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(erstellt: Februar 2017)

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1. Begriffsbestimmung

Der Begriff Erziehung wird im pädagogischen und religionspädagogischen Diskurs mit vielfältigen Konnotationen verwendet und häufig in enger Verbindung mit den Begriffen → Bildung und Sozialisation diskutiert.

Eine klare Abgrenzung dieser Begriffe ist dabei nur zum Teil möglich, da sie enge Verflechtungen aufzeigen, vielfältige Schnittmengen besitzen und stets in einem wechselseitigen Verhältnis zu betrachten sind. Eine Erschließung des Begriffs Erziehung benötigt demnach auch die Reflexion verwandter Begriffe:

Der Begriff Sozialisation wird in diesem Zusammenhang häufig als Sammelbegriff für vielfältige Bedingungen, die ein Hineinwachsen in die Gesellschaft fördern, benutzt und schließt die Begriffe Bildung und Erziehung mit ein. Vor diesem Hintergrund bestimmt Émile Durkheim Erziehung als eine methodische Sozialisation, die das Gefälle zwischen Erwachsenen und jüngeren Generationen aufheben soll (Durkheim, 1934; deutsche Übersetzung und Diskussion: Prange, 2009, 118-130). Kinder und Jugendliche bedürfen demnach erzieherischen Handels, um vollwertige Mitglieder der sie umgebenden Gemeinschaft werden zu können. Erziehung kann somit als Bestandteil eines umfassenden Sozialisierungsprozesses betrachtet werden, bei dem die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen gezielt von Erwachsenen beeinflusst wird. Dieser Prozess bedarf der sozialen Interaktion und kann positive Ziele wie Selbstständigkeit und Verantwortungsbewusstsein zu Grunde legen (Hurrelmann, 1994, 13).

2. Erziehung und Bildung: Markierungen in der Begriffsreflexion

„Unter Erziehung werden soziale Handlungen verstanden, durch die Menschen versuchen, das Gefüge der psychischen Dispositionen anderer Menschen mit psychischen und (oder) sozial-kulturellen Mitteln in irgendeiner Hinsicht dauerhaft zu verbessern oder seine als wertvoll beurteilten Komponenten zu erhalten“ (Brezinka, 1971, 613).

Der Versuch dieser Verbesserung der Lage der zu Erziehenden (Edukanden) wird in der pädagogischen Praxis häufig durch die gezielte Unterstützung, Begleitung und Anregung von Lernprozessen umgesetzt. Erziehung kann auf direkte Weise durch konkretes Vormachen, durch das Anhalten zur Übung, durch Vermittlung von Wissen und durch das Vereinbaren und Kontrollieren von Verhaltensregeln geschehen. Auf indirekte Weise kann sich Erziehung durch beispielhaftes Verhalten der Erziehenden und durch die Gestaltung von Beziehungen und Situationen entwickeln (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2014, 22). Als Erziehende fungieren dabei meist Eltern, Lehrer, pädagogische Fachkräfte und allgemein Erwachsene.

Der Begriff Bildung zeigt, je nach Bildungsverständnis, verschieden große Schnittmengen mit diesen Überlegungen zum Erziehungsbegriff, unterscheidet sich aber auch in mehreren Punkten: Während Erziehung meist ein hierarchisches Verhältnis zwischen Edukanden und Erziehenden zu Grunde legt und unter Edukanden häufig Kinder und Jugendliche verstanden werden, beschreibt Bildung einen lebenslangen Prozess, der Kinder, Jugendliche und Erwachsene beschäftigt. Bildung wird dabei häufig als selbsttätiger Prozess diskutiert, der stärker am Subjekt orientiert ist und das Individuum von der Geburt bis zum Tod beschäftigt.

Interessanterweise wird im frühkindlichen Bereich meist von Erziehung und Bildung gesprochen (→ frühkindliche Bildung): Zum einen sollen Kinder, beispielsweise im Kindergarten (→ Kindertagesstätte), mit gewissen Verhaltensregeln und zu bestimmten Wertvorstellungen „erzogen“ werden, zum anderen sollen Bildungsbereiche eröffnet und angeboten werden, in denen Kinder selbstbestimmt Kompetenzen entwickeln können. In der Schule tritt der Erziehungsbegriff dann häufig in den Hintergrund und wird in den Bereich der Familie verlagert: Im Fächerkanon der Schule eröffnen sich den Kindern und Jugendlichen verschiedene Bildungsmöglichkeiten, das erzieherische Wirken der Lehrkräfte nimmt mit zunehmenden Alter der Kinder meist ab.

3. Erziehung: Versuch einer zeitgemäßen Begriffsbestimmung

Die gezielte Beeinflussung der Persönlichkeitsentwicklung anderer Menschen geht mit einem hohen Maß an Verantwortung einher und setzt eine differenzierte Reflexion der Erziehungsziele voraus. Die Bestimmung dieser Ziele wird häufig durch ein System gesellschaftlicher Werte und Normen beeinflusst, die den Erziehenden wünschens- und tradierenswert erscheinen. Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, Erziehungsziele einer differenzierten Reflexion zu unterziehen und auch Erziehung – wie Bildung – grundsätzlich als Angebot zu verstehen. Der Edukand ist auch im Prozess der Erziehung als selbstständiges und selbstbestimmtes Subjekt wahrzunehmen, jede Form von Indoktrination ist zu entlarven und zu vermeiden.

Erziehung orientiert sich somit an den individuellen Gegebenheiten des Kindes und hat gleichzeitig die Voraussetzungen und Bedürfnisse der sozialen Gemeinschaft, in die das Kind hineinwächst, im Blick. Dabei fokussiert Erziehung nicht Einzelaspekte der Persönlichkeit, sondern verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der das Gesamtprofil der zu Erziehenden wahrnimmt und mehrdimensionale Lernoptionen anbietet. Ziel ist ein balanciertes Erziehungsverständnis, das Fremdbestimmung durch die Erziehenden und die Selbstbestimmung der Edukanden planvoll und zielgerichtet entwickelt.

Literaturverzeichnis

  • Brezinka, Wolfgang, Über Erziehungsbegriffe. Eine kritische Analyse und ein Explikationsvorschlag, in: Zeitschrift für Pädagogik 17 (1971), 567-615.
  • Durkheim, Émile, L’éducation morale, Paris 1934.
  • Hurrelmann, Klaus, Mut zur demokratischen Erziehung, in: Pädagogik 46 (1994) 7/8, 13-17.
  • Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, Orientierungsplan für Bildung und Erziehung in baden-württembergischen Kindergärten und weiteren Kindertageseinrichtungen, Freiburg i. Br. 2014.
  • Prange, Klaus, Schlüsselwerke der Pädagogik. Band 2: Von Fröbel bis Luhmann, Stuttgart 2009, 118-130.

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