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Paulus, bibeldidaktisch, Grundschule

(erstellt: Februar 2016)

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1. Glücksfall des Christentums? Paulus in Religionsunterricht und Katechese

Paulus gehört zwar zu den klassischen, aber nicht unbedingt zu den beliebtesten Themen im Religionsunterricht der Grundschule. Wer Paulus im Unterricht (→ Religionsunterricht, evangelisch; → Religionsunterricht, katholisch), im Kindergottesdienst (→ Kindergottesdienst, evangelisch; → Kindergottesdienst, katholisch) oder in der → Gemeindekatechese mit Grundschulkindern thematisiert, weiß, dass der Apostel es „in sich hat“. Seine Briefe erzählen wenig und philosophieren viel. Deshalb ist ihre Sprache und Bildwelt für Kinder meistens schwer zu verstehen. Religionspädagogisch Tätige stehen vor dem Dilemma, dass zwischen der hohen Bedeutung des Paulus für → Theologie und Kirche und seiner geringen Beliebtheit als Unterrichtsgegenstand ein breiter Graben klafft (vgl. Cebulj, 2012b, 16). Dabei ist seine theologische Bedeutung unbestritten: Neben Jesus ist Paulus die wichtigste Gestalt im Neuen Testament. Obwohl er Jesus nicht mehr kannte, ist Paulus der älteste greifbare Theologe des Urchristentums. Zwar ist Jesus die Mitte des Neuen Testaments, literarisch aber ist uns Paulus näher. Denn während Jesus keine einzige schriftliche Zeile hinterlassen hat, haben wir von Paulus eine Vielzahl von Äußerungen in Gestalt seiner Briefe. Über Paulus lässt sich jedenfalls trefflich streiten: Die einen machen ihn für die folgenschwere Verdrängung des historischen Jesus aus den frühchristlichen Bekenntnissen verantwortlich (Halbfas, 2011, 18). Für die anderen ist er der „Glücksfall des Christentums“ (Biser, 2003, 16), weil Aufbrüche in der Kirchengeschichte oft mit seinem Namen verbunden waren.

1.1. Paulus als Gesprächspartner für Kinderfragen

Da Paulus also für das Verstehen der Bibel und der Geschichte des Christentums unverzichtbar ist, kommt der Religionsunterricht nicht an ihm vorbei. Dabei haben sich Unterrichtende der bibeldidaktischen Herausforderung (→ Bibeldidaktik, Grundfragen) zu stellen, den schwer verständlichen Paulus so zu erschließen, dass er als „Gesprächspartner“ für gegenwärtige Fragen von Kindern in den Blick kommt. Oft hilft man sich dabei mit Unterrichtseinheiten zum Leben und Wirken des Apostels, denn dafür gibt es die Apostelgeschichte als Quelle. Sie berichtet in epischer Breite von Paulus, seiner Berufung vor Damaskus, seiner Flucht und Rettung aus dem Gefängnis. Das sind alles Episoden, die sich schon gut in der Grundschule nacherzählen lassen. Bei dieser narrativen Ebene bleibt es dann aber oft, während die Theologie des Paulus in den Hintergrund tritt und im Unterricht nur eine untergeordnete Rolle spielt (vgl. Müller, 2012, 7).

1.2. Vorsicht, Historismusfalle: Was das Neue Testament (nicht) von Paulus erzählt

Einerseits ist die bibeldidaktische Entscheidung, sich in Lernsequenzen über Paulus vorwiegend auf die Apostelgeschichte zu stützen, nachvollziehbar. Denn von keiner anderen biblischen Person haben wir in Gestalt der Apg so viele biografische Informationen wie von Paulus: „Paulus ist die einzige historisch und biografisch deutlich fassbare und selbst literarisch tätige und sich selbst auslegende Gestalt, die wir aus dem Urchristentum kennen“ (Wischmeyer, 2012, XVII). So gekonnt die Apg aber auch zu erzählen versteht, die → Religionspädagogik muss sich der historisch-kritischen Rückfrage der neutestamentlichen Exegese stellen, mit welchem Paulus sie es eigentlich zu tun haben will: Soll es um den Paulus der echten und/oder unechten Paulusbriefe gehen oder um das theologische Konstrukt einer wirkungsgeschichtlich nicht unerheblichen Darstellung und Deutung der frühen Kirchengeschichte durch Lk in der Apg (vgl. Avemarie, 2011; Karsch/Rasch, 2013, 363)?

Wer sich allein auf das Paulusbild der Apg stützt, läuft leicht Gefahr, in die ‚Historismusfalle‘ zu tappen. Zwar schildert die Apg die Biografie des Paulus erzählerisch reichhaltig und informativ. Aber es wäre theologisch unverantwortlich, deshalb die Briefe als erste Quelle des neutestamentlichen Paulusbilds zu ignorieren, denn das Paulusbild des Lukas unterscheidet sich erheblich von den Aussagen in den Paulusbriefen. Religionspädagogisch Tätige dürfen deshalb nicht der Versuchung erliegen, aus den Informationen der Apg eine Art literarisches „Phantombild“ des Paulus erstellen zu wollen, wie es der Archäologe Michael Hesemann 2008 getan hat: Passend zum Paulusjahr 2008/09 ließ er publikumswirksam durch einen Mitarbeiter aus dem Bereich ‚Visuelle Fahndungshilfen‘ des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen ein Phantombild des Paulus erstellen. Es zeigt einen Mann mittleren Alters mit hoher Stirn, braunen Augen und Vollbart. Vorlagen waren laut LKA Zeichnungen, Beschreibungen und Bilder, die die historische Person des Paulus von Tarsus darstellen sollen (vgl. Hesemann, 2008). In diesem ‚Fahndungsbild‘, das seitdem in vielen Unterrichtsmaterialien zu finden ist, zeigt sich etwas Wichtiges für den Religionsunterricht: Es gibt das Bedürfnis der Schülerinnen und Schüler nach konkreter Anschauung und Eindeutigkeit, das geschickt durch ein ‚Phantombild‘ bedient wird, denn seine Züge prägen sich unweigerlich ein. Dass ein solches Bild allerdings nur die Illusion einer begreifbaren Vorstellung erzeugt, ist eine hermeneutische Schwierigkeit, die es zu berücksichtigen gilt. Da das Verstehen eines Bibeltextes aber nicht dem freien Spiel der Lesenden überlassen werden darf, setzt der Text selbst auch die ‚Grenzen der Interpretation‘, indem er einer beliebigen Sinnproduktion Einhalt gebietet (Eco, 2011). Wer also nicht in die Historismus-Falle tappen will, nimmt am besten zwei Quellen als Ausgangspunkt seiner Lernsequenzen zu Paulus: sowohl die Apg als auch die Briefe. Damit ist jedenfalls die didaktische Chance am größten, der Biografie wie auch der Theologie des Apostels möglichst nahe zu kommen (Cebulj, 2012b, 17).

1.3. Vorsicht, Antijudaismus-Falle: Paulus als jüdischer Theologe

Eine zweite bibeldidaktische ‚Falle‘, die als Problemanzeige für den Religionsunterricht der Grundschule zu formulieren ist, besteht in der Gefahr, in der Beschäftigung mit Paulus antijüdische Klischees weiter zu transportieren, die jedoch zu vermeiden sind. Vielmehr muss die Beschäftigung mit Paulus-Texten im Religionsunterricht im Sinne eines erinnerungsgeleiteten jüdisch-christlichen Lernens dazu beitragen, antijüdische Feindbilder aufzudecken und zu beseitigen (Cebulj, 2013). In Bezug auf Paulus gilt besonders, worauf Astrid Greve in ihren Entdeckungen zur jüdischen Kultur des Erinnerns hinweist. Sie betont, dass die Bibel eine ‚Didaktik der Erinnerung‘ verfolgt: „Die Bibel ist letztlich nichts anderes als permanente Erinnerung, entstanden durch das ständige Weiterschreiben, das Wiederholen, das Zitieren der erzählten Ereignisse in neuen Zusammenhängen“ (Greve, 1999, 137). Das gilt auch für biblische Texte von oder über Paulus im Neuen Testament. Erinnern bedeutet hier, sowohl die Apg als auch die Paulusbriefe nicht nur als historische Texte der Vergangenheit zu lesen, die vom konfliktreichen Trennungs- und Ablösungsprozess des Christentums vom Judentum erzählen. Vielmehr gilt es, in der bibeldidaktischen Arbeit mit Paulus auch die heutige Erfahrung des jüdisch-christlichen Gesprächs mit allen dazugehörigen Implikationen einzubeziehen. Didaktisch bedeutet das etwa, die in den Medien immer noch häufig anzutreffende Redeweise kritisch zu reflektieren, dass jemand, der eine Sinneswandlung durchläuft, „vom Saulus zum Paulus geworden“ sei. Wir wissen aus der Apg, dass Paulus von Geburt an Shaul-Paulus hieß und der lateinische Hauptname Paulus mit dem jüdischen Beinamen Shaul kombiniert war. Der Religionsunterricht hat die Redeweise „vom Saulus zum Paulus werden“ auch deshalb als fatal zu entlarven, weil damit die falsche Vorstellung transportiert wird, Paulus habe sich vom Judentum zum Christentum bekehrt (vgl. Schiefer Ferrari, 2008, 13).

Zu vermeiden ist auch das in → Kinderbibeln immer noch anzutreffende veraltete Paulusbild, das den Apostel aus erzählerischen Gründen vor seiner Berufung bei Damaskus gerne als einen aggressiven, religiös motivierten Menschenhasser darstellt, der später zum frommen Christen wird (vgl. Korneck, 2012, 134 mit Verweis auf die Kinderbibel von De Vries/Schäfer, 1992, 241). Eine Charakterisierung des Paulus im Rahmen seiner Berufung vor Damaskus muss heute ohne negative Pauschalbewertung der jüdischen Religion auskommen können. Auch wenn Kindern diese Negativfolie nicht immer explizit bewusst wird, ist die unterrichtliche Arbeit mit Paulus je neu herausgefordert, zu einer nicht antijüdischen Paulus-Auslegung beizutragen (vgl. Frankemölle, 2009; Homolka, 2012).

1.4. Die neue Paulus-Perspektive

Diese didaktische Option ist theologisch gut begründet, denn im Verständnis der paulinischen Theologie kam es vor etwa 30 Jahren zu einer exegetischen Neuorientierung. Damals führte die (inzwischen nicht mehr so neue) ‚new perspective on Paul‘ (J. D. G. Dunn, E. P. Sanders, K. Stendahl) zu einer Neubewertung der lutherischen Rechtfertigungslehre sowie zu einer neuen Sicht des Judentums. Ihr besonderes Augenmerk legt die ‚neue Paulusperspektive‘ auf die Tatsache, dass die negative Interpretation der Torah/des Gesetzes bei Paulus, als deren Ausdruck in der ‚klassischen Paulusperspektive‘ ein werkgerechtes Judentum galt, hermeneutisch nicht mehr haltbar ist. Damit wird antijüdischen Paulusinterpretationen die vermeintlich theologische Begründung entzogen. Vielmehr wird die jüdische Freude am Gesetz (Simchat Torah) hervorgehoben, die auch bei Paulus eine Grundüberzeugung ist (vgl. Karsch/Rasch, 2013, 366f.). Daneben betont die ‚neue Paulusperspektive‘, dass die Polemik des Paulus gegen ‚das Gesetz‘ nicht als Pauschalkritik an der jüdischen Religion missverstanden werden darf, sondern als innerjüdische Kritik an einer falsch verstandenen Heilsbedeutung der Torah. Paulus ist somit unter den Vorgaben auszulegen, die er selbst nennt: Dass er zeitlebens voller Überzeugung Jude blieb und in seiner Missionsarbeit alles dafür tat, um die Nichtjuden zum Glauben an den einen Gott Israels zu rufen (Cebulj, 2012a, 1).

Seit der ‚neuen Paulus-Perspektive‘ ist zwar festzustellen, dass es in der Exegese des Paulus und seiner Theologie zu einem Umdenken gekommen ist. In der → Religionspädagogik und Bibeldidaktik werden die Erkenntnisse der neuen Paulus-Perspektive bisher allerdings nur recht zögerlich zur Kenntnis genommen (vgl. Obenauer/Obenauer, 2008; Zilleßen/Dressler, 2011; Jeska, 2011). So ergibt sich etwa aus der positiven Würdigung des Gesetzes durch die neue Paulusperspektive die Konsequenz, dass Paulus noch stärker als bisher als jüdischer Theologe zu würdigen ist. Das hat selbstverständlich zur Folge, Paulus nicht mehr im Gegensatz, sondern im Kontext seiner jüdischen Religion zu verstehen (vgl. Neubrand, 2011). Der Religionsunterricht steht seitdem vor der Herausforderung, die neue Paulusperspektive in bibeldidaktischen Lernsequenzen dadurch zu berücksichtigen, dass vom Grundschulalter an darauf geachtet wird, antijüdische Paulusinterpretationen zu vermeiden.

2. Bibeldidaktische Konkretionen

2.1. Zwischen Fantasie und Theologie: Paulusbilder in Kinderbibeln

Wer sich unter den zahlreichen Neuerscheinungen, aber auch bei den ‚Klassikern‘ auf dem → Kinderbibel-Markt auf die Suche nach Paulustexten macht, stellt fest, dass die unter 1.2. formulierte Warnung vor der Historismus-Falle nicht zu weit hergeholt ist. Denn die Durchsicht aktueller Kinderbibeln zeigt, dass da, wo Paulus überhaupt vorkommt, die Außenperspektive der Apg dominiert, während die Innenperspektive der paulinischen Briefe fast völlig fehlt. So thematisiert etwa die weit verbreitete und mit den bekannten Bildern von Kees de Kort illustrierte ‚Neukirchener Kinder-Bibel‘ Paulus als Missionar, geht aber nicht auf seine Theologie ein (vgl. Weth/de Kort, 2014). Sie erzählt zwar von den Erlebnissen des Paulus nach der Apg, erwähnt aber nur nebenbei, dass der Hauptzweck seiner Reisetätigkeit darin bestand, die Gemeinden über die neue christliche Lehre zu unterrichten, von welcher aber vorwiegend in seinen Briefen die Rede ist. Auch in der weit verbreiteten ‚Schulbibel‘ für den Religionsunterricht der Grundschule ist das Damaskus-Erlebnis der einzige Text mit Paulus-Bezug (Günzel-Horatz, 2003, 130). Ein ähnlicher Befund lässt sich auch in anderen Kinderbibeln feststellen: Wo Paulus Thema ist, wird das Damaskus-Erlebnis ausführlich und meist auch illustriert erzählt. Weit weniger häufig, aber immer noch relativ oft erscheint die Geschichte von Paulus und Silas im Gefängnis ( Apg 16), wobei häufig auch die Bekehrung der Lydia erwähnt wird. Ein weiterer Favorit ist die Erzählung vom Schiffbruch des Paulus (Apg 27).

Freilich lässt sich aus → entwicklungspsychologischen Gründen argumentieren, der Paulus der Apg sei wegen seines narrativen Profils besser für Vorlesebibeln mit der Zielgruppe Kinder im Vorschulalter und für Erstlesebibeln mit der Zielgruppe Grundschulkinder geeignet. Schließlich handeln die in der Apg von Paulus erzählten Geschichten doch von spannenden Abenteuern wie dem Reisen in fernen Ländern, vom Schiffbruch des Paulus oder seiner wunderbaren Rettung aus dem Gefängnis. Solche Geschichten beflügeln die Fantasie der Kinder und lassen sich didaktisch anschaulich aufbereiten. Allerdings muss hier kritisch rückgefragt werden, ob es sinnvoll ist, bei der Missionstätigkeit des Paulus stehen zu bleiben, ohne auf deren für den christlichen Glauben grundlegende Inhalte einzugehen. „Dadurch entsteht der Eindruck, Paulus müsse eher ein Held einer Art Road-Movie mit vielen Gefahren und Hindernissen gewesen sein als ein gelehrter Schriftsteller und Theologe“ (Korneck, 2012, 132f.). Religionslehrpersonen sollten also den Theologen Paulus nicht zu schnell zugunsten des ‚Actionhelds‘ Paulus unter den Tisch fallen lassen. In diesem Sinne sollten sie nicht zu schnell vor der religionspädagogischen Herausforderung zurückschrecken, auch Inhalte aus den Briefen in geeigneter Weise zu elementarisieren. Bei Mädchen und Jungen ab dem zweiten bis dritten Schuljahr ist das nicht nur machbar, sondern auch vielversprechend (vgl. Müller, 2012, 87f.).

Von den wenigen Referenzstellen, an denen Briefe des Paulus in → Kinderbibeln Erwähnung finden, ist 1 Kor der am häufigsten zitierte Brief. Einige Kinderbibeln halten 1 Kor sogar für so repräsentativ, dass sie es ausschließlich bei ihm bewenden lassen. Unter den aus 1 Kor zitierten Passagen taucht wiederum das sogenannte „Hohelied der Liebe“ (1 Kor 13) am häufigsten auf. Bezug genommen wird auch auf die Themen „Ein Leib – viele Glieder“ (1 Kor 12), „Auferstehung“ (1 Kor 15) und Abendmahl (1 Kor 11). Da die Trias von Glaube, Hoffnung und Liebe zu den Höhepunkten der paulinischen Theologie gehört, ist der Rückgriff auf 1 Kor 13 an dieser Stelle zu begrüßen, denn er ist das Ergebnis einer sachlich zutreffenden → Elementarisierung. Wenn allerdings nicht mehr nach dem Grund dafür gefragt wird, warum Paulus seine Trias gerade in die korinthische Gemeindesituation hineinspricht, die ja von einer spezifischen Konfliktlage geprägt ist, bleibt der bibeltheologische Sitz im Leben und damit auch seine Kontextualität unterbelichtet. Gerade im Bereich der Kinderbibeln gilt es, den paulinischen Metaphern stärker zu trauen. Das „heißt eben nicht nur, der Kraft von Bildern in didaktisch-methodischer Hinsicht zu vertrauen, sondern durch diese Bilder hindurch auch den tieferen Sinn theologischer Aussagen von Paulus zu erschließen …“ (vgl. Wick, 2012, 43).

2.2. Kompetent mit Paulus: paulinische Bibeldidaktik in der Grundschule

Die Begegnung mit der Biografie und Theologie des Paulus ist in den meisten → Bildungs- und Lehrplänen erst in der Sekundarstufe I ab der Klasse 7/8 vorgesehen. Dann spielen die Missionsreisen des Paulus von Jerusalem nach Ephesus, Korinth, Philippi und die anderen Wirkungsorte eine Rolle, wenn die Ausbreitung des Christentums im ersten Jahrhundert im Römischen Reich behandelt wird (vgl. Bohrer/Wenzel, 2012). Wer Paulus schon in der Grundschule zum Thema kompetenzorientierter Lernsequenzen machen will, ist auf Materialien angewiesen, die unabhängig von Religionsbüchern und Lehrplänen konzipiert wurden. Zu den wenigen Beispielen zählen die Arbeiten von Peter Müller, der aus exegetischer und religionspädagogischer Perspektive nach prägnanten Formulierungen bei Paulus gesucht hat, um seine Theologie in elementarisierter Form darzustellen (vgl. Müller, 2012). Auf dieser Grundlage wurde für den Religionsunterricht der Grundschule die Lernsequenz „Mit Paulus über Gott reden – ein Glaubenskurs für Kinder“ entwickelt, die sich sowohl an Dimensionen und Themenfeldern der Grundschul-Bildungspläne orientiert wie auch Originalzitate aus den Paulusbriefen enthält. Sie ist auf die folgenden sieben Leitfragen ausgerichtet: „Was bedeutet es, Christ zu sein?“ (Die Person des Paulus als Missionar und Lehrer), „Worauf vertraue ich in meinem Leben?“ (Vertrauen auf Gott nach Röm 8,38f.), „Worauf kann ich angesichts des Todes hoffen?“ (Die Auferweckung Jesu nach 1 Kor 15), „Was bin ich wert?“ (Christsein nach 1 Kor 1,28f.), „Worin zeigt sich das Christsein?“ (Glaube, Liebe, Hoffnung nach 1 Kor 13,13), „Wie soll ich als Christ handeln?“ (Alltägliches Handeln nach Phil 2,5), „Wie leben Christen zusammen?“ (Verschiedenheit und Gleichheit nach Gal 3,28). Mit interessanten methodischen Zugängen (Briefe von Paulus, Ichthys-Buch, Landkarten, etc.) werden theologische Aspekte der Paulusbriefe hier auf sehr gelungene Weise elementarisiert (vgl. Hoppe/Korneck, 2012).

2.3. Mit Paulus Jesus begegnen: didaktisch-methodische Zugänge

Unter dem Titel „Jesus begegnen“ haben Cornelia Bussmann und Manfred Karsch spannende Materialien zum „entdeckenden Lernen mit Paulus“ zusammengestellt (vgl. Bussmann/Karsch, 2013). Die Sammlung bietet Lehrenden und Lernenden vielfältige Anreize und einfallsreiches Material zu Paulustexten, um sich mit der Frage nach Jesus auseinanderzusetzen und individuelle Antworten zu finden. Durch die Materialien zieht sich als roter Faden die Erzählgeschichte von Paulus, der den Fischer Alexis besucht und ihm von seinem Damaskuserlebnis berichtet. Mit Paulus begeben sich die Schülerinnen und Schüler durch verschiedene ‚Sehlandschaften‘, in denen unterschiedliche Themenschwerpunkte gesetzt werden. Die Grundschulkinder versetzen sich damit in die Zeit der ersten Christen und begegnen dabei immer wieder der Frage nach der Bedeutung Jesu. In bester → kindertheologischer Manier eröffnen die verwendeten Methoden und Medien mithilfe von sechs Verstehensqualitäten individuelle Zugänge zum Thema Paulus: anknüpfen (Vorwissen), einfühlen (Empathie), deuten (Interpretation), erklären (Vermittlung), anwenden (Umsetzung), erweitern (Perspektive). An Paulus-Texten entlang bietet das Lehrmittel interessante Lernarrangements für christologische Gespräche mit Grundschulkindern. Und wenn Alexis und Paulus im Schatten eines alten Olivenbaums philosophische Gespräche über die Bedeutung Jesu führen (vgl. Bussmann/Karsch, 2013, 58), scheinen sogar die christologischen Beschlüsse von Chalzedon plötzlich ‚kinderleicht‘ und verständlich zu sein.

Wie kann eine solche ‚Sehlandschaft‘ zu Paulus konkret aussehen? In manchen → Unterrichtsentwürfen zum Thema Paulus in der Grundschule entwickeln sich aus dem Verlauf von Lernsequenzen ja so etwas wie „Minilektionen in Kirchengeschichte“, bei denen möglichst viel Sachwissen zum frühen Christentum und Realien zur biblischen Umwelt im Vordergrund stehen. Diese Zugangsweise kann die Schülerinnen und Schüler zwar neugierig machen, läuft aber schnell Gefahr, über das Leistungsniveau der Grundschule hinauszugehen und verliert, auch wenn mit schülerorientierten Methoden gearbeitet wird, leicht die Schülerfragen zu Paulus aus dem Blick. Bei dem häufig gewählten Themenschwerpunkt „Die Reisen des Paulus“ sollte immer darauf geachtet werden, dass hier in besonderer Weise die „Historismusfalle“ lauert (vgl.1.2.). Demgegenüber arbeitet die folgende Lernsequenz darauf hin, dass die Schülerinnen und Schüler sich in einer Weise elementar-biografisch mit der Person und den Lebensthemen des Paulus auseinandersetzen, dass er als Gesprächspartner für ihre Kinderfragen in den Blick kommt (vgl. 1.1.).

Die Lernsequenz „Das Bild eines Unbekannten“ ist didaktisch so arrangiert, dass Antworten auf die Frage „Paulus, wer bist Du eigentlich?“ gesammelt werden. Dazu wird eine Landkarte des Mittelmeerraums bereitgestellt. Anhand von Satzkarten mit kurzen Erzählabschnitten aus den Paulusbriefen und der Apostelgeschichte werden biografische Etappen des Paulus mit wichtigen Orten verknüpft, die er auf seinen Reisen besucht. Beispiele solcher Satzkarten sind:

  • „Ich bin ein Jude. Wie jeder Jude wurde ich am achten Tag nach meiner Geburt beschnitten. Geboren bin ich in Tarsus, später bin ich nach Jerusalem umgezogen (Philipper 3,5)“;
  • „Ich bin Zeltmacher. Mit diesem Beruf verdiene ich meinen Lebensunterhalt. In Korinth habe ich bei Aquila und Prisca, einem christlichen Ehepaar, gearbeitet (Apostelgeschichte 18,1-3)“;
  • „In Athen haben mich die Leute nicht verstanden. Ich habe dort gepredigt, aber als ich von der Auferstehung Jesu gesprochen habe, haben sie mich ausgelacht (Apostelgeschichte 17)“;
  • „Ich bin viel auf Reisen und habe Gemeinden besucht und gegründet. Ich war in Antiochia, Ephesus, Philippi, Athen und Korinth. Auch die Gemeinden in Galatien habe ich besucht (Apostelgeschichte/Briefe)“;
  • „Nein, ich bin nicht verheiratet. Ich habe keine Frau und keine Kinder, ich habe auf vieles verzichtet, um anderen Menschen von Christus zu erzählen (1. Korinther 7,7)“.

Die Satzkarten werden so mit der Lehrkraft-Erzählung „Bekenntnisse eines Unbekannten“ verknüpft, dass die Lücken in der Erzählung sowohl von den Satzkarten der Schülerinnen und Schüler als auch durch Fragen ergänzt werden, die die Schülerinnen und Schüler selbst an Paulus richten (vgl. Bussmann/Karsch, 2013, 27). Die wechselseitige Korrespondenz aus dem Erzähltext, den vorformulierten Satzkarten und den selbst formulierten Schülerfragen an die Biografie des Paulus lässt vor den Augen der Schülerinnen und Schüler ein Phantombild des Paulus entstehen, das sowohl den biblischen Textaussagen (Welt des Textes) als auch der Kreativität der Schülerinnen und Schüler (Welt der Leserinnen und Leser) gerecht zu werden versucht.

3. Fazit: Keine Angst vor Paulus!

Texterschließen wird auf diese Weise nicht auf „verinseltes Lernen“ reduziert, sondern lebt vom Austausch der eigenen Deutungen der Schülerinnen und Schüler mit den Sinnstiftungen anderer (→ Bibeldidaktik, Grundfragen, 10.). Wird die biografisch orientierte Frage „Paulus, wer bist du eigentlich?“ verknüpft mit der christologisch orientierten Frage „Wer war Jesus für Paulus?“, dann ergeben sich für Grundschülerinnen und Grundschüler fruchtbare Lernchancen zur Entwicklung eigener christologischer Aussagen im Sinne der Frage „Jesus, wer bist Du eigentlich für mich?“. Am Ende solcher Lernsequenzen, für die freilich geeignete bibeldidaktische Rahmenbedingungen bereitgestellt werden müssen, dürfen sich die Grundschülerinnen und Grundschüler dann, was ihre eigenen Christologien betrifft, ‚kompetent mit Paulus‘ nennen (vgl. Cebulj, 2012b, 16f.).

All diejenigen, die im Religionsunterricht der Grundschule tätig sind, aber das Thema Paulus bisher umgangen haben, weil es als zu schwierig gilt, sind aufgrund vieler positiver Lernerfahrungen zu ermutigen. Freilich gibt es weiterhin zahlreiche Verstehenshindernisse, die die bibeldidaktische Arbeit mit Paulus erschweren. Andererseits sind die Chancen groß, diese Hindernisse durch eine geeignete → Elementarisierung im Rahmen eines kompetenzorientierten Unterrichts (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht) zu überwinden. So gilt nicht nur für die Sekundarstufe I (→ Paulus, bibeldidaktisch, Sekundarstufe), sondern gerade auch im Bereich der Grundschule das von Peter Müller formulierte Motto: „Keine Angst vor Paulus!“ (vgl. Müller, 2012, 87).

Literaturverzeichnis

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