, Ist der konfessionelle Religionsunterricht in Österreich zukunftsfähig? Einblicke in die Situation, in aktuelle Herausforderungen und mögliche Perspektiven religiöser Bildung an öffentlichen Schulen, in: Zeitschrift für Religionspädagogik 15 (2016) 1, 153-172.
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