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Bildungswerk, evangelisch

(erstellt: Februar 2022)

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1. Evangelische Bildungswerke – eine erste Annäherung

Im großen Reigen der unterschiedlichen Institutionen der Evangelischen Erwachsenenbildung fristen die Evangelischen Bildungswerke (EBW) eher ein Schattendasein. Sie können nicht wie Evangelische Akademien (→ Akademie, evangelisch; → Akademie, katholisch) oder Evangelische Heimvolkshochschulen (diese firmieren heute häufig als Evangelische Bildungs- und Tagungszentren) auf identitätsstiftende Tagungshäuser in landschaftlich reizvoller Umgebung oder wie Evangelische Stadtakademien auf profilierte Zentren der urbanen Diskurse meist in einem hervorgehobenen Ambiente verweisen. Es fehlt ihnen auch das muntere-bunte Treiben der Familienbildungsstätten. Doch sie bilden zumindest bezüglich der staatlichen Weiterbildungsstatistik den zahlenmäßigen Schwerpunkt der Evangelischen → Erwachsenenbildung. Alle Institutionen gehören in ihrer jeweiligen Kirche bzw. in ihrem Bundesland einem Landesverband bzw. einer Landesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung an, die diese sowohl gegenüber den Landeskirchen als auch den jeweiligen Landesregierungen vertritt. Durch diese strukturelle Verbindung zu den Kultusministerien wird deutlich, dass das kirchliche Handlungsfeld Evangelische Erwachsenenbildung einen Beitrag zum öffentlichen (Weiter-)Bildungsauftrag leistet. EBW bewegen sich auf einem lokalen und regionalen Weiterbildungsmarkt in fruchtbarer Nähe und mitunter auch in Konkurrenz zu anderen staatlich geförderten Trägern der Weiterbildung, zunehmend aber auch zu kommerziellen Anbietern, vor allem in den Bereichen der Persönlichkeits- und Gesundheitsbildung, aber auch der Weltanschauungsfragen.

2. Evangelische Bildungswerke als Lernorte in der Region

Im Zuge der Errichtung staatlicher Weiterbildungsgesetze entstanden in den 1970er Jahren in vielen Dekanaten/Regionen/Kirchenkreisen oder -bezirken Evangelische Bildungswerke (EBW), die entweder in der Rechtsform des eingetragenen Vereins gegründet wurden oder aber auch nichtselbständige Einrichtungen von Kirchenbezirken/Dekanaten sind. In manchen Landeskirchen spricht man auch von Bezirks- oder Regionalstellen der Evangelischen Erwachsenenbildung. Mitglieder der EBW sind überwiegend evangelische Kirchengemeinden und weitere evangelische Einrichtungen, in denen es um Lernprozesse von Erwachsenen geht (→ Seniorenarbeit/Altenbildung, → Erwachsenenalter). EBW sind meist dezentral auf der mittleren Ebene der Kirchenbezirke oder Dekanate organisiert und entfalten selbst innerhalb einer Landeskirche oder eines Kirchenbezirks ein sehr heterogenes Profil. Dieses ist häufig geprägt durch regionale Herausforderungen, aber auch durch ihre Gründungsväter und -mütter: Die Heterogenität der EBW verdankt sich der Organisationsstruktur, in der Staat und Landeskirche überwiegend den strukturellen und finanziellen Rahmen vorgeben, die inhaltlichen Entscheidungen aber in den jeweiligen regionalen Gremien getroffen werden. Als historisch gewachsene Systeme entwickeln EBW unterschiedliche Schwerpunkte und Profile. Ihr Spezifikum im Kreis der Evangelischen Erwachsenenbildungslandschaft besteht einerseits in der demokratisch legitimierten Beteiligung gewählter Repräsentanten ihrer Mitglieder an inhaltlichen, finanziellen und personellen Entscheidungen und andererseits in der flächendeckenden Präsenz als evangelisch profiliertes Gegenüber zur Volkshochschule und im Dialog mit der regionalen Katholischen Erwachsenenbildung (→ Erwachsenenbildungswerke, katholische). Die konkrete Bildungspraxis erfolgt sowohl in den jeweiligen Geschäftsstellen durch meist haupt- oder nebenamtliche Mitarbeitende als auch in den Gemeindehäusern (→ Gemeindehaus) der angeschlossenen Kirchengemeinden als EBW-Außenstellen, häufig durch ehrenamtliche Mitarbeitende. Diese Angebote richten sich meist an klassische Zielgruppen der kirchlichen Arbeit (Senioren/innen, Frauen und Männer, Eltern-Kind).

3. Evangelische Bildungswerke: bunt und profiliert

Das heterogene Erscheinungsbild der Evangelischen Bildungswerke (EBW) führt sowohl innerkirchlich als auch im Kontext der staatlichen Weiterbildungssysteme zur Frage nach deren Proprium. Dieses wird meist in einem Leitbild oder im Qualitätsverständnis (→ Qualitätssicherung) dargelegt, das zuvor in den jeweils zuständigen regionalen EBW-Gremien diskutiert und verabschiedet wird. Bei allen Unterschieden lassen sich dennoch einige Gemeinsamkeiten feststellen: EBW sind Teil des staatlichen Bildungssystems und müssen ihre Aufgaben und Ziele bildungstheoretisch legitimieren (→ Bildungstheorie). Als kirchliches Handlungsfeld sind EBW gehalten, ihre Aufgaben und Ziele theologisch zu begründen. Ein lapidarer Verweis auf das christliche Menschenbild, die Einbindung in kirchliche Strukturen oder die evangelische Trägerschaft ist nicht hinreichend, auch nicht für den Erwartungshorizont der Adressatinnen und Adressaten, sondern: das „Evangelische“ bezeichnet einen programmatischen Bezugspunkt, eine Basis aller Normen und Werte, einen Maßstab und Anspruch, der in Themen, Zielen, Inhalten und Methodik der Bildungsarbeit Gestalt gewinnt. Evangelisch meint: auf das Evangelium bezogen, in ihm gegründet, von ihm inspiriert, an ihm orientiert. Die christliche Liebe (Agape) als menschliche Antwort auf Gottes Liebe wird als zentrale Norm eines evangelischen Argumentierens, Urteilens, Entscheidens und Handelns verstanden (Wolff, 2005, 37). Aus dieser Für-Struktur christlicher Liebe erwächst eine grundlegende Offenheit mit immer wieder neuen Horizonten einer wohnortnahen, adressatengerechten Bildungsarbeit mit und für Erwachsene (→ Erwachsenenalter).

Dieser Anspruch konkretisiert sich in inhaltlichen Entscheidungen bezüglich der konkreten Programmplanung (Comenius-Institut, 2019). EBW sind als dekanatliche Servicestellen/Kompetenzzentren für die Fortbildung vor allem von neben- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden (Leiterinnen und Leiter von Erwachsenen- oder Seniorengruppen in Kirchengemeinden, der Mutter-Kind-Arbeit) zuständig. Sie sind regionaler Ansprechpartner für landesweite Werke und Dienste (Amt für Gemeindedienst, Evangelische Akademie) und übernehmen Dienstleistungen bei der Durchführung von landeskirchlichen Aktionen und Projekten. Durch ihre Netzwerkarbeit sind sie mit unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Aktionsgruppen jenseits kirchlicher Strukturen verbunden und bilden dadurch eine Brücke zu wesentlichen zeitgenössischen Initiativen wie zur ökologischen Bewegung/fridays for future/Klimaziel 1,5 der Vereinten Nationen (Schick, 2020)/Transition-Town-Bewegung oder zur Eine-Welt-Arbeit. EBW sind regionale Ansprechpartner für den interkulturellen und interreligiösen Dialog, sie engagieren sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus – und sind dadurch prädestiniert für die fachliche Begleitung von kirchlichen und außerkirchlichen Gruppen, die sich um Asylbewerberinnen und -bewerber kümmern. Sie arbeiten mit kulturellen Einrichtungen – von der Hochkultur (Theater, Museen, Universitäten, Schulen) über kommerzielle Kulturträger (Kino, Veranstaltungsagenturen) bis hin zur Subkultur (alternative Kultur). Ein starkes Gewicht haben Angebote zur Förderung der Kompetenzen von Männern und Frauen (Biographie-Arbeit [→ Biografisches Lernen], generationsübergreifendes Lernen). Theologische Inhalte werden häufig erfahrungsbezogen und im Kontext von Religion(en) und Spiritualität behandelt. Diese Programmsparte umfasst ein breites Spektrum von Glaubenskursen (→ Glaubenskurs) (Sautter, 2007), über kirchengeschichtliche Jubiläen (Reformation, „Kirchenkampf“) bis zu Kursen zu Achtsamkeit, Mediation und meditativem Tanz. Als Folge der demographischen Veränderung und eines veränderten Verständnisses von Behinderung im Kontext des 2006 verabschiedeten und 2008 in Kraft getretenen Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention) bemühen sich EBW verstärkt um die Entwicklung inklusiver Bildungsangebote.

4. Evangelische Bildungswerke im Wandel der Zeiten

Auch wenn Evangelische Bildungswerke (EBW) erst im Zuge des Strukturplans für das Bildungswesen des Deutschen Bildungsrates 1970 entstanden sind, kann auf heute weithin vergessene Vorläufer einer christlich motivierten Bildungsarbeit vorwiegend von engagierten Persönlichkeiten und Gruppen am Rande der Amtskirche seit dem 19. Jahrhundert verwiesen werden (Wolff, 2005, 59-95). So stellten sich Evangelische Arbeitervereine im deutschen Kaiserreich der Sozialen Frage in Großstädten durch Bildungsangebote für ihre Mitglieder (→ Soziale Frage (19. Jahrhundert)). Bei allen inhaltlichen, didaktischen und methodischen Veränderungen der Zeiten kann als Konstante gelten, dass wichtige Themen und Inhalte durch wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformationsprozesse generiert wurden. Die psychosozialen Folgen der gesamtgesellschaftlichen Veränderungen fanden ihren Eingang in die jeweiligen Programmplanungen.

In jüngster Zeit führte die Corona(virus)-Krise zu einer sich rasant beschleunigenden Digitalisierung weiter Bereiche der Gesellschaft (Schule, Universität, Arbeit, innerfamiliäre Kommunikation). Digitalisierung wird in der Folge zu einem Thema mit einer doppelten Stoßrichtung: EBW profilieren sich einerseits als Player auf dem digitalen Bildungsmarkt und erweitern ihr Angebotsspektrum. Andererseits thematisieren sie die mit der Digitalisierung verbundenen psychosozialen Folgen (Einsamkeit; Depression; Veränderungen in der Familie durch homeoffice und homeschooling).

Doch nicht nur bezüglich der Themen und Inhalte sind EBW eine Signatur ihrer Zeit: Geringer werdende finanzielle und personelle Ressourcen führen zu Fusionen von EBW in Regionen zu leistungsstarken Institutionen, die in der Lage sind, auch zukünftig die Aufgaben einer evangelisch profilierten Bildungsarbeit zu leisten. Das einstige gedruckte Programmheft wird längst erweitert durch Website, Newsletter und Auftritte in den sozialen Medien. Die klassische institutionelle Förderung von Kirche und Staat wird erweitert durch Projektförderungen, Drittmittelakquise und Fundraising. Nach der Entwicklung digitaler Formate stehen EBW nun vor der neuen Aufgabe, über die Möglichkeit, Veranstaltungen streamen zu können, neue hybride Formate zu entwickeln.

Literaturverzeichnis

  • Bergold, Ralph/Boschki, Reinhold, Einführung in die religiöse Erwachsenenbildung, Darmstadt 2014.
  • Comenius-Institut (Hg.), Evangelische Erwachsenenbildung. Empirische Befunde und Perspektiven, Münster/New York 2019.
  • Lück, Wolfgang/Schweitzer, Friedrich, Religiöse Bildung Erwachsener. Grundlagen und Impulse für die Praxis Kirchenpädagogik, Stuttgart 2. Aufl. 2008.
  • Sautter, Jens M., Spiritualität lernen. Glaubenskurse als Einführung in die Gestalt des christlichen Glaubens, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 2007.
  • Schick, Alexandra, Ökologische Bildung in der Evangelischen Erwachsenenbildung Bayern – zwischen Programm und Realität. Oder warum wächst Mangold vor dem Evangelischen Bildungswerk?!, Hamburg 2020.
  • Wolff, Jürgen, Evangelische Erwachsenenbildung zwischen Profil und Zeitgeist, in: Adam, Gottfried/Lachmann, Rainer (Hg.), Neues gemeindepädagogisches Kompendium, Arbeiten zur Religionspädagogik 40, Göttingen 2008, 381-411.
  • Wolff, Jürgen, Zeit für Erwachsenenbildung. Evangelische Erwachsenenbildung zwischen Zeitdiagnosen und Freizeitbedürfnissen, Arbeiten zur Religionspädagogik 27, Göttingen 2005.

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