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Problemorientierter Religionsunterricht

(erstellt: Februar 2016)

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Eine grundsätzliche Bemerkung soll diesen Ausführungen vorangestellt werden: Über die Praxis des problemorientierten Religionsunterrichts wissen wir einiges durch wissenschaftliche Untersuchungen von Schülermeinungen und Lehreransichten, nichts jedoch aus → empirischer Praxisforschung des Unterrichtsalltags. Gut bekannt, zugänglich und erforscht sind hingegen die intellektuellen Produktionen problemorientierter Religionspädagogik für Theorie und Praxis des Religionsunterrichts, auf die hier eingegangen werden soll.

1. Zeitgeschichtliche und fachliche Kontexte

Wer an die Problemorientierung denkt, erinnert sich zunächst an die 68er Schüler- und Studentenbewegung in Westdeutschland und ihre scharfe Kritik an Gesellschaft und Schule. Am Ende der Wirtschaftswunderzeit begann in der Bundesrepublik eine wirtschaftliche Phase, die zunehmend durch Konjunkturschwankungen, Inflation, Rohstoffkrise und Arbeitslosigkeit geprägt war. Davon war 1968 noch nichts zu spüren. Man lebte in der Wohlstandsgesellschaft der sechziger Jahre.

Dennoch zeigten sich Risse in der Gesellschaft: Der Geist außerparlamentarischer Opposition wehte der Großen Koalition aus CDU und SPD ins Gesicht. Die Verstrickungen in den US-Imperialismus und den Krieg in Vietnam wurden ebenso angeklagt wie die nicht vollzogene Aufarbeitung der Nazi-Geschichte der Elterngeneration. 1969 wurde mit Willy Brandt erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg ein Sozialdemokrat Bundeskanzler. Er versprach eine Neuausrichtung der deutschen Ostpolitik und unter dem Leitmotiv „Mehr Demokratie wagen“ grundlegende Sozial- und Gesellschaftsreformen.

Alle Wissenschaftsbereiche wurden von Theorien politischer und gesellschaftlicher Emanzipation beeinflusst. Hierfür waren die Arbeiten der philosophischen „Frankfurter Schule“ maßgeblich. Theodor Adorno und Max Horkheimer (Dialektik der Aufklärung, 1947), Ludwig Marcuse (Der eindimensionale Mensch, 1967) und Erich Fromm (Die Revolution der Hoffnung, 1971) unterstützten das kritische Aufbegehren vor allem der Studentinnen und Studenten und übernahmen eine wichtige wissenschaftliche Orientierungsfunktion auch für eine Religionspädagogik, die versuchte, den massiven Protesten entgegenzuwirken, die auf den Religionsunterricht zukamen. Mit lauten Tönen forderten radikale Schülergruppen die ‚massenweise Abmeldung‘ vom Religionsunterricht, der als rückständiges Kirchenprivileg kritisiert wurde.

Damit begann für die → Religionspädagogik eine Phase umfassender Neuorientierung. Eingeläutet durch die Frage Hans-Bernhard Kaufmanns 1966, ob die Bibel im Mittelpunkt des Religionsunterrichts stehen müsse, begann eine Ausrichtung des Faches auf gesellschaftskritische Emanzipation und persönliche Sinnfindung (Wiederabdruck in Kaufmann, 2003, 145-151). Der Religionsunterricht sollte durch Rezeption und Weiterentwicklung der Curriculum-Theorie, durch Kooperation mit Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften und durch Orientierung an einem übergreifenden Religionsbegriff stärker als Schulfach verankert werden. Vermeintlicher theologischer Ballast wurde zugunsten einer christlichen Reflexion von Sinn-, Lebens- und Wertfragen abgeworfen. Stoffverteilungspläne wurden abgeschafft, curriculare → Lehrpläne und Rahmenrichtlinien entstanden.

Der kritische Braunschweiger Theologe und Religionspädagoge Reinhard Dross fasste rückblickend in einer Übersicht Tendenzen zusammen, die in den einzelnen Ansätzen neuen religionspädagogischen Denkens auch kombiniert auftraten:

  • die Begründung des Religionsunterrichts von einem allgemeinen Religionsverständnis her
  • die – zumindest partielle – Nutzung des Religionsunterrichts für gesellschaftskritische Ansätze
  • die Integration des Religionsunterrichts in moderne pädagogische Entwicklungen
  • die Stärkung interkonfessioneller Zusammenarbeit
  • die Zuweisung sozial- und individualtherapeutischer Aufgaben an den Religionsunterricht
  • das Interesse an der Erarbeitung praxisorientierender Unterrichtsmodelle (vgl. Dross, 1981).

Es waren jedoch nicht unbedingt fachdidaktische und wissenschaftliche Theorien, die den Startpunkt problemorientierten Unterrichts kennzeichneten. Diesen gaben eher die damals bewegenden Lebensprobleme der Jugendlichen (oder zumindest was von ihren Lehrerinnen und Lehrern dafür gehalten wurde). Horst Gloy formulierte dies als einer der Beteiligten programmatisch so: „Der Bezug auf die Lebenswirklichkeit, auf das Selbstverständnis und die Situation des jungen Menschen muss das wichtigste Regulativ des Religionsunterrichts werden. Die ‚Themen des Lebens‘ und seiner Zeit gilt es aufzunehmen und so zu entfalten, dass er in ihnen vor Fragen gerät, die ihn in einer unbedingten Weise beunruhigen. Gelingt dieser Versuch, dann wird ein offener Dialog mit religiösen Texten und Zeugnissen möglich und notwendig, in denen dem Schüler Deutungen seiner eigenen Existenz, aber auch Herausforderungen zu neuen Verstehens- und Verhaltensweisen begegnen“ (Gloy, 1971, 74).

Welche Themen bewegten die kritischen Intellektuellen am Ende der sechziger Jahre in der Bundesrepublik? Folkert Rickers zählt auf: „Angst; Dritte Welt; Entwicklungshilfe; Widerstand; Rassismus; Gastarbeiter; biologische Mani­pulation; Liebe und Sexualität; behinderte Menschen; Umweltschutz; Aggression und Gewalt; Jesus People; Revolution; Stars und Idole; autoritäre Erziehung; moderner Strafvollzug; Krieg und Frieden (Vietnamkrieg); Sterben und Tod; gesellschaftliche Außenseiter; Eigentum und manches andere“ (Rickers, 2003, 80).

So erfüllte der Begriff der Problemorientierung mehrere Funktionen. Erstens stand er „gegen eine Didaktik, die sich darin erschöpfte, Stoffe und Positionen, die aus historischer Übereinkunft als beglaubigte galten, weiterzugeben, ohne den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit einzuräumen, sie kritisch zu gewichten, Alternativen einzubeziehen, Aporien aufzuzeigen“ (Rickers, 2003, 80). Zweitens sollte er den Blick auf die tatsächlichen Probleme der Jugendlichen lenken, sie nicht theologisch-pädagogisch konstruieren, sondern rekonstruieren, um damit der Wirklichkeit der jungen Menschen auf die Spur zu kommen. Drittens sollte deutlich werden, dass Menschen in ihren Verhaltensweisen weniger traditionsgeleitet geprägt und festgelegt sind, sondern als Lernende die demokratische Gesellschaft gestalten können. Viertens sollte deutlich werden, dass alle „uns bewegenden Probleme“ umstritten sind und also des Diskurses bedürfen.

Der Begriff des problemorientierten Religionsunterrichts suggeriert konzeptionelle Homogenität. Je größer der zeitliche Abstand wird, desto stärker fallen die fachlichen Besonderheiten der vorgelegten Konzeptionen und Ideen auf. Im Folgenden werden die eben aufgeführten allgemeinen Kernideen der Problemorientierung mit der Darstellung von Ansätzen verbunden, die meines Erachtens unter wirkungsgeschichtlichen Aspekten besonders hervorzuheben sind.

2. Religions-Unterricht

Die wohl geschlossenste (und am ehesten diese Bezeichnung verdienende) Konzeption legte das Pädagogisch-Theologische Institut Kassel mit seinem Leiter Siegfried Vierzig vor. Es fußt auf einem „lernzielorientierten Projektideenplan“, der den Religionsunterricht vollständig von der Grundschule bis zum Gymnasium umfasste und in vielen einzelnen Unterrichtsprojekten ausgeführt wurde. Religion – das war für Vierzig „die grundlegende Funktion des menschlichen Bewusstseins, dass es immer über sich hinaus will, dass es mehr will, als es ist“ (Vierzig, 1971, 24). Als Globalziel innerhalb eines curricular fein ausdifferenzierten Lernzielsystems benannte Vierzig die Fähigkeit, „die religiöse Frage in den jeweiligen Entscheidungs- und Konfliktsituationen zu stellen und in Auseinandersetzung mit vorgegebenen Antworten religiöser und weltanschaulicher Tradition vornehmlich der biblischen Botschaft zu einer Antwort zu kommen“ (Vierzig, 1970, 12). Die Behandlung der „religiösen Frage“ wurde aufgegliedert in Richtung auf Ich-Findung, auf personale Beziehungen und auf verbindliche Sinndeutungen, Wertsetzungen und Normgebungen in der Gesellschaft. Mit der Rezeption der Curriculum-Theorie rückte Vierzig ins religionspädagogische Bewusstsein, dass Unterricht durch einen komplexen Zusammenhang kognitiver, affektiver und pragmatischer Verhaltensweisen geprägt ist. Zudem verwies er auf die Notwendigkeit, im Unterricht solche Qualifikationen der Schülerinnen und Schüler zu behandeln, die zur Bewältigung problematischer Lebenssituationen beitragen sollten und diese Qualifikationen in operationalisierbare Elemente aufzugliedern (Grobziele, Stundenziele, Teillernziele).

Vierzig sah sich immer wieder genötigt, sein Verständnis von Religion zu präzisieren. Er lehnte seine Überlegungen philosophisch bei Immanuel Kant und dessen Vorlesungen über Logik (Wiederabdruck in Kant, 1968, 25) („Was darf ich hoffen?“ als anthropologische Frage nach der Religion), theologisch bei Paul Tillichs Entwurf Systematischer Theologie (Religion als Leben in der Dimension der Tiefe; Tillich, 1964) und an die → Religionssoziologie an: Religion in deren Verständnis definierte er als „individuelle, emotional hoch besetzte und institutionalisierte Bindung an Deutungs- und Wertsysteme, die eine Gesellschaft oder Gruppe grundlegend bestimmen“ (Vierzig, 1970, 10).

Trotz massiver Kritik an der Problematik des Vierzig‘schen Religionsverständnisses, das er für tautologisch hält (es laufe auf die These „Religion ist Religion“ hinaus), würdigt Dross die praktische Bedeutsamkeit des Ansatzes. Mit der Rezeption der Curriculum-Theorie habe Vierzig Maßstäbe für die Reflexion der Wirksamkeit des erteilten Unterrichts gesetzt. Mit der selbstbewussten Einführung des Religionsbegriffs habe er eine an den Fragen und Interessen der Schülerinnen und Schüler orientierte Weite des Faches ermöglicht. Vor allem aber sei sein Versuch zu würdigen, dem Religionsunterricht wieder gesellschaftliche Relevanz beizumessen und ihn → ideologiekritisch auszurichten (Dross, 1981, 43).

3. Emanzipation und Tradition – Spannungen und Konvergenzen

Zu den ersten Reaktionen auf die veränderte Lage in Schule und Religionsunterricht sind die Ausführungen Karl Ernst Nipkows zu zählen, den Religionsunterricht nach dem Kontexttypus zu gestalten. Nipkow ging es zunächst darum, dem bekannten didaktischen Grundtypus „Unterricht über biblische Texte“ einen zweiten Grundtypus „Unterricht über das Christsein und Menschsein in der Gegenwart“ zur Seite zu stellen und beide aufeinander zu beziehen (Nipkow, 1971, 236-263). So entwickelte er eine „Theorie der religiösen Erziehung“, in der theologische und pädagogische Befunde, Fragestellungen und Ergebnisse in einem Theoriemodell aufeinander bezogen werden und sich wechselseitig interpretieren sollten.

Nipkows Interesse an einer theologischen Begründung eines emanzipatorisch-problemorientierten Religionsunterrichts wurde unter anderem vom Göttinger Theologen und Religionspädagogen Peter Biehl geteilt. Er bestimmte die → Religionspädagogik als eigenständige Fachdisziplin zwischen → Erziehungswissenschaft und → Theologie mit der Aufgabe, didaktische Anforderungen an theologische Entwürfe zu formulieren, also das Verhältnis von Emanzipation und Tradition durchzubuchstabieren.

In Biehls Sinne ging es darum, an die Freiheitsgeschichte des Christentums zu erinnern, von dort aus gegenwärtige kirchliche und gesellschaftliche Praxis zu kritisieren und Freiheit, Mündigkeit, → Gerechtigkeit und → Solidarität anzustreben. Im Mittelpunkt seiner theologischen Überlegungen standen die Exodustradition (Befreiung aus Knechtschaft), Ostern (Befreiung zu neuem Leben) und der freie Mensch Jesus Christus als Kriterium der Christentumsgeschichte. Das Fach Religionslehre sollte schulisch durch das allgemeine religiöse Bewusstsein der Gegenwart, durch die emanzipatorischen Elemente der Geschichte des Christentums sowie durch die „Grund- und Menschenrechte als Bezugsrahmen zur Verständigung über die gesellschaftlichen Wert- und Zielvorstellungen“ (Biehl, 1973, 67) begründet werden. In Biehls Verständnis von Religionsunterricht ging es, theologisch pointierter formuliert als bei Vierzig, darum, dass der Schüler befähigt wird, „ein eigenes Selbstverständnis zu finden, im Miteinanderhandeln begründete Entscheidungen zu fällen und die in den Grund- und Menschenrechten zugemutete Freiheit und Gleichheit persönlich wahrzunehmen, anderen einzuräumen und für sie einzutreten“ (Biehl, 1973, 67).

Nipkow und Biehl förderten den wissenschaftlichen Dialog und bildungstheoretische Begründungszusammenhänge, sie haben die Praxis reflektiert, kommentiert und begleitet, sind jedoch kaum mit eigenen praktischen Unterrichtsentwürfen in Erscheinung getreten.

Auch auf katholischer Seite wurde gefordert, die Alternative von rein theologisch-kirchlich begründetem oder nur schulisch begründetem Religionsunterricht zu überwinden und ein ‚Konvergenzmodell‘ zur Verbindung von Situation und Tradition umzusetzen. In einem mehrjährigen, 1974 abgeschlossen Beratungsprozess im Kontext des II. Vatikanischen Konzils beschloss die Würzburger Synode der Katholischen Kirche, dass Religionsunterricht zugleich als schulisch und theologisch-kirchlich verantwortetes Unternehmen verstanden werden müsse. Der von der Synode konzipierte Religionsunterricht lag in der Schnittlinie von pädagogischen und theologischen Begründungen, als Auftrag der öffentlichen Schule und Auftrag der Kirche. Das Fach liefere wichtige Beiträge, unverzichtbare Ziele der Schule in der Bundesrepublik Deutschland umzusetzen: Für das Weltverstehen und die Weltdeutung, für die Sinn- und Identitätsfindung, für die Entwicklung von Kritikfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit brauche die Schule den Religionsunterricht (vgl. Deutsche Bischofskonferenz, 2015, 123-152).

4. Sozialisationsbegleitender Religionsunterricht

Nachhaltig hat Dieter Stoodt die Herausbildung eines Religionsunterrichts gefördert, dem es um die Beachtung bis dato vernachlässigter Aspekte gehen sollte, nämlich um: Werte, Sinngebung und Privatheit. Er variierte seine konzeptionellen Überlegungen mehrfach, wies dem Fach die Aufgabe der „Ordnung religiöser Vorstellungen“, der „Interaktion“, der „Therapie“, der „Sozialisationsbegleitung“ und der „Aufarbeitung religiöser Sozialisation“ zu. Für Stoodt waren dies notwendige Schritte für gesellschaftliche Emanzipation und politische Teilhabe. Therapeutischer Religionsunterricht sollte Fixierungen und Konflikte, gesellschaftliche Hierarchien und ihre Folgen sowie schichtenbedingte Sperren bewusst machen, die das Handeln der Schülerinnen und Schüler negativ beeinflussten. Nicht Stoffe oder Lehrinhalte standen im Mittelpunkt dieses Ansatzes, sondern die Schülerinnen und Schüler sowie Lehrerinnen und Lehrer, deren neutralisierte Religion im Unterricht aufgearbeitet werden sollte. Darunter verstand Stoodt im Anschluss an Adorno eine Religion, die um ihre befreienden Impulse gebracht worden ist und die lediglich auf Anpassung an gesellschaftliche Verhältnisse abzielt, ohne diese kritisieren oder verändern zu wollen.

Stoodt gab seit 1974 die Schulbuchreihe „Religion“ mit einschlägigen Materialsequenzen heraus und beteiligte sich intensiv an der Erarbeitung der hessischen Rahmenrichtlinien Sekundarstufe I Evangelischer Religionsunterricht, in denen er versuchte, seinen Ansatz mit anderen problemorientierten Gedanken zu verbinden.

5. Auswirkungen in der Praxis

Die Auswirkungen der Problemorientierung auf die Praxis des Religionsunterrichts können wahrscheinlich gar nicht hoch genug veranschlagt werden. Neue Themen und Lernformen kamen in den Blick, statt Stoffverteilungsplänen entstanden Curricula, Unterrichtsmaterialien fluteten den Markt, neue Schulbücher wie das seit 1976 erscheinende „Kursbuch Religion“ mit seiner prägnanten Mischung aus Texten und Themen entstanden. Die religionspädagogischen Institute publizierten Unterrichtsmodelle zu aktuellen Themen. Zeitschriften wie die „informationen zum religionsunterricht“ (später: Forum Religion) des PTI Kassel, ru – ökumenische Zeitschrift für die Praxis des Religionsunterrichts und die Loccumer Modelle des dortigen RPI boten Foren zum Theoriediskurs und zur praktischen Veränderung des Unterrichtsalltages. In empirischen Untersuchungen zur Religionslehrerschaft aus Niedersachsen und einer Befragung katholischer Lehrkräfte durch das Allensbach-Institut wurde deutlich, dass die weit überwiegende Zahl der Unterrichtenden „schüler- und problemorientierte Ansätze“ favorisiert und Themen aus dem sozial­ethischen und anthropologischen Bereich nach vorne stellt und gerne behandelt, auch wenn in der Lehrerschaft nicht immer trennscharfe Abgrenzungen zwischen den Ansätzen vorgenommen werden (vgl. Hahn, 2007, 79-93).

6. Kritik, Probleme, Spuren

Auch wenn im „Handgemenge des Schulalltags“ (Bernhard Dressler) der problemorientierte Religionsunterricht bisweilen zum Sozialkundeunterricht oder zum „Laberfach“ mutierte, auch wenn das Aufzeigen des „Problems der Probleme“ (Klaus Wegenast) theologische Defizite ausmachte oder wenn zurecht moniert wurde, dass die Bibel bisweilen als Problemlösepotenzial funktionalisiert wurde, werden in den letzten Jahren die Leistungen der problemorientierten Religionsdidaktik über den Tag hinaus gewürdigt. In einer Konstellation verschiedener für das Fach anwendbarer didaktischer Strukturen behalte der problemorientierte Religionsunterricht sein bleibendes Recht, meint Bernhard Dressler, und sieht darin einen religionspädagogischen Konsens. Keineswegs sei die Problemorientierung misszuverstehen als Reflex auf gesellschaftlichen Wandel, sondern beruhe auf solideren Grundlagen und tieferen Sondierungen als dies Kritiker wahrhaben wollen (vgl. Dressler, 2003, 67-73). Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt auch Thorsten Knauth, der „unabgegoltenes Potenzial“ des problemorientierten Religionsunterrichts ausmacht (vgl. Knauth, 2003). Eine gründliche Spurenlese würde mannigfaltige problemorientierte Ideen in der weiteren religionspädagogischen Entwicklung entdecken, sei es im → Dialogansatz des interreligiösen Lernens, sei es im christlichen Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung des ökumenischen Lernens, im Kommunikationsverständnis des Theologisierens mit Kindern (→ Kindertheologie) und Jugendlichen (→ Jugendtheologie) oder im Gegenwartsbezug der Anforderungssituationen in einem → kompetenzorientierten Religionsunterricht.

Literaturverzeichnis

  • Adorno, Theodor/Horkheimer, Max, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Amsterdam 1947.
  • Biehl, Peter, Zur Funktion der Theologie in einem themenorientierten Religionsunterricht, in: Kaufmann, Hans-Bernhard (Hg.), Streit um den problemorientierten Religionsunterricht in Schule und Kirche, Frankfurt a. M. 1973, 64-79.
  • Deutsche Bischofskonferenz, Beschluss zum Religionsunterricht der Würzburger Synode 1974. Online unter: http://www.dbk-shop.de/media/files_public/ymdfmllb/DBK_Gemeinsame-Synode-der-Bistuemer-in-der-Bundesrepublik-Deutschland-1971-1975.pdf, 123-152; abgerufen am 16.09.2015.
  • Deutscher Bildungsrat, Strukturplan für das Bildungswesen, Stuttgart 1970.
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  • Dross, Reinhard, Evangelische Religion, München 1981.
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  • Stoodt, Dieter, Religionsunterricht als Interaktion. Grundsätze und Materialien zum evangelischen RU der Sekundarstufe I, Düsseldorf 1975.
  • Tillich, Paul, Systematische Theologie (3 Bde.), Stuttgart 3. Aufl. 1964.
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  • Vierzig, Siegfried, Lernziele des Religionsunterrichts, in: Informationen zum Religionsunterricht 1-2 (1970), 5-16.

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