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(erstellt: März 2014)

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Die alttestamentliche Rede vom Zorn Gottes zielt nicht darauf, Gott als unbeherrschten Choleriker zu charakterisieren, sondern soll z.B. helfen, erlebtes Unheil zu erklären, um auch im Unheil am Glauben an JHWH festhalten zu können.

1. Begrifflichkeit

Das Alte Testament kennt verschiedene hebräische Begriffe, um die Emotionen von Wut, Zorn, Grimm oder Ärger auszudrücken. Vorab zu nennen ist das Substantiv אַף ’af „Nase / Zorn“ mit dem zugehörigen Verbum אנף ’np „zürnen“, die zusammen die Mehrzahl (210-mal Nomen, 14-mal Verbum) der Belege stellen. Hinter der Doppelbedeutung „Nase“ und „Zorn“ steht wohl, dass das Zürnen bildhaft mit dem Schnauben des zornigen Menschen ausgedrückt wird (vgl. Schroer / Staubli, 76-78).

An zweiter Stelle zu nennen ist der Begriff חֵמָה ḥemāh „Zornesglut“ (118 Belege, nur Nomen), an dritter Stelle חרה ḥrh „heiß sein“ (47-mal Nomen, 89-mal Verbum), sodann כעס k‘s „unmutig sein“ beziehungsweise im Hif. „zum Zorn reizen“ (25-mal Nomen / 54-mal Verbum) und קצף qṣp „zürnen“ (27-mal als Nomen, 33-mal Verbum). Hinzu kommen die selteneren Begriffe עבר ‘br „aufbrausen“ (30-mal Nomen, 7-mal Verbum), זעם z‘m „verwünschen / beschelten“ (22-mal Nomen, 12-mal Verbum), זעף z‘p „toben / wüten“ (9-mal Nomen, 3-mal Verbum) und schließlich רגז rgz „erregen / toben“ (7-mal Verbum).

Das Hebräische kennt damit ein breites Begriffsfeld für die Beschreibung der Emotionen Wut und Zorn. Die verschiedenen Vokabeln können dabei in den Texten weitgehend parallel und zum Teil synonym verwendet werden. Eindeutige Bedeutungsunterschiede lassen sich kaum feststellen. Erwähnenswert ist allerdings, dass die meisten Begriffe primär von der Beschreibung körperlicher Erregung hergeleitet scheinen (wie אנף ’np „schnauben“, חרה ḥrh „heiß sein“, עבר ‘br „aufbrausen“). Auffällig ist ebenso, dass die Zornesglut (חֵמָה ḥemāh) wie eine Flüssigkeit vergossen werden kann (vgl. z.B. Ps 79,6; Jer 44,6; Klgl 2,4; Ez 7,8) und generell Zorn mit brennendem Feuer konnotiert werden kann (vgl. z.B. Ex 32,10; Jes 9,18; Nah 1,6).

Die verschiedenen Begriffe können dabei in gleicher Weise sowohl für den Zorn von Menschen als auch für den Zorn Gottes verwendet werden. Allerdings ist im Alten Testament wesentlich häufiger vom Zorn Gottes die Rede als vom Zorn von Menschen: E. Johnson (384) geht von einem Verhältnis von drei zu eins aus, E.B. Baloian (189) nennt 518 Belege für göttlichen, 196 für menschlichen Zorn.

Ebenso lassen sich die verschiedenen Begriffe kaum bestimmten literarischen Schichten des Alten Testaments zuweisen, sie werden vielmehr in vergleichbarer Weise im ganzen Schrifttum des Alten Testaments verwendet. Eine mögliche Ausnahme von dieser allgemeinen Feststellung verbindet sich aber vielleicht mit dem Verbum כעס k‘s Hif., das sich auffällig häufig in Texten des → Deuteronomistischen Geschichtswerkes findet oder dann in Texten vorkommt, die mit einer deuteronomistisch geprägten Redaktion in Verbindung gebracht werden können (→ Deuteronomismus). Ein detaillierter Nachweis eines solchen Zusammenhanges steht allerdings noch aus, auch wenn S. Joo in ihrer Untersuchung des Deuteronomistischen Geschichtswerks und des → Jeremiabuchs primär mit den Belegen von כעס k‘s Hif. arbeitet.

2. Zorn von Menschen

Wie vorstehend festgestellt, entfallen etwa ein Viertel der Belege des Zorns im Alten Testament auf den Zorn von Menschen. Auch diese Belege verteilen sich auf alle Textbereiche des Alten Testaments.

In der Regel wird dabei davon berichtet, dass einzelne Menschen zornig werden, sei es, weil sie sich ungerecht behandelt fühlen (z.B.: in Gen 27,41-45 zürnt → Esau gegen → Jakobwegen der Erschleichung des Segens, in Gen 30,2 zürnt Jakob über → Rahels Eifersucht, in Gen 39,19 Potiphar wegen seiner Frau und Josef und in Num 24,10Balak gegen → Bileam), sei es, weil sie Unrecht gegenüber anderen Menschen wahrnehmen (vgl. z.B. Gen 34,7; 2Sam 13,21).

Zudem gibt es auch einige Beispiele, in denen Menschen zornig werden, weil andere Menschen Gott gegenüber ungehorsam sind (vgl. Ex 16,20 → Mose, 2Kön 13,19 der Gottesmann). Der Zorn richtet sich dabei in aller Regel gegen andere Menschen.

In einigen wenigen Fällen wird aber auch berichtet, dass Menschen gegen Gott zürnen, meistens weil sie Gottes Handeln nicht verstehen. Als Beispiele sind → Kain in Gen 4,5, → David in 2Sam 6,8 und → Jona in Jon 4,1.9 zu nennen. Bemerkenswert ist, dass dabei stets Männer Subjekt des Zornes sind, aber nie Frauen (vgl. Schroer / Staubli, 78). Hingegen weiß Spr 21,19 um eine streitsüchtige Frau.

In den erzählenden Texten des Alten Testaments wird vom Zorn eines Menschen meistens ohne weitere Wertung berichtet, besonders in der Weisheitsliteratur aber wird der Zorn negativ beurteilt (→ Weisheit). So führt gemäß Spr 15,18 ein zorniger Mann zu Zwietracht und gemäß Spr 30,33 Zorn zum Streit. Spr 14,17 sodann identifiziert Jähzorn mit → Torheit. Das Gegenbild findet sich im langmütigen (wörtlich „langsamen zum Zorn“ אֶרֶךְ אַפַּיִם ’ærækh ’appajim, Spr 16,32) Menschen, der vernünftig überlegt und „kühl“ bleibt (vgl. Spr 17,27).

3. Zorn Gottes

3.1. Zorn Gottes im Alten Orient (Klaus Koenen)

Die Erklärung von Leid mit dem Zorn einer Gottheit findet sich als fester Topos schon in der Literatur des Alten Orients. So spricht ein Beter in einem der „Gebete zur Versöhnung des zornigen Gottes“ (DINGIR.ŠÀ.DIB.BA), die wohl bis in die Mitte des 2. Jt.s zurückgehen, von dem Unrecht, „which has come upon me because of the raging of the wrath of my god and goddess“ (Lambert, 270). Die balag-Klage AABBA HULUHA richtet sich anlässlich der Zerstörung von Nippur an den Gott Enlil: „Oh lord! How long will your raging, your angry heart not be calmed?“ (Cohen, 393; vgl. 149f., Z. 151-154; 218, Z. b+137-c+143, = 496, Z. d+137-143; 410, Z. 37; 416, Z. 25-28; 435f., Z. a+2-9.25; 625, Z. a+9-11). In den „Herzberuhigungsklagen” bitten einzelne Beter ihren Gott unter anderem um ein Ende des Zorns und damit ihres Leids; z.B. richtet sich ein Beter an den Himmelsgott Anu: „Dein zorniges Herz möge an seinen Platz zurückkehren! Dein wütendes Herz möge an seinen Platz zurückkehren! Der Zorn deines verfinsterten Herzens möge an seinen Platz zurück[kehren!].” (Maul, 78f.; vgl. 124, Z. 15+17; 241-243, Z. 1.38.40.48.50.52 Rückseite 45.49; 298, Z. 23). In den sog. Gebetsbeschwörungen wendet sich ein Beter an den Gott Sin: „Wer Sünde hat, (dessen) Sünde löst du; wem sein Gott zürnt, (dem) stimmst du (diesen) gleich wieder freundlich.“ (Mayer, 500, Z. 54f.; vgl. TUAT II, 774, Z. 12.20.23; 777, Z. 37.54.64; 779, Z. 151). Neben den Gebeten stehen Texte wie die Vasallenverträge des neuassyrischen Königs → Asarhaddon (681-669 v. Chr.) mit medischen Fürsten, in denen angekündigt wird, dass die Götter den Vertragsbrüchigen „zornig verfluchen“ (§ 56; TUAT I, 171). Auch in den assyrischen Königsinschriften wird Unheil auf den Zorn von Göttern zurückgeführt. So erfolgte die Zerstörung Babylons durch den assyrischen König → Sanherib (689 v. Chr.) sowohl nach der Darstellung der Babylon-Inschriften seines Nachfolgers Asarhaddon (CScr II, 306) als auch nach der der viel späteren Babel-Stele des neubabylonischen Königs → Nabonid (556-539 v. Chr.; TUAT I, 407) „gemäß dem Zorn des Gottes (sc. Marduks)“ gegen seine eigene Stadt. Aus dem Juda benachbarten → Moab stammt die Stele des Königs → Mescha (Mitte des 9. Jh.s), der – ohne von einer Verfehlung zu sprechen – das Unheil seines Landes mit dem Zorn des eigenen Staatsgottes → Kemosch erklärt (Z. 5; HTAT, Nr. 105). Der aramäische König → Panamuwa I. droht in einer Inschrift (um 790 v.Chr.) seinem Nachfolger als Unheil den Zorn → Hadads an, wenn er ihn als Verstorbenen nicht gebührend ehre (KAI 214; TUAT.NF II, 308-312, Z. 23; KAI 222B; TUAT I/2, 185). Dass Unheil mit dem Zorn einer Gottheit erklärt wird, hat also eine lange Tradition (weitere Belege bei Berges, Zorn 314-316; Jeremias, Zorn 18ff.30ff.46ff.).

3.2. Zorn Gottes im Alten Testament

Der Gott des Alten Testaments kann zornig sein. So interpretiert beispielsweise das Deuteronomistische Geschichtswerk den Untergang zuerst des Nordreiches Israel als Folge des göttlichen Zornes (2Kön 17,18) ebenso wie den späteren Untergang Judas (2Kön 24,20). Verschiedene, die Geschichte Israels und Judas deutende Reden sind dabei über das Verbum אנף ’np (Dtn 1,37; Dtn 4,21; Dtn 9,8.20; 1Kön 8,46; 1Kön 11,9) mit dem Abschluss der Geschichte des Nordreiches in 2Kön 17,18 verknüpft, was die Bedeutung des Themas Zorn für die deuteronomistische Geschichtsschreibung anzeigt.

In vielen Prophetenworten wird der Zorn JHWHs angekündigt und ausgemalt (vgl. z.B. Jes 5,25; Jes 9,11; Ez 7,3; Hos 5,10; Mi 5,14; Zef 1,15.18). Und in den Psalmen wird die Erfahrung von Gottes Zorn mehrfach geschildert (vgl. z.B. Ps 6,2; Ps 77,10; Ps 88,8.17). Trifft dabei der Zorn Gottes sehr oft Israel oder einzelne aus dem Volk, so gibt es aber auch manche Beispiele dafür, dass der Zorn sich gegen die Feinde des Volkes beziehungsweise des Einzelnen richtet. Beispielsweise fordert Ps 7,7 JHWH auf, sich im Zorn gegen die Feinde des Psalmbeters zu erheben, und Jer 49-51 berichten vom Zorngericht über → Elam und → Babel.

Gemeinsam ist allen Stellen, dass der Zorn Gottes Vernichtung und Verderben bringt, sei es in Gestalt einer → Krankheit (Ps 6), sei es in Gestalt der Vergänglichkeit (Ps 90), sei es in Gestalt militärischer Niederlage oder des Exils (vgl. 2Kön 17,18; 2Kön 24,20), sei es in Gestalt des Weltgerichtes im → Zefanjabuch.

Interessant ist die Verteilung der Bibelverse, die den Zorn Gottes erwähnen, auf die verschiedenen biblischen Bücher:

Genesis (2), Exodus (8), Leviticus (2), Numeri (17), Deuteronomium (27), Josua (6), Richter (6), 1. Samuel (1), 2. Samuel (5), 1. Könige (12), 2. Könige (11), Jesaja (41: Protojesaja [21]; Deuterojesaja [8]; Tritojesaja [12]), Jeremia (47), Ezechiel (43), Hosea (6), Joel (1), Jona (2), Micha (4), Nahum (3), Zefanja (5), Habakuk (3), Sacharja (8), Maleachi (1), Psalmen (49), Hiob (17), Proverbia (4), Kohelet (1), Klagelieder (13), Daniel (1), Esra (3), Nehemia (2), 1. Chronik (2), 2. Chronik (20); zur Zählung vgl. Wälchli 2012, 30f.

Auch wenn in dieser Zählung nur quantitativ Verse gezählt werden, die vom Zorn Gottes sprechen, so zeigt sie doch eindrücklich die Verteilung auf Teile des alttestamentlichen Schrifttums. Auffällig ist eine gewisse Konzentration auf die Prophetie, die Psalmen und Hiob, sowie auf die üblicherweise mit dem Deuteronomistischen Geschichtswerk in Verbindung gebrachten Texte, insbesondere in den Rahmenstücken des → Deuteronomiums und in den Vorderen Propheten (→ Kanon). Umgekehrt wird beispielsweise in den → Sintfluterzählungen (Gen 6-9) oder in der Erzählung über die Vernichtung → Sodoms (Gen 18f.) nicht vom Zorn Gottes gesprochen.

Zugleich zeigt die Zahl der Belege eindrücklich, dass im Alten Testament wesentlich häufiger vom Zorn Gottes gesprochen wird als vom Zorn von Menschen. Es ist denn auch diese Rede vom Zorn Gottes, die der Theologie die größte Herausforderung stellt, nicht zuletzt da der Zorn als negative Emotion erscheint (vgl. Sloterdijk [116], der den Zorn als die „peinlichste“ aller Eigenschaften Gottes bezeichnet).

3.2.1. Zorn Gottes in der Forschungsgeschichte

Während P. Volz Gottes Zorn dem Dämonischen in Jahwe zurechnete, verankerten andere Exegeten ihn im Kontext der Bundestheologie (Eichrodt; Jacob) oder sahen ihn als Aspekt der → Heiligkeit Gottes, insofern Gott auf die Verletzung seiner Heiligkeit mit Zorn reagiere (Procksch). Nach diesen theologischen Entwürfen hat die alttestamentliche Exegese sich um den Zorn Gottes nur wenig gekümmert, viele große Entwürfe der alttestamentlichen Theologie thematisieren ihn kaum.

In neuerer Zeit erschienen nun mehrere Arbeiten, die den Zorn Gottes entweder zum Thema machen oder ihn ansprechen und theologisch einordnen. In der Regel dreht sich die Frage dabei darum, wie sich die Rede von Gottes Zorn mit anderen Theologumena wie Gerechtigkeit, Liebe, Gnade und Barmherzigkeit Gottes vereinbaren bzw. wie sich diese Theologumena einander zuordnen lassen.

E.B. Baloian (73.178) sieht in seiner Erörterung des göttlichen Zornes die zornige Reaktion Gottes auf Verletzungen des Bundes durch die Menschen in der Liebe Gottes zu ebendiesen Menschen wurzeln, W. Dietrich / C. Link (152) sprechen vom Zorn Gottes als der Kehrseite seiner Liebe, R. Miggelbrink (144) skizziert eine Entwicklung vom Deuteronomistischen Geschichtswerk und der Prophetie her, die Gott für die Interessen der Unterdrückten Partei nehmen und mit seinem Zorn auf ungerechte Verhältnisse reagieren sieht, hin zu einer Überwindung der Zornesvorstellung in späteren Texten wie der Weisheitsliteratur und der → Priesterschrift (Miggelbrink, 180ff.), und W. Gross (233) ordnet den Zorn der Gerechtigkeit Gottes zu.

Ohne diese verschiedenen Studien ausführlich darzustellen, zeigt sich bereits die Herausforderung einer theologischen Systematisierung der Rede vom Zorn Gottes im Alten Testament. Es ist festzuhalten, dass das alttestamentliche Belegmaterial in seiner Vielfalt allen Systematisierungsversuchen gewisse Schwierigkeiten bietet. Insbesondere ist auch der Aspekt der Diachronie zu berücksichtigen, insofern nicht alle Texte zur gleichen Zeit entstanden sein dürften. Es ist darum nicht erstaunlich, dass verschieden neuere Autoren weniger eine Systematisierung als mehr eine Typologisierung des Zornes Gottes versuchen.

3.2.2. Typologisierungen des Zornes Gottes

U. Berges präsentiert, ausgehend von altorientalischen Texten, in einem größeren Aufsatz die folgenden Typologisierungen des Zornes Gottes: 1. den Zorn, der die Menschheit zu vernichten sucht, 2. den, der in die Geschicke der Völker eingreift, 3. den, der Tempelstädte samt ihren Heiligtümern zerstört, und schließlich 4. den, der den Einzelnen in Todesnot stürzt. Mit altorientalischen Texten belegt er diese verschiedenen Kategorien und nennt dazu jeweils auch alttestamentliche Texte, die den Zorn JHWHs schildern. Problematisch erscheint allerdings, dass gerade für die 1. Kategorie kein alttestamentliches Beispiel zu finden ist.

Berges würdigt die bibeltheologische Herausforderung der alttestamentlichen Rede vom Zorn Gottes. Er unterstreicht dabei zunächst, dass die Aspekte des Zornes und der Gewalt JHWHs nicht immer Hand in Hand gehen (Berges, 325) und darum die Motivkreise Zorn, Gewalt und Rache differenziert betrachtet werden müssten. Insbesondere sei die Rede vom Zorn Gottes als Zorn über das Unrecht verkürzt, insofern sie den individuellen Klage- und Bittgebeten des Psalters nicht gerecht würden. Er hält demgegenüber fest, dass die Rede vom Zorn Gottes wie die Rede von der Liebe Gottes eine Beziehung anzeige und es ein Verdienst des alttestamentlichen Zeugnisses sei, die Erfahrungen der Gottesferne nicht zu verschweigen (so Berges, 325ff.).

Ebenfalls unter dem Gesichtspunkt verschiedener Typen und Kategorien des Zornes durchmustert H.-J. Hermisson in einem kurzen Aufsatz die alttestamentlichen Belege. So zeichnet er einerseits das Vorkommen des göttlichen Zornes in verschiedenen Textwelten des Alten Testaments nach, unterscheidet andererseits verschiedene Typen und Anlässe göttlichen Zorns: 1. spontanen Zorn, 2. zukünftigen und bedingten Zorn, 3. aufhaltbaren Zorn, 4. Zorn im kultischen Raum, 5. Anlässe des Zorns, 6. den Zorn Gottes in der Prophetie, 7. den Zorn Gottes zugunsten Israels, 8. den unbegreiflichen Zorn, 9. den Zorn Gottes bei Hiob. Abschließend setzt er Zorn und Leiden Gottes in einen Zusammenhang und kommt zur Feststellung, dass die Liebe Gottes den unbedingten Vorrang vor seinem Zorn habe (Hermisson, 207).

Ausgehend von den Kategorien und Typologisierungen bei U. Berges und H.-J. Hermisson ist schließlich die Studie von J. Jeremias zum Zorn Gottes im Alten Testament zu sehen. Dieser hält bereits im Vorwort fest, dass wesentliche exegetische Vorarbeiten für eine Beschäftigung mit dem Thema des Zornes bis heute fehlen, und charakterisiert demnach seine kurze Studie als Versuch, Breschen in das Problemdickicht zu schlagen (Jeremias, V). Er tut dies, indem er zunächst die Manifestationen des Zornes Gottes in verschiedenen alttestamentlichen Texten überblicksmäßig schildert, danach aber auch die Begrenzung und Überwindung des Zornes im Alten Testament thematisiert. Er kommt so zum Fazit, dass das Wissen vom Zorn Gottes für die reife Theologie des Alten Testamentes ab dem Exil konstitutiv gewesen sei und die entscheidende Hilfe geboten habe, um den Bruch seiner Geschichte, bei dem ihm mit Land, Königtum und Tempel alle wesentlichen Stützen seines frühen Glaubens geraubt worden waren, zu überstehen und doch an seinem überlieferten Glauben festzuhalten (vgl. Jeremias, 196).

Auch wenn Jeremias in dieser abschließenden Feststellung gewiss zuzustimmen ist, bleibt das Problem bestehen, dass die genannten Typologisierungen des Zornes Gottes im Alten Testament nicht vollständig befriedigen. So sind die Kategorien von U. Berges aus altorientalischen Texten gewonnen und nicht in gleicher Weise im Alten Testament wiederzufinden, jene von H.-J. Hermisson zeugen von einer gewissen Unschärfe.

Es sei darum hier eine einfachere Unterscheidung von 4 Typen vorgeschlagen (vgl. Wälchli 2012, 146ff.):

1) Zorn als Reaktion auf die Verletzung des Heiligen,

2) Zorn als Reaktion auf menschliches Fehlverhalten (individuell oder kollektiv),

3) Zorn gegen Feinde (individuell wie kollektiv) und

4) unverständlicher Zorn Gottes.

Die erste dieser vier Kategorien ist im Alten Testament relativ selten, Beispiele finden sich Num 1,53; Num 18,5 sowie 2Sam 6,6f. bei der Berührung der Lade.

Die weitaus meisten Belege sind dagegen in die zweite Kategorie einzuordnen, wenn etwa das → Exil als Folge göttlichen Zornes verstanden wird, den Israel durch sein Fehlverhalten heraufbeschworen hat (vgl. neben 2Kön 17; 2Kön 24 wiederum die überwiegende Mehrzahl der Belege im Deuteronomistischen Geschichtswerk und in der Prophetie).

Die Kategorie des Zornes gegen die Feinde findet sich beispielsweise im schon genannten Ps 7, weitere Beispiele sind in den Fremdvölkersprüchen der Prophetie zu finden. Besonders hingewiesen sei darauf, dass Gott etwa in Ps 18,8.16 auch die → Chaosmächte im Zorn anfährt und genau so den Bestand der Schöpfung garantiert und dem bedrängten Beter Rettung verspricht.

Als herausforderndste Kategorie sind jene Stellen zu betrachten, die keine Begründung für den Zorn erkennen lassen. Als Beispiele sind hier etwa Ps 6; Ps 27,7; Ps 60,3; Ps 74; Ps 77; Ps 88; Ps 89; Ps 102, aber auch die Debatten des Hiobbuches und die Klagen von Klgl 2 zu nennen.

3.2.3. Zur theologischen Einordnung des Zornes Gottes

Mit der Typisierung des Zornes Gottes können zwar die verschiedenen Belege im Alten Testament einander zugeordnet werden. Es bleibt aber die Frage bestehen, inwiefern sich die Rede vom Zorn Gottes mit anderen Theologumena des Alten Testaments verbinden lässt.

Eine erste Antwort darauf gibt die Feststellung, dass sehr oft vom Zorn im Zusammenhang eines richterlichen Handelns Gottes gesprochen wird: Wenn Ps 7 Gott auffordert, als Richter gegen die Feinde einzuschreiten, wenn in anderen Texten Schuld und Unrecht benannt und eingestanden werden, wenn im → Zefanjabuch vom Gerichtstag JHWHs (→ Tag JHWHs) die Rede ist, dann verbindet sich die Rede vom Zorn Gottes mit dem Aspekt der Gerechtigkeit Gottes. Dies kommt auch in der Gnadenformel etwa in Ps 103,8: „Barmherzig und gnädig ist JHWH, langmütig (אֶרֶךְ אַפַּיִם ’ærækh ’appajim) und von großer Güte“ zum Ausdruck, die indirekt den Zorn der Barmherzigkeit und Güte als weiteren Eigenschaften des göttlichen Richters gegenüberstellt (vgl. Ex 34,6; Mi 7,18ff.). Die Rede vom Zorn Gottes als der gerechten Reaktion Gottes auf menschliches Unrecht dürfte es dem Alten Israel erlaubt haben, die erlittenen Katastrophen theologisch zu deuten und so etwa die Katastrophe des Exils zu verarbeiten. Dass eine überwiegende Zahl der Belege für den Zorn Gottes gerade im Zusammenhang der Exilsthematik zu finden ist, unterstreicht dies.

Schwieriger ist die Bedeutung des Zornes zu verstehen, der sich nicht in ein Schema von Recht und Gerechtigkeit einordnen lässt. Der Umstand, dass das Alte Testament auch diese Form der Rede vom Zorn Gottes enthält und in mehreren Texten durchhält, zeigt, dass auch das Unverständliche in der Lebenswirklichkeit als Wirklichkeit Gottes aufgefasst wurde. Insofern trägt auch diese Form der Rede vom Zorn Gottes einen Funken Hoffnung in sich, da auch in der Finsternis z.B. von Ps 88 noch eine Gottesbeziehung gesucht wird. Und wenn das erlittene Unheil auf Gott zurückgeführt wird, besteht immerhin noch die Möglichkeit, dass derselbe Gott von seinem Zorn absieht und neues Heil entstehen lässt.

Die Hoffnung auf das Übergewicht der Barmherzigkeit und Gnade hat das Alte Testament ja mit der genannten Gnadenformel selbst ebenfalls formuliert.

Mit B. Janowski (173) kann davon gesprochen werden, dass der Zorn Gottes zwar dunkel und abgründig sei, aber als zentraler Aspekt des biblischen Gottesbildes nicht geleugnet werden dürfe. Er schlägt daher vor, den Zorn Gottes als Modus seiner Gerechtigkeit und Liebe zu verstehen.

Literaturverzeichnis

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