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Religionsbuch, evangelisch

(erstellt: Januar 2015)

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1. Unterscheidungen

Religionsbücher sind buchförmige Medien zur Initiierung und Unterstützung → religiöser Bildungsprozesse. Da die Erfindung der Buchdruckkunst und die → Reformation zeitlich nah beieinander liegen, kann man sagen, dass die Religionsbücher von Anfang an ein konfessionelles Gepräge haben, das heißt eine evangelische oder katholische Färbung. Gleichzeitig wird man aber sagen können, dass beide Religionsbuchlinien einander durchaus beeinflusst haben und dies immer noch tun.

Es lässt sich beobachten, dass sich zwei Gestaltformen des evangelischen Religionsbuchs unterscheiden lassen. Bereits in den Reformationstagen begegnen wir der Trias von → Katechismus, bebilderter Auswahlbibel (→ Kinder- und Jugendbibeln) und Spruchsammlung. Auf der Grundlage dieser Elemente wurden Religionsbücher verfasst, die mit Variationen bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts zum Teil in hohen Auflagen erschienen. Die religionspädagogische Wende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts brachte dann einen neuen Schulbuchtyp hervor, der – wie zu zeigen sein wird – seinerseits eine große Kontinuität bis heute zeigt. Die folgende Darstellung konzentriert sich auf die Entwicklung im deutschsprachigen Raum.

2. Zwei Idealtypen

Innerhalb der skizzierten Grundformen lassen sich aber Idealtypen im Weber‘schen Sinne ausmachen. Das heißt, dass wir dort die Merkmale, die für charakteristisch angesehen werden, besonders gut studieren können und die – dies ist ein weiteres wichtiges Argument – durch ihre hohe Auflage und Verbreitung bei den Rezipientinnen und Rezipienten ebenfalls den Eindruck erweck(t)en, hier einem typischen evangelischen Religionsbuch zu begegnen. Die Darstellung wird dadurch erleichtert, dass beide ins Auge gefassten Werke durch entsprechende wissenschaftliche Monografien gut erschlossen sind (Reents, 1984; Herrmann, 2012).

2.1. Hübners und Barths Kinderbibel

Martin Luther hatte mit seinem Passional (http://www.kb.dk/en/nb/tema/webudstillinger/luther/passion/index.html) den Prototyp einer bebilderten Bibelauswahl geschaffen. Dazu trat sein „Kleiner Katechismus“. Melanchthon hatte mit seinem Spruchbüchlein (1527/1900, 228-259) einen weiteren Beitrag zur Typologie evangelischer Religionsbücher geleistet. Ausgehend von diesen Modellen entstanden zahlreiche Varianten aus den genannten Elementen. Für die Illustration steuerten namhafte Künstler wie Albrecht Dürer, Matthäus Merian der Ältere und Julius Schnorr von Carolsfeld wichtige Bilder bei. Bei der Neuausgabe griffen Autoren immer wieder auf bereits vorhandene Werke zurück und beeinflussten einander so – über die Grenze der religiösen Grundorientierung und der Konfession hinaus (Reents/Melchior, 2011).

Christine Reents, die Pionierin in der Erforschung dieses Büchertypus‘, hat exemplarisch die „Zweymal zwey und fünfzig auserlesene Historien“ von Johann Hübner untersucht. Neben der Darbietung entsprechender biblischer Geschichten des Alten und Neuen Testaments enthält das Buch erschließende Fragen in der Katechismustradition, zielt bewusst aber auch auf die „Anwendung“ der Geschichten im Alltag (Reents, 1984, 190f.). Damit ordnet sich das Werk eher in eine aufklärerische Richtung ein. Dies hindert aber spätere Überarbeiter nicht daran, es in modifizierter Form auch in der pietistischen Tradition (→ Pietismus) zu benutzen. Die hier sichtbar werdende Zuordnung der biblischen Tradition zur Lebenswelt – in moralischer oder pädagogischer Absicht – offenbart damit Grundstrukturen, die letztlich Religionsbücher bis heute bestimmen.

Während Hübner sein Werk zu Beginn des 18. Jahrhunderts auf den Markt bringt, das viele Auflagen und Übersetzungen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts erfährt, ediert Christian Gottlob Barth ein gleichnamiges Werk etwas mehr als 100 Jahre später. Es erfährt zahlreiche Neuauflagen bis 1945. Interessanterweise stellt Barth, obwohl er den Titel übernimmt, keinerlei Bezug zu Hübner her (Schöllkopf, 2011, 113). Er nimmt die moralisierenden Passagen der Aufklärungszeit zurück. „Mit rund drei Millionen Exemplaren […] und mit 88 Übersetzungen gelten Barths biblische Geschichten als das am weitesten verbreitete ev. Buch“ (Reents/Melchior, 2011, 282). Die Kombination von nacherzählten biblischen Geschichten mit Bibelversen zur Vertiefung, Memoration und Auslegung blieb auch hier das bestimmende Gliederungsmerkmal. Der gemeinsame Titel beider angesprochenen Werke suggeriert eine Behandlung der entsprechenden biblischen Geschichten im Jahreslauf (das heißt in zwei Durchgängen).

Ein ähnlicher Best- und Longseller ist dann nach demselben Muster in modernerer Art auch Jörg Erbs „Schild des Glaubens“ (1948) mit Bildern von Paula Jordan. Diese Kinderbibel enthält auch eine Sammlung von Sprüchen zu jeder Perikope. Erarbeitet in der NS-Zeit (das heißt trotz bewusst kirchlicher Ausrichtung mit Einwirkungen des Zeitgeistes in Details der Bilder und einzelnen Formulierungen), kommt der große Erfolg in den Nachkriegsjahren (Reents/Melchior, 2011, 403-415).

2.2. Übergänge

Betrachtet man das Unterrichtsmaterial der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, dann begegnen neben Kinderbibeln wie der von Erb → Katechismus und Gesangbuch und dazu z.B. in Württemberg das Spruchbuch (Schnepper, 2012, 243-245). Diese Medien entsprachen dem Programm der damals konzeptionell bestimmenden → „Evangelischen Unterweisung“. Präzisiert man den Blick, dann richtet sich dieses Angebot auf die „Volksschule“, die allerdings die weit überwiegende Zahl der Schülerinnen und Schüler betraf. Bedenkt man die damals spätere Pubertät, dann wird verständlich, dass diese programmatische Konzentration auf biblisch-kirchliche Inhalte offensichtlich als angemessen empfunden wurde. Für die Gymnasien gab es dann auch eigene Schulbücher neben der Bibel (z.B. Börger, 1951, etwa für kirchengeschichtliche Inhalte Schuster, 1954).

Die Veränderungen der 60er und 70er Jahre wurden ausgelöst durch einen veränderten Blickwinkel. In den Gymnasien erwarteten die Lernenden und zunehmend auch die Lehrenden Inhalte und Präsentationsformen, die den Fragen und dem Lebensgefühl der Jugendlichen entsprachen. In dieser Zeit wurden dann auf breiter Front neue Unterrichtsmedien ausprobiert, die sich dann in den Religionsbüchern des neuen Typs niederschlugen. So entstanden Schulbücher, die die Bibeltradition – jetzt unter Einschluss exegetischer Erkenntnisse – weiterführten wie „Orientierung Religion“, neben Varianten, die in extremer Konsequenz dem Programm der → „Problemorientierung“ verpflichtet waren (Bilder + Wörter). Alle diese Bücher unterschieden sich bereits durch ihre Aufmachung und äußere Form deutlich von ihren Vorgängern. Statt Holzschnitten jetzt Fotos, Texte aus der Literatur und der Zeitung, ein Layout, das an die außerschulischen Lektüren der Jugendlichen angepasst war. Der Paradigmenwechsel im evangelischen Schulbuch war augenfällig und handgreiflich.

3. Das „Kursbuch“ als Prototyp moderner evangelischer Religionsbücher

Wie groß der Umbruch zu Beginn der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts in der → Religionspädagogik war, lässt sich gut an der neuen Generation von Schulbüchern erkennen. Vergleicht man etwa die erste Auflage des „Kursbuchs“ einerseits mit den früheren Religionsbüchern, andererseits mit der jüngsten Ausgabe, dann wird deutlich, dass ein deutlicher Bruch gegenüber der Vorgängergeneration festzustellen ist, gleichzeitig eine überraschende Kontinuität über 40 Jahre hinweg. Was charakterisiert die Religionsbücher der Kursbuchgeneration?

Aufgeschreckt durch die Krise des Religionsunterrichts gegen Ende der 60er Jahre wurde an mehreren Stellen in Deutschland versucht, ein theoretisch durchdachtes und praktisch erprobtes Konzept von Religionsunterricht zu entwickeln. In dieser Phase gab es eher themenbezogenes Material in Broschürenform, so dass die Frage aufkam, ob es überhaupt neuer Schulbücher bedürfe. In diesem Kontext entwarfen Kollegen der religionspädagogischen Institute in Baden-Württemberg ein Konzept, das einerseits die neuen Fragestellungen aufnahm – Fragen zur jugendlichen Lebenswelt und zu den politisch-gesellschaftlichen Fragen von Frieden, Gerechtigkeit und Ökologie –, gleichzeitig aber die biblische Tradition weiter pflegte – mit Themen wie → Gleichnisse, → Wunder, Propheten, Paulus (→ Paulus, bibeldidaktisch, Grundschule; → Paulus, bibeldidaktisch, Sekundarstufe). So entstand ein neuer Mainstream, der in der Schulbuchreihe „Das Kursbuch“ seinen Ausdruck fand. Die Reihe orientiert sich meist an den → Lehrplanthemen von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen und findet in dieser Konstellation in der Regel in allen Bundesländern außer Bayern Zulassung und Zustimmung. Mit einer jeweiligen verkauften Auflage pro Doppeljahrgangsband von über einer Million wird deutlich, wie exemplarisch diese Reihe für das evangelische Religionsbuch der Gegenwart ist (Herrmann, 2012, 17). Typisch für dieses Buch ist ein von Grafikern entworfenes Layout mit Anklängen an jugendliche Zeitschriften. In der Bildauswahl finden sich Fotos, Grafiken und zunehmend Bilder aus der Kunst – zum Teil auch der jeweiligen Klassiker der religionspädagogischen Moden. Bei den Textsorten sieht man neben Bibeltexten Sachtexte, Poesie und Originaltöne von Kindern und Jugendlichen. Stilbildend sind bei der Religionsbuchentwicklung generell die Ausgaben für die Sekundarstufe I. Die Buchreihe „Kursbuch“ ist – und das ist typisch für den Gesamttrend – entworfen vor allem für die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums und der Realschule. Dies gilt weitgehend auch für die Konkurrenzprodukte. Erst im Laufe der weiteren Entwicklung wurden (etwa beim Kursbuch) Ausgaben für die Sekundarstufe II und speziell für die Hauptschule und die Berufsschule entworfen. Vergleicht man die jeweiligen Neuauflagen, dann lassen sich die religionspädagogischen Diskurse der jeweiligen Zeit gut erkennen: Friedensthematik, konziliarer Prozess, die verstärkte Wahrnehmung erst des Judentums, dann des Islams. So wird auch hier die zunehmende Sensibilität im Hinblick auf die interreligiöse Perspektive (→ Interreligiöses Lernen) sichtbar.

Eine gewisse Irritation ging von der (katholischen) Schulbuchreihe von Hubertus Halbfas aus. Dieser hatte in seinem symboldidaktischen Programm (→ Symboldidaktik) vor allem auf einen hohen ästhetischen Standard, besonders was die Bildauswahl und -präsentation betrifft, Wert gelegt. Diesem Trend folgten dann unter anderem Schulbuchreihen wie „SpurenLesen“ sowie in eingeschränkter Form „Religion entdecken – verstehen – gestalten“ und in späteren Auflagen auch das Kursbuch. Mit der Orientierung an Kompetenzen (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht) kamen neue Perspektiven ins Spiel. Im Prinzip eröffnet die Orientierung an Kompetenzen dem Unterricht eine große Freiheit, wenn gewährleistet wird, dass dies bei den einzelnen Schülerinnen und Schülern zu Lernfortschritten führt. Insgesamt löst der Trend bei den Schulbuchmachern den Wunsch aus, den Lehrpersonen, gerade auch mit dem Schulbuch, eine eher enge Leitlinie an die Hand zu geben – gewissermaßen als Vergewisserung, bestimmte Ziele dann „sicher“ zu erreichen.

4. Die Frage von Öffnung und Schließung als Kernfrage für den Schulbucheinsatz im Religionsunterricht

Wirft man einen Blick auf den Schulbucheinsatz im Religionsunterricht, dann werden zwei Grundtypen offenbar. Reinhard Dross hat 1991 eine kleine Studie vorgelegt, die deutlich macht, dass in Bundesländern mit nicht vorhandener oder eingeschränkter Lernmittelfreiheit nur bedingt davon auszugehen ist, dass alle Schülerinnen und Schüler über ein eigenes Religionsbuch verfügen. Hier kommen dann bei Gelegenheit Klassensätze zum Einsatz. Der Hauptfokus der Schulbuchbenutzung liegt bei den Lehrpersonen. Diese übernehmen anhand der jeweiligen Aufbereitung in einem Schulbuch Stoffauswahl, Methode und Unterrichtsdramaturgie. Von daher erklärt sich auch die hohe Wertschätzung der mit den Schulbüchern publizierten Lehrerhandbücher. Es versteht sich von selbst, dass sich bei einem solchen Vorgehen die Lehrpersonen selten an ein Schulbuch binden, sondern die Materialien nach Bedarf kopieren. Etwas anders sieht es bei einer späteren Studie in Baden-Württemberg aus (Pietzonna, 1993). Während bei Dross Religionsbücher bei den Lehrerinnen und Lehrern nur bei 12% einen hohen Stellenwert genießen, waren es hier bei den Gymnasiallehrkräften immerhin 31% (Pietzonna, 1993, 123). Geschätzt wurde dort die enge Verknüpfung von Lehrplan, Lehrplankommentierung und Schulbuch (in der Fassung Kursbuch), die alle von einem weitgehend identischen Autorenkreis erarbeitet worden waren. Keinen Stellenwert hatte das Schulbuch bei dieser Untersuchung nur bei 22% der Lehrerinnen und Lehrer an Hauptschulen, 9% bei denen am Gymnasium. Auch wenn diese Studien inzwischen einige Jahrzehnte alt sind, so zeigen sich hier doch zwei typische Betrachtungs- und Umgangsweisen mit dem Religionsbuch.

Eine Möglichkeit – die bei Dross durchscheint – ist die des Material- und Ideenangebots, dessen man sich bei Bedarf bedient, um seinen eigenen Weg des Unterrichts zu gehen. Für diese Vorgehensweise gibt es dann auch explizite Materialsammlungen zu bestimmten Themen besonders für ältere Schülerinnen und Schüler. Prominent wären hier Reihen wie „Oberstufe Religion“ oder „Kompetent in Religion“ zu nennen, die mögliche Unterrichtswege dann erst im Lehrerband entfalten. Die erste Auflage von „SpurenLesen“ bietet ebenfalls ein sehr offenes Konzept, das den Lehrerinnen und Lehrern und vor allem auch den Lernenden eigene Wege durch das Materialangebot ermöglicht. Die Alternative bieten die anderen Schulbücher von Primarstufe und Sekundarstufe I, wie z.B. das angesprochene „Kursbuch“. Hier wird jedes angebotene Unterrichtsmaterial begleitet von einer Fülle von Leitfragen und Anregungen. Letzteres gilt dann auch besonders für offenere Arbeitsformen, das heißt Aufgabenstellungen, an denen einzelne Schülerinnen und Schüler oder aber Gruppen über eine bestimmte Zeit Erarbeitungen vornehmen.

Nun sind, dies zeigen die beiden erwähnten Studien, die Wege der einzelnen Lehrkräfte zum Teil sehr unterschiedlich. Spannend wird es dann, wenn die einzelnen Schulbücher beziehungsweise Reihen zugelassen werden sollen. Gab es im letzten Jahrhundert zum Teil noch Auseinandersetzungen wegen der theologischen beziehungsweise politischen Ausrichtung der Religionsbücher, so haben sich die Kontroversen heute stärker im Hinblick auf die didaktischen Konzepte verschoben. Dies ist nicht unproblematisch, weil die entsprechenden Richtlinien in der Regel stark auf bestimmte formale Aspekte bezogen sind, das heißt eine didaktische oder methodische Akzentuierung im strengen Sinne kein Bewertungskriterium sein dürfte. In der Praxis spielt dabei die Frage eine wichtige Rolle, wie viel Lenkung ein Schulbuch enthalten soll beziehungsweise darf. Es lässt sich leicht erahnen, dass die sogenannte Kompetenzorientierung diese Fragestellung nochmals zugespitzt hat.

5. Die Frage der Kompetenzorientierung als bestimmendes Element der jüngsten Schulbuchentwicklung

Seitdem im Jahr 2004 in Baden-Württemberg kompetenzorientierte → Curricula eingeführt wurden, sind die anderen Bundesländer dem gefolgt, so auch im Fach Evangelische Religionslehre. Für die Autoren und Verlage neuer Religionsbücher bedeutet das seitdem, dass diese „kompetenzorientiert“ sein müssen. Doch was heißt dies im Einzelnen? Wenn etwa für die Klasse sechs erwartet wird, dass ein (oder mehrere) Gleichnisse erzählt werden können, bedeutet das, dass plötzlich performative Kompetenzen neben solche des Wissens von Inhalten treten. Dazu tritt der Anspruch der Überprüfbarkeit. Vergleicht man zudem die Curricula der einzelnen Bundesländer, dann wird deutlich, dass einige sich mit vergleichsweise wenigen Kompetenzformulierungen begnügen, andere dagegen weiterhin einen Katalog von detaillierten Zielen formulieren (dies zeigt auch die Relativität der entsprechenden EKD-Vorgaben). Die wenigen empirischen Studien zum Kompetenzerwerb, z.B. zum Thema Christologie (Kraft, 2011; Roose, 2011; Benz, 2015), machen deutlich, dass der reale Kompetenzerwerb sich zum Teil deutlich von den am Schreibtisch entstandenen Kompetenzformulierungen unterscheidet. In dieser Situation stellt sich die Frage, was die Instanzen der Schulbuchzulassung und die Lehrkräfte von einem Religionsbuch erwarten (können). Da das Kompetenzkonzept die Wege zur Zielerreichung explizit nicht vorschreibt, wäre im Prinzip von einer großen Offenheit beim Materialangebot auszugehen. Andererseits stellt das Kompetenzkonzept die Anforderung, dass jede Schule und jede Lehrkraft einen eigenen Lernweg konzipiert und sich dann darauf festlegt. Dieser Prozess ist nun relativ anspruchsvoll und aus der Sicht der Lehrpersonen riskant. Insofern ist der Wunsch verständlich, im Schulbuch ein festes Geländer zu besitzen, an dem man sich orientieren kann. Problematisch wird es dann, wenn Zulassungsbehörden nun ihrerseits einen bestimmten Lernweg mit festgelegten Methoden vor Augen haben und diesen dann im Zulassungsverfahren fixieren wollen. Im Gegensatz zur katholischen Seite, wo es bei der Lehrmittelzulassung oft um theologische Kontroversen geht, entstehen diese evangelischerseits eher bei der beschriebenen Uneinigkeit im Hinblick auf bestimmte Methoden und Unterrichtverfahren. Dabei ist es bedeutungslos, ob die entscheidenden Prozesse in Gremien verhandelt werden, die stärker staatlich oder stärker kirchlich besetzt sind (hier gibt es zwischen den Bundesländern große Unterschiede).

In dieser Situation gibt es dann, wie im letzten Abschnitt angesprochen, eine eher öffnende oder eine eher schließende Vorgehensweise. Erste vertritt etwa ein Schulbuch wie „SpurenLesen 1-3“ (Büttner u.a., 1997ff.), in dem ein offenes Materialangebot verbunden ist mit expliziten Hinweisen zu Kompetenzen und Lernwegen beziehungsweise möglichen Ergebnishorizonten. Einen anderen Weg geht das Kursbuch Religion Sekundarstufe II (Rupp/Dieterich, 2014) mit einem im Schulbuch angelegten Lernweg, ausgehend von Anforderungssituationen, einem Check-in zu Beginn der Materialpräsentation und einem Check-out am Ende jedes Kapitels, dazu ein Methodenarsenal am Ende des Buches. Obgleich auch hier der Weg durch das Material (verbunden jeweils mit Leitfragen und Arbeitsaufgaben) im Prinzip sehr offen ist, wird die Absicht spürbar, einen bestimmten Lernweg zu habitualisieren. Dieser Gedanke ist insofern interessant, als er Lehrende und Lernende an ein bestimmtes, erwartbares Procedere bindet. Gerade dies kann den Schülerinnen und Schülern dann auch wieder Freiheitsgrade einräumen, weil sie sich innerhalb eines bestimmten Gerüsts bewegen. Eine Übertragung dieses Ansatzes für die Sekundarstufe I ist gerade im Gange. Die Frage bleibt dann immer, ob sich Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler an ein solches striktes Konzept binden wollen.

Dieses Problem zeigt sich generell bei Schulbüchern. Da die meisten von mehreren Autorinnen und Autoren verfasst sind, bildet sich normalerweise auch innerhalb eines bestimmten Konzeptes eine gewisse Pluralität des Vorgehens heraus. Damit unterscheiden sich die Kapitel zum Teil deutlich. Angesichts der Pluralität im Klassen- und Lehrerzimmer kann dies ein Vorteil sein gegenüber einem geschlossenen Konzept, wie es etwa die Schulbuchreihe des katholischen Religionspädagogen Hubertus Halbfas darstellt. Deren Geschlossenheit fasziniert – aber schreckt eben auch viele eher ab.

6. Wie lassen sich Schulbücher beobachten?

Die Schulbuchforschung (→ Schulbuchforschung) beobachtet Schulbücher unter verschiedenen Fragestellungen – so auch evangelische Religionsbücher (Überblick bei Herrmann, 2012, 6-15). Meist werden bestimmte Fragestellungen herausgehoben wie Prophetie (Borck, 1999) oder Christologie (Solymár, 2009). Zur Rolle der → Bilder liegen ausführliche Studien vor (Ringshausen, 1976; Wahn, 1989). Im Hinblick auf die interreligiöse Fragestellung ist die Behandlung des Islams das prominenteste Thema (Falaturi, 1986). Untersuchungen zu → Genderaspekten gibt es bislang kaum. Hier wird meist aus der Sicht der → Pädagogik oder → Theologien beobachtet, wie (gut) die einzelnen Schulbücher den wissenschaftlich formulierten Vorstellungen entsprechen. Perspektiven der Lehrenden sind (s.o.) eher selten, aus Schülersicht kaum in Betracht gezogen. Eine Beobachtung geschieht eher aus der Sicht derer, die für die Schulbuchzulassung zuständig sind (Graffmann, 1999). Spannend wäre eine solche Untersuchung aus der Sicht der jeweiligen Verlage (Macgilchrist, 2011).

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