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Montessori-Pädagogik

(erstellt: Februar 2017)

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Begründet wurde die Montessori-Pädagogik durch die italienische Ärztin und Pädagogin Maria Montessori (1870-1952). Ihre Pädagogik ist bestimmt durch eine hohe Wertschätzung und Achtung vor der Person, durch Selbstbestimmung (Entwicklungs- und Betätigungsfreiheit) und durch die Aufgabe der Verantwortungsübernahme für den Kosmos (Kosmische Erziehung). → Religion hat eine fundamentale Stellung im Denken Montessoris. Sie äußert sich maßgeblich in der → Anthropologie und der Sicht der Welt als Schöpfung. Die Montessori-Pädagogik wird seit ihrem Erscheinen – allerdings nur von einem Teil ihrer Rezipienten – als Religionspädagogik betrachtet. Erste Überlegungen zur religiösen Erziehung sind bereits in „Die Entdeckung des Kindes“ (Montessori, erstmals 1909) grundgelegt. In Barcelona (1916-1936) erprobt Montessori ihr explizites Konzept religiöser Erziehung (→ Bildung, religiöse). Religionspädagogische Akzente weisen auch die kosmische Erziehung und Friedenserziehung auf.

1. Maria Montessori – Leben und Werk

Zwischen Montessoris Persönlichkeit, ihrem Glauben (→ Glaube), dem pädagogischen Werk und dem historischen Kontext bestehen enge Zusammenhänge. In den Ausweitungen und neuen Themen der Montessori-Pädagogik spiegeln sich biographische Begebenheiten wider – z.B. eine intensivere Hinwendung zum katholischen Glauben, die Ausweitung zur ‚Kosmischen Theorie‘ in Indien – sowie politische Umstände wie beispielsweise die Weltkriege in der Friedenserziehung (1.1). Montessoris persönlicher Bezug zum Glauben und zur katholischen Kirche ist für das Verständnis ihrer Religionspädagogik aufschlussreich (1.2).

1.1 Persönlichkeit und Lebenswerk

Intensive Studien in Medizin und Pädagogik, Vorlesungen in pädagogischer Anthropologie sowie die Arbeit mit geistig Behinderten und Kindern brachten Montessori zur Überzeugung, dass Erziehung und Bildung über einen Selbstbildungsprozess ablaufen. Unter ihrer Anleitung wurden Kinderhäuser und Schulen (vornehmlich im Primarbereich) gegründet, die ihr Menschenbild und ihre pädagogischen Prinzipien umsetzten. Mit Veröffentlichungen, Vorträgen sowie mehrwöchigen Ausbildungskursen trug sie zur weltweiten Verbreitung ihrer auf universale Gültigkeit zielenden Konzeption bei. Eine große Rolle spielten dabei ihre engagierte Persönlichkeit, Reisen, Wohnortwechsel, Kontakte zur Theosophischen Vereinigung bzw. New Education Fellowship, ihre Sprache und Publizistik. Lebenslang entwickelte Montessori ihre Pädagogik mit Schwerpunktverschiebungen weiter. Sie setzte sich für die Rechte des Kindes ein und wollte ihm zur Unabhängigkeit vom Erwachsenen verhelfen. In der Schulpädagogik zu ihrer Zeit war es in der Tat nicht selbstverständlich dem Kind ‚Eigenraum‘ zu lassen; Kontrolle, Disziplin und Memorieren herrschten vor. Ein Umdenken in der Erziehung erschien ihr dringlich und die Rettung der Kindheit bzw. Menschheit als ihre Mission. Montessori beabsichtigte zunächst nicht, ein Konzept religiöser Erziehung zu begründen. Durch die große Resonanz auf ihre Methode und auf den Anstoß spanischer Priester hin übertrug sie ihre allgemeinen Erziehungsprinzipien und Lehrmethoden auf die religiöse Erziehung und beleuchtete sie aus dem Blickwinkel eines christlichen Menschenbildes. Ab 1922 entstehen explizite religionspädagogische Texte, die ihre Praxis katholischer, religiöser Erziehung erklären und das Ziel ihrer Pädagogik ausdrücklich in den Zusammenhang mit der religiösen Erziehung rücken. Montessori betrachtet die religiöse Erziehung als Erfüllung ihres pädagogischen Denkens (Montessori, 2008, 42). Nicht die „Methode“ sei ihr „Hauptwerk“, sondern die Betrachtungsweise der Kindheit mit „den immensen konstruktiven Kräften zum Aufbau einer besseren Kultur“, resümiert sie (Montessori, 2008, 140). Aufgrund der Orientierung an positivistischen medizinisch-biologischen Naturwissenschaften einerseits sowie der religiösen Grundierung andererseits fand die Montessori-Pädagogik in sehr unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Gedankenkreisen eine Aufnahme. Kontroversen in der Interpretation spiegeln die – teilweise schon von Montessori selbst gegründeten – nationalen und internationalen Montessori-Vereinigungen wider. Sie führen bis heute Ausbildungskurse zum Erwerb eines Montessori-Diploms fort, das zur Arbeit in einer Montessori-Einrichtung berechtigt. In Deutschland sind dies maßgeblich: Montessori Dachverband Deutschland e.V. (www.montessori-deutschland.de), Deutsche Montessori-Vereinigung e.V. (www.montessori-vereinigung.de), Deutsche Montessori Gesellschaft e.V. (DMG) (www.montessori-gesellschaft.de).

1.2 Montessoris Verhältnis zu Religion und Kirche

Maria Montessori kann als liberale katholische Christin charakterisiert werden (Pütz, 2005, 37), die sich zeitlebens zum katholischen Glauben bekannte. Aufgrund persönlicher Erlebnisse ab dem Jahr 1906 wendet sie sich intensiver der Religion zu (Schulz-Benesch, 1995, 193-209). Eine Rolle spielten ihre uneheliche Mutterschaft (1898) und der Tod ihrer Mutter (1912) sowie Erfahrungen im ersten Casa dei Bambini in San Lorenzo (1907). Montessori besuchte in dieser Zeit regelmäßig eine Ordensfrau, nahm an Exerzitien teil und studierte theologische Arbeiten von C. Fouard und A. Ferrandina (Schulz-Benesch, 1995, 196). Ab 1899 war sie Mitglied in der Theosophischen Vereinigung, zu deren Bestrebungen eine Synthese zwischen Wissenschaften und Religionen sowie das Motiv einer grenzenlosen Bruderschaft zählen (Walther, 2008, 217). Dies führte zu kontroversen Diskussionen, inwieweit die Montessori-Pädagogik von einer katholischen Weltanschauung oder von weiten religiös-theosophischen Gedanken inspiriert ist. Affinitäten zur Theosophie finden sich jedoch weniger in Glaubensfragen als im Engagement für Unabhängigkeitsbestrebungen, z.B. sozialreformerisch hinsichtlich der Emanzipation von Frauen oder der Unabhängigkeit von Kindern (Eckert, 2001, 256). Montessoris Schriften belegen, dass sie persönliche Erlebnisse und Schicksalsschläge religiös als göttliche Fügung oder → Offenbarung deutet. Sie enthalten Gleichnisse und Zitate aus der Bibel, eine starke religiöse Metaphorik sowie den im Grunde missionarischen Gedanken der Verbesserung der Welt durch Pädagogik. Montessori zeigt eine Bindung an das Christentum vor und nach ihrer Zeit in Indien und äußert eine Wertschätzung der katholischen Kirche. Sie hatte die Idee der Gründung eines Ordens, nicht um ihre Pädagogik zu spiritualisieren, sondern um durch eine Indienstnahme der Kirche ihre große Vision zu realisieren. Mithilfe eines Ordens und der kindlichen Kräfte des ‚normalisierten Kindes‘ schwebte ihr vor, eine christliche Kultur der Harmonie und des Friedens aufbauen zu können (Montessori, 2008, 140). Die Realisierung wollte sie anderen überlassen, um die Offenheit ihrer Pädagogik für alle Religionen aufrecht zu erhalten. Mit dem 1944 in Indien verfassten Gebet „La preghiera“ ordnet sie ihr Denken und die Deutung des Lebens in einen sehr weiten religiösen Horizont ein. Es lautet: „Hilf uns, o Herr, die Geheimnisse des Kindes zu ergründen, daß [sic] wir es erkennen, es lieben und ihm dienen können gemäß deinen Gesetzen der Gerechtigkeit und deinem göttlichen Willen folgend.“ Dieses Gebet könne von jedem, auch nichtreligiösen, Menschen gesprochen werden (Montessori, 2008, 107-124).

2. Prinzipien der Montessori-Pädagogik

Die Sichtweise des Kindes (Anthropologie) und die daraus folgende Haltung der Erziehungsperson haben in der Montessori-Pädagogik einen maßgeblichen Stellenwert. Montessori verstand ihre Methode als Antwort auf die körperlichen, seelischen und geistigen Bedürfnisse des Kindes. Erziehung und Bildung werden als Prozesse betrachtet, die vom Individuum selbst – in Auseinandersetzung mit der ihm zukommenden Freiheit und Verantwortung – geleistet werden müssen. Denn, so argumentiert Montessori, Bildung und Ordnung des Verstandes erfolgen über das Wahrnehmen und Erforschen der Lebensumwelt mit allen Sinnen. Das Leitwort „Hilf mir, es selbst zu tun“ bringt zum Ausdruck, dass das Kind in diesem indirekten Erziehungsprozess auch auf Hilfe angewiesen ist. Hilfe kommt aus dem (gegenseitig belehrenden) Lehrer-Schüler-Verhältnis, der strukturierten Umgebung mit Regeln sowie vom didaktischen Material (in den Bereichen Übungen des täglichen Lebens, Sinnesschulung, Sprache, Mathematik, Kosmische Erziehung, Musik und Religion). Die Materialien können nach der Einführungslektion frei gewählt werden (→ Freiarbeit). Entsprechend dem Prinzip „Vom Konkreten zum Abstrakten“ steht eine altersangemessene Förderung des Verstandes im Zentrum, zu der auch religiöse Entwicklung bzw. die Entwicklung des Glaubens zählen. Phasen der Konzentration (Polarisation der Aufmerksamkeit) sollen zur sogenannten „Normalisation“ führen, der gegenüber Montessori deviates Verhalten als entwicklungspsychologisches Fehlverhalten abgrenzt. Sie ist überzeugt, durch freie Arbeit langfristige Verhaltensveränderungen (Normalisation) wie z.B. Ruhe, Disziplin oder Arbeitseifer bei Kindern herbeigeführt zu haben und herbeiführen zu können, die seelische Entwicklungen widerspiegeln und dem Selbstaufbau dienlich sind. In diesem Zusammenhang sind Stilleübungen zur Förderung von Selbstdisziplin begründet. Montessori entwickelt ausgehend von besonderen Interessensphasen (Sensible Phasen) und von Entwicklungssensibilitäten (→ Entwicklungspsychologie) der Kinder und Jugendlichen unterschiedlich vorbereitete Umgebungen und Lernprogramme für die Altersgruppen der 0- bis 6-Jährigen (unterteilt 0-3 und 3-6 Jahre), für 6-12-Jährige die „Kosmische Erziehung“ und für 12-18-Jährige die „Erfahrungsschule des sozialen Lernens“.

3. Religion und religiöse Erziehung nach Montessori

Montessori versteht Religion, Kultur und Sprache als wesentliche Dimensionen des Menschseins, die in der menschlichen Natur verwurzelt sind. Werden sie nicht entwickelt, verkümmern sie, und dem Menschen fehle etwas Fundamentales für seine Entwicklung. Sie unterscheidet zwei Ebenen der Religion: Zum einen Religion als allgemeine anthropologisch fundierte Grundgegebenheit (Existential) des Menschen. Religion meint hier „sehr allgemein die Neigung und die Fähigkeit, über das Vorfindliche, materiell Greifbare hinaus nach Sinn und Wert der Welt und des Menschen, nach Gerechtigkeit und Vertrauen zu fragen und dabei offen zu sein für Transzendenz“ (Raapke, 2003). Zum anderen konkretisiert sich dieses Existential in unterschiedlichen Religionen. Religion entwickelt sich wie eine Sprache abhängig von der jeweiligen Umgebung (Montessori, 2001, 130). Trotzdem erkennt Montessori „für alle Religionen geltende Grundsätze religiöser Erziehung“ (Ludwig, 1999, 148). Sie betrachtet ihre Methode als Weg zur personalen, moralischen und sozialen Vervollkommnung.

3.1 Grundgedanken zur religiösen Erziehung

Montessoris religiöse Anthropologie enthält die Annahme eines von Gott gegebenen prädestinierten Entwicklungsverlaufs. Bereits ab 1913 artikuliert sie ihren 1939 ausformulierten Glauben an „Gott im Kind“ (Montessori, 2008, 29). Sie betrachtet jede Kinderseele als Gottesoffenbarung und Zeichen der Gegenwart Gottes. Sie könne den Erwachsenen eine Hilfe für den Glauben sein und zeigen, wie mit dem Kind umzugehen ist. Die kindlichen Entwicklungsgesetze, verankert im Bauplan der → Seele, offenbarten den „Geist und die Weisheit Gottes, der im Kind wirkt“ (Montessori, 2008, 28). Aus dem sich im Kind offenbarenden Schöpfungswillen Gottes ergäben sich Maßstäbe für das Verhalten der Erziehungspersonen. Sie sollen dem Kind mit Respekt, Demut, Ehrfurcht, Wertschätzung und Liebe begegnen, ihm verantwortete → Freiheit gewähren und ein Leben in Frieden ermöglichen. Montessori begründet diese Haltungen auch biblisch mit Jesu Verhalten gegenüber Kindern (z.B. Montessori, 2008, 33-35). Erziehung sei „Mitarbeit mit der Gnade Gottes“ (Montessori, 2008, 29) mit der Aufgabe, „das Göttliche im Menschen zu erkennen, zu lieben und ihm zu dienen“ (Montessori, 2008, 72). Über den Zugang zu Gott im Kind erschließt Montessori, wie religiöse Erziehung erfolgen soll. Die religiöse Entwicklung skizziert sie – entsprechend zur körperlichen und geistigen Entwicklung – für drei Altersstufen ausgehend von einem religiösen Empfinden und sozialen Sensibilitäten bis hin zur Ausbildung eines moralischen Bewusstseins, einer eigenen religiösen Position, Anerkennung der Liebe als Grundsatz sozialen Lebens und der Bereitschaft, universale Verantwortung zu übernehmen. Der Religionslehrer bzw. die Religionslehrerin (→ Lehrkraft, Rolle) solle das Wissen vom inneren Weg vermitteln und selbst die innere Sensibilität für moralische und religiöse Dinge besitzen. Religion und Moral treffen sich für Montessori im christlichen Begriff der Liebe als Hinwendung zum Mitmenschen. Der Weg zu solch einer „guten“, gemäßigten Persönlichkeit erfolge durch Wachsen in Freiheit und durch Entwicklungsbegleitung. Religiöse Lernerfahrungen bietet die Montessori-Pädagogik über die Wertschätzung des Kindes, die Haltung der Erziehungspersonen, Selbsttätigkeit, Sinnesschulung, Stille, Konzentration, Freiheit und den Umgang mit Fehlern (Montessori, 2008, 40).

3.2 Religiöse Erziehung im Atrium

Den Ausgangspunkt des konkreten religionspädagogischen Entwurfs bildet die Liturgie der katholischen Kirche, die Montessori als „pädagogische Methode der Kirche“ bezeichnet. Die Vermittlung von Religion finde in der Liturgie als persönliche Teilhabe lebendig in Worten und Symbolen statt und sei auf die „Psychologie der menschlichen Seele“ ausgerichtet (Montessori, 2008, 48). Für Montessori stellen die neutestamentliche Lehre bzw. der katholische Glaube als methodische Ausgestaltung kein Faktenwissen dar, sondern eine notwendige Hilfe und Stütze im Leben. Bei der Vermittlung von Religion gehe es nicht um Kenntnisse, Tradition oder einen Sonderbereich, sondern um das Leben. Gemäß ihrem pädagogischen Programm „dem Leben helfen“ sollen Kinder mit Religion bekannt gemacht werden, um Antworten auf eigene seelische Bedürfnisse zu finden und um Glauben als Trost, Stärke und Freudenquelle zu erfahren. Montessori wendet sich gegen die zu ihrer Zeit übliche katechetische Belehrung, die das Ziel verfolgte, Glaubensformeln zu vermitteln und das Kind gut zu machen. Sie gestaltete eine „Kirche der Kinder“, genannt „Atrium“, einen Raum idealerweise mit Garten, der anregt, Religion zu erleben und nachzuvollziehen (Montessori, 2008, 43). Einrichtungsgegenstände waren beispielsweise ein Weihwasserbecken, Altar, Messbuch, Betpulte, religiöse Bilder und kleine Figuren zum Nachspielen biblischer Jesusgeschichten. Gemäß den Übungen des täglichen Lebens können Handlungen der Heiligen Messe nachvollzogen werden. Karteien thematisieren den Ablauf der Messe, Gebete und liturgische Farben. Der Garten sollte praktisches Tun mit dem Anbau von Weizen und Wein ermöglichen und steht in Verbindung zur kosmischen Aufgabe der Verantwortung für die Schöpfung.

4. Rezeption der Montessori-Pädagogik

Entgegen der schlichten Vorstellung von der Montessori-Pädagogik und einer entsprechend einfachen Montessori-Rezeption gibt es bei Montessori selbst Entwicklungen und ebenso keine durchgehend einheitliche Rezeption ihrer Auffassungen. Sie reicht von der Einschätzung als aktuelle Pädagogik bis hin zum Mythos vom Kind. Die Rezeption der Montessori-Pädagogik als Religionspädagogik, das heißt die Diskussion um die implizite Religionspädagogik der Montessori-Pädagogik, setzt in Deutschland 1913 ein und ist beispielhaft für die katholische Diskussion um die Reformpädagogik (Konrad, 1997, 279f.). Ab etwa 1960 setzen sich maßgeblich Helene Helming, Günter Schulz-Benesch, Winfried Böhm und Paul Oswald mit der Frage nach der religiösen Orientierung der Montessori-Pädagogik auseinander. Oswalds Auswertungen fundieren die Konzeption des sogenannte Marchtaler Plans der Katholischen Freien Schulen in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Die explizite religiöse Erziehung wird heute als unzeitgemäße liturgisch orientierte Katechese gewertet, während die implizite Religionspädagogik Montessoris impulsgebend wirkt. Dies gilt vor allem für die Propagierung von Freiarbeit, Stille und vorbereiteter Umgebung in der religiösen Erziehung (Koerrenz, 2001). Für die Gegenwart können drei idealtypische Vertreter für eine Rezeption der Montessori-Pädagogik in Katechese, → Gemeindepädagogik und → Religionspädagogik benannt werden: Sofia Cavalletti konzipierte die „Katechese des guten Hirten“, eine religiöse Erziehung für einen katechetischen Religionsunterricht. Jerome W. Berryman zielt mit → „Godly Play“ auf die gemeindepädagogische Sozialisation des Kindes. Horst Klaus Berg entwarf ein anthropologisch und bibeldidaktisch begründetes Konzept religiöser Erziehung, das programmatisch als „Freiarbeit nach Montessori“ betitelt wird. Es geht um die Begleitung des Glauben-Lernens in Freiheit unter dem Motto „Hilf mir, selbst zu glauben“. Gemeinsam ist diesen Konzeptionen ihre Grundlegung in Montessoris religiöser Anthropologie des Kindes, die besondere Haltung der Lehrperson sowie eine vorbereitete strukturierte Lernumgebung, die anregt, Religion selbst zu erleben und nachzuvollziehen.

5. Kritik: Religiöse Metaphorik und Ideologie bei Montessori und in der Montessori-Rezeption

Bei der Beurteilung der religionspädagogischen Relevanz der Montessori-Pädagogik für die Gegenwart müssen Historizität, Entstehungsprozess und Eigenart des Konzepts berücksichtigt werden. Montessori postuliert, wie Kinder richtig und für das Kind heilsam vorangebracht werden sollten. Der Blick des Erziehers auf das Kind soll sich ändern. Das ist ein typisch reformpädagogisches Denken. Montessori beschreibt die kindlichen Entwicklungskräfte, seine Seele bzw. Geist und den zielgerichteten Plan, nach dem sich all das entwickelt, mit einer durch und durch religiösen Metaphorik. Sie glaubt an die Möglichkeit, durch eine geeignete Erziehung naturgemäße und das heißt für sie auch: göttliche Gesetze, die im Menschen angelegt sind, vervollkommnen zu können. Die innere Veränderung des Kindes durch Erziehung vergleicht sie mit einer religiösen Bekehrung, Entwicklungsfortschritte mit Offenbarungen. Späte Schriften belegen, dass Montessori ihren starken Glauben an das Kind und seine Mission zeitlebens nicht aufgegeben hat. Sie sieht im Kind ein Wesen, das den Erwachsenen etwas zu offenbaren hat. Diese Sakralisierung des Kindes ruft eine pädagogische – wie z.B. die Kritik an der theologischen Sprache der Pädagogik (Osterwalder, 2005) – und eine religionspädagogische Kritik an der Montessori-Pädagogik hervor (Neff, 2016). Gegenüber der Tendenz eines Teils der Montessori-Rezeption, → Pädagogik als religiösen Vorgang zu lesen, ist aus heutiger Sicht Zurückhaltung angesagt. Betrachtet man Montessoris Entdeckungen losgelöst von ihren religiösen Überhöhungen, gelten als bleibend aktuell ihre Berücksichtigung der Psychologie des Kindes und der Phasen der Entwicklung beim Umgang mit Kindern sowie beim Lernen.

Literaturverzeichnis

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