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Zeuge / Zeugnis

(erstellt: Oktober 2013)

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1. Zeuge/Zeugnis in der Profansprache

Im profanen Sprachgebrauch begegnen μάρτυς (mártys, Zeuge) und μαρτυρία (martyría, Aussage, Zeugnis) als juristische termini technici. Dagegen stellt μαρτύριον (martýrion) zunächst keinen spezifisch forensischen Begriff dar, sondern ist als ein abgelegtes, augenscheinliches Zeugnis im allgemeinen Sinn zu verstehen, als Beweis oder Beweisstück. Auch die beiden erst genannten Begriffe erfahren eine Bedeutungserweiterung ins Allgemeine, nach der sie sich nun zum einen auf Ansichten und Wahrheiten, zum anderen auch auf Zukünftiges beziehen können. Die Begriffe Zeuge/Zeugnis werden in den Schriften des Neuen Testaments in ihrer forensischen Grundbedeutung verwendet, erhalten aber auch eigene Charakterisierungen.

2. Zeuge/Zeugnis im Neuen Testament

2.1. Allgemeiner Sprachgebrauch

Im Neuen Testament findet sich die Wortgruppe μαρτ- / mart- ganz im Sinn des profanen Sprachgebrauchs in ihrem gerichtsspezifischen Bedeutungsspektrum Die Aussagen im → Prozess Jesu werden als μαρτυρία / martyría (Mk 14,55.56.59; Lk 22,71), die falschen Zeugen als ψευδομάρτυρες (pseudomártyres, Mt 26,60) und deren Falschaussage als ψευδομαρτυρία (pseudomartyría, Mt 26,59) bezeichnet. Falsche Zeugen treten ebenfalls im Prozess gegen → Stephanus auf (Apg 6,13; Apg 7,58). Auch in den paulinischen Briefen finden sich die Begriffe Zeuge/Zeugnis in ihrer forensischen Bedeutung. So beruft sich → Paulus an mehreren Stellen auf Gott als Zeugen für seine Aussagen (Röm 1,9; 2Kor 1,23; Phil 1,8; 1Thess 2,5). In 1Thess 2,10 benennt er die Thessalonicher selbst (→ Thessaloniki) sowie Gott als Zeugen für sein untadeliges Verhalten.

Als belastende Beweishandlung (im Hinblick auf das künftige Gericht → Eschaton) ist das Abschütteln des → Staubs von den Füßen der ausgesandten Jünger zu interpretieren, die dadurch, „zum Zeugnis gegen sie“ (Mk 6,11: εἰς μαρτύριον αὐτοῖς, eís martýrion autois; klarer bei Lk 9,5: εἰς μαρτύριον ἐπ’ αὐτοῖς, eís martýrion ep´ autois), kundtun, dass Städte ihre Botschaft in bewusster Entscheidung nicht annehmen. In diesem eschatologischen Sinn werden auch die Verfolgungslogien Mk 13,9 // Mt 10,18 verstanden, wohingegen in Lk 21,13 die Betonung auf der positiven Chance für die Jünger zum Ablegen ihres Zeugnisses in einem forensischen Kontext liegt. An den zuletzt genannten Stellen beginnt sich der Wandel zu einem neuen Verständnis von μαρτυρία und μαρτύριον anzudeuten: sie werden zu Begriffen für das Glaubenszeugnis vor Gericht und schließlich zu termini technici für die christliche Glaubensverkündigung (Apg 4,33; 1Kor 1,6; 2Thess 1,10; 2Tim 1,8).

2.2. Die spezifische Bedeutung in den lukanischen Schriften

Für das Verständnis des geschichtstheologischen Konzepts des Lukas hat die Zeuge/Zeugnis-Terminologie eine Schlüsselposition inne. Im lukanischen Doppelwerk werden bevorzugt die → Apostel als Zeugen bezeichnet, doch sind beide Begriffe nicht deckungsgleich (das lukanische Apostel-Verständnis unterscheidet sich darüber hinaus vom paulinischen). Ein Zeuge im lukanischen Verständnis muss mehrere Kriterien erfüllen: er hat Jesus begleitet „angefangen von der → Taufe durch → Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns ging und (in den Himmel) aufgenommen wurde“ (Apg 1,22); er hat an → Pfingsten die Kraft des → Heiligen Geistes empfangen (Apg 1,8); er wurde auserwählt und beauftragt (Apg 1,26; Apg 10,41; Apg 26,16). Letztlich entscheidend wird ein solcher Zeuge dadurch charakterisiert, dass er das selbst Gesehene und Gehörte als Heilsbotschaft verkündigt (Lk 24,47; Apg 2,40; Apg 8,25; Apg 10,42). Neben den Zwölf werden auch Stephanus (Apg 22,20) und Paulus (Apg 22,15; Apg 26,16) Zeugen genannt. Beide sind in der lukanischen Terminologie keine Apostel, erhalten aber auf Grund der ihnen zuteil gewordenen Offenbarungen und ihrer Verkündigungstätigkeit die Bezeichnung mártys.

Zeuge ist bei Lukas als eine Funktionsbeschreibung zu sehen, nicht im Sinne eines Amtstitels. Lukanisches Zeugnis ist insgesamt als historisch rückbezüglich zu beschreiben, insofern die Zeugen ihre Erfahrungen mit dem irdischen und auferstandenen Jesus Christus bezeugen (Heinze, 342f). Ein martyrologisches (→ Martyrium) Verständnis von Zeuge/Zeugnis liegt, auch im Fall des Stephanus, in diesen Schriften noch nicht vor.

2.3. Die spezifische Bedeutung in den johanneischen Schriften und der Johannesapokalypse

Vom forensischen Kontext der Zeuge/Zeugnis-Terminologie ausgehend entwickelt Johannes ein eigenes, tiefergehendes Konzept der Begrifflichkeit. Verschiedene Personen legen ihr Zeugnis für/über (περἰ, perí) Jesus ab, wobei der Zeuge (in Joh im Partizip ὁ μαρτυρῶν, ho martyrōn, der Bezeugende) Johannes der Täufer (Joh 1,7.9; Joh 3,26; Joh 5,34.36) unter den menschlichen Zeugen eine herausgehobene Stellung einnimmt. Des Weiteren legen die Schriften (Joh 5,39) sowie seine Werke (Joh 5,36; Joh 10,25) Zeugnis über Jesus und seine Sendung vom Vater ab. Letztere sind eng verbunden mit dem Zeugnis des Vaters (Joh 5,32.37; Joh 8,18), das dem Selbstzeugnis Jesu (Joh 5,31; Joh 8,13f.18) entspricht, dem die Vollendung der Werke vom Vater übertragen wurde (Joh 5,36). Während nun die Zeugnisse des Täufers und der Schriften auf Jesus hinweisen und zum Glauben führen sollen, wird zur Erkenntnis der Zeugnisse des Vaters, Jesu und der Werke der Glaube zur Voraussetzung (Heinze, 331). Nachösterlich legen der Heilige Geist (Joh 15,26; 1Joh 5,6ff) sowie die Jünger (Joh 15,27) Zeugnis für Jesus ab.

Auch die Zeuge/Zeugnis-Terminologie der → Offenbarung des Johannes geht über das juristische Verständnis hinaus. Der Text erhebt den Anspruch, eine direkte Offenbarung Jesu Christi zu sein, die vom Seher Johannes bezeugt wird (Apk 1,1-3). Diese wird von den Gläubigen nach dem Vorbild des „treue[n] (und zuverlässig[en]) Zeug[en] Jesus Christus“ (Apk 1,5; Apk 3,14) in existentieller Weise als Glaubenszeugnis gelebt und bezeugt, was auch die Hingabe des eigenen Lebens einschließen kann (Apk 2,13; Apk 11,3.7; Apk 17,6). Doch sterben Zeugen in der Apokalypse auf Grund ihres Zeugeseins, und heißen nicht mártyres wegen ihres gewaltsamen Todes um des Glaubens willen.

3. Zeuge/Zeugnis in der frühchristlichen Literatur

Märtyrer / → Martyrium

Literaturverzeichnis

  • Baumeister, Th., 1980, Die Anfänge der Theologie des Martyriums (MBT 45), Münster
  • Beutler, J., 1972, Martyria. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zum Zeugnisthema bei Johannes (FTS 10), Frankfurt a.M.
  • Brox, N., 1961, Zeuge und Märtyrer. Untersuchungen zur frühchristlichen Zeugnis-Terminologie (StANT 5), München
  • Heinze, A., 1998, Johannesapokalypse und johanneische Schriften. Forschungs- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen (BWANT 142), Stuttgart
  • Nellessen, E., 1976, Zeugnis für Jesus und das Wort. Exegetische Untersuchungen zum lukanischen Zeugnisbegriff (BBB 43), Köln-Bonn
  • Scheele, P.-W., 2008, Zum Zeugnis berufen. Theologie des Martyriums, Würzburg
  • Trites, A.A., 1973, The New Testament concept of witness (MSSNTS 31), Cambridge
  • Vorholt, R., 2012, Zeugnis und Martyrium. Neutestamentliche Perspektiven, IKaZ 41, 118-126

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