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Elementarisierung

(erstellt: Januar 2015)

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Das religionspädagogische Anliegen der Elementarisierung ist umfassender als die Konzentration auf eine Elementartheologie, deren Maßstäbe primär die Auswahl und Vereinfachung von Inhalten sind. Pädagogisch gibt es das Elementare nicht „an sich“ oder nur auf die Sache bezogen. Vielmehr verweist der Begriff auf ein Verhältnis zwischen einem Inhalt und Personen, für die er zugänglich, einsichtig und grundlegend bedeutsam werden soll. Diesem Erschließungsprozess dient die Elementarisierung.

1. Das Interesse an Elementarisierung

Erziehungswissenschaftlich reichen die Wurzeln der Bemühung um elementares Lernen weit zurück. Als prominenter Vertreter im 18. Jahrhundert gilt Johann Heinrich Pestalozzi, der mit seiner Tätigkeit in Stans Stufen einer sittlichen Elementarbildung beschrieb. Ihn hat Wolfgang Klafki in den 1950er Jahren aufgenommen (Klafki, 1964), um das pädagogische Problem des Elementaren im Rahmen einer Theorie kategorialer Bildung zu entfalten. Dabei ging es um Kriterien für eine didaktische Reduktion der Inhalte, um bildendes Lernen zu ermöglichen. In der → Religionspädagogik gewann die Elementarisierung ab den 1970er Jahren an Bedeutung. Im Hintergrund standen Probleme der biblischen Didaktik (→ Bibeldidaktik, Grundfragen). Eine verbreitete Praxis des → problemorientierten Religionsunterrichts schien die → Bibel als Lösungspotenzial zu funktionalisieren oder an den Rand zu drängen. Außerdem bezweifelte man das Interesse der → Schülerinnen und Schüler an der → Bibel.

Dagegen verdeutlichte der Elementarisierungsansatz, dass die biblischen Texte bereits grundlegende Erfahrungen enthalten, die sich unterrichtlich erschließen lassen. Sie wirken motivierend, weil sie in veränderten Lebenskontexten Entsprechungen finden und neue Erfahrungen anstoßen können. Im Zusammenhang mit dem Interesse an Elementarisierung begann vor allem Karl Ernst Nipkow auf die Rolle der → Entwicklungspsychologie aufmerksam zu machen. Das Elementare kam als das zeitlich Anfängliche in den Blick, auf das in einem längeren Prozess anderes aufbauen kann. Die spezifischen Verstehensvoraussetzungen, die Heranwachsende in ihrer Entwicklung und Lebensgeschichte mitbringen, traten mit ihren Abbrüchen und neuen Aufbrüchen in den Vordergrund. Spätere Untersuchungen zur Voraussetzung von Elementarisierung erhielten in dieser Perspektive ihren Schwerpunkt (Nipkow, 2002, 452f.). Zugleich ist für den Ansatz der Versuch kennzeichnend, theologische Erkenntnisse sorgfältig zu beachten. Die sach- bzw. textgemäßen elementaren Strukturen sollten einschließlich der damit verbundenen Verkündigungs- und Überlieferungsinteressen transparent werden. Dezidiert richtete sich die Aufmerksamkeit auf den Wahrheitsanspruch, der in einem Zeugnis der religiösen Tradition zum Ausdruck kommt. Seine Relevanz gewinnt er aber erst in der Verschränkung mit existenziellen Fragen nach Vergewisserung, die von den Schülerinnen und Schülern selbst aufgeworfen werden. Kennzeichnend für den Elementarisierungsansatz ist also, dass er beiden Polen gerecht werden will, den Personen mit ihren Deutungsweisen und Lernmöglichkeiten und der Sache in ihrer wissenschaftlich-theologischen Auslegung (Nipkow, 2002, 452f.). → Fachdidaktisch ist Elementarisierung heute nicht nur auf Bibeldidaktik beschränkt. Sie wird auf ein breites Spektrum geschichtlicher, systematischer und ethischer Themen des Religionsunterrichts bezogen, um sie didaktisch zu erschließen (Hanisch, 2010, 143-172; Riegel, 2010).

2. Konzepte der Elementarisierung

Der Elementarisierungsansatz hat religionsdidaktisch unterschiedliche Ausformungen erfahren. Für Ingo Baldermann blieb die Frage nach elementaren Zugangsmöglichkeiten zur Bibel leitend. Indem er Kindern elementare Sätze aus den → Psalmen zur freien Assoziation anbot, brachte er emotionale Erfahrungen ans Licht, die zugleich eine sprachliche Form fanden. Dass Ängste, Klagen und Hoffnung so auch mit anderen biblischen Texten zur Sprache kommen können, versteht Baldermann als „die der Bibel eigene Didaktik“ (Baldermann, 1996, Vorwort). Die in den Texten aufgehobene → Erfahrung fordere unmittelbar zum Lernen heraus, weil sie die Wahrnehmung und den Blick auf eigene Fragen verändere. Er hält es deshalb nicht für erforderlich, eigens entwicklungspsychologische Gesichtspunkte zu berücksichtigen und die wissenschaftliche Exegese tritt deutlich gegenüber dem spontaneren Assoziieren der Heranwachsenden zurück. Darüber hinaus führte Baldermann weitere Lernformen ein, die eine selbsttätige Aneignung der Texte ermöglichen sollen: → kreatives Gestalten, narrative Übungen, Verklanglichung, Inszenierung. Auf katholischer Seite hat Rainer Oberthür dieses Konzept für die Grundschule eigenständig weitergeführt. Im Mittelpunkt stehen hier „die großen Fragen“, die → Kinder in elementarer Weise stellen. Im Religionsunterricht sollen sie theologisch ernst genommen und durch Wege offenen Lernens gemeinsam bearbeitet werden (Oberthür, 1995, 11-22).

Nach Godwin Lämmermann kann Elementarisierung nicht mit der Strukturierung von Inhalten einsetzen. Er räumt den lebensweltlichen Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler den Primat bei der Elementarisierung ein, um von dort her Schlüsselprobleme für didaktische Überlegungen zu identifizieren (Lämmermann, 2001, 386f.). Allerdings bleibt der Weg von der Fülle möglicher Erfahrungen zu immer begrenzten Unterrichtsprozessen hier eher undeutlich.

Besonders wirksam wurde der Tübinger Ansatz der Elementarisierung, für den neben Nipkow heute Friedrich Schweitzer steht.

3. Der Tübinger Ansatz der Elementarisierung

Den Hintergrund für dieses Konzept bildet eine Verbesserung der Qualität des Religionsunterrichts (→ Religionsunterricht, evangelisch; → Religionsunterricht, katholisch), um eine lebensbezogene Begegnung zwischen den Inhalten oder Themen und den Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen. Grundlegend bedeutsame Lernvollzüge sollen durch ein zweipoliges Vorgehen unterstützt werden, bei dem Person und Sache sich wechselseitig erschließen.

3.1. Elementarisierungsdimensionen

Um diese allgemeine Intention für den didaktischen Gebrauch aufzuschlüsseln, werden fünf konkrete Fragerichtungen oder Dimensionen beschrieben, die theologisch und pädagogisch fundiert sind (Schweitzer, 2011a, 14-29):

Elementare Strukturen: Je nach Unterrichtsinhalt vergewissern sich die Unterrichtenden durch exegetische, → historische, systematische, → empirische und → ideologiekritische Analysen des Kerns der Sache, auf den es im Sinne charakteristischer Bedeutungselemente entscheidend ankommt. Es geht um sach- und textgemäße Konzentration, jedoch bereits mit Blick auf eine bestimmte Lerngruppe, für die nicht alle Inhalte bedeutsam sind.

Elementare Erfahrungen: Bei Elementarisierung geht es um lebensbedeutsame Erschließung und erfahrungsbezogene Relevanz. Die Unterrichtenden fragen nach in überlieferten Zeugnissen aufgehobenen elementaren (Glaubens-)Erfahrungen. Damit sind Erfahrungen von Menschen zu unterschiedlichen Zeiten gemeint, bei einem biblischen Text z.B. die Frage nach dem „Sitz im → Leben“ der Menschen in biblischer Zeit. Nachhaltig aber geht es um die elementaren Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler und ihre lebensweltlichen Zusammenhänge, von denen her sie einem Inhalt begegnen beziehungsweise auf den hin er ausgelegt werden kann.

Elementare Zugänge: Zu berücksichtigen sind die jeweiligen Zugangs- und Deutungsweisen der Schülerinnen und Schüler, die sich aus ihrer Entwicklung und mit ihrer Lebenslage verbundenen Verstehensweise erklären. Das Elementare erscheint als das zeitlich Angemessene, Elementarisierung als Sequenzproblem im Sinne lebensgeschichtlich bedingter Verstehensvoraussetzungen. Auf der Seite der Unterrichtenden setzt dies die Fähigkeit voraus, Äußerungen von Kindern und Jugendlichen auf dem Hintergrund ihrer → religiösen Entwicklung und lebensgeschichtlichen Bezüge genauso kundig lesen und interpretieren zu können wie theologische Texte. Grundlage hierfür sind → entwicklungspsychologische und → konstruktivistische Theorien ebenso wie → kinder- und → jugendtheologische Gespräche.

Elementare Wahrheiten: Das Elementare erscheint im existenziellen Bezug eines Themas oder Inhalts, Elementarisierung als Vergewisserungsproblem im Gespräch über Fragen nach gewiss machender → Wahrheit. Damit wird nicht unterstellt, dass Wahrheit in eindeutiger, objektiver Tradition unabhängig von ihrer persönlichen Erfahrung festzumachen ist, oder dass der Wahrheitsstreit zwischen verschiedenen Religionen von einer dritten, scheinbar objektiven Warte aus zu entscheiden sei. Der Religionsunterricht kann die Frage nach der Wahrheit nicht ausklammern, sondern nimmt sie dialogisch auf, weil er sonst den Ernst von Glaubenserfahrungen und das Interesse der Schülerinnen und Schüler unterbieten würde.

Elementare Lernformen: Die dem Ansatz innewohnende Dynamik verlangt bewegliche didaktische Fantasie. Die Unterrichtenden suchen nach Formen des Lehrens, die dem Thema gerecht werden, und berücksichtigen dabei kognitive, affektive und handlungsorientierte Aspekte des Lernens sowie Möglichkeiten kreativer Gestaltung. Die Sache soll den Schülerinnen und Schülern durch → methodische Vielfalt zugänglich werden.

Die Erschließungsdimensionen sind im Sinne eines Kreises oder Zirkels zu verstehen, in den an jeder Stelle eingetreten werden kann. Sie bieten ein komplexes Modell zur Vorbereitung und Gestaltung von Unterricht, das über die Konfessionsgrenzen hinweg Akzeptanz findet.

3.2. Elementarisierung als Analyseinstrument

Die Dimensionen des Tübinger Ansatzes eignen sich auch zur → qualitativen Analyse von Schulbüchern (→ Religionsbuch, evangelisch; → Religionsbuch, katholisch) und Unterrichtsmaterialien, weil sie eine breite didaktische Auswertung erlauben. Dabei spielen nicht nur die angebotenen Texte und → Bilder eine Rolle, sondern auch Aufgabenformate und Arbeitsanregungen, die den Lernprozess steuern. Die Dimensionen dienen hier der Überprüfung, ob die didaktische Reduktion in einem Material gelingt und die Elementarisierung den Stoffen sowie der jeweiligen Zielgruppe angemessen ist. Werden Kerne einer Sache herausgearbeitet, die anschlussfähig an Erfahrungen heute sind? Werden Räume zur dialogischen Auseinandersetzung mit Wahrheitsansprüchen unter Berücksichtigung der Verstehensvoraussetzungen Heranwachsender eröffnet und Weiterentwicklung gefördert? Die elementarisierende Analyse liefert praxisnahe Impulse zur Verbesserung didaktischer Medien. Entsprechende Untersuchungen liegen für die Behandlung der Geschichte von Isaaks Bindung (Gen 22,1-19) und die Thematik der → Geschlechtergerechtigkeit vor (Baumann, 2009, 331-340; → Gendersensibler Religionsunterricht).

3.3. Verbindung zu weiteren didaktischen Ansätzen

Für die weitere Diskussion war besonders der von Schweitzer und anderen erbrachte Nachweis wichtig, dass sich Elementarisierung auch als Weg zum Kompetenzerwerb (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht) auslegen lässt. Ausschlaggebend ist hier das Bemühen, die Prozessqualität und Ergebnisqualität von Religionsunterricht zusammen zu sehen. Es konnte gezeigt werden, dass die in aktuellen Bildungsplänen (→ Lehrplan) für den Kompetenzerwerb gemachten Vorgaben durch einen an Elementarisierung ausgerichteten Unterricht einlösbar sind. Zu bewähren scheint sich folgende Zuordnung von Dimensionen der Elementarisierung und übergeordneten Kompetenzen: Strukturen und Sachkompetenz, Erfahrungen und Sprachkompetenz sowie Selbstkompetenz, Zugänge und Urteilskompetenz, Lernformen und Methodenkompetenz, Fragen nach Wahrheit und Orientierungs- sowie Dialogkompetenz. Wege und Ziele sollten also nicht gegeneinander ausgespielt werden (Schweitzer, 2013b, 171-178).

Entsprechende Modelle zur Gestaltung von Unterricht lassen sich auch gut mit dem Konzept der → Kinder- und → Jugendtheologie verbinden. Schweitzer zeigt, dass Elementarisierungsmöglichkeiten zu verdeutlichen helfen, was Kinder- und Jugendtheologie für Lernen und → Bildung leisten können. Umgekehrt kann Kinder- und Jugendtheologie für den Elementarisierungsansatz die Aufgabe bewusst halten, → religiöse Lernprozesse subjektorientiert zu unterstützen. Zudem führt die kinder- und jugendtheologische Perspektive die mit dem Elementarisierungsansatz verbundenen Kompetenzen in inhaltlicher Hinsicht weiter und präzisiert sie (Schweitzer, 2011b, 96-106). Lehrerinnen und Lehrer müssen eigens befähigt werden, dies in einem Unterricht zur Geltung zu bringen, der offen ist für die Schülerinnen und Schüler als → Subjekte mit ihren Zugangsweisen und Ausdrucksmöglichkeiten.

4. Gemeindepädagogik und Elementarisierung

Elementarisierung führt die religionspädagogisch oft getrennt behandelten Bereiche von Religionsdidaktik und → Gemeindepädagogik zusammen (Schweitzer, 2011a, 25). In seiner Vorrede zur „Deutschen Messe“ von 1526 hat bereits → Martin Luther Hinweise für ein → Lehren und Lernen im Glauben gegeben, die in der pädagogischen Zuwendung zu Kindern elementarisierende Wege beschreiten. Mit seinen Ausführungen zum → Katechismusunterricht beschreibt er hier einen → spielerischen Zugang zu den Verstehensweisen der Kinder und begründet ihn → theologisch mit der Zuwendung Christi zu den Menschen. Sein Kleiner und Großer Katechismus waren für ein elementares Lernen in → Schule, → Gemeinde und → Familie gedacht. Das gemeindepädagogisch intendierte Lernen bezieht sich heute in allen Altersstufen auf Sinnfragen, für die in der christlichen Überlieferung Deutungsangebote enthalten sind. Diese Inhalte müssen in elementarer Weise zur Sprache kommen, damit sie als Antworten auf Wahrheitsfragen zugänglich werden. Ein erster Schritt dazu kann das sensible Wahrnehmen und Annehmen → biographisch oft verschlüsselter elementarer Zugänge zur Religiosität sein. Dies ist zu verbinden mit dem Erschließen elementarer Erfahrungen und existenzieller Bezüge in biblischen Texten und historischen Glaubensaussagen.

Glaube will nicht nur verstanden, sondern auch gefeiert und auf vielfältige Weise lebendig werden. Dem entsprechen eine elementarisierende liturgische Bildung und eine elementare Erschließung der Sakramente (→ Sakramentenkatechese/-pastoral). Dabei sind elementare Strukturen der Lebenswelt zu berücksichtigen, die bereits als liturgische Elemente im Alltag vorkommen (bitten und danken, klagen und loben, schweigen und reden). → Symboldidaktik und → Kirchenpädagogik bieten hier zahlreiche Anregungen für handlungsbezogene elementare Lernformen und bahnen so eigene → spirituelle Erfahrungen an. Nicht selten elementarisieren schon Kinder selbst, indem sie ein theologisches Problem mit eigenen Worten ansprechen und auf direkte Art zum Kern der Sache vorstoßen. → Gemeindepädagogik rechnet aber mit der Kompetenz Erwachsener, nach einem offenen Grundmuster elementarisierend fortfahren zu können. Die Fähigkeit zu elementarisieren gehört also zur Grundbildung aller Personen, die in der Gemeinde hauptberuflich religionspädagogisch tätig sind.

5. Elementarisierung als Herausforderung für interreligiöses Lernen

Bildung schließt angesichts gesellschaftlicher Vielfalt den Respekt vor anderen Religionen und Überzeugungen ein. Damit er durch Gemeinsamkeiten und Differenzen hindurch erworben wird, ist → interreligiöses Lernen notwendig, das sich als Elementarisierungsaufgabe betrachten und entfalten lässt. Das Profil eines christlichen Religionsunterrichts bleibt auch in diesen Lernprozessen erkennbar, wenn man davon ausgeht, dass sich eine überzeugende Begründung von → Toleranz und Dialogkompetenz für das Christentum, aber wohl auch für andere Religionen primär aus dem Inhalt des Glaubens selbst ergibt. Aus christlicher Sicht begründet der Glaube an die Toleranz → Gottes eine aktive Toleranz auf Seiten der Menschen, die mit der Anerkennung des Anderen und dem Interesse an ihm einhergeht.

Der didaktische Elementarisierungsbedarf ist beim interreligiösen Lernen besonders groß: Die Beschäftigung mit Weltreligionen im Unterricht erfordert erhebliche Reduktionen, die gleichwohl nicht zu unangemessenen Verkürzungen führen sollen. Vor allem jedoch ist interreligiöses Wissen auf eine Verankerung in der → Lebenswelt der Kinder und → Jugendlichen angewiesen, wenn es nicht äußerlich und träge bleiben soll. Deshalb legt es sich bei interreligiösen Fragen nahe, in den didaktischen Zirkel zuerst bei den Schülerinnen und Schülern einzusteigen (Simojoki, 2012, 368-373). Im Sinne elementarer Erfahrungen sind die lebensweltlichen Ausgangsbedingungen zu klären. Kommen Schülerinnen und Schüler vor Ort selbstverständlich oder primär medial vermittelt mit anderen Religionen in Berührung? Sie sollten der Präsenz des Fremden in der eigenen Lebenswelt nachspüren und dabei auch ambivalente Sichtweisen zum Ausdruck bringen können. Bei den elementaren Zugängen ließen sich in der Entwicklung von der Kindheit zum Jugendalter bisher zwei parallele Übergänge erkennen: Ein Übergang von äußerlichen Merkmalen hin zu inneren Überzeugungen und mit dem Übergang zum Jugendalter eine Orientierung in der Welt der Religionen auch über das Christentum hinaus. Die Orientierungsbedürfnisse beziehen sich jetzt auf das Verhältnis der Religionen zueinander. Als Verstehensvoraussetzungen sind hier in Deutschland auch die religionskulturellen Unterschiede zwischen christlichen und muslimischen Jugendlichen zu berücksichtigen. Diese Differenzen lassen sich nicht ausschließlich der Subjektseite zuordnen und müssen deshalb präsent sein, wenn über den Kern der Sache entschieden wird. Zu den elementaren Strukturen gehört es, die eigenen Überlieferungsmaterialien anderer Religionen zu nutzen. Die Rezeption dieser Inhalte ist aber bereits erfahrungsweltlich vorgeprägt und erfordert deshalb eine den Weltzugängen der Schülerinnen und Schüler entsprechende Auswahl, damit sie eine andere → Religion überhaupt als Herausforderung erreicht.

Das Einbeziehen persönlicher Repräsentanten einer Religion schließt die Chance ein, Sinn und Möglichkeit religiöser Toleranzbegründungen erkennbar zu machen und gegenüber bloßer Duldung starke, inhaltliche Formen von Toleranz zu identifizieren. Dies berührt elementare Fragen nach Wahrheit und zugleich fordern z.B. mediale Berichte und Inszenierungen, die das öffentliche Bild einer Religion prägen, zur Anbahnung eines unterscheidungsfähigen Umgangs mit Wahrheitsansprüchen heraus. Bei der Suche nach entsprechenden elementaren Lernformen wird immer wieder von spezifischen Lernbedingungen vor Ort auszugehen sein, weil der kontextuelle Ansatz die besten Möglichkeiten für eigenes → Erkunden bietet. Aber die religiöse Praxis vor Ort weist in den meisten Fällen über den Ort hinaus, denn das Lokale und das → Globale sind in der religiösen Welt eng miteinander verflochten. Nicht selten wird die Brücke zwischen beiden Ebenen heute durch moderne → Medien geschlagen und deshalb müssen Schülerinnen und Schüler auch → mediale Welten explorieren können. Hier sind nicht zuletzt Lernformen angezeigt, die den Schülerinnen und Schülern Gelegenheit zur Selbstthematisierung bieten. Wie weit ist ihre eigene Wahrnehmung einer Religion durch die oft konflikthaften Bilder in den Medien bestimmt oder gar verzerrt?

Elementarisierung im Kontext interkulturellen und interreligiösen Lernens zu bewähren, ist eine aktuelle Herausforderung für die religionspädagogische → Forschung und Praxis zugleich. Als Bildungsziel wird Pluralitätsfähigkeit in Zukunft auch fachdidaktisch eine erhebliche Rolle spielen.

Literaturverzeichnis

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  • Baumann, Ulrike, Mich mögen, wie ich bin. Geschlechterdifferenz im Religionsbuch, in: Pithan, Annebelle (Hg. u.a.), Gender, Religion, Bildung, Gütersloh 2009, 327-340.
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  • Schweitzer, Friedrich, Kindertheologie und Elementarisierung. Wie religiöses Lernen mit Kindern gelingen kann, Gütersloh 2011b.
  • Simojoki, Henrik, Globalisierte Religion. Ausgangspunkte, Maßstäbe und Perspektiven religiöser Bildung in der Weltgesellschaft, Tübingen 2012.

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