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(erstellt: März 2023)

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1. Problemanzeigen

1.1. Weite Semantik – mangelnde Konturierung

Ökumenisches Lernen führte, nachdem es gegen Ende des 20. Jahrhunderts eine Blütezeit erlebt hatte, in den letzten Jahren eher ein Schattendasein. Der wesentliche Grund dafür ist die unzureichende Konturierung des ökumenischen Lernens, die wiederum mit der weiten Semantik des Begriffs ‚Ökumene‘ zusammenhängt: Oikouméne bzw. oikumene gé, wörtlich: bewohnte Erde, ein ursprünglich deskriptiver und später normativ verwendeter Begriff, bezeichnet sowohl die gesamte Menschheit wie auch die gesamte Christenheit bzw. die Kirche Jesu Christi. Er kann sich auf die Ökumene der → Konfessionen, die Ökumene der → Religionen und auch auf die Ökumene der „dritten Art“ (Tiefensee, 2006) mit Konfessionslosen (→ Konfessionslosigkeit) beziehen. Von der Religionspädagogik wurde diese weite Semantik aufgenommen: So unterscheidet Karl Ernst Nipkow (1992, 166-189) zwischen der Verantwortung für die bewohnte Erde, der bilateralen Ökumene zwischen zwei Konfessionen, der weiteren multilateralen christlichen Ökumene und der Begegnung der Weltreligionen im Dienst des friedlichen Zusammenlebens aller Menschen. Stephan Leimgruber (2015, 453f.) differenziert zwischen der „Kleinen Ökumene“ der Konfessionen, der „Großen Ökumene“ der Religionen und der „Abrahamitischen Ökumene“ zwischen Judentum, Christentum und Islam.

1.2. „Ökumenisches Lernen“ – Ein Containerbegriff?

In der Folge erschien ökumenisches Lernen als Containerbegriff, in dem sich alles Mögliche unterbringen ließ: → globales Lernen (vgl. Becker, 1994; Oesselmann/Rüppell/Schreiner, 2008), ökologisches Lernen (vgl. Dauber/Simpfendörfer, 1981), interkulturelles Lernen (vgl. Bröking-Bortfeldt, 1994) (→ Interkulturalität), → interreligiöses Lernen (vgl. Orth, 1991) und interkonfessionelles bzw. → konfessionell-kooperatives Lernen (vgl. Boschki/Schweitzer, 2016). Je nach Kontext und Interesse wurde mehr der eine oder mehr der andere Aspekt herausgestellt; der Begriff konnte sich auf fairen Handel ebenso beziehen wie auf unterschiedliche liturgische Traditionen. Die allgemeine Pädagogik suchte es darum als Paradigma für alle diejenigen Lehr-Lern-Prozesse fruchtbar zu machen, in denen es um Fremdheit ging (vgl. Koerrenz, Ralf, 1994). Im Unterschied zu ‚Ökumene lernen‘, das explizit Ökumene als inhaltsspezifischen Lerngegenstand hat (vgl. Koerrenz, Marita, 2014), zeigte sich ökumenisches Lernen für alle möglichen Inhalte und Referenzhorizonte offen und wurde daher auch als „Lerndimension“ (Kalloch/Leimgruber/Schwab, 2009, 256-273) verstanden. Lässt sich jedoch alles als ökumenisches Lernen deklarieren, wird es schlechterdings profillos.

Auf der anderen Seite ist angesichts von Globalisierung, Migration, Klimakrise, kultureller, religiöser, konfessioneller und weltanschaulicher Pluralisierung und weiterer Herausforderungen, vor die sich die Menschheit derzeit gestellt sieht, eine übergreifende ökumenische Perspektive notwendiger und die Verantwortung von Christinnen und Christen in der Welt größer denn je. Von daher ist eine Konturierung und Weiterentwicklung ökumenischen Lernens mit dem Ziel seiner Wiederbelebung ein religionsdidaktisch gebotenes Anliegen.

2. Kennzeichen Ökumenischen Lernens

2.1. Lernen im Horizont der Einen Welt und der Einen Kirche

Ökumenisches Lernen ist, entsprechend der doppelten Zielrichtung von Ökumene (→ Ökumenische Bewegung), Lernen im Horizont der Einen Welt und Lernen im Horizont der Einen Kirche. Mit diesem doppelten und zugleich in eine Richtung weisenden Ziel nimmt es die sozialethische und ekklesiologische Ausrichtung von Ökumene als Gerechtigkeitsökumene (→ Gerechtigkeit) und Konfessionsökumene auf, die dieser von Anfang an inhärent ist. Dahinter steht die Überzeugung, dass zwischen der Einheit der Kirche und der Einheit der Welt eine theologische Interdependenz besteht: Beide sind voneinander zu unterscheiden, jedoch nicht zu trennen, da Kirche nach ihrem eigenen Verständnis nicht Selbstzweck, sondern auf die Welt ausgerichtet ist. Die Interdependenz zwischen diesen beiden Polen geriet in der Vergangenheit immer wieder in Vergessenheit, so dass in der Folge ökumenisches Lernen entweder auf konfessionell-kooperatives oder auf sozialethisches bzw. globales Lernen reduziert wurde. In beiden Fällen wurde die ursprünglich weite Bedeutung von Ökumene und ökumenischem Lernen perspektiviert und reduziert (anders dagegen Simojoki/Scheunpflug, 2016) und die ursprüngliche Interdependenz von Kirche und Welt nicht mehr ventiliert.

Methodisch und auf der Ebene der Lehr-Lern-Settings bestehen in der Tat Verbindungslinien des ökumenischen Lernens zu interkonfessionellem, interreligiösem und interkulturellem Lernen einerseits und sozialethischem, ökologischem und globalem Lernen andererseits. Gefordert sind in allen Fällen ein konstruktiver Umgang mit Pluralität, Differenz und divergierenden Interessen, Konfliktfähigkeit, Wahrnehmung, Wertschätzung, Würdigung von Andersheit, Bemühen um vorurteilsfreie Begegnung auf Augenhöhe, Bereitschaft und Befähigung zum Dialog. Innerhalb des begrenzten oikos (griechisch: Welt) der christlichen Kirche kann und muss das eingeübt werden, was für den globalen oikos der Weltgesellschaft wichtig ist. Das Vorgehen und die Haltung in der interkonfessionellen „Kleinen Ökumene“ kann zum Lernfeld für das Vorgehen und die Haltung im Bereich der interreligiösen „Großen Ökumene“ und die „Ökumene der dritten Art“ mit Konfessionslosen werden. Gleichermaßen können sie zum Lernfeld werden für weltweites diakonisches Handeln. Vice versa kann das gemeinsame sozialethische Engagement über Konfessions-, Religions- und Weltanschauungsgrenzen hinweg das Bewusstsein für die Einheit der Menschheit ebenso fördern wie für die Einheit der getrennten Christenheit.

2.2. Abgrenzung zu anderen Lernformen

Lassen sich auf der formalen Ebene der Methoden und Arbeitsformen Gemeinsamkeiten mit anderen Lernformen feststellen, bestehen auf der materiellen Inhaltsebene klare Unterschiede: Inhalte ökumenischen Lernens sind die Weltkirche und der Welthorizont als primärer Bezugskontext christlicher Existenz. Diese Bestimmung unterscheidet ökumenisches Lernen von anderen Lernformen, insbesondere vom interreligiösen Lernen. Mit guten Gründen hat die Konfessionsökumene als Wissenschaftsdisziplin ihren ursprünglichen Anspruch auf die „Große Ökumene“ der Religionen aufgegeben, weil sie realisiert und reflektiert hat, dass ihr Ansatz zur Bearbeitung interkonfessioneller Differenzen sich nicht einfachhin auf interreligiöse Differenzen übertragen lässt. Während sie nach Konvergenzen zwischen den Konfessionen sucht und sich um Konsensfindung bemüht, favorisiert die Theologie der Religionen ein komparativisches Vorgehen. Und während sich in der Konfessionsökumene das Prinzip der ‚Einheit in versöhnter Verschiedenheit‘ durchgesetzt hat – auch wenn die Konfessionen unterschiedliche Kriterien an diese Einheit anlegen und nicht klar ist, wie und ob überhaupt sie einmal institutionell realisiert werden kann und soll –, streben interreligiöse Dialoge keine Einheit der Religionen an, sondern Frieden, Verständigung, Konvivenz.

3. Ökumenisches Lernen im Religionsunterricht

3.1. Entwicklungen

War ökumenisches Lernen in seinen Ursprüngen stärker gemeindepädagogisch ausgerichtet, wurde es ab den neunziger Jahren vermehrt auf den schulischen Religionsunterricht hin durchbuchstabiert (vgl. Goßmann, 1987; Orth, 1991; Scheidler, 1999; Becker, 2007; Schlüter, 2007). Zum Teil verbanden sich damit hohe Erwartungen, dass und wie es den Unterricht und darüber hinaus den gesamten Schulkontext verändern werde. Dies stieß nicht nur auf Befürwortung, sondern der damit verbundene ökumenische Utopismus, eine normativ aufgeladene Postulatspädagogik und die aufgrund ihrer Universalität vielfach unrealistischen Erwartungen bezogen auf das Zusammenleben aller Menschen und aller getrennten Kirchen auf dieser Erde, waren auch Gegenstand der Kritik. Diese Kritik wurde in den neueren Beiträgen berücksichtigt, die sich weitaus weniger ambitioniert positionieren als die Protagonisten in den Anfängen ökumenischen Lernens.

3.2. Notwendige Verhältnisbestimmungen

Damit ökumenisches Lernen nicht im Unbestimmten verbleibt, muss seine bislang eher diffuse Verhältnisbestimmung zum sozialethischen, globalen, interreligiösen, interkulturellen und interkonfessionellen Lernen einer Klärung zugeführt werden. Während Schweitzer es als das „am weitesten reichende Konzept religiöser Bildung in der Pluralität“ (Schweitzer, 1996, 175) würdigte, verstehen es gegenwärtig viele eher nur als Wegbereiter für die anderen genannten Lernformen; demnach wäre es mittlerweile überflüssig. Wird es unter den Oberbegriff „globales Lernen“ subsumiert (Oesselmann/Rüppell/Schreiner, 2008, 5) oder unter der veränderten Leitperspektive einer religiösen Bildung in der Weltgesellschaft weitergeführt (Simojoki, 2012, 266), erscheinen der ekklesiologische und konfessionell-kooperative Aspekt unterbelichtet. Weiterführend erscheint der Klärungsversuch von Asbrand und Scheunpflug (2005, 273-278), die keine Über- bzw. Unterordnung der verschiedenen Lernformen vornehmen, sondern ihre Verwandtschaft betonen und die Unterschiede an den zu Grunde liegenden inhaltlichen Leitdifferenzen festmachen. Auf diese Weise bleibt die unterschiedliche inhaltliche Ausfüllung gewahrt und es wird eine Nivellierung der unterschiedlichen Didaktiken verhindert.

3.3. Fokussierung auf das Gemeinsame

Im Religionsunterricht fokussiert ökumenisches Lernen auf das Verbindende, ohne bestehende Differenzen zu negieren oder auflösen zu wollen (vgl. Pemsel-Maier, 2019). Auf der formalen Ebene vereinigt es gemeinsame Methoden, Arbeits- und Sozialformen, die disziplinübergreifend für globales, ökologisches, interkulturelles, interkonfessionelles, interreligiöses und sozialethisches Lernen relevant sind: Lernen in Gemeinschaft, von anderen und mit anderen, Lernen durch Beziehung und Begegnung, dialogisches Lernen, Einübung in → Perspektivenwechsel und Perspektivenverschränkung. Auf der Inhaltsebene schärft ökumenisches Lernen den Blick für die Gemeinsamkeiten im Leben in Kirche und Welt, auch den Blick auf gemeinsame Herausforderungen, Aufgaben und Zielsetzungen in Bezug auf ihre Gestaltung. Leitend ist hierfür pädagogisch das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung, das bestehende Unterschiede nicht aufhebt, ekklesiologisch die Zielvorstellung von der Einheit in Vielfalt, die sich von uniformistischen Konzepten unterscheidet. Nach außen hin, im Dialog mit einer zunehmend säkularen Gesellschaft, bringt ökumenisches Lernen das spezifisch Christliche zur Geltung, das sich aufgrund der Binnendifferenzierung des Christentums zugleich als pluralitätsfähig erweist.

3.4. Erweiterung der Perspektiven

Ökumenisches Lernen fordert auf zur Überschreitung des eigenen, vertrauten und zugleich begrenzten Horizontes hin auf andere Horizonte von Welt und Kirche. Es lenkt den Blick über den Tellerrand der eigenen Konfession und Kirche ebenso hinaus wie über die Grenzen des eigenen ökologischen Lebensraums. Bezogen auf den globalen Weltkontext bricht ökumenisches Lernen die eurozentrisch-westliche Perspektive auf den Umgang mit natürlichen Ressourcen auf. In Bezug auf die „Kleine Ökumene“ mit ihren interkonfessionellen Lehr-Lern-Prozesse hält ökumenisches Lernen dazu an, die vor allem in Deutschland dominierende – und unter globaler Perspektive sehr eingeschränkte – evangelisch-katholische Perspektive zu weiten auf die anderen christlichen Konfessionen hin, insbesondere auf die orthodoxen und die unierten orientalischen Kirchen, mit denen es im Zuge der gegenwärtigen Migrationsbewegungen verstärkt zu Begegnungen kommt. Damit kommt ökumenischem Lernen zugleich eine kriteriologische Funktion zu, insofern es die eigene Perspektive weitet und vor Verengungen bewahrt.

4. Ökumenisches Lernen in unterschiedlichen Kontexten

Ökumenisches Lernen ist nicht identisch mit globalem, interkulturellem, interkonfessionellem, interreligiösem, weltanschaulichem, sozialethischem oder ökologischem Lernen – aber globales, interkulturelles, interkonfessionelles, interreligiöses, weltanschauliches, sozialethisches oder ökologisches Lernen kann und soll eine ökumenische Ausrichtung haben. An drei unterschiedlichen Kontexten wird dies im Folgenden konkretisiert.

4.1. In interkonfessionellen Lernprozessen

Die Wiederentdeckung des ökumenischen Lernens hat das Potential, dem konfessionell-kooperativen Religionsunterricht jene ökumenische Dimension zu verleihen, die aus verschiedenen, zum Teil (kirchen)politischen Gründen in den Hintergrund getreten ist. Zwar war sie mit der Qualifizierung des Unterrichts als ‚kooperativ‘ niemals ausgeblendet. De facto hat jedoch die Sorge vor möglicher Einebnung konfessioneller Differenzen dazu geführt, das Moment des Konfessionellen zum Teil in unangemessener Weise zu pointieren. So zeigen neuere Unterrichtsforschungen, dass konfessionell-kooperative Lernprozesse durch die Fokussierung auf die Spezifika der einzelnen Konfessionen Gefahr laufen, konfessionelle Stereotype zu reproduzieren und Differenzen im re-konfessionalistischen Sinne zu verstärken. Ökumenisches Lernen lenkt dagegen den Blick auf das, was die christlichen Konfessionen eint, ohne die Unterschiede auf ein abstraktes a-historisches und a-kulturelles ‚Allgemeines Christliches‘ hin zu nivellieren und die Notwendigkeit von Differenzsensibilität zu negieren. In diesem Sinne geht es nicht um eine völlige Neujustierung, aber um einen Wechsel der Perspektive auf konfessionell-kooperativen Unterricht. Es macht inhaltlich wie didaktisch einen Unterschied, ob im Unterricht die Differenzen zwischen den Konfessionen im Mittelpunkt stehen oder ob die Perspektive des verbindend Christlichen leitend ist und von dort her konfessionelle Differenzen erschlossen werden. In diesem Sinne wäre der konfessionell-kooperative auf einen ökumenischen Unterricht hin weiterzuentwickeln.

4.2. In interreligiösen Lernprozessen

Es gilt, die ökumenische Perspektive in interreligiöse Lernprozesse und vor allem in die verschiedenen Spielarten des → interreligiösen Begegnungslernens zu integrieren. Fast immer stellen diese die evangelische, katholische, islamische, jüdische und ggf. säkulare Perspektive ohne Zuordnung nebeneinander. Ein solches additives Nebeneinander beachtet nicht die verschiedenen Ebenen, auf denen Konfessionen und Religionen angesiedelt sind, ganz abgesehen davon, dass innerjüdische oder innerislamische Differenzen, die ein teilweise hohes Konfliktpotential in sich bergen, in der Regel keine Berücksichtigung finden. Durch ein solches additives Nebeneinander werden mögliche Differenzen zwischen den christlichen Konfessionen in einer Weise betont, die interreligiös womöglich kontraproduktiv ist oder zumindest den Zugang zum Christlichen erschwert. Wie in interkonfessionellen Lernprozessen gilt auch hier: Es macht einen wesentlichen Unterschied, ob im Dialog mit anderen Religionen oder nicht-religiösen Weltanschauungen das christliche Profil vom Kontrastiven der Konfessionen her erschlossen wird, oder ob, gewissermaßen nachgängig, konfessionelle Ausprägungen innerhalb des Christlichen benannt werden. Ökumenisches Lernen im Kontext interreligiösen Lernens setzt darauf, im Dialog mit anderen Religionen und Weltanschauungen nicht in erster Linie innerchristliche konfessionelle Spezifika zu identifizieren, sondern das gemeinsame Christliche zur Sprache zu bringen. Dies ist nicht etwa einem Versuch der Uniformierung gleich zu setzen, sondern Ausdruck der Kontext- und Adressatenorientierung: In interreligiösen Settings hat das ökumenisch bezeugte gemeinsame Christliche höhere Relevanz als konfessionelle Differenzierungen.

4.3. Im Kontext von Bildung für Nachhaltige Entwicklung

Ökumenisches Lernen ist in besonderem Maße anschlussfähig an → Bildung für Nachhaltige Entwicklung, an Eine-Welt-Pädagogik, an Friedens- und Migrationspädagogik, an Umwelt- und Menschenrechtserziehung. Angesichts der Überschreitung der Grenzen ökologischer Belastbarkeit der Erde, die die Lebensmöglichkeiten aller Lebewesen bedroht, macht es auf die Verantwortung der christlichen Kirchen und letztlich aller Religionen aufmerksam und eröffnet auf diese Weise der Weltgesellschaft Ökumene als Verantwortungshorizont. Ohne zwingend ein gemeinsames Weltethos zu postulieren, macht ökumenisches Lernen geltend, dass angesichts der großen Herausforderungen der Menschheit ausnahmslos alle Religionen und Weltanschauungen aufgerufen sind, ihren Beitrag zu leisten. Zugleich erinnert es, gerade angesichts vielfältiger und gut gemeinter Bemühungen um nachhaltige Bildung im Religionsunterricht, an den eschatologischen Vorbehalt, der die drei abrahamitischen Religionen eint: Weder kann ihr Engagement die Welt retten noch den Himmel auf Erden bewirken – und dennoch ist es unverzichtbar.

5. Didaktische Anregungen

Ökumenisches Lernen ist mittlerweile in allen Jahrgangsstufen in den Lehr- und Bildungsplänen implementiert und spielt ebenso in gemeindepädagogischen Prozessen eine wichtige Rolle, auch wenn die Perspektivierung angesichts der Rede über konfessionelle Kooperation sowie der Frage nach der Fokussierung interreligiösen Lernens im christlichen Religionsunterricht und der Verhältnisbestimmung zwischen der Einen Welt und der Einen Kirche neu zu bestimmen ist (vgl. Koerrenz, Marita, 2014). Diese Neubestimmung ökumenischen Lernens soll nun im Hinblick auf die Frage nach einer möglichen didaktischen Umsetzung in den Blick genommen und exemplarische Themen ökumenischen Lernens für die Praxis sollen benannt werden.

Im Primarbereich gehört → Schöpfung zu den klassischen Themen des Religionsunterrichts. Angesichts der Klimakrise und der Bewegung „Fridays for Future“ lässt sich diese Thematik eindeutig nicht mehr von der Frage nach Gerechtigkeit und Frieden trennen. Künftige Generationen in den Blick zu nehmen und ihre Lebensgrundlagen zu bewahren, ist ein biblisches Anliegen, das es neu zu entfalten und zu elementarisieren gilt. Die beiden biblischen Schöpfungsgeschichten im Buch Genesis und die Schöpfungspsalmen lassen nach den Bezügen von Mensch, Welt und Gott fragen. Schöpfung ist im biblischen Verständnis ein Beziehungsgeschehen. Der Mensch wird in biblischer Perspektive als Gast auf dieser Erde verstanden, der seine Beziehung zu Gott und Welt als Prozess einüben darf. Der christliche Glaube als ein Gesprächsangebot im weiten Feld des ökumenischen Lernens kann didaktisch so entfaltet werden, dass Schülerinnen und Schüler zum Fragen angeleitet werden. Ökumenisches Lernen nimmt in seinem religiösen Bezug in dem Diskussionsprozess um den Klimawandel die Rolle einer Außenperspektive ein, die aber gerade darum hilfreich sein kann bei der Suche nach einer Hoffnungsperspektive für die zukünftige Welt, die wir für das Leben auf dem Planeten Erde im Angesicht Gottes bewahren möchten. Die biblische Option der Umkehr kann didaktisch als eine Möglichkeit hoffenden Handelns interpretiert werden. Theologie hält der emotionalen Forderung von Greta Thunberg nach Panik angesichts der weltweiten Klimakrise nachdenklich entgegen, dass biblische Hoffnung eine andere Dimension der Sichtweise auf Welt ermöglichen könne, die Handlungsperspektiven auch in offensichtlichen Paniksituationen zu eröffnen vermögen. Sie tut dies nicht mittels eines blinden Ausblendens von Wirklichkeit, sondern durch den Einbezug der biblischen Sichtweise auf den Menschen und auf die Welt, die im Anschluss an Dietrich Bonhoeffer um Schöpfung und Fall weiß. Beide Dimensionen werden biblisch vom Motiv des Sabbats zusammengehalten. Die Rede vom Sabbat, die das Element der Ruhe als eine Möglichkeit des menschlichen Umgangs mit der Natur in das Gespräch einbringt, kann schon Kindern erfahrbar gemacht werden, indem meditative Stilleübungen methodisch in den Unterricht eingebracht werden und von der jüdischen Sabbattradition erzählt wird (vgl. Koerrenz, Marita, 2020).

Ein weiteres Thema ökumenischen Lernens ist der Dialog zwischen der römisch-katholischen Kirche und den evangelischen Kirchen. Wird die Perspektive des ökumenischen Lernens konsequent weitergedacht, liegt der Fokus nicht auf der Frage nach Differenz und Konvergenz der beiden Schwesternkonfessionen, sondern vorrangig ist danach zu fragen, welches gemeinsame Potential die Kirchen im Blick auf die Bewältigung der Klimakrise anbieten. Der erste Schritt besteht somit in der Suche nach dem Gemeinsamen angesichts einer globalen Krise, die alle Menschen in unterschiedlicher Art und Weise betrifft. Die Sorge um das Überleben der Geschöpfe Gottes verbindet die Konfessionen und Religionen miteinander. Gleichsam lässt sich durch diesen gemeinsamen Zugang auf die Sicht von Schöpfung auch an die Erfahrungswelt der Kinder anknüpfen, die um das Problem der Klimakrise wissen, aber weniger an der Differenz zwischen den beiden großen Konfessionen im deutschsprachigen Raum interessiert sind.

Die Ausweitung des Kirchen-Themas auf den Bereich Schöpfung bringt neue Dimensionen in den Religionsunterricht ein, unabhängig davon, ob er monokonfessionell oder konfessionell-kooperativ erteilt wird. Ausgehend vom gemeinsamen Taufverständnis der Konfessionen, das im Jahr 2007 in der Magdeburger Erklärung dokumentiert und ausgesprochen worden ist, wird der Mensch als ein von Gott angenommenes Geschöpf verstanden. Lernen im Sinne der Ökumene fragt danach, was das Motiv der Gottesebenbildlichkeit des Menschen für den einzelnen Schüler und die einzelne Schülerin bedeuten könnte. Die grundsätzliche Annahme des Menschen mit seinen Stärken und Schwächen, die sich aus seiner Geschöpflichkeit her begründet, setzt so innerhalb des Themas Kirche und Kirchen einen anderen Fokus. Konfessionslose Schülerinnen und Schüler lassen sich in die Frage einbinden, was es für die Einzelnen bedeuten kann, dass der Mensch als Bild Gottes geschaffen und gedacht ist. Diese Annahme hat Konsequenzen im Umgang des Menschen mit seiner Mitschöpfung. Die Frage der Konkretion dieser Annahme kann mit allen Schülerinnen und Schülern gemeinsam erarbeitet werden, unabhängig ihres jeweiligen religiösen oder nichtreligiösen Kontextes.

Auch die theologische Einbeziehung des Motivs der biblischen Schöpfungsruhe kann sowohl konfessionell-kooperativ wie interreligiös oder auch aus konfessionsloser Sichtweise heraus didaktisch fruchtbar gemacht werden: Was bedeutet die Ruhe Gottes am siebten Tag der Schöpfung für unsere Weltwahrnehmung im 21. Jahrhundert und was könnte eine solche Neuperspektivierung im Hinblick auf die Zukunft der Einen Erde bewirken?

Dieser zunächst ungewöhnlich erscheinende Zugang auf die Frage nach der Unterscheidung der Konfessionen kann für den interreligiösen Dialog im Blick behalten werden, der vor allem in den Lehr- und Bildungsplänen der Sekundarstufe I zum Thema wird. Die jüdische Sabbattradition hat sich im christlichen Sonntag fortgesetzt. Hier bietet sich die Frage nach der Bedeutung der Sabbattraditionen auch und gerade in Bezugnahme auf die Klimakrise für Unterrichtsprozesse an (vgl. Koerrenz, Marita, 2020). Offensichtlich ist auch der Bezug zu den Themenfeldern Gerechtigkeit und Frieden, die sich sowohl interkonfessionell als auch interreligiös und ebenso im konfessionslosen Bezug als didaktische Impulse anbieten (vgl. Koerrenz, Marita/Koerrenz, Ralf, 2017).

In den Lehr- und Bildungsplänen beider Konfessionen begegnet das Thema Tod und Auferstehung (→ Tod/Todesverständnis; → Heilstod Jesu; → Auferstehung Jesu). Sowohl die Konfessionen als auch die Weltreligionen können mit ihrem jeweiligen Transzendenzverständnis zur Diskussion gestellt werden. Ebenso wird die Lehrkraft die Erfahrung machen, dass die Unterschiedlichkeit der Vorstellungen vom Jenseits innerhalb der Lerngruppe zur Diskussion einlädt. Das Konzept des Ökumenischen Lernens kann an dieser Stelle dazu beitragen, mit Pluralität so sensibel umzugehen, dass nach einer gemeinsamen Hermeneutik des Verstehens und der Verständigung innerhalb der Lerngruppe gefragt werden kann.

Der Blick auf die Ökumene im Verständnis der Einen Erde mit ihren wechselseitigen Beziehungen und der gegenseitigen Verantwortung füreinander und miteinander lässt sich mit dem theologischen Motiv der Barmherzigkeit verknüpfen, das die drei abrahamitischen Religionen miteinander verbindet. Die Interpretation dieses Motivs im Kontext von globalen Krisen fragt nach dem möglichen Beitrag zu ihrer Bewältigung in der jüdischen, christlichen und islamischen Religion (vgl. Koerrenz, Marita/Koerrenz, Ralf, 2016): Was bedeutet es, entsprechend der abrahamitischen Tradition und ihrem Wissen um die Gastfreundschaft des Stammvaters Abraham, barmherzig zu sein gegenüber Fremden, Witwen und Waisen oder in Bezug auf die weltweite Migrationssituation unserer Erde? Jugendliche können das Problem der weltweiten Migration nicht lösen und dürfen im Religionsunterricht auch nicht von politischen oder religiösen Positionen überwältigt werden, aber sie können dazu eingeladen werden, sich auf einen Denkweg zu begeben, der nach den Chancen von → Versöhnung fragt, ohne die politischen Realitäten ausblenden zu müssen. Religionen fragen nach dem Leben und nach den Möglichkeiten des Zusammenlebens. Die Frage nach dem Spezifikum des christlichen Beitrages für das Überleben der Einen Erde steht im Raum und sollte besonders im Religionsunterricht der Sekundarstufe II nicht ausgeblendet werden. Der konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ist ein Versuch der Antwortmöglichkeit auf diese Frage und hat seine Aktualität nicht verloren. Besonders die Frage nach der Hoffnung, die alle Religionen in unterschiedlicher Form prägt, könnte das Spezifikum des Religionsunterrichtes ausmachen.

Schließlich ist „Ökumene lernen“ auch für konfessionslose Schülerinnen und Schüler von Relevanz. Denn die römisch-katholische Kirche als Weltkirche und der Ökumenische Rat der Kirchen als Zusammenschluss evangelischer und orthodoxer Kirchen sowie der anglikanischen Kirche prägen die Gesellschaft und bestimmen mit über die Chancen und Grenzen der Einen Welt.

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