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(erstellt: Januar 2015)

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Für das christliche Selbstverständnis ist Glaube als Lehre vom dreieinen → Gott sowie als Überzeugung und religiöse Praxis das zentrale und gegenüber anderen weltanschaulichen Haltungen abgrenzende Phänomen, sozusagen das Proprium dessen, worum es geht. Der Begriff „Glaube“ umfasst dabei sowohl die von der Glaubensgemeinschaft tradierte inhaltliche Seite (fides quae) als auch das von der Gemeinschaft wie der beziehungsweise dem Einzelnen praktizierte Glaubensleben, sowohl im rituell-spirituellen (fides qua) als auch im ethischen Sinn.

„Glauben“ als Substantiv und Verb wird im Deutschen sowohl im religiösen als auch säkularen Kontext (Glaube an die Liebe, an politische Ideen, an sich selbst; glauben, dass es regnen wird) verwendet, wobei sich im semantischen Gebrauch Gemeinsamkeiten (wie die Nicht-Evidenz) und Unterschiede (etwa bezüglich des Bindungscharakters) feststellen lassen. Während im theologischen Kontext Glaube selbstverständlich religiös verstanden wird, gibt es Bemühungen, beide Bedeutungen in einer die innerpsychischen Prozesse in den Blick nehmenden Theorie der „Creditionen“ als eigener anthropologischer Kategorie neben Kognitionen und Emotionen zusammenzufassen (Angel, 2009). Dies passt zur einzig biblischen Glaubensdefinition: „Glaube aber ist: Feststehen, in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von Dingen, die man nicht sieht“ (Hebr 11,1).

1. Empirische Befunde

Die Frage nach der empirischen Untersuchung (→ Empirie) des Phänomens „Glaube“ führt zur Frage, welche Aspekte davon methodisch objektivierbar sind. Während sich der von den Kirchen gelehrte Glaube leicht anhand lehr- beziehungsweise kirchenamtlicher Texte erfassen lässt, gestaltet sich die Frage nach dem Glauben einzelner Personen oder Bevölkerungsgruppen erheblich schwieriger. Zur Differenzierung verschiedener Aspekte dessen, was individuellen Glauben kennzeichnet, bieten religionspsychologische und soziologische Strukturmodelle Hilfen. Um deutlich zu machen, dass es um die religiöse Überzeugung und Haltung von Individuen als innerweltlichem Forschungsgegenstand ohne überempirische Implikationen geht, untersuchen Sozialwissenschaftler Glaube unter dem Begriff der Religiosität ( → Religion/Religiosität). Internationale Beachtung finden bis heute die Arbeiten des US-amerikanischen Soziologen Charles Y. Glock, der in den 1960er Jahren ein Strukturmodell von Religiosität vorlegte, das fünf Dimensionen unterschied: religiöses Wissen, religiöse Ideologie – man könnte auch von religiösen Überzeugungen sprechen –, religiöse Erfahrung, rituelle Praxis und die aus der Religiosität für das (profane) Leben folgenden Konsequenzen.

Auf diesem multidimensionalen Modell – ergänzt um eine Kategorie zur inhaltlichen Ausrichtung, besonders zur Frage nach dem Gottesbild – beruhen auch die Untersuchungen des Religionsmonitors (Bertelsmann, 2007) von 2008 (mit Schwerpunkt auf individueller Religiosität) und 2013 (mit verstärktem Blick auf den Zusammenhang von Religiosität und Werteinstellungen beziehungsweise sozialem Zusammenhalt). Insgesamt zeigen die Ergebnisse eine deutliche Grenze zwischen der Lage in West- und Ostdeutschland. Auf die Frage etwa „Wie stark glauben Sie daran, dass → Gott [Gottheiten] oder etwas Göttliches existiert?“ wählen in Westdeutschland 54 % der Befragten die Antworten „ziemlich“ und „sehr“, während 27 % „wenig“ oder „gar nicht“ antworten; in Ostdeutschland dagegen beantworten nur 23 % die Frage positiv, während 68 % den Gottesglauben eher ablehnen (Bertelsmann, 2013, 12). Dabei finden abstraktere Gottesvorstellungen deutlich mehr Zustimmung als der Glaube an einen persönlichen Gott (Ziebertz, 2007, 49). Befragt nach der subjektiven Relevanz von Religion halten 42 % (beziehungsweise 31 %) der westdeutschen 16- bis 30-Jährigen Religion und Spiritualität für wichtig in ihrem Leben, dagegen nur 21 % beziehungsweise 25 % der Altersgruppe in Ostdeutschland (Bertelsmann, 2013, 14). Für West und Ost bestätigt sich ein anhaltender „Trend des Bedeutungsrückgangs des Religiösen“ (Bertelsmann, 2013, 56), der sich am besten durch die Abnahme religiöser Sozialisation, insbesondere in der Familie, erklären lässt, die in Ostdeutschland seit einigen Jahrzehnten bei etwas mehr als 10 % rangiert und auch im Westen stark rückläufig ist (Bertelsmann, 2013, 15;17; Ziebertz, 2007, 46).

In religionssoziologischer Hinsicht weniger differenziert und mit Akzent auf Trends bezüglich Lebenszufriedenheit, Konsumverhalten und politischer Einstellung steuern die von der deutschen Shell Deutschland Holding in Auftrag gegebenen Jugendstudien regelmäßig „Wasserstandsmeldungen“ zur Stimmung von Jugendlichen in Deutschland bei. Wie beim Religionsmonitor zeigen sich in Glaubensfragen deutliche Unterschiede zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund.

In Bezug auf die Unterscheidung verschiedener Lebensstile sind die Sinus-Studien von großem Interesse, die Personencluster nach sozialen Merkmalen und Wertorientierungen abbilden und Aufschluss geben über die Lebenswelten von Jugendlichen in religiöser Hinsicht. Aufschlussreich sind die Ergebnisse, die verdeutlichen, welch geringer Anteil der Jugendlichen von kirchlich-pastoraler Tätigkeit noch erreicht wird. Aufs Ganze gesehen zeigt sich, dass Glaube, sofern er für Jugendliche überhaupt von Bedeutung ist, tendenziell in einer persönlichen Prägung und in bewusster Distanz zu institutioneller Anbindung gesucht und entwickelt wird (Calmbach, 2012, 77f.).

Dies deckt sich mit den Ergebnissen von Jugendstudien aus religionspädagogischer Hand (katholisch: Ziebertz/Kalbheim/Riegel, 2003; Ziebertz/Riegel, 2008; evangelisch: Streib/Gennerich, 2011). Demnach kennzeichnen Privatisierung, Individualisierung, Subjektivierung und die Betonung von Autonomie die religiösen Einstellungen Jugendlicher.

Der Überblick über Studien der letzten Jahrzehnte zeigt eine abnehmende Bedeutung von Religion gesamtgesellschaftlich und besonders bei Jugendlichen, wobei es sich hierbei wohl nicht nur um eine im Lebenszyklus phasenweise bedingte Ablehnung von Religion handelt, wie sie religiöse Entwicklungstheorien ( → Entwicklungspsychologie) beschreiben, sondern um eine gegenüber vorausgegangenen Generationen veränderte Einstellung (Bertelsmann, 2013, 14). Eine schwächer werdende kirchliche Bindung bei der religiösen Suche und der Entwicklung von Glauben ist deutlich zu erkennen, weshalb bei der Wahl einer sozialwissenschaftlichen Metadeutung zunehmend dem Paradigma der religiösen Individualisierung der Vorzug vor dem der Säkularisierung gegeben wird. Ob von einer „Wiederkehr des Religiösen“ in verwandelter beziehungsweise individualisierter Form die Rede sein kann, bleibt dagegen fraglich (Utsch, 2014, 53f.; Grom, 2007; Büttner/Dieterich, 2013).

2. Systematisch-theologische Orientierung

2.1. Was meint christlicher Glaube?

Die erste christliche Theorie des Glaubens legte Paulus vor. In Röm und Gal entfaltete er seine Rechtfertigungslehre, nach der die Rettung des Menschen allein durch den Glauben geschieht. Als beispielhafte Glaubensfigur führte er Abraham an, dessen Gottesvertrauen ihm als Gerechtigkeit angerechnet wurde. Paulus forderte jedoch keinen blinden, sondern einen verständigen und reifen Glauben. Eine differenzierte Theorie des Glaubens entwickelte dann Augustinus, der zwei Unterscheidungen vornahm, die auch in aktuellen Diskursen begegnen:

Glaube 1

Systematiken der jüngeren Religionsphilosophie unterscheiden nonkognitive (affektive) und kognitive Dimensionen des Glaubens (Schmidt-Leukel, 1999) beziehungsweise fiduzielle (vertrauende) beziehungsweise doxastische (für-wahr-haltende) Dimensionen des Glaubens (Kutschera, 1990).

Die analytische Differenzierung der Glaubensaspekte oder -dimensionen zeigt die Komplexität des Glaubensbegriffs, wobei die verschiedenen Facetten der Glaubensbedeutungen dabei in „sachlogische[r] Interdependenz“ (Schmidt-Leukel, 1999, 74) stehen und so die gegenseitige innere Verwiesenheit der einzelnen Aspekte widerspiegeln: Erst gemeinsam als Einheit ergeben sie ein umfassendes Bild des Glaubens im christlichen Sinn. So gilt etwa für alle theistischen Religionen, dass jede fides qua eine fides quae voraussetzt, nämlich den Glauben an die Existenz Gottes, auf den die Glaubenden vertrauen und zu dem sie sich hinwenden. Umgekehrt verweist die fides quae auf die fides qua, da der Glaube nicht irgendwelche religiösen Aussagen umfasst, sondern Gott zum Gegenstand hat (credere Deum), wie auch das Zweite Vatikanische Konzil in seinem personalen Verständnis von → Offenbarung betonte. Glaube in diesem Sinn meint dann, wie bereits biblisch, besonders in den synoptischen Evangelien verstanden, die Antworthaltung des Menschen auf das Heilshandeln Gottes in Jesus → Christus.

2.2. Woher kommt der Glaube?

Theologisch betrachtet liegt dem Glauben der Einzelnen das gnadenhafte Wirken Gottes zugrunde. Dieser gläubigen Deutung des Glaubens korrespondiert eine psychologische Beobachtung, findet ein gläubiger Mensch seinen Glauben doch vor (Nieuwenhuis, 1974, 55) und begegnet ihm darin etwas außer ihm (extra nos) Liegendes, dem gegenüber sich der Mensch zunächst rezeptiv verhält: Ihm widerfährt etwas, das ihm Gewissheit vermittelt, ihm Trost und Hoffnung spendet oder einem ethischen Anspruch aussetzt (Ritter, 1999, 95). Dieser Widerfahrnischarakter ändert nichts an der Tatsache, dass die Deutung dieser Begegnung als religiöse beziehungsweise von Gott gestiftete Erfahrung nach Kategorien erfolgt, die sich die glaubende Person auf erzieherischen, sozialisatorischen wie auch selbstbestimmten Lernwegen aneignete. Jemand, der bisher nie mit religiösen Phänomenen in Kontakt kam, wird daher kaum religiöse Erfahrungen als solche identifizieren können, eine nie mit dem christlichen Glauben in Berührung gekommene Person kaum eine Christuserfahrung machen. Individuen sind damit auf die Glaubensgemeinschaft angewiesen, die religiöses Wissen und religiöse Überzeugungen mit den dazugehörigen kognitiven Plausibilitätsstrukturen vermittelt, Räume für religiöse Erfahrungen bereithält und in religiöse Praktiken einführt. Aufgrund der hohen emotionalen Bindung und der entwicklungspsychologisch frühen „Einwirkung“ nimmt die → religiöse Sozialisation in der Familie eine prägende Stellung ein, nachgeordnet treten als mögliche Lernorte Kirchengemeinde und Religionsunterricht hinzu.

Das Mitglauben der kirchlichen Gemeinschaft ist auch wichtig für die Festigung und Fortentwicklung des Glaubens beim biografischen Übergang zu einem wahlweise beibehaltenen und weiter gepflegten Glauben; auch ist sie das Forum für kritische Anfragen und Impulse zu Reifung und Wachstum, ohne die der Glaube verflachen, einschlafen oder sterben kann (Wegenast, 2001, 720). Trotz des Widerfahrnischarakters ist dem Glauben somit ein voluntativer Charakter eigen: Es braucht einen Willen, einen freien Entschluss, da Glaube, von fundamentalistischen und pathologischen Formen abgesehen, nicht logisch zwingend vorliegt, sondern in „epistemische[r] Ungewissheit“ (Loichinger, 1999, 410), und deshalb vertrauend geschehen muss. Die Freiheit des Glaubens begründet seine Würde und macht ihn zu einer gewagten Option und einer existenziellen und umfassenden Lebensentscheidung, die Wirklichkeit setzt und an die sich die Glaubenden mit einem gewissen Grad an ‚ „commitment“ gebunden fühlen (Kutschera, 1990, 136).

Weder die Frage nach dem Verhältnis von sozialisatorischem und voluntativem Charakter noch die Frage nach dem Ursprung des Glaubens in Gott und dem Beitrag des Menschen lässt sich einseitig auflösen. Es bedarf als Bedingung der Möglichkeit zum Zustandekommen des Glaubens nach christlichem Verständnis sowohl der göttlichen Stiftung als auch der zwischenmenschlichen Vermittlung, ohne dass Menschen zu passiven Objekten einer fremdgesteuerten „Gläubigmachung“ würden.

3. Ist Glaube lehrbar? Geschichte einer Grundsatzfrage

Die Frage nach dem Ursprung des Glaubens ist fundamental und wurde mit unterschiedlichem Akzent und Gewicht in den religionspädagogischen Communities evangelischer und katholischer Provenienz diskutiert.

3.1 Diskurse innerhalb der evangelischen Theologie

Grundsätzlich und umfassend fand die Diskussion in der evangelischen Religionspädagogik statt, wo mit der Frage nach dem Lehrbarkeitsstreit sehr kontroverse Positionen verknüpft sind. Historisch brach dieser in einer Zeit der Legitimitätskrise des Religionsunterrichts aus, als im beginnenden 20. Jahrhundert von Seiten der Kirchen und der Lehrerschaft unvermittelbare Forderungen an ihn herangetragen wurden. Die gegenüber der Lehrbarkeit skeptische Position nahm ihre Referenzen bei Martin Luther, der im Anschluss an Paulus und Augustinus vernunftkritisch den Glauben als gnadenhaftes und stark auf das Subjekt bezogenes Geschehen profilierte (Englert, 2007, 198), oder auch bei Friedrich Schleiermacher, der Religion als nicht lehrbaren „Sinn und Geschmack fürs Unendliche“ verstand, sowie bei Søren Kierkegaard, der in fideistischer Abgrenzung zur rationalistisch-emanzipatorischen Lehre Gotthold E. Lessings den Glauben als existenziellen „Sprung“ in eine neue Seinsweise interpretierte. Zwar investierte Luther viel Engagement in die Entwicklung von Katechismen und gewann auch Schleiermacher dem Lernen im Sinn des „Kenntnissammelns“ auf der objektiven Seite von Religion manches ab; gemeinsam war den Ansätzen jedoch die Aufwertung des persönlich Affektiven im Glaubensakt, verbunden mit der Abwertung von Lehrinhalte vermittelnden Instanzen, autorisierten Amtsträgen und deren Didaktisierungsversuchen. Als herausragende Gegenposition gilt die von Richard Kabisch (1910), der die Lehrbarkeit sowohl der objektiven als auch der subjektiven Religion behauptete, wobei er die Lehre der objektiven Religion im Dienst einer Lehre der subjektiven sah. Die Unverfügbarkeit des Glaubens betont dem gegenüber nach dem Ersten Weltkrieg die Dialektische → Theologie und auch das nach den Weltkriegen dominierende Unterrichtskonzept der „Evangelischen Unterweisung“ betrachtete Kabischs Position als Illusion. Es wollte daher nicht zum Glauben erziehen, sondern die Schülerinnen und Schüler der Selbstmächtigkeit des Wortes Gottes aussetzen und hob so, wie schon Kierkegaard, das Moment der Glaubensentscheidung hervor.

3.2. Katholische Diskussionen

Einen katholischen Lehrbarkeitsstreit findet man bei genauem Hinsehen zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Rezeption reformpädagogischer Impulse. In einer ersten Phase suchten katholische Reformpädagogen in Auseinandersetzung mit dem Herbart’schen Formalstufenschema die sogenannte „psychologische Methode“ mit dem Dreischritt von narratioexplicatioapplicatio im Religionsunterricht zu etablieren (Englert, 2007, 202). Ein Jahrzehnt später gab die Arbeitsschule Georg Kerschensteiners Impulse für erneute Reformversuche: Die selbsttätige Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit dem Thema sollte auch für den Glauben gelten. In beiden Bewegungen sahen traditionell orientierte Katecheten die Gefahr, dass die individuell-persönliche Aneignung zu einer verfälschenden Subjektivierung der offenbarten kirchlich überlieferten objektiven Wahrheiten führe. Neu gestaltete sich die Situation durch die Orientierung des Zweiten Vatikanischen Konzils an einem personalen Offenbarungsverständnis, das über die Würzburger Synode und die Rezeption von Edward Schillebeeckx’ Begriff der Korrelation (s.u. 4.1.) eine neue Ära des katholischen Religionsunterrichts einläutete.

3.3. Auf dem Weg zum Konsens

Nach Jahrzehnten der differenzierteren Auseinandersetzung (katholisch: Erich Feifel, 1968; evangelisch: Karl Dienst, 1976 und Reiner Preul, 1980) wurde schließlich die Oppositionsstellung von Glauben und Lernen überwunden und es zeichnete sich ein bis heute tragfähiger Konsens ab. Danach lässt sich im Anschluss an Preul festhalten, dass Glaube nicht lehrbar ist im Sinn eines didaktisch-methodisch verfügbaren Vorgangs, jedoch erlernbar. Lehrbar ist die fides quae, deren Inhalte allein jedoch noch keine Perspektive des Glaubens eröffnen. Die Gottesbeziehung dagegen ist didaktisch weder verfügbar noch planbar, sondern unableitbar. Lehre und Lernen sind keineswegs ohne Sinn, sondern begünstigen eine Glaubensbildung und -entwicklung, die nur „im Kontext menschlicher Lern- und Reifungsprozesse“ (Werbick, 1983, 13) und auf der Grundlage vermittelter Kenntnis möglich ist.

Aktuell klingt die Frage an in der in beiden Konfessionen geführten Diskussion über das Konzept des performativen Religionsunterrichts ( → Performativer Religionsunterricht). Kritisch wird hinterfragt, inwieweit sich Religion überhaupt unterrichtlich inszenieren lässt und ob solche religiöse Performanz noch vom Mandat eines schulischen Bildungsauftrags gedeckt ist (Schambeck, 2007, 75-79).

4. Didaktische Perspektiven

4.1. Religionsdidaktische Ausgangslage und Ziele

Eine datierbare Abkehr von einer Erziehung im Glauben stellt auf katholischer Seite der Synodenbeschluss „Der Religionsunterricht in der Schule“ von 1974 dar (Gemeinsame Synode, 1976; Simon, 2014). Seit dem Abschied von der Bemühung um kirchliche Beheimatung sind neue Konzepte entwickelt worden, die die religiöse Mündigkeit von Schülerinnen und Schülern fördern und sie befähigen, frei, informiert und verantwortlich einen Standpunkt in religiösen Fragen zu finden. Dazu muss der Glaube vorgestellt und verstehbar gemacht werden, ohne die von Jugendlichen beanspruchte Autonomie in religiösen Fragen in Abrede zu stellen. Als führende Konzepte sind auf katholischer Seite das Leitprinzip der → Korrelation, auf evangelischer Seite das Konzept der → Elementarisierung zu nennen.

Eine sozialwissenschaftlicher Erkenntnis verpflichtete Didaktik des Glaubens als Reflexion und Planung von Lehr- und Lernmöglichkeiten auf die Möglichkeit von Glauben hin sieht sich mit der Situation schwindender konfessioneller Beheimatung konfrontiert. Beide Erscheinungsweisen von Glauben – als Überzeugung (von der Existenz Gottes, der Gottessohnschaft Jesu, …) und als Vollzug (persönliches Gebet, Mitfeier der Liturgie, …) – sind für viele Kinder und Jugendliche nicht mehr vorauszusetzen und der breite Ausfall an religiöser Sozialisation ist durch professionell-religionspädagogische Bemühungen nicht zu kompensieren. Dennoch kann und soll differenziert nach den Lernorten Schule und Gemeinde religiöses Lernen gefördert werden (Porzelt, 2013, 150-159). Diskutiert wird in diesem Zusammenhang insbesondere die Zukunftsfähigkeit des konfessionellen Religionsunterrichts.

4.2. Religionsdidaktische Lernwege

Nachhaltiges Lernen erfolgt auf dem Weg der Erfahrung. So ist die persönliche Erfahrung der Nähe Gottes das subjektiv stärkste Argument und der einzig hinreichende Grund eines festen Gottesglaubens. Eine solche Erfahrung lässt sich jedoch unter keinen Umständen evozieren. Gemeindekatechetische und schulpastorale Angebote können, etwa durch → Taizé-Fahrten, Bibelgespräche, Gebetsangebote (→ Beten, christliche Perspektive), Räume und Atmosphären schaffen, die solche Erfahrungen begünstigen. Die Diskussion um den Ansatz des performativen Religionsunterrichts lotet die Möglichkeiten vorsichtiger Ansätze in diese Richtung aus. Konsens besteht jedenfalls darin, dass der Religionsunterricht schwerpunktmäßig bildet, indem er religiöses Orientierungswissen vermittelt und in der Auseinandersetzung mit dem Gegenstand Religion Wahrnehmungs- und Deutekategorien zu schärfen sowie Dialog- und Urteilskompetenz in religiösen und ethischen Fragen zu entwickeln hilft. Damit hat er sein Augenmerk im kognitiv-reflexiven Bereich, der für affektive Vorgänge jedoch nicht ohne Bedeutung ist, weil jede Erfahrung ein kognitives „Gehäuse“ hat.

Die korrelationsdidaktische Perspektive bringt dabei den Anspruch mit sich, dass Glaube den Schülerinnen und Schülern in einer Weise begegnet, die seine Bedeutung für die eigene → Identität erkennen lässt (Mette/Steinkamp, 1983, 59; Werbick, 1983, 12;16). Hilfreich ist dabei die Begegnung mit glaubwürdigen Vertreterinnen sowie Vertretern des Glaubens, die in Wort und Tat einen Glauben bezeugen, der zu faszinieren und anzustiften vermag. Als ablesbare Glaubensfrucht werden Jugendliche zu Recht das alltägliche Verhalten solcher Personen prüfen.

Als Akzent und/oder Rahmen der Beschäftigung mit dem Thema „Glaube“ legt es sich nahe, die individuellen Einstellungen der Schülerinnen und Schüler gemeinsam genauer zu untersuchen, zu klären, ihre innere Logik herauszuarbeiten und mit gezielten Anfragen zur Entwicklung herauszufordern (Schimmel, 2011). Hier kommen auch Immunisierungsstrategien in den Blick, die eine Auseinandersetzung mit dem Thema unsinnig erscheinen lassen, wenn Glaube etwa als nichts rational Diskursives oder als überholt und unmodern gilt. Diese intellektuell überbauten Widerstände können zur Sprache gebracht und im Rahmen des individuellen Wertesystems näher betrachtet werden, wobei die Aussicht auf Selbsterkenntnis und die Aufhebung von Widersprüchen motivieren soll. Ergebnisse der empirischen Forschung sensibilisieren hier für Fragen, die häufig unbeantwortet bleiben und so Glauben als wenig plausibel erscheinen lassen. Aufschlussreich sind hier immer noch die von Karl Ernst Nipkow (1987) nachgewiesenen krisenfördernden Anfragen, die beim Übergang vom kindlichen zum erwachsenen Glauben „Einbruchstellen“ darstellen: die Theodizeeproblematik als erlebte Enttäuschung der Erwartung, dass in Notsituationen Gott hilft und das Gute garantiert, die Schwierigkeit einer rationalen Vermittlung von naturwissenschaftlicher und theologischer Welterklärung, die virulente Frage, ob Gott nicht letztlich ein Wunschbild ist, sowie schließlich auf der sozial-realen Ebene der Glaubensvermittlung das als unglaubwürdig erlebte Verhalten einzelner Christen und der Kirche. Wie diese empirisch belegten und theologisch herausfordernden Themen unterrichtlich fruchtbar aufgegriffen werden können, zeigt auch der Ansatz des Theologisierens (→ Kindertheologie; → Jugendtheologie): Mit großer Wertschätzung für die jeweiligen Aussagen von Kindern und Jugendlichen wird hier gesprächsmethodisch sensibel versucht, eigenständige theologische Reflexion und Austausch anzuregen und Impulse zur Weiterentwicklung zu geben (Freudenberger-Lötz, 2012, 20).

5. Forschungsdesiderate und offene Fragen

Die intensive Rezeption sozialwissenschaftlicher und besonders religionssoziologischer Erkenntnisse sowie eigenes empirisches Forschen (sowohl quantitativ in die Breite als auch methodisch qualitativ in die Tiefe) haben den differenzierten Blick der Religionspädagogik für den Glauben und Nicht-Glauben von Menschen geschärft und so das Über-den-Kopf-hinweg-Reden theoretischer Zielansprachen erschwert. „Urteilen“ und „Handeln“ beziehungsweise Skizzieren einer Handlungsanweisung folgten dem jedoch bisher nicht in vergleichbarer Weise, weshalb sich die wissenschaftliche Religionspädagogik verstärkt diesen mehr auf Praxis bezogenen Schritten zuwenden sollte, ohne einen Rückfall in die mühsam abgestreifte Rolle der Anwendungs- oder Vermittlungswissenschaft zu befürchten. Nach Jahrzehnten konzeptionell didaktischer und methodischer Beschäftigung bedarf es zudem einer stärker inhaltlichen Füllung didaktischer Lehrformeln an konkreten Lernstoffen, besonders im Blick auf die Schule (Englert, 2013). Der Bezug empirisch-theologischer Befunde auf theologisch-systematische Lehre zum Auffinden von Anschlussstellen (Gennerich, 2010) kann dabei ebenso hilfreich sein wie die didaktische Konkretisierung und Strukturierung des Korrelationsprinzips durch den Elementarisierungsansatz. Die noch immer schwach ausgebildete empirische Erforschung religiöser Lernprozesse an den verschiedenen Lernorten könnte hierzu wertvolle Beiträge beisteuern. Weitgehend offen bleibt auch die Jahrzehnte alte Forderung, die Botschaft des Glaubens in eine Denk- und Sprachweise zu fassen, die an die Plausibilitätsstruktur heutiger Jugendlicher Anschluss findet.

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Abbildungsverzeichnis

  • Bedeutungen von „Glaube“. Aus: Schimmel, Alexander, Einstellungen gegenüber Glauben als Thema des Religionsunterrichts. Didaktische Überlegungen und Anregungen für die gymnasiale Oberstufe, Ostfildern 2011. Schwabenverlag

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