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Einstellungen, muslimische Religionslehrkräfte

(erstellt: Februar 2022)

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1. Ausgangslage

Die Ausbildung der Lehrkräfte für den islamischen Religionsunterricht kann in Deutschland noch nicht auf eine lange Tradition zurückblicken. Die Einführung des islamischen Religionsunterrichts und die Entwicklung und Akademisierung der islamischen Religionspädagogik ist in Deutschland unauflöslich mit der Migrationsgeschichte verwoben, insbesondere mit der Anwerbung von Gastarbeitern aus der Türkei, die 1961 einsetzte. Als klar wurde, dass die Gastarbeiter nicht in ihre Länder zurückkehren würden, sondern ihre Familien nachholten und dass die zugewanderten Musliminnen und Muslime ein Teil der deutschen Gesellschaft blieben und bleiben wollten, stellte sich mit zunehmender Dringlichkeit die Frage nach dem Aufbau einer religionspädagogischen Infrastruktur.

So wurde der erste Schulversuch ‚Islamkunde in deutscher Sprache‘ 1999 in Nordrhein-Westfalen gestartet. 2004 wurde die erste Professur für islamische Religionspädagogik an der Universität Erlangen-Nürnberg eingerichtet, um vorhandene Lehrkräfte muslimischen Glaubens für den islamischen Religionsunterricht weiter zu qualifizieren. Die Deutsche Islam Konferenz stimmte 2008 für die Einführung eines flächendeckenden islamischen Religionsunterrichts und rief Ansprechgremien für die Lehr- und Bildungspläne des Faches ins Leben. Mit der Empfehlung des deutschen Wissenschaftsrats begann 2011 die grundständige Ausbildung von Lehrkräften für den islamischen Religionsunterricht an deutschen Universitäten. Mittlerweile werden an sieben Universitäten und vier pädagogischen Hochschulen Lehrkräfte für den islamischen Religionsunterricht in Deutschland ausgebildet.

Die islamische Religionspädagogik ist eine neue wissenschaftliche Disziplin, die nicht zum klassischen Kanon der islamisch-theologischen Fächer gehört, wie beispielsweise die Koranwissenschaften, die Normenlehre oder andere theologische Disziplinen. Doch selbstverständlich gibt es auch in der muslimischen Geschichte eine pädagogische Tradition. Bereits im 9. Jahrhundert finden sich zahlreiche Abhandlungen über Pädagogik und Didaktik (Günther, 2013). Diese Tradition muslimischer Bildungslehren kann als Vorgänger und Inspirationsquelle der modernen islamischen Religionspädagogik gesehen werden, ist aber natürlich nicht mit ihr als einer wissenschaftlichen Disziplin gleichzusetzen.

2. Wissenschaftliche Perspektiven auf Lehrkräfte für den islamischen Religionsunterricht

Die akademische Ausbildung der Lehrkräfte für den islamischen Religionsunterricht ist wie gesagt noch relativ jung. Der Religionsunterricht ist einerseits ein Fach wie jedes andere, Religionslehrkräfte müssen die allgemeinen Professionalitätsansprüche (→ Professionsforschung) erfüllen können, wie Lehrkräfte für andere Fächer auch. Der Religionsunterricht ist andererseits ein Fach wie kein anderes: Religionslehrkräfte sind aufgefordert, ihre ureigensten Überzeugungen, ihren Glauben, ihre ethischen Einstellungen und ihre religiösen Positionierungen (→ Positionierung im Religionsunterricht, interreligiös) einzubeziehen, zu reflektieren und ihr eigenes Verhältnis zu existenziellen Herausforderungen zu klären (Schweitzer, 2020; Gronover, 2021). Diese spezifische Situation verleiht der Frage nach der Professionalität dieser Lehrkräfte eine besondere Brisanz.

In der erziehungswissenschaftlichen Professionsforschung wird zwischen Professionalisierung (Lehrerinnen- und Lehrerbildung) sowie Professionalität (Lehrerinnen- und Lehrerberuf) (→ Personale Merkmale von Lehrkräften) unterschieden (Terhart, 2005). Professionalisierung kann zweierlei bedeuten, einerseits „den Prozess, innerhalb dessen aus einem Beruf eine Profession wird“, andererseits „das individuelle Professionellwerden der Berufsinhaber“ (Horn, 2016, 154f.). Der Begriff Professionalität steht übergreifend „für die durch eine bestimmte fachliche und fachdidaktische Ausbildung zu gewinnende Fähigkeit, Unterricht so zu gestalten, dass er ausgewiesenen, in der Profession allgemein anerkannten wissenschaftlichen sowie praxisbezogenen Standards gerecht wird.“ (Schweitzer/Ulfat, 2021).

In der Erziehungswissenschaft werden drei Ansätze unterschieden, mit deren Hilfe die Professionalität im Lehrerinnen- und Lehrerberuf bestimmt werden kann: Strukturtheoretischer Ansatz, kompetenztheoretischer Ansatz und berufsbiographischer Ansatz (→ Professionsforschung). Im Bereich der Professionalität von Religionslehrkräften hat im deutschsprachigen Raum der kompetenztheoretische Ansatz starke Verbreitung gefunden (Burrichter, 2012; Simojoki/Henningsen, 2021).

Bei den kompetenztheoretischen Zugängen wird nach den Fähigkeiten gefragt, die Lehrkräfte für den Unterricht benötigen. Am weitesten verbreitet ist das sogenannte Coactiv-Modell (Baumert/Kunter, 2011). Unter „professionelle Kompetenz“ werden dort die Kompetenzaspekte „Professionswissen“, „Überzeugungen/Werthaltungen/Ziele“, „motivationale Orientierungen“ sowie „Selbstregulation“ gefasst. Diese Kompetenzaspekte werden wiederum in Kompetenzbereiche untergliedert (Baumert/Kunter, 2011, 32).

An dieser Stelle tritt die Besonderheit des Religionsunterrichts explizit zu Tage. Der Kompetenzaspekt „Überzeugungen/Werthaltungen/Ziele“ gewinnt hier eine enorme Bedeutung (Pirner, 2012a).

Bisher gibt es nur wenige Forschungsarbeiten zu den Lehrkräften des islamischen Religionsunterrichts:

Eine im Jahr 2019 erschienene Studie befasst sich mit dem Rollen- und Berufsverständnis von Lehrkräften für den islamischen Religionsunterricht in Österreich. Gefragt wird: „Welche subjektiv-biografischen Konzepte kennzeichnen islamische Religionslehrkräfte hinsichtlich ihrer Rolle und welche Berufsauffassung haben sie? Was sind in den Augen der Religionslehrkräfte die größten Herausforderungen für die Professionalität? In welchen Wissens- und Kompetenzbereichen halten islamische Religionslehrkräfte eine Ergänzung ihrer Kompetenzen für notwendig?“ (Tuna, 2019, 25). Eine im Jahr 2021 erschienene Studie untersucht das Professionswissen von 68 muslimischen Religionslehrkräften in NRW in Anlehnung an das Kompetenzmodell von Baumert und Kunter (Kamcili-Yildiz, 2021).

Was die religiösen Überzeugungen und Werthaltungen anbelangt, so gibt es eine Studie von Veronika Zimmer, Rauf Ceylan und Margit Stein (2017), deren Ergebnisse im Folgenden im Mittelpunkt stehen werden. Anschließend werden diese Ergebnisse aus islamisch-religionspädagogischer Perspektive reflektiert.

3. Religiöse Überzeugungen und Werthaltungen (angehender) muslimischer Religionslehrkräfte

Die Studie von Stein, Ceylan und Zimmer über „Religiosität und religiöse Selbstverortung muslimischer Religionslehrer/innen sowie Lehramtsanwärter/innen in Deutschland“ erfasst mittels einer qualitativen Erhebung u.a. die religiösen Überzeugungen und Werthaltungen der Befragten. Die Studie wurde in den Jahren 2015–16 mit 34 muslimischen Religionslehrerinnen und -lehrern sowie Lehramtsanwärterinnen und -anwärtern am Institut für Islamische Theologie der Universität Osnabrück durchgeführt.

Es konnten drei Typen religiöser Orientierungen herausgearbeitet werden:

  • Der Typ der „Religion-Neuentdecker/innen bzw. unreflektierten Wissensvermittler/innen“, dessen Religiosität in erster Linie in der tradierten Religiosität der Eltern wurzelt. „Andere Lebensweisen werden stark kritisiert und häufig werden den Anhänger/innen anderer Religionen stereotyp unmoralische Verhaltensweisen […] attribuiert“ (Zimmer/Ceylan/Stein, 2017, 360). Die Bezeichnung „Neuentdecker/innen“ meint also nicht, dass es sich bei diesem Typ um Neulinge in der Religion handelt, sondern dass dieser Typ durch sein Studium zu einer Neuentdeckung seines traditionell geprägten Glaubens notgedrungen aufgefordert ist.
  • Der Typ der „Religion-Verteidiger/innen bzw. Vermittler/innen zwischen dem Islam und der Gesellschaft“, der sich bereits während der eigenen Jugend eigenständig vertieft mit der Religion auseinandergesetzt hat. Dieser Typ sucht den Kontakt zur Gesellschaft, um über den Islam aufzuklären und distanziert sich dabei von extremistischen Sichtweisen. „Anders als bei den unreflektierten Neuentdecker/innen wird betont, dass man andere niemals wegen vermeintlichen Unglaubens kritisieren oder sich über diese erheben sollte, da niemand über den Glauben oder die Lebensweise eines anderen urteilen dürfe“ (Zimmer/Ceylan/Stein, 2017, 360).
  • Der Typ der „Religion-Reflektierer/innen bzw. Kritiker/innen“, der sich ebenfalls bereits im Jugendalter mit der Religion auseinandergesetzt hat, unterscheidet deutlich zwischen Religion und Tradition. Dieser Typ hinterfragt seine eigenen Einstellungen und befindet sich in einem kontinuierlichen Prozess der Reflexion. Im Mittelpunkt der Motivation dieses Typs steht die Überzeugung, dass „Religion eine erzieherische Aufgabe hat. Das bedeutet vor allem, dass man sich immer wieder selbst erzieht und nicht die anderen auf die Fehler hinweist. […] Der andere Glaube wird respektiert und akzeptiert. Islam scheint nicht mehr die einzig ‚wahre‘ Religion zu sein, sondern man gesteht jedem zu, seine eigene Wahl zu treffen, wenn diese begründet ist“ (Zimmer/Ceylan/Stein, 2017, 361).

Die Autorinnen und der Autor resümieren, dass eine „mittlere bis stark ausgeprägte Religiosität bei allen Typen“ zu verzeichnen ist. Bei einem Teil der Interviewpartnerinnen und -partner konnte „eine nur gering ausgeprägte Reflexion eigener religiöser Überzeugungen“ festgestellt werden (Zimmer/Ceylan/Stein, 2017, 360).

Auch was die genderbezogenen Wertehaltungen (→ Gender als Kategorie empirischer religionspädagogischer Forschung) betrifft, zeigen die verschiedenen Typen Unterschiede (Ceylan/Stein/Zimmer, 2019):

  • Die „Religion-Neuentdecker/innen“ beharren darauf, dass Männer und Frauen unterschiedlich sind und weisen dementsprechend den Geschlechtern traditionelle Rollen zu, fordern dabei aber die gerechte Behandlung beider Geschlechter. Bei ihrer Partnerin- bzw. Partnerwahl spielen sowohl die Religion als auch die kulturelle Herkunft der Partnerin bzw. des Partners eine wesentliche Rolle (Ceylan/Stein/Zimmer, 2019, 17f.).
  • Die „Religion-Verteidiger/innen“ plädieren dafür, die traditionelle Rollenverteilung in der Familie an die aktuelle und erlebte Gegenwart und die Bedürfnisse der Familienmitglieder anzupassen. Bei der Partnerin- bzw. Partnerwahl spielt die Religion eine wichtige Rolle, jedoch nicht die kulturelle Herkunft (Ceylan/Stein/Zimmer, 2019, 19f.).
  • Die „Religion-Reflektierer/innen“ versuchen die traditionellen Rollenverteilungen, die ihrer Meinung nach anerzogen sind, aufzubrechen. Bei der Partnerin- bzw. Partnerwahl spielt aber weniger Glaube und Kultur als vielmehr Wertevorstellungen eine Rolle (Ceylan/Stein/Zimmer, 2019, 21f.).

Auch wenn die oben genannte Studie von Kamcili-Yildiz einen anderen Fokus hatte, ergänzen ihre Ergebnisse die von Zimmer, Ceylan und Stein. Anders als bei diesen kam jedoch bei der quantitativen Untersuchung der fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Kompetenzen von 68 muslimischen Religionslehrkräften in Nordrhein-Westfalen zu Tage, dass die Reflexionskompetenz der Religionslehrkräfte im Bereich von Fachwissenschaft und Fachdidaktik generell sehr niedrig ist (Kamcili-Yildiz, 2021, 211). Die Lehrkräfte verfügen zwar über theologisches und fachdidaktisches Wissen, haben aber Probleme, beide in der Unterrichtssituation zusammenzubringen. „Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass es den befragten Lehrkräften schwerfällt, den islamischen Religionsunterricht als einen spezifischen Lernort der religiösen Bildung mit religionspädagogischen Methoden und Theorien zu denken“ (Kamcili-Yildiz, 2021, 216). Darüber hinaus konnte die Untersuchung „Tendenzen zu einer [sich] an der Glaubensvermittlung als Ziel des islamischen Religionsunterrichts“ orientierenden Haltung erkennen (Kamcili-Yildiz, 2021, 250).

Es fällt auf, dass die Studie von Kamcili-Yildiz (2021), die sich im Gegensatz zur Studie von Stein, Ceylan und Zimmer (2017) auf das Professionswissen der Lehrkräfte bezieht, dennoch auf die gleichen Schwierigkeiten hinweist. Es gelingt den befragten Lehrkräften „erst in Ansätzen […], das Fach aus einer religionspädagogischen Fachkultur heraus zu denken und zu gestalten. Ferner benötigen sie Unterstützung gerade in der Entwicklung der reflexiven Kompetenzen“ (Kamcili-Yildiz, 2021, 231). Es muss allerdings angemerkt werden, dass Kamcili-Yildiz hauptsächlich Lehrkräfte befragt hat, „die ihre Lehrbefähigung über einen Zertifikatskurs erhalten“ haben und nicht über ein Studium und Referendariat (Kamcili-Yildiz, 2021, 157).

Auch Tunas Studie (2019) macht auf diese Problematik aufmerksam: Die meisten religiösen Gemeinden in Österreich und auch manche Religionslehrkräfte verstehen den islamischen Religionsunterricht als reine Glaubensvermittlung, wie sie in den Moscheen praktiziert wird. Tuna führt diese Haltung darauf zurück, dass das Berufskonzept für muslimische Religionslehrkräfte, das den Unterricht in der Schule vom Unterricht in der Moschee religionspädagogisch und -didaktisch abgrenzt, entweder nicht hinreichend bekannt ist oder ignoriert wird (Tuna, 2019, 251f.).

Die Studie von Tuna weist darüber hinaus Berührungspunkte mit der von Stein, Ceylan und Zimmer vorgenommenen Typenbildung auf. Die Lehrkräfte kämpfen mit einem „Identitätsdilemma“ (Tuna, 2019, 250). Tuna weist darauf hin, dass die Lehrerinnen und Lehrer in den meisten Fällen eine stark ausgeprägte „religiös-kollektive Identität“ haben und seltener eine „individuelle Berufsidentität“. Die kollektive Identität baut auf Sprache und Kultur, vor allem aber auch auf der Identifikation mit der Religion auf und bildet auch die Grundlage für die Identifikation mit den Schülerinnen und Schülern sowie mit Musliminnen und Muslimen im Allgemeinen. Bei Konflikten in der Schule gibt meist die religiös-kollektive Identität den Ausschlag. Bei Lehrkräften dagegen, die eine individuelle Berufsidentität aufweisen, zeigt sich ein sachlich und fachlich fundiertes Berufsethos (Tuna, 2019, 251). Diese von Tuna diagnostizierte Spannung spiegelt sich auch in der Typenbildung von Stein, Ceylan und Zimmer wider, deren erster Typ Affinitäten zu der von Tuna beschriebenen religiös-kollektiven Identität aufweist, während die beiden anderen Typen sich immer stärker in Richtung einer individuellen Berufsidentität zu entwickeln scheinen.

4. Reflexion der Ergebnisse aus islamisch-religionspädagogischer Perspektive

Die skizzierten Studien machen vor allem auf zwei Problematiken aufmerksam:

1. Die wissenschaftlich religionspädagogische Reflexion der eigenen religiösen Überzeugungen der (angehenden) Religionslehrkräfte ist (noch) zu gering ausgeprägt.

2. Ein Teil der Lehrkräfte sieht nach wie vor als Ziel des islamischen Religionsunterrichts eine traditionelle Glaubensvermittlung an, die die Bildungsziele der wissenschaftlichen Religionspädagogik weitgehend ignoriert.

Beide Aspekte hängen miteinander zusammen: Wenn Bildung (→ Bildung) in ihrem Kern durch die Fähigkeit zur Selbstreflexion bestimmt ist, dann werden Lehrkräfte, die selbst nicht in der Lage zur Reflexion ihrer eigenen religiösen Überzeugungen und Werthaltungen sind, auch Schwierigkeiten haben, Schülerinnen und Schülern die Fähigkeit zur Selbstreflexion zu ermöglichen. Stattdessen verharren diese Lehrerinnen und Lehrer eher in einer Glaubensvermittlungsdidaktik.

Manfred Pirner resümiert aus verschiedenen Forschungsbefunden bestimmte Merkmale und Kompetenzen, die für Religionslehrkräfte besonders bedeutsam sind. Dazu zählt insbesondere die „eigene, reflexiv aufgeklärte Religiosität“ (Pirner, 2012a, 29), denn wer „schülerorientiert Religion unterrichten will, braucht in besonderer Weise […] [eine] hohe Reflexionsfähigkeit und theologisch-wissenschaftliche Expertise“ (Pirner, 2012a, 18). Der Glaube einer Religionslehrkraft sollte „ein reflektierter Glaube im Sinne religiöser Kompetenz sein“ (Pirner, 2012b, 110).

Im Folgenden soll deshalb darüber nachgedacht werden, was a) ein reflektierter Glaube sein sollte und wie man b) den angehenden Lehrkräften ermöglichen kann, diese Kompetenz während des Studiums zu erwerben.

a) Aus einer islamisch-religionspädagogischen Perspektive, wie die Autorin dieses Beitrags sie vertritt, ist zu unterstreichen, dass Glaube stets von einem Prozess der Erkenntnis begleitet wird. Es geht also um die reflektierte Erkenntnis der Realität Gottes.

Ein reflektierter Glaube sollte sich daher

  • der Individualität des eigenen Glaubens bewusst sein, der auf subjektiven Erfahrungen basiert.
  • der sozialen, kulturellen und biographischen Bedingtheit des eigenen Glaubens bewusst sein.
  • der historischen Bedingtheit und Kontextualität des eigenen Verständnisses religiöser Quellen bewusst sein.
  • der historischen Ereignisse und Entwicklungen bewusst sein, die den eigenen Glauben und die religiöse Gegenwartssituation heute bestimmen.
  • der Vielzahl von möglichen Verständnissen der göttlichen Botschaft bewusst sein, von denen kein Anspruch auf Überzeitlichkeit, Unhinterfragbarkeit oder Eindeutigkeit erhoben werden kann.
  • konstruktiv mit religiösen Einstellungen umgehen können, die den eigenen Überzeugungen widersprechen.

b) Der Bildungstheoretiker Jürgen Baumert weist der Religion als einem „Modus der Weltbegegnung“ einen eigenen „Rationalitätsmodus“ zu. Das heißt, dass eine Auseinandersetzung mit Fragen der Letztbegründung von Wirklichkeit in schulischen Bildungsprozessen auf rationale Weise erfolgen soll (Baumert, 2002, 113). Die Schule soll einen Ort bieten, an dem eine Auseinandersetzung mit der „religiös-konstitutiven Rationalität“ stattfindet (Schambeck, 2010, 255).

Um den Religionsunterricht als einen Ort der religiös-konstitutiven Rationalität zu gestalten, benötigen Lehrkräfte bereits in der Ausbildung die kontinuierliche Anregung, ihre eigene Religiosität kritisch zu reflektieren. In einem Projekt zur religionspädagogischen Professionsforschung sind Hans-Günter Heimbrock und Felix Kerntke der Frage nachgegangen, „wie Religionslehrkräfte mit Positionsbildung zu letzt-verbindlichen Fragen für sich persönlich umgehen, wie sie dies als eine Position im Unterricht verstehen und wo sie sie in der Praxis umsetzen“ (Heimbrock/Kerntke, 2017, 31f.).

Heimbrock und Kerntke plädieren für eine Änderung der Religionslehrerinnen und -lehrerausbildung: Angehende Lehrkräfte sollen während des Studiums „Gelegenheiten zu einer sekundären religiösen Sozialisation“ erhalten, um Kompetenzen im Umgang mit „Position und Differenz“ zu erwerben. Des Weiteren sollen ihnen „Möglichkeiten des Erwerbs einer elementartheologischen Sprachfähigkeit“ geboten werden. Diese und weitere Anregungen sollen ihnen helfen, „überzeugend Position beziehen zu können“ (Heimbrock/Kerntke, 2017, 71).

Für die Ausbildung der Lehrkräfte für den islamischen Religionsunterricht haben die Ergebnisse der Studie grundlegenden Wert, denn die in Abschnitt 3 dargestellten Studienergebnisse zu den religiösen Überzeugungen und Werthaltungen der (angehenden) Lehrkräfte für den islamischen Religionsunterricht machen die Dringlichkeit der professionellen Kompetenz eines reflektierten Glaubens und die Möglichkeit seines Erwerbs im Studium der islamischen Religionslehre deutlich.

Die Religionslehrkraft ist immer herausgefordert, ihr eigenes Verhältnis und ihre eigene Position zur Thematik zu klären, d.h. zu klären, was sie selbst glaubt (→ Positionierung im Religionsunterricht, interreligiös). Sie ist allerdings auch herausgefordert, sich mit den Erwartungen der Religionsgemeinschaften und Eltern aber auch der Gesellschaft im Allgemeinen auseinanderzusetzen. Dabei ist es wesentlich, dass die (angehenden) Religionslehrkräfte die Fähigkeit entwickeln, „in ein reflektiertes, auch kritisch-distanziertes Verhältnis zu Rollenvorgaben zu treten“, um nicht ein bloßes Ausführungsorgan zu werden, sondern eine „Selbstrolle“ auszubilden, die ihnen ermöglicht, pädagogisch verantwortet zu handeln (Schweitzer/Ulfat, 2021, 133).

5. Desiderate: verstärkte Forschung und die Festlegung professioneller Standards

Das Potenzial empirischer Forschungen (→ Empirie) auf diesem Gebiet liegt darin, aus den Ergebnissen konkrete Anregungen für die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften ableiten zu können.

Es besteht weiterhin großer Bedarf an empirischen Studien, die die bekenntnisbezogenen Selbst-Positionierungen und die verschiedenen Aspekte professioneller Kompetenz von Lehrkräften für den islamischen Religionsunterricht untersuchen.

Zugleich sind Forschungen durchzuführen, die die Zusammenhänge zwischen Lehrerkompetenz, Lehrerhandeln und dem Lernen der Schülerinnen und Schüler aus fachdidaktischer Perspektive empirisch erforschen, um auch daraus Rückschlüsse zu ziehen, wie die Qualität des islamischen Religionsunterrichts durch die Lehrerinnen- und Lehrerbildung verbessert werden kann.

Insgesamt muss die Ausbildung muslimischer Religionslehrkräfte eine Qualität erreichen, die jener aller anderen Fächer entspricht. Für die Erreichung dieses Ziels sind insbesondere Standards der Professionalität von muslimischen Religionslehrkräften notwendig, die die erforderlichen Kompetenzen detailliert festlegen.

Für die Ausbildung der Lehrkräfte des christlichen konfessionellen Religionsunterrichts haben die Kirchen Stellungnahmen verfasst, die den von der Kultusministerkonferenz verabschiedeten Kompetenzkatalogen zur Religionslehrerinnen und -lehrerbildung zugrunde liegen (Kultusministerkonferenz, 2018). Entsprechende Standards für die Religionslehrkräfte des islamischen Religionsunterrichts stehen noch aus.

Literaturverzeichnis

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  • Burrichter, Rita u.a. (Hg.), Professionell Religion unterrichten: Ein Arbeitsbuch, Stuttgart 2012.
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