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Abendmahl / Eucharistie

(erstellt: Februar 2018)

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1. Heutige Herausforderungen

Was bedeuten Abendmahl und Eucharistie den heutigen Empfängern? Die beiden Sakramente (→ Sakramentenkatchese/-pastoral) sind biographisch in anderen Entwicklungsstufen verankert (Jugendalter/Kindheit) und trotzdem zeigen sich bei den wenigen Befragungen ähnliche Probleme (zusammenfassend Reis, 2015, 334-336; Meier, 2015): Die Sakramente werden in der äußeren Form, aber ohne ein eigenes persönliches Verständnis vollzogen. Wenn die Befragten ein Verständnis äußern, dann kommt eine Gruppe zur Erinnerung an das letzte Abendmahl Jesu zusammen, eine Gegenwart Jesu Christi kommt nicht in den Blick. Eine reale soziale Bedeutung haben Abendmahl und Eucharistie für die Feiernden außerhalb der Feier ebenfalls nicht. Wenn die Teilhabe an den Sakramenten Folgen hat, dann als Stärkung des individuellen Lebens.

Die → Katechese bemüht sich darum, in die liturgische Praxis einzuführen, die Familien als Ort der Sozialisierung von Glaubenswissen wiederzugewinnen und die konkrete Erfahrungsgemeinschaft zu stärken. Eucharistie- bzw. Abendmahlstheologie kommt nur am Rande und dann eher in biblischen bzw. Lehrformeln vor. Ein eigenständiges Theologisieren durch die Sakramentsempfänger ist nicht beobachtbar, ist angesichts der Fremdheit der kirchlichen Sprachtraditionen aber auch eine sehr komplexe Herausforderung (Reis, 2017). Man kann sagen, dass nur den getauften Kindern und Jugendlichen das Sakrament etwas bedeutet, die schon in den Familien religiös sozialisiert sind (Altmeyer/Herrmann, 2014, 36-38). In der gegenwärtigen Katechese- und Feierform gelingt es beiden Kirchen offenbar nicht, dass die Geladenen in der Mehrheit auch nach dem Erstempfang den Tisch des Herrn suchen, weil sie dort einen gemeinsamen Erfahrungssinn erlebt haben.

2. Biblische Grundlagen

Die christlichen Mahlfeiern nehmen drei Traditionen auf: „Die Mahlpraxis des irdischen Jesus, sein letztes Mahl mit den Seinen ‚in der Nacht, da er ausgeliefert wurde‘, und die österlichen Gastmähler, bei denen er sich ihnen als der Auferweckte offenbarte und sie so zur Wiederaufnahme der Mahlgemeinschaft mit ihm als dem lebendigen Herrn und Gastgeber ermutigte“ (Theobald, 2012, 25f.). Lukas berichtet besonders ausführlich in seinem Evangelium von Jesu Mahlgemeinschaften. Sie begegnen bei der Berufung des Levi (5,27-39), dem Gastmahl beim Pharisäer Simon (7,36-50), der Speisung der 5000 (9,10-17), dem Gastmahl bei Martha und Maria (10,38-42), Mählern mit Pharisäern (11,37-53; 14,1-24), der Begegnung mit Zachäus (19,1-27), Jesu Abschiedsmahl von den Jüngern (22,1-38) und einem Abendessen mit dem Auferstandenen in Emmaus (24,13-35).

Auch die anderen synoptischen Evangelien enthalten diese bzw. ähnliche Mahlberichte. Dabei verrät Mt 11,19 (Lk 7,34), dass Jesu diesbezügliche Praxis nicht unumstritten war. Er wurde nämlich als „Fresser und Weinsäufer“ bezeichnet. Begründet war diese Schmähung wohl neben der Üppigkeit der Mahlzeiten damit,dass Jesus bei den Mahlzeiten Gemeinschaft mit „Zöllnern und Sündern“ pflegte. Damit überschritt er „revolutionär“ (Wendebourg, 1984, 150) sonst übliche religiöse, soziale und kultische Beschränkungen der Mahlgemeinschaft und initiierte eine grundsätzlich inklusive Mahlpraxis (Taussig, 2009, 48). Sie war durch eine „solidarische Gemeinschaft“ der Gleichen (Böttrich, 2003, 9) charakterisiert. Dies tritt deutlich in der Geschichte vom Rangstreit der Jünger zu Tage (Lk 22,24-27).

In den synoptischen Evangelien sind die Rückblicke und Reflexionen zum später sog. letzten Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern, besser: seinem Abschiedsmahl, redaktionell herausgehoben. Sie leiten die Passionserzählung ein und markieren so einen entscheidenden Übergang in Jesu Wirken und Geschick. Exegetisch besteht weitgehend Konsens darüber, dass diese Texte (Mk 14,12-25; Mt 26,17-30; Lk 22,7-23; 1Kor 11,23-26) keine Berichte eines Geschehens sind. Vielmehr legitimieren sie die Mahlpraxis der frühen christlichen Gemeinden. So führen sie auf eine „Metaebene … im Vergleich zur Primärebene der eucharistischen Gebete, der Segensworte, des Lobpreises und der Bitten über die Gaben und Mahlteilnehmer“ (Theobald, 2012, 122). Von daher ist auch zu erklären, dass erst ab dem 3./4. Jahrhundert diese sog. Einsetzungsworte in Liturgien begegnen. Unübersehbar sind die erheblichen Differenzen zwischen den einzelnen „Berichten“.

So kann also diesen Texten nicht der Ablauf der Mahlfeiern entnommen werden. Das zeigt auch bei Paulus die Differenz in der Reihenfolge von Kelch und Brot zwischen 1Kor 10,16f. und 1Kor 11,23-25. Theologisch bedeutsam ist, dass die Worte Jesu nicht Brot und Wein, sondern das Brotbrechen und -verteilen sowie das Herumreichen des Weins deuten (Theobald, 2012, 130). Nicht die sog. Elemente, sondern die kommunikativen Vollzüge werden von ihm gedeutet. Doch lassen frühjüdische Texte vermuten, dass damalige Juden mit Brot und Wein messianische Motive assoziierten.

Wichtig ist weiter, dass Jesus nicht mitisst und -trinkt (in Lk 22,16 voran-, in Mk 14,25 und Mt 26,29 hintangestellt). Vielmehr gibt er einen eschatologischen Ausblick (→ Eschatologie), der sich direkt auf die Gottesherrschaft bezieht. So öffnet er die Mahlgemeinschaft über die lineare Zeit hinaus auf Gottes Zukunft. Er nimmt dabei Traditionen jüdischer Mahlzeiten wie etwa in Jes 25,6-10a auf, die in endzeitliche Visionen münden.

Schließlich berichten Lukas (Lk 24,29-31) und Johannes (Joh 21,13f.) von Mahlzeiten des Auferstandenen mit seinen Jüngern (auch im Summarium Apg 10,40f.). Hier erkennen die Jünger den Auferstandenen beim Mahl – bei Lukas am Brotbrechen, bei Johannes am Geben von Brot und Fisch. Die hier berichtete personale Präsenz Christi wurde in unterschiedlicher Weise mit eschatologischen Vorstellungen verbunden (1Kor 11,26 mit dem Hinweis auf die Wiederkunft des Herrn; in Mk 14,25 mit dem Ausblick auf die Königsherrschaft Gottes) (Löhr, 2012, 62). Deutlich knüpfen beide Berichte an die früheren Mahlgemeinschaften Jesu an – ohne besonderen Bezug auf das sog. letzte Mahl (besser: Abschiedsmahl) Jesu.

Das Verständnis und dann auch die Praxis der späteren Mahlfeiern in den christlichen Gemeinden hängen eng mit der Gewichtung dieser drei Impulse zusammen:

Die Betonung des Mahls mit dem Abschied Jesu von seinen Jüngern hebt das Gedenken an Jesu Tod, die besondere Gemeinschaft der Jesus Nachfolgenden und damit den kirchlichen Charakter des Mahls hervor (Schröter, 2006, 40-53). Dagegen tritt bei der vorhergehenden jesuanischen Mahlpraxis der inklusive, also grundsätzlich für alle Menschen offene Charakter des Mahls hervor. Die Tatsache, dass Judas am Abschiedsmahl teilnahm, zeigt, dass auch hier dieser Grundzug herrschte – bei der zu jeder → Inklusion gehörenden Möglichkeit zur Selbstexklusion. Schließlich öffnet das Auftreten des Auferstandenen den Blick über die irdischen Verhältnisse hinaus und relativiert so die bestehenden menschlichen Herrschaftsverhältnisse (Taussig, 2009, 178). Daraus folgt: Es können nur mehrperspektivisch adäquate Aussagen zum Mahlfeiern gemacht werden. Sie haben von den Mahlzeiten des irdischen Jesus her einen inklusiven Charakter und beinhalten ein Ethos der solidarischen Gemeinschaft. Das Abschiedsmahl ruft Jesu Todesgeschick in Erinnerung; dieses Gedächtnis verbindet die miteinander Essenden und Trinkenden. Schließlich öffnet der Auferstandene den Blick auf die Zukunft Gottes und der Feiernden. Diese Mehrperspektivität entspricht den Grundmodi der Kommunikation des Evangeliums.

3. Historische Entwicklungen

Schon im Neuen Testament begegnet eine Fülle von Deutung des Mahlgeschehens. Für die weitere Entwicklung waren die jeweiligen Kontexte wichtig, innerhalb derer die Christen das Mahl feierten. Es kam zu Differenzierungen hinsichtlich der Gemeinschaft, der Feierformen und des Ethos (Grethlein, 2015, 24-106).

Dabei ist eine bereits in den Antike einsetzende, später durch den germanischen Kontext weiter verstärkte Entwicklung zu beobachten: Die Abtrennung des Mahlfeierns von einer Sättigungsmahlzeit sowie die Übertragung ihres Vorsitzes auf Priester führten zu einer weit reichenden und grundsätzlichen Veränderung der Mahlzeiten hin zu einem kultischen Ritual. Voraussetzungen dafür waren die schon bei Paulus zu beobachtende Abtrennung des Mahlfeierns von einer Sättigungsmahlzeit (1Kor 11,17-34) und die Herausbildung eines eigenen Priesterstandes, der dann den Vorsitz in der Mahlfeier übernahm.

Schon in der Didache tauchte mit dem Getauftsein ein erstes Zugangskriterium zur Mahlfeier auf (Did 9,5). Nur „Heilige“ (Did 10,6) sollten zugelassen werden – eine Anordnung in offenkundigem Widerspruch zu der Mahlpraxis des irdischen Jesus. In der Folgezeit mehrten sich Exklusionen aus ethischen und doktrinären Gründen. Die Kirchen im (west)römischen Einflussbereich schlossen seit dem 13. Jahrhundert sogar die Kinder vom Mahl aus. Eine kognitive Verengung des Glaubensverständnisses und die Bindung der Zulassung an die moralische Unterscheidungsfähigkeit gaben dafür den Grund. Im ostkirchlichen Bereich bleibt man aber bis heute dabei, dass auch Säuglinge bei ihrer Taufe selbstverständlich an der Kommunion teilnehmen, um damit auch den Zusammenhang der drei Initiationssakramente zu betonen. Auch veränderte sich die Feierpraxis signifikant. Vor allem der Priester und die – ab dem 12. Jahrhundert sogar nur noch die Hostie empfangenden – Laien traten schroff auseinander. Hier fand eine hierarchisch bestimmte, amtstheologische Entwicklung ihren Ausdruck, die kontextualitätstheoretisch auch als eine Angleichung an überkommene pagane Vorstellungen verstanden werden kann. Eine weitere – doktrinär begründete – Exklusion folgte aus den Auseinandersetzungen im Zuge der Reformation. Zwar konnten für die reformatorischen Kirchen die Trennungen 1973 mit der Leuenberger Konkordie aufgehoben werden, von der römisch-katholischen Kirche her bestehen sie aber bis heute. So ist die dem Mahlfeiern in allen drei neutestamentlichen Impulsen zu Grunde liegende Gemeinschaft für andere theologische oder kirchenpolitische Sinnrichtungen mehrfach gestört und gebrochen worden.

Bei der Feierform konzentrierten sich die Theologen schnell – offenkundig schon bei Paulus, explizit im 2./3. Jahrhundert in der Anaphora von Addai und Mari – primär auf den Impuls des sog. letzten Mahls Jesu. Damit war eine Fokussierung auf den (inner)kirchlichen Bereich gegeben. Die Traditio Apostolica integriert bereits die Mahlfeier in die Kirchenordnung. Im Zentrum des Feierns begegnet hier ein umfangreicher Gebetszusammenhang, zu dem erstmals die knappe, in den synoptischen Evangelien und im 1Kor überlieferte Passage zum Abschiedsmahl Jesu gehörte. Ambrosius (†397), Bischof von Mailand, deutete diese Worte konsekratorisch. Diese sich wesentlich einem platonisch philosophischen Kontext verdankende Deutung prägte die weitere Entwicklung der Feier. Demzufolge versuchten Theologen über viele Jahrhunderte und in mannigfaltigen Anläufen, die Präsenz des Auferstandenen in den Elementen näher zu bestimmen. Dies führte zu nicht zuletzt auch die Reformation überschattenden Zerwürfnissen. Die Konzentration auf die lehrmäßige Bestimmung von Brot (bzw. Hostie) und Wein und deren metaphysische Deutungen prägten auch die Feierformen. Die Sakralisierung der Eucharistie und ihrer Elemente, verbunden mit überkommenen Reinheitsvorstellungen, hielt Menschen von häufigerer Kommunion ab. Im Kontext der bildtheologisch begründeten Hochschätzung des Gesichtssinns und der frommen Scheu vieler Laien vor der Heiligkeit der Kommunion entwickelte sich über Jahrhunderte eine Frömmigkeit der sog. Augenkommunion. Zugleich prägte die enge Verbindung mit der Beichte die Eucharistiefeier. Die Reformatoren eliminierten den mit dieser Feier verbundenen Opfergedanken und wiesen die römische Transsubstantiationslehre zurück. Die Befreiung aus dem priesterzentrierten Kult und die Rückbindung an die konkrete anamnetisch gedachte Abendmahlsfeier eliminierte zugleich die letzten ostkirchlichen sozial-sakramentalen Reste, die in der Wandlung der Gemeinde als Leib Christi die Eucharistie mit dem Alltag verbunden hatten. So gelang es auch in den reformatorischen Gemeinden letztlich nicht, das Feiern des Abendmahls mit dem Alltag der Menschen zu verbinden. Der Predigtgottesdienst galt als Normalfall liturgischer Feier, nur zu bestimmten Festtagen wurde eine Mahlfeier angehängt. Sie fand – entsprechend ihrer Ausrichtung auf Schuld und Sündenvergebung – in ernster bis düsterer Atmosphäre statt und konzentrierte sich auch auf das „letzte Abendmahl“.

Erst im 20. Jahrhundert kam es sowohl in der römisch-katholischen Kirche, vor allem im II. Vatikanum, als auch in den evangelischen Kirchen zu einer neuen Hinwendung zu Eucharistie bzw. Abendmahl. Vor allem liturgiehistorische Erkenntnisse führten aus früheren Frontstellungen heraus und ließen die ökumenische Aufgabe (wieder) hervortreten. Dazu kamen in Deutschland Erfahrungen aus dem Kirchenkampf, in denen gemeinsames Mahlfeiern Menschen unterschiedlicher Konfessionszugehörigkeit gestärkt hatte.

Schließlich wandelte sich die ethische Ausrichtung der Mahlfeier. Beim irdischen Jesus war mit ihr eine Zuwendung zu den Armen verbunden. Während in den Ostkirchen dieser Aspekt in der Wandlung der Gemeinde in den Leib Christi zu dessen Nachfolge elementarer Bestandteil und im frühen Mittelalter die Eucharistie immerhin noch realer ökonomischer Wandlungspunkt der Gabenteilung an die Armen war, dominierte seit dem Spätmittelalter das Interesse der Kommunizierenden (bzw. bei der Wandlung Anwesenden) am eigenen Heil. Die priesterlichen Mess-Stipendien waren Ausdruck dieser Frömmigkeitspraxis. Dem widersprach Luther durch seine fundamentale Kritik am opfertheologisch geprägten Kanongebet. Doch auch bei ihm blieb das Abendmahl einseitig auf die Sündenvergebung ausgerichtet. So konnte es in die obrigkeitliche Erziehung eingepasst und zur Stärkung der Obrigkeit funktionalisiert werden. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vollzog sich im Zuge der ökumenischen Bewegung eine gewisse Wende. Die nie ganz vergessene Verpflichtung des Eintretens für Schwache, Arme und Unterdrückte wurde als konstitutiver Teil der Mahlgemeinschaft wiederentdeckt.

Der skizzierte Wandel der Mahlfeiern in der (westlichen) Christentumsgeschichte könnte – unhistorisch – als eine reine Verfallsgeschichte interpretiert werden. Tatsächlich traten über lange Zeit wichtige Impulse des Auftretens, Wirkens und Geschicks Jesu zurück bzw. gingen verloren. Positiv gewendet handelte es sich jedoch jeweils um Kontextualisierungen des Christentums. Mit dessen Dominanz traten die bei Jesu Mahlzeiten unübersehbaren kulturkritischen Implikationen der Kommunikation des Evangeliums zurück. Doch verändert sich mittlerweile die Stellung der Kirchen in Staat und Gesellschaft. Aus der Selbstverständlichkeit der Kirchenmitgliedschaft wird in manchen Gegenden und Milieus eine sogar eher unwahrscheinliche Option. Diese veränderte Situation bietet die Chance, beim Mahlfeiern lange zurückgetretene Inhalte der Kommunikation des Evangeliums, wie die grundsätzliche Offenheit oder die ökonomische Zuwendung zu Armen und Bedürftigen, von neuem zu entdecken.

4. Heutige Essgewohnheiten als Kontext

Menschen müssen essen und trinken, um zu leben. Allerdings ergaben sich in unserem Kulturkreis seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erhebliche Veränderungen in Hinblick auf Nahrung und Ernährung. Sie bilden den Kontext, innerhalb dessen heute Abendmahl bzw. Eucharistie gefeiert wird.

Zuerst hat sich die Zahl der Menschen, die unmittelbar an der Nahrungsproduktion beteiligt sind, drastisch verringert. So waren in Deutschland im sog. primären Sektor (Landwirtschaft, Forsten, Fischerei) der Volkswirtschaft 1867 51,5 % der Beschäftigten tätig, 1913 immerhin noch 34,5 % (Nipperdey, 1991, 269). Mittlerweile sind nur noch 2 % der Erwerbstätigen dort beschäftigt (Technikerkrankenkasse-Studie, 2013, 29). Die große Mehrheit der Bevölkerung hat also keinen direkten Bezug zu den fundamentalen Prozessen der Nahrungsgewinnung wie Säen und Ernten.

Sodann ist jedenfalls in Deutschland nicht mehr Hunger, sondern Übergewicht ein zentrales Thema der Gesundheitspolitik. Die Mehrzahl der deutschen Erwachsenen – sie sind von allen EU-Bürgern im Durchschnitt die dicksten – hat Übergewicht. Jeder fünfte Bundesbürger gilt sogar als adipös (Technikerkrankenkasse-Studie, 2013, 29). Mittlerweile verspricht eine ganze Industrie Gewichtsreduktion, teilweise verbunden mit bestimmten Reinheitsvorstellungen wie bei „Clean Food“. Umgekehrt treten zunehmend Störungen bei der Ernährung auf, etwa Magersucht oder Bulimie. Ein besonderes, für die Praxis des Abendmahls unmittelbar relevantes Problem ist der recht hohe Anteil von Alkoholkranken. Nach den Daten des Gesundheitsministeriums konsumieren fast 10 Millionen Menschen in Deutschland Alkohol in gesundheitlich riskanter Form. Mindestens 74.000 Menschen sterben jährlich an den Folgen von Alkoholmissbrauch. Zugleich leben wir in einer Welt, in der etwa eine Milliarde Menschen hungern müssen (Waskow/Rehaag, 2011) und durch die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen, aber auch klimabedingte Veränderungen die Versorgung schwieriger wird.

Weiter verändern sich die Essgewohnheiten der Deutschen in ihrer Sozialform. Zwischen 1991 und 2002 verdoppelte sich die Zahl derer, die täglich mindestens einmal außer Haus essen (Ernährungsbericht, 2004, 18). Dadurch wird die Gemeinschaft der miteinander Essenden in vielen Familien eine seltenere, eher auf das Wochenende bezogene Erfahrung. Im großstädtischen Bereich und bei jungen Menschen ist diese Entwicklung weiter vorangeschritten als in ländlichen Regionen. „Essen to go“ gilt als attraktiv. Hier treten die physische und die soziale Funktion des Essens auseinander (Rückert-John/John/Niessen, 2011, 43). Umgekehrt wertet dies die selteneren gemeinsamen Mahlzeiten auf. Sie werden – oft am Wochenende – entsprechend sorgfältig gestaltet. Dies gilt auch für abendliche Einladungen im Freundes- und Bekanntenkreis. So entwickeln sich gegenläufige Trends: Auf der einen Seite herrscht Zerstreuung, wenn nach Nebentätigkeiten beim Essen gefragt wird. Bei einem Drittel der Befragten (über 18 Jahre) laufen Fernseher oder Computer während des Essens. Jeder zweite blättert in einer Zeitschrift bzw. surft im Internet. Vor allem junge Menschen, und bei diesen vor allem Alleinlebende, gehen während des Essens anderen Tätigkeiten nach (Technikerkrankenkasse-Studie, 2013, 16). Dem entspricht der hohe Konsum von Fertiggerichten in dieser Bevölkerungsgruppe. 17 % der 18- bis 25-Jährigen nimmt fast täglich ein Fertiggericht zu sich, 42 % dieser Altersgruppe ein- bis zweimal die Woche – bei den 56- bis 65-Jährigen sind dies nur 2 % bzw. 29 % (Technikerkrankenkasse-Studie, 2013, 14).

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen erscheint auch die traditionelle Verwendung von Hostien beim Mahlfeiern in einem neuen Licht. Hat die abstrakte weiß-reine Hostie als „design food“ früher die Symbolfunktion der gewandelten Gegenwart Jesu unterstützt, so verstärkt sie heute die gemeinschaftsfremde, individuelle Aufnahme von Nahrung und verbirgt so weiter die schöpfungstheologische und kommunitäre Dimension der Mahlfeier. Es unterbleiben das für ein gemeinsames Essen grundlegende Teilen der Nahrung und damit der leibliche Ausdruck einer „solidarischen Gemeinschaft“.

5. Didaktische Herausforderungen

Die didaktischen Herausforderungen unterscheiden sich sicher noch einmal für die Lernorte Gemeinde und Schule. Beiden gemeinsam ist aber, dass sie sowohl inhaltlich als auch methodisch starke Reduktionen vornehmen und so didaktisches Potenzial nicht nutzen. Zur inhaltlichen Ebene: An beiden Lernorten fällt auf, dass sie sowohl die Vielfalt und den inneren Zusammenhang der drei Mahlfeiern Jesu nicht wahrnehmen als auch die Vielfalt der in der Tradition bewahrten Feierpraxen als auch die Vielfalt der theologischen Verstehensmöglichkeiten. Es dominiert das letzte Abendmahl Jesu, dessen erinnernde Nachfeier als Form mit der individualisierten Zuwendung im Sinne einer Stärkung an biographischen Knotenpunkten. Dabei bieten die Praxen und die Deutungen selbst einen großen Reichtum, der je nach Lernkontext zunächst einmal wirklich didaktisch – als Frage nach dem Bildungsgehalt – zu erschließen wäre. Z. B. ließe sich eine Linie vom Mahl des Auferstandenen über die frühe ostkirchliche Tradition der Eucharistie als himmlisches Festmahl zu einer Essenspraxis ziehen, die sich bewusst gegen den politisch-ökonomischen Mainstream stellt. Eucharistie wäre dann eine Gegenweltinszenierung, die mit Hoffnungsbildern aufgeladen werden kann. Man könnte aber auch an die vorösterlichen inklusiven Mahlerfahrungen anknüpfen, an denen sich die frühmittelalterlichen Gabenkreisläufe orientieren und von denen heutige Tafeln immer noch zehren. Auch sie können gerade durch den inklusiven, mitteilenden Stil als voll-sakramentale Eucharistiefeiern verstanden werden (Reis, 2017). Und selbst das letzte Abendmahl mit seiner transsubstantialen doppelten Wandlungsinterpretation der Gestalten und der Gemeinde bietet mehr als die individuelle Medikation zur Sündenvergebung oder zur Gnadenstärkung. Auch sie ist eine Weltperspektive, die der Welt und den Subjekten etwas zutraut (Ruster, 2006).

Die Vielfalt der Praxen und deren theologischen Deutungen aufzunehmen, erhöht zugleich die Möglichkeit, andere Formen der Lernprozesse zu denken. Am Lernort Schule werden Abendmahl und Eucharistie stark auf den kognitiven Gehalt reduziert, dieser wird dann wieder erfahrungsorientiert verankert (Sakramente als Knotenpunkte, gemeinsames, stärkendes Essen kennen alle) und dann werden diese Erfahrungen als Sprungbrett in den formelhaften Teil der Bibel- und Traditionszitate genutzt. Am Lernort Gemeinde wird noch stärker die reale Gemeinschaftsebene genutzt und die rituelle Praxis geübt, aber auch dort bleibt die sakramentale-konfessionelle Deutung mit dieser Praxis unvermittelt. Bei beiden Formen fällt auf, dass sie Abendmahl und Eucharistie als fremdes Feld jenseits der Alltagserfahrung der Lernenden voraussetzen und genau in diesen Lernformen diese Differenzen noch weiter stabilisieren. Die didaktische Herausforderung besteht auf dieser Ebene darin, Eucharistie und Abendmahl als Alltagspraxis zu denken, deren Sakramentalität nicht jenseits der Praxis liegt, sondern in ihr. Die biblisch rekonstruierten Mahle Jesu bieten sich mit ihren unterschiedlichen Zugangs- und Exklusionsformen sowie ihren unterschiedlichen inhaltlichen Sinnspitzen als die zentrale Lernform selbst an (Reis, 2017). Kenntnisse der biblischen Erzählungen und der Tradition, bestimmte Fertigkeiten der Teilhabe und Deutungsfähigkeiten der Mahlerfahrungen sind wichtig, aber im Zentrum stehen sie nicht. Sie ergeben sich im Vollzug – so wie das „denn/qui“ in der katholischen Liturgie immer auch einen innerliturgischen Reflexionsprozess der Konsekration markiert – und im Nach-Vollzug und in der Frage nach den Folgen der gemeinsamen Erfahrung. Welche biblische Grundform mit welchen Sinnspitzen für welche Lerngruppe an welchem Lernort produktiv wird, kann nur am Ort selbst didaktisch entschieden werden. Immer jedoch sollte es um die von Jesus gestiftete Praxis gehen, nicht um einen weltfremden oder hermetisch gedachten Gegenstand.

Literaturverzeichnis

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