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Forschungsmethoden, religionspädagogische

(erstellt: Januar 2015)

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1. Wege religionspädagogischer Erkenntnis

Wie kommt die → Religionspädagogik zu ihren Erkenntnissen und ihren Theorien? Antworten auf diese Frage fallen unterschiedlich aus. Rudolf Englert (1995, 161-165) unterscheidet zwischen → hermeneutischen und → empirischen Verfahren. Clauß Peter Sajak (2012, 71f.) nennt empirische, klassisch-hermeneutische und → ideologiekritische Methoden. Und Martin Rothgangel (2012, 27f.) gliedert religionspädagogische Forschung in historische, empirische, vergleichende und systematische.

Die Listen stimmen in der Nennung empirischer Zugänge zum religionspädagogischen Forschungsgegenstand überein. Stets verfolgt Empirie die Analyse gegenwärtiger religiöser Praxis (d.h. religiöser Orientierungen, religiöser Lehr- und Lernprozesse) mit den Mitteln der empirischen Sozialwissenschaften. Der von Rothgangel genannte historische Zugang findet sich bei Sajak als ein Aspekt klassisch-hermeneutischer Methoden. Hier geht es um die Analyse der Zeugnisse vergangener religiöser Praxis mit den Mitteln historischer Wissenschaften. Rothgangels systematischem Zugang entspricht Englerts hermeneutischer Typ und Sajaks ideologiekritischer sowie der Rest des klassisch-hermeneutischen Typs. Den Kern dieser Zugänge bildet die Analyse gegenwärtiger Zeugnisse religiöser Praxis mit den Mitteln philosophischer, phänomenologischer und kritischer Wissenschaftsdisziplinen. Der vergleichende Zugang schließlich findet sich in Rothgangels Liste und bezieht sich auf die Analyse von Gemeinsamkeiten und Unterschieden in analogen Aspekten religiöser Bildungsprozesse in unterschiedlichen religiösen oder kulturellen Kontexten. Im Folgenden orientieren wir uns an dieser Systematik religionspädagogischer Erkenntniswege.

2. Empirische Methoden

Empirische Religionspädagogik untersucht vorfindliche religiöse Praxis mit den Mitteln der empirischen Sozialforschung. Ihr Anspruch ist es dabei nicht, Wirklichkeit im Sinne objektiver Erkenntnis abzubilden, sondern vorfindliche Praxis auf der Grundlage theoretischer Vorannahmen und im Kontext methodischer Vorentscheidungen zu rekonstruieren (Ziebertz, 1998). Methodologisch kommt dieser konstruktive Charakter empirischen Forschens in der Religionspädagogik im Empirisch-Theologischen Zyklus zum Ausdruck, dessen verschiedene Spielarten (Heil, 2006; Hermans, 1993; Van der Ven, 1990; Ziebertz, 2004) sich sämtlich einem dreiteiligen Prozessmodell zuordnen lassen. In der ersten Phase, dem Entdeckungszusammenhang, werden das zu untersuchende Problem definiert und die Forschungsfragen formuliert. In der zweiten Phase, dem Begründungszusammenhang, werden das methodische Design ausgewählt, die Forschungsfragen entsprechend operationalisiert, die Daten erhoben und ausgewertet. In der dritten Phase, dem Verwendungszusammenhang, werden die Konsequenzen diskutiert, welche sich aus dem Befund für das untersuchte religionspädagogische Problemfeld ergeben. Empirische Methoden kommen in diesem Zyklus ausschließlich im Begründungszusammenhang vor und die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit religiöser Praxis ist in die theoretischen Diskussionen von Entdeckungs- und Verwendungszusammenhang eingebunden. Empirische Religionspädagogik misst diesen theoretischen Diskurs aber in charakteristischer Weise am Eigensinn der Wirklichkeit religiöser Bildungsprozesse, wie er sich im Kontext der methodischen Vorentscheidung ausdrückt.

Bei empirischen Methoden werden gemeinhin quantitative von qualitativen unterschieden. Quantitative Verfahren gelten als hypothesentestender Zugang zum Feld, bei dem die Reaktionen der Probanden auf vordefinierte Erhebungsinstrumente anhand statistischer Routinen auf Ausprägungen und Zusammenhänge hin ausgewertet werden (Schnider, 2000). Paradigmatischer Inbegriff eines solchen Verfahrens ist die Fragebogenerhebung. Im Fragebogen reagieren Probanden auf vorformulierte Aussagen, wobei ihnen in der Regel vordefinierte Antwortalternativen zur Verfügung stehen. Diese Antworten werden als Ziffern in eine Datenmatrix eingegeben und mit mathematischen Formeln zu Befunden verrechnet, welche in Zahlenwerten repräsentiert sind. Da viele statistische Routinen erst bei hinreichend großen Fallzahlen zu aussagekräftigen Befunden kommen, beruhen quantitative Verfahren häufig auf umfangreichen Stichproben (→ Stichprobe/Sampling). Für die Religionspädagogik typische Designs quantitativer Verfahren sind neben der Fragebogenerhebung (→ Fragebogenerhebung, z.B. Feige/Gennerich, 2008; Klose, 2014; Ziebertz/Kalbheim/Riegel, 2003) das Quasi-Experiment (→ Quasi-Experiment, z.B. Fricke/Riegel, 2011; Zee, 2007) und teils die Videostudie (→ Videostudie), die in der religionspädagogischen Forschung bislang meist qualitativ ausgewertet wird (z.B. Dressler/Klie/Kumlehn, 2012).

Qualitative Verfahren wollen der Individualität vorfindlicher religiöser Praxis gerecht werden, indem sie subjektive Konstruktionen von Wirklichkeit mittels verstehender Methoden rekonstruieren (Porzelt, 2000). Paradigmatischer Inbegriff eines solchen Verfahrens ist die Interviewanalyse (z.B. Porzelt, 1999). Im Interview äußert sich die untersuchte Person weitgehend selbstbestimmt zum befragten Forschungsgegenstand. Seine Aufzeichnung wird im Anschluss verschriftlicht und die Forscherin bzw. der Forscher rekonstruiert die Eigenlogik der Aussagen mit hermeneutischen Methoden. Im Abgleich mehrerer solcher Befunde lassen sich typische Konstellationen formulieren, wobei die Stichprobe qualitativer Verfahren aufgrund der aufwändigen Analysemethoden in der Regel klein ist. Für die Religionspädagogik typische Erhebungsdesigns quantitativer Verfahren neben dem → Interview sind die → teilnehmende Beobachtung (z.B. Asbrand, 2000), ethnographische Methoden (z.B. Dinter, 2007) und die schriftliche Beantwortung offener Fragen (z.B. Stögbauer, 2011). Für die Auswertung qualitativer Daten werden in der Regel Spielarten der → Grounded Theory, der → qualitativen oder thematischen Inhaltsanalyse, der → Dokumentarischen Methode oder der → Objektiven Hermeneutik herangezogen.

Unseres Erachtens hilft diese Unterscheidung, wenn man sich ihres idealtypischen Charakters bewusst ist. Der Komplexität empirischer Forschung wird sie nur bedingt gerecht. So haben gerade in der Religionspädagogik viele quantitative Verfahren einen explorativen Charakter und Psychometrikern gilt die statistische Routine der explorativen Faktoranalyse aufgrund der vielfältigen Entscheidungen, die in sie einfließen, als qualitatives Verfahren. Umgekehrt lassen sich viele Kodesysteme qualitativer Untersuchungen auch in Ziffern darstellen und entsprechend mittels Häufigkeitsauszählungen auswerten (z.B. Renner, 2013). Dass beide Zugänge notwendig zum Repertoire einer empirischen Religionspädagogik gehören, ist allgemeiner Konsens.

3. Historische Methoden

Historische Religionspädagogik untersucht vergangene religiöse Praxis mit den Mitteln der historisch-kritischen Geschichtswissenschaften. Dabei geht es ihr nicht „um die Aufklärung geschichtlicher Konstellationen um ihrer selbst willen, sondern um die Gewinnung historischer Tiefenschärfe explizit aus einem gegenwartsbezogenen erkenntnisleitenden Interesse heraus“ (Schröder, 2011, 178). Historische Religionspädagogik will gegenwärtige religionspädagogische Theoriebildung über relevante geschichtliche Konstellationen und Konzepte informieren und die Zusammenhänge von Religion und → Bildung rekonstruieren, die gegenwärtiger Theoriebildung zu Grunde liegen (Schröder, 2012, 18).

Eine historische Religionspädagogik bedient sich im Prinzip derselben Methoden wie andere Geschichtswissenschaften. Ihr Forschungsobjekt sind → Quellenbearbeitung, d.h. schriftliche, mündliche oder monumentale Zeugnisse religiöser Praxis aus vergangenen Zeiten, und eine zentrale Aufgabe historischer Religionspädagogik ist das Auffinden und Bewahren dieser Quellen. Das Spektrum einschlägiger Methoden reicht von archäologischen Verfahren bis hin zu Verfahren der qualitativ-empirischen Sozialforschung im Kontext von Oral History (→ Zeitzeugenbefragung). In der Analyse der Quellen kommen historisch-kritische Methoden zum Einsatz, wie sie für die kirchengeschichtliche Forschung typisch sind, u.a. Quellen-, Gattungs- und Formkritik (Markschies, 1995). Aktuelle Projekte historischer Religionspädagogik kombinieren diese traditionell-kirchengeschichtlichen Methoden mit solchen, die in anderen religionspädagogischen Erkenntniswegen üblich sind (Schröder, 2011, 179).

Bernd Schröder unterscheidet vier charakteristische Zugänge gegenwärtiger historisch-religionspädagogischer Forschung zu ihrem Forschungsgegenstand (2011, 174-178). Biographisch und konzeptionsgeschichtlich orientierte Studien nehmen Einzelpersonen in den Blick, um ihr Wirken aus den zeitgeschichtlichen Umständen heraus zu rekonstruieren und ihre Wirkung auf religionspädagogische Praxis und Theorie zu erarbeiten. Theorie- und didaktikgeschichtlich orientierte Studien rekonstruieren die Entwicklung einer religionspädagogisch relevanten Idee über verschiedene zeitgeschichtliche Kontexte hinweg. Institutionengeschichtlich orientierte Studien erarbeiten die Rolle religiöser Lernorte zu ihrer jeweiligen Zeit sowie die Geschichte und Bedeutung für religiöses Lernen relevanter Institutionen. Historisch vergleichende Studien schließlich arbeiten Gemeinsamkeiten und Unterschiede in analogen religionspädagogisch relevanten historischen Phänomenen aus unterschiedlichen kulturellen oder religiösen Kontexten heraus.

4. Hermeneutische Methoden

Hermeneutische (→ Hermeneutik) Religionspädagogik untersucht Zeugnisse gegenwärtiger religiöser Praxis mit den Mitteln philosophischer, phänomenologischer und kritischer Wissenschaftsdisziplinen. Sie bedient sich damit eines Zugangs zum Forschungsobjekt, welcher zu den angestammten theologischen und pädagogischen Erkenntniswegen gehört. Ihr geht es um das Verstehen des Sinns ihres Forschungsobjekts im Wechselspiel zwischen (Vor-)Verständnis dieses Gegenstands und seines „Textes“ (Rittelmeyer/Parmentier, 2001). Verstehen wird dabei als empathisches Hineinversetzen in den Forschungsgegenstand aufgefasst. Diente religionspädagogische Hermeneutik zu Beginn des letzten Jahrhunderts noch vornehmlich dazu, religiöse Bildung auf der Grundlage als richtig erachteter religiöser Überzeugungen zu deuten, ist es heute selbstverständlich, die Bedingungen mitzubedenken, unter denen sich die lernenden Subjekte (→ Subjekt/Subjektorientierung/Subjektivität) religiös bilden (Englert, 1995, 161-163). Zeitgenössische hermeneutische Religionspädagogik bedenkt in der Regel den geschichtlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Kontext ihres Forschungsgegenstandes mit. Ihre methodischen Referenzen sind vielfältig und beziehen sich u.a. auf die Kulturhermeneutik (Gräb, 2002), die Ästhetik (Altmeyer, 2006; Kunstmann, 2002) oder die Literaturwissenschaft (Langenhorst, 2005).

Drei wissenschaftstheoretische Perspektiven scheinen uns für gegenwärtige hermeneutische Religionspädagogik grundlegend zu sein: Phänomenologie, theologische (Kultur-)Hermeneutik und Ideologiekritik (→ Methoden der Ideologiekritik). Der Phänomenologie geht es um das Fremdwerden gegenüber dem Vertrauten mit dem Zweck, den Forschungsgegenstand aus sich heraus zu verstehen (Zahavi, 2007, 11-42). In Anlehnung an Edmund Husserl geschieht phänomenologische Wahrnehmung idealtypisch in drei Schritten (Boschki, 2007, 36). Zuerst macht man sich des eigenen Vorverständnisses des Forschungsgegenstands bewusst, um es beim Blick auf diesen Gegenstand ausblenden zu können. So vorbereitet nimmt man den Forschungsgegenstand unvoreingenommen wahr. Dadurch ist man in der Lage, Merkmale und Funktionen dieses Gegenstands zu identifizieren, welche generelle Bedeutung haben und diesen Gegenstand in seiner eigenen Sinnhaftigkeit definieren. Bleibende Erkenntnis der phänomenologischen Methode ist die Einsicht in die lebensweltliche Verwurzelung jeglicher Wahrnehmung, so dass eine hermeneutische Religionspädagogik unter phänomenologischen Vorzeichen religiöse Bildung bzw. Praxis aus ihren lebensweltlichen Bezügen heraus verstehen kann (Failing/Heimbrock, 1998). Es geht dabei nicht nur um den Aufweis religiöser Bildung im Alltag, sondern auch um die Rekonstruktion der vielfältigen Sinn- und Bedeutungszuschreibungen der sich bildenden Subjekte zu diesen Prozessen und stellt damit zugleich eine Variante qualitativer Forschung in der Religionspädagogik dar (Dinter/Heimbrock/Söderblom, 2007).

Theologische (Kultur-)Hermeneutik hat gegenwärtig ein besonderes Gewicht aufgrund der vielfältigen Forschungen im Bereich der kinder- und jugendtheologischen Ansätze(→ Kindertheologie; → Jugendtheologie). Über die gängige kulturhermeneutische Identifizierung religiöser Deutungsmuster in Zeugnissen der Popkultur (vgl. Gräb, 2002) hinaus geht es hier darum, Lebensdeutungen und Einstellungen von Kindern und Jugendlichen mit Rückgriff auf theologische Interpretationsmuster wahrzunehmen und gegebenenfalls auch anschlussfähige theologische Perspektiven in das Gespräch mit Kindern und Jugendlichen einzubringen (z.B. Bederna, 2012; Freudenberger-Lötz, 2012; Gennerich, 2010).

Eine ideologiekritische Haltung ist sich der ambivalenten Wirkungen von Religion und Erziehung im Leben der Menschen bewusst (Zwergel, 1995). Hermeneutischer Religionspädagogik unter ideologiekritischem Anspruch geht es darum, religiöser Praxis innewohnende, implizite Überzeugungen und Haltungen ins Bewusstsein zu heben und am Maßstab biblisch-christlicher Gerechtigkeit zu messen. Paradigmatischer Inbegriff eines solchen Zugangs zum Feld ist die → Feministische Religionspädagogik, die religiöse Bildung anhand einer differenzierten Gendertheorie (→ Gender) hinterfragt und unter Aspekten der Geschlechtergerechtigkeit bewertet (Qualbrink/Pithan/Wischer, 2011). Ein weiteres klassisches Beispiel einer ideologiekritischen religionspädagogischen Programmatik ist Norbert Mettes religionspädagogischer Entwurf auf der Grundlage von befreiungstheologischen Prämissen (Mette, 1994).

5. Komparative Methoden

Komparative Religionspädagogik untersucht Phänomene und Prozesse religiöser Bildung in unterschiedlichen religiösen und/oder kulturellen Kontexten. Es geht ihr um die systematische Gegenüberstellung dieser Forschungsgegenstände mit dem Zweck, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erfassen. Die Gegenüberstellung kann sich dabei auf verschiedene Länder, verschiedene Religionen oder verschiedene Konfessionen richten. Neben einer reinen Beschreibung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zielt eine komparative Religionspädagogik auch auf die Erklärung derselben oder auf die Konstruktion von Typologien. Das spezifische Merkmal der komparativen Religionspädagogik ist dabei, dass sich Beschreibung, Erklärung und Typisierung auf religiöse Bildung beziehungsweise Einstellungen in unterschiedlichen religiös-kulturellen Kontexten beziehen. Strenggenommen handelt es sich damit also nicht um eine eigenständige methodische Kategorie, da bezogen auf das komparative Forschungsinteresse die zuvor genannten Methoden zum Einsatz kommen. Gleichwohl sind wir hier dem Gliederungsvorschlag Rothgangels gefolgt, da komparative Ansätze in jüngster Zeit und vermutlich auch in der Zukunft ein besonderes Gewicht beanspruchen dürfen.

Folgt man einer klassischen Typologie Charles Tillys, gibt es vier Grundformen des Vergleichs (Tilly, 1984, 59-61). Der „individualizing“-Vergleich konzentriert sich auf wenige Einzelfälle eines Phänomens, um in der systematischen Gegenüberstellung die individuelle Eigenlogik des einzelnen Falls herauszuarbeiten. Dies geschieht häufig in qualitativen Forschungsprojekten. Zum Beispiel zeigt Porzelt (1999), dass Intensiverfahrungen Jugendlicher so individuell sind, dass sich daraus keine übergreifenden Unterrichtsthemen entwickeln lassen. Der „universalizing“-Vergleich nach Tilly konzentriert sich dagegen auf die Gemeinsamkeiten, welche die Gegenüberstellung der Einzelfälle eines Phänomens verbinden. Dieses Vorgehen benutzt zum Beispiel Asbrand (2000) in ihrer Analyse verschiedener Religionsstunden mit multireligiös zusammengesetzten Schulklassen, um aus den Beobachtungen verallgemeinerbare Regeln für das → interreligiöse Lernen abzuleiten. Die Zuschreibung von Expertenrollen an Schülerinnen und Schüler erwies sich z.B. über die beobachteten Religionsstunden hinweg als dysfunktional. Beiden Typen ist gemeinsam, dass sie ihre untersuchten Fälle als Einzelfälle betrachten und somit in der Regel mit geringen Fallzahlen und großer Detailgenauigkeit arbeiten. Der „generalizing“-Vergleich nimmt große Fallzahlen eines Phänomens in den Blick, um hinter der Varianz der Einzelfälle das verbindende Prinzip zu entdecken, mit denen sich die Variationen erklären lassen. Gennerich (2011) analysiert in dieser Weise beispielsweise die Wahrnehmung unterschiedlicher Bibel- und Koranverse in einer Stichprobe deutscher und türkischer Theologiestudierender und führt die empirischen Effekte auf persönliche Entwicklungsunterschiede sowie situationsbestimmte Selbstkategorisierungen in Gruppenkategorien (d.h. Effekte sozialer Identität: Tajfel, 1982) zurück. Der „emcompassing“-Vergleich schließlich beruht ebenfalls auf großen Fallzahlen, nimmt die Bandbreite verschiedener Ausprägungen jedoch zum Anlass, nach der spezifischen Funktion zu fragen, die zur jeweiligen Ausprägung geführt hat. So führt zum Beispiel Gennerich (2010) mit Korrelationsanalysen die Vielfalt adoleszenter (religiöser) Einstellungsmuster auf zwei grundlegende Wertedimensionen zurück, so dass religiöse Einstellungsmuster als Expression und Befriedigung kontextspezifischer Bedürfnislagen interpretiert werden können.

Komparative Methoden beruhen somit auf einem Denken „in Analogien (Verhältnisgleichheiten), rapports (Zusammenhängen) oder Funktionen (Wirkzusammenhänge, insbesondere unter dem Gesichtspunkt ihrer Äquivalenz trotz Verschiedenartigkeit)“ (Schriewer, 2003, 11). Die spezifische Herausforderung liegt darin, Phänomene zu identifizieren, die legitim verglichen werden können, und im Vergleich das tertium comparationis, d.h. das gegenüber den untersuchten Fällen Dritte zu finden, welches eine gemeinsame Perspektive auf die untersuchten Fälle bietet.

Ihre besondere Bedeutung erhält eine komparative Religionspädagogik durch die zunehmend selbstverständliche Präsenz verschiedener religiöser Bezugssysteme und unterschiedlicher kultureller Ausprägungen einer religiösen Tradition im Alltag → religiöser Bildung. Allerdings steht sie nach Schweitzer erst am Beginn (Schweitzer, 2006, 284): Neben wenigen länderspezifischen Darstellungen der Religionspädagogik und konfessionell-vergleichenden Studien zu theologischen Grundlagen religionspädagogischer Theoriebildung sieht er vor allem einen Bedarf an komparativ-empirischen Projekten zu religiöser Bildung. Als exemplarische Verwirklichung einer solchen komparativen Perspektive kann etwa der Vergleich der religiösen Entwicklung bei muslimischen Jugendlichen in Deutschland und der Türkei von Aygün (2013) gelten, wobei sich zeigte, dass sich muslimische Jugendliche in der Türkei im Vergleich zu muslimischen Jugendlichen in Deutschland stärker in Richtung einer höheren Glaubensstufe nach Fowler entwickelten. Umfassende Pionierarbeit hat auch das RedCo-Projekt geleistet, das die religiöse Bildungspraxis im Vergleich verschiedener europäischer Länder untersuchte (Knauth, 2008; Valk, 2009).

6. Religionspädagogik als Netz verschiedener Methoden

Die Absicht dieses Beitrags, unterschiedliche Forschungswege der Religionspädagogik zu porträtieren, führt notwendig zu einer Unterscheidung von Methoden. Das ist insofern berechtigt, als jeder der beschriebenen Wege durch einen spezifischen Zugang zu seinen Forschungsobjekten gekennzeichnet ist. Religionspädagogik als Theorie religiöser Bildungsprozesse ist jedoch auf das Zusammenspiel der beschriebenen Wege angewiesen. Religiöse Bildung bzw. religiöse Orientierungen Lehrender und Lernender erschließen sich nicht ausschließlich durch einen der porträtierten Wege, denn jeder Weg liefert eine konstitutive Perspektive auf die Praxis religiöser Bildung. Auch kann keiner der beschriebenen Wege für sich beanspruchen, der religionspädagogische Königsweg zu sein, an dem sich die anderen Erkenntniswege auszurichten hätten. Erst das vielschichtige Geflecht von Kenntnissen, die aus verschiedenen Erkenntnisperspektiven gewonnen wurden, erlaubt ein angemessenes Verständnis religiöser Bildungsprozesse. Das bedeutet nicht, dass jede Religionspädagogin und jeder Religionspädagoge virtuos in allen vier Wegen unterwegs sein muss. Substanzielle Forschung setzt auch hier Spezialisierung voraus. Vielmehr geht es um eine Kenntnis der elementaren Prinzipien und Methoden der einzelnen Erkenntniswege, um deren Beitrag zu religionspädagogischer Theoriebildung kritisch-konstruktiv rezipieren zu können.

Ferner kann keine der vier porträtierten Methoden für sich beanspruchen, sich genuin der religionspädagogischen Reflexion zu verdanken. Alle vier Erkenntniswege stehen für allgemeine wissenschaftstheoretische Zugänge zur Wirklichkeit, die in vielen wissenschaftlichen Disziplinen angewendet werden. In historischer Perspektive liegt das nahe, weil die Religionspädagogik als eigenständige Disziplin noch recht jung ist. Das zeigt aber auch den interdisziplinären Charakter der Religionspädagogik, die nicht nur im Austausch mit den anderen theologischen Disziplinen steht, sondern auch mit Bezugswissenschaften wie der → Pädagogik, der Psychologie, der Soziologie.

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