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(erstellt: September 2011)

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1. Der Name

„Stephanus“ (griechisch Στέφανος) ist ein geläufiger griechischer Name. Er bedeutet „Kranz“, „Krone“, „Preis“ oder „Lohn“ und bezeichnet häufig einen Siegeskranz in Spielen oder athletischen Wettbewerben.

2. Biblischer Befund

Der einzige biblische Text, der von der Gestalt des Stephanus erzählt, ist Apg 6,1-8,3, die so genannten Stephanusepisode. Darüber hinaus wird Stephanus nur noch zweimal erwähnt: Apg 11,19 greift auf die Zerstreuung und Verfolgung zurück, die in Folge der Steinigung des Stephanus einsetzten (Apg 8,1b.3), und in Apg 22,20 verweist → Paulus im Rahmen seiner Rede vor dem Tempelvorhof auf seine Anwesenheit bei der Steinigung des Stephanus (Apg 7,58).

2.1 Stephanus als einer der Sieben

Eingeführt wird Stephanus im Rahmen des Berichts, dass in der wachsenden Jerusalemer Gemeinde eine mangelhafte Versorgung der bedürftigen hellenistischen → Witwen Unmut erregt (Apg 6,1). Er wird nämlich als erster der sieben Männer genannt, die auf den Vorschlag der zwölf → Apostel hin von der Gemeinde zur Lösung dieses Konflikts gewählt werden, und dabei als „ein Mann, erfüllt von Glaube und → Heiligem Geist“ (Apg 6,5) charakterisiert. So wird darauf hingewiesen, dass es sich bei Stephanus um eine Gestalt mit besonderer Bedeutung handelt, denn hiermit wird betont, dass er die vom Zwölferkreis geforderten Wahlkriterien (Apg 6,3) vollkommen erfüllt.

Sein griechischer Name und seine Aufgabe, primär für die hellenistischen Witwen in → Jerusalem zu sorgen, verweisen darauf, dass Stephanus selbst zur Gruppe der Hellenisten zählen und somit → diasporajüdischer Herkunft sein könnte, auch wenn das vom Text nicht ausdrücklich gesagt wird.

2.2 Der Konflikt um Stephanus

Nach der Wahl des Siebenerkreises und dem Hinweis, dass die Gemeinde in Jerusalem weiter wächst, wird notiert, dass Stephanus, der erneut als mit „Gnade und Kraft“ erfüllt beschrieben wird, „→ Wunder und große Zeichen im Volk“ (Apg 6,8) tut. Obwohl Stephanus so positiv dargestellt wird, berichtet Apg 6,9, dass eine zahlenmäßig nicht näher bestimmte Gruppe von Synagogenmitgliedern unterschiedlicher (diasporajüdischer) Herkunft zusammen gegen Stephanus streitet. Da Stephanus selbst Diasporajude sein könnte, scheinen seine Gegner aus seinen eigenen Reihen zu kommen. Während Anlass und Inhalt des Disputs nicht genannt werden, beschreiben die folgenden Verse, dass sich der Konflikt immer mehr zuspitzt. Zwar weist Apg 6,10 noch einmal auf die → Weisheit und den Geist hin, mit dem Stephanus redet und somit über seine Gegner überlegen ist, aber ab Vers 11 wird ein verschärftes Vorgehen gegen Stephanus geschildert: Zum einen wächst die Anzahl seiner Gegner ständig an, zum anderen steigert sich die Gewalt gegen ihn zunehmend bis die Szene schließlich in einer offiziellen Gerichtsverhandlung vor dem → Synhedrion mündet (Apg 6,12). Dort wird der Blasphemievorwurf gegen Stephanus (Apg 6,11) durch die Anklage von Falschzeugen erweitert, Stephanus rede pausenlos Worte gegen „[diesen] heiligen Ort“, womit der → Tempel gemeint ist, und gegen das → Gesetz, denn er habe gesagt, dass Jesus den Tempel zerstören und die von → Mose überlieferten Gebräuche ändern werde (Apg 6,13-14).

Im Anschluss daran notiert Apg 6,15, dass Stephanus den Synhedristen mit einem engelsgleichen Gesicht erscheint, womit auf seine besondere Gottesnähe hingewiesen wird.

2.3 Die Stephanusrede

Auf die Aufforderung zur Stellungnahme zu diesen Vorwürfen durch den → Hohepriester als Vorsitzenden des Synhedrions hält Stephanus laut Apg 7,2-53 eine lange Rede. Darin erfolgt ein Abriss über die Geschichte Israels, angefangen bei der Geschichte → Abrahams (Apg 7,2-8), über einen Bericht über → Josef (und seine Familie) in Ägypten (Apg 7,9-16.17-19), eine Erzählung der Mosegeschichte und des Götzendienstes durch → Israel (Apg 7,20-43), bis hin zum Bericht über die Wüstenwanderung Israels, bei der das „Zelt des Zeugnisses“ als Ort der Gottesbegegnung gewissermaßen mitwandert bis zum Einzug ins verheißene Land (Apg 7,44-50). Dabei wird vor allem in prophetischer Weise Kritik am Tempelbau durch → Salomo geübt, insofern dieser dem transzendenten Gott, der überall anwesend ist, besonders im → Himmel, nicht gerecht werde (Apg 7,47-50). Am Ende der Stephanusrede werden harte Vorwürfe gegen die Zuhörer formuliert: (1) sie widersetzen sich dem Heiligen Geist, wie es auch ihre Väter getan haben, (2) sie verfolgen die → Propheten und hätten sogar „den Gerechten“, d.h. → Jesus, getötet, (3) sie halten das Gesetz nicht.

2.4 Die Steinigung des Stephanus

Nach der Notiz, dass die Zuhörer des Stephanus auf seine Rede mit höchster Wut reagieren (Apg 7,54), berichtet Apg 7,55-56 erneut, dass Stephanus von heiligem Geist erfüllt ist und so Gottes → Herrlichkeit im Himmel sieht, nämlich in Gestalt des → Menschensohnes, der zur Rechten Gottes steht. Durch diese → Vision des Stephanus wird gewissermaßen eine doppelte Gerichtsszene geschildert, denn zum einen steht Stephanus vor dem weltlichen Gericht des Synhedrions (vgl. Apg 6,12-7,1), zum anderen sieht er aber den zu Gott erhöhten Jesus Christus in Funktion einer endzeitlichen Richtergestalt, des Menschensohnes, der letztlich über die weltlichen Richter → Gericht halten wird.

Im Anschluss an diese Vision des Stephanus treiben ihn seine Gegner in einer Art Lynchjustiz schreiend aus der Stadt hinaus und steinigen ihn dort (Apg 7,57-60). Dabei wird → Saulus als einer der Zeugen der Steinigung des Stephanus eingeführt (Apg 7,58), der laut Apg 8,1 mit der Ermordung des Stephanus einverstanden sei. Von Stephanus werden vor seinem Tod noch zwei Gebete wiedergegeben: In Apg 7,59 bittet er Jesus um Aufnahme seines Geistes und in Apg 7,60 hält er Fürbitte für seine Gegner. Apg 8,1-3 berichten abschließend von den Folgen der Steinigung des Stephanus: Zwar gibt es einige gottesfürchtige Männer in Jerusalem, die Stephanus bestatten und um ihn trauern, aber sehr deutlich wird, dass der Großteil der Gemeinde von Jerusalem mit gewalttätigen Mitteln verfolgt und über Judäa und → Samarien verstreut wird. Dabei spielt Saulus eine entscheidende Rolle.

3. Deutungen der Gestalt des Stephanus

3.1 Stephanus als prophetische Gestalt

Deutlich zeichnet Apg 6,1-8,3 das Bild des Stephanus in die Folie prophetischer Gestalten ein. So wird er von Beginn an als „Mann, erfüllt von Glaube und Heiligem Geist“ (Apg 6,5) vorgestellt, der nicht nur dementsprechend handelt und spricht (Apg 6,8.10), sondern dessen besonderer Gottesbezug sich sogar auf seinem Gesicht spiegelt (Apg 6,15), ähnlich wie bei Mose (z.B. Ex 34,29).

Weiterhin drücken sich die prophetischen Züge des Stephanus in seiner Rede aus, in der er Gott und seine Propheten zu Wort kommen lässt. Auch inhaltlich hat die Stephanusrede prophetischen Charakter, insofern darin Geschichte gedeutet und Israel seines Ungehorsams gegenüber Gott, seinem Gesetz und seinen Mittlern angeklagt wird, ähnlich wie es aus biblischen Prophetenreden bekannt ist und wie es in den zitierten Prophetenworten in Apg 7,42-43.49-50 zum Ausdruck kommt.

Darüber hinaus werden die prophetischen Konturen des Stephanus durch seine Vision (Apg 7,55-56) gewissermaßen von Gott selbst bestätigt und in der Ablehnung und Steinigung des Stephanus, die dem typischen gewalttätigen Prophetengeschick gleichkommt (vgl. Ex 17,4; Num 14,9-10; 2Chr 24,21 u.a.), komplettiert.

3.2 Stephanus als Zeuge und Nachfolger Jesu

Bereits die Hinweise auf die Erfüllung des Stephanus „mit Glaube und heiligem Geist“ (Apg 6,5) bzw. „mit Gnade und Kraft“, die sich in seinen Worten und Taten auswirkt (Apg 6,8.10), stellt eine Analogie zu Jesus her, der im → Lukasevangelium von Beginn an als Geistträger und verbunden damit als Prophet dargestellt wird (vgl. Lk 4,1.16-30).

Die Verbindung zu Jesus wird in den Vorwürfen gegen Stephanus Apg 6,11.13-14 noch deutlicher: Indem die Anschuldigung, Stephanus habe „blasphemische Worte gegen Mose und Gott geredet“ (Apg 6,11) das Verhör Jesu vor dem Synhedrion Mk 14,55-65 einspielt, wo die Rede Jesu von sich selbst als erhöhtem Menschensohn in der Funktion des endzeitlichen (→ Eschaton) Richters (Mk 14,62) als Blasphemie verstanden wird (Mk 14,64), wird Stephanus ein ähnlicher Vorwurf gemacht wie Jesus.

Die Anklagen der Falschzeugen in Apg 6,13-14 verbinden Stephanus noch offensichtlicher mit Jesus, denn in Apg 6,14 begründen die Ankläger ihre Vorwürfe damit, dass Stephanus von Jesus zwei Dinge behaupte: Jesus werde erstens „diesen (heiligen) Ort“ zerstören und zweitens die von Mose überlieferten Bräuche verändern. Dabei werden die Anklagen gegen Jesus vor dem Synhedrion Mk 14,57-58 par. eingespielt: Diese werden nämlich jeweils von „lügnerischen Zeugen“ vorgebracht, die sich beide Male als Ohrenzeugen des Angeklagten ausweisen. Inhaltlich bezieht sich die Anklage gegen Jesus auf seine angebliche Ankündigung, er werde den Tempel zerstören (Mk 14,58a), und ebenso bringen die Falschzeugen des Stephanus diese Tempelzerstörung an (Apg 6,14b), die sie allerdings von Stephanus über Jesus gehört haben. Also wird Stephanus nicht aufgrund eigener Aussagen angeklagt, sondern aufgrund der Verkündigung angeblicher Aussagen Jesu. Da somit der Eindruck entsteht, Stephanus nehme zu den Themen Tempel und Gesetz dieselbe Haltung ein wie Jesus, wird gewissermaßen zusammen mit Stephanus zugleich Jesus angeklagt.

Stephanus wird aber nicht nur als Verkündiger der angeblichen Worte Jesu über den Tempel dargestellt, sondern auch als Verkündiger der (letztlich christologischen) Bedeutung Jesu. So wird schon in den Vorwürfen gegen die Zuhörer des Stephanus Jesus als der von den Propheten angekündigte „Gerechte“ umschrieben, der von den Zuhörern getötet wurde, analog zum Tötungsgeschick der Propheten (Apg 7,52). Noch stärker wird Jesu Bedeutung in der Vision des Stephanus Apg 7,55-56 zum Ausdruck gebracht: Dort wird nämlich vor dem Hintergrund der in der Stephanusrede verhandelten Frage nach dem Ort und der Präsenz Gottes (vgl. besonders Apg 7,48-50) und mithilfe verschiedener intertextueller Referenzen ausgesagt, dass der Prophet und Märtyrer Jesus als Menschensohn zur Rechten Gottes und zwar im Himmel steht. Insofern Stephanus die Herrlichkeit Gottes in Gestalt des zum Menschensohn zur Rechten Gottes stehenden Jesus im Himmel erscheint, bestätigt Gott, was er durch das Prophetenwort Apg 7,49-50 bereits gesagt hat: Nicht der Jerusalemer Tempel ist privilegierter Ort Gottes, sondern der Himmel. Präsent und sichtbar ist der Gott der Herrlichkeit im leidenden Gerechten und Propheten Jesus, der jetzt als erhöhter Menschensohn von seinen Jüngern, hier Stephanus, bezeugt wird. Die Gestalt des Stephanus wird also im Rahmen der Vision als Verkündiger von Jesu → Auferstehung und → Erhöhung präsentiert.

Deutlich wird Stephanus auch in der Schilderung der Steinigung als → Zeuge Jesu gezeichnet. So enthält schon die gewalttätige Ablehnung in Apg 7,57-58 Ähnlichkeiten zum → Prozess Jesu (vgl. Lk 23,13-25 und Mk 14,62-64). Insbesondere weisen ihn dann die Gebete in Apg 7,59-60 als Zeugen und Nachfolger Jesu aus. Zunächst bittet Stephanus in Vers 59 den erhöhten Herrn Jesus, er solle seinen Geist aufnehmen. Da hier Jesu Gebet unmittelbar vor seinem Tod Lk 23,46 in Anlehnung an Ps 30,6LXX eingespielt wird, erscheint Stephanus als konsequenter Nachfolger Jesu, der sich sogar Jesu Tod als Vorbild nimmt. Indem er seine Bitte nicht an Gott, sondern an den erhöhten Herrn (κύριος, kyrios) Jesus richtet, schreibt er diesem eine soteriologische Mittlerfunktion zu (vgl. Baumeister, 1991, 31). Im Unterschied zu Jesus ist dieses Vertrauensgebet nicht das letzte Wort des Stephanus, sondern Apg 7,60 hält vor seinem Tod noch eine Fürbitte für seine Gegner fest. Hier wird das Bild eines konsequenten Nachfolgers Jesu noch schärfer, insofern diese Fürbitte eine weitere Parallele zum Tod Jesu darstellt. Jesus bittet nämlich laut Lk 23,34 Gott, seinen Gegnern ihre Schuld zu erlassen. Ebenso wie Jesus, folgt also auch Stephanus bis zu seinem Tod, der die schärfste Form der Feindschaft bedeutet, dem entscheidenden Gebot der Nächsten- bzw. Feindesliebe (Lk 6,27-28; Mt 5,34-49).

Weiterhin impliziert dieses vorbildhafte Gebet eine Aussage über den → Kyrios Jesus und Stephanus’ Haltung zu ihm: Indem Stephanus sich mit dieser Bitte, die Jesus an Gott richtet, an Jesus als den Kyrios wendet, schreibt er diesem nämlich entscheidenden Einfluss beim Anrechnen bzw. Vergeben von Sünden zu, also die Funktion eines Richters mit der Autorität, über das Verhalten der Menschen zu urteilen. Damit anerkennt und bestätigt Stephanus die Position Jesu, in der er ihn in seiner Vision (Apg 7,55-56) als zur Rechten Gottes erhöhten Menschensohn gesehen hat. Nachdem Stephanus die soteriologische, entscheidende Wirkung des Todes Jesu in seiner Vision bereits gesehen hat, kann er bestärkt in konsequenter Kreuzes-Nachfolge Jesu vertrauensvoll und als Fürsprecher für andere sterben.

Insgesamt wird Stephanus also als idealer Nachfolger Jesu dargestellt, der in Anlehnung an Jesus als ein leidender Gerechter das Geschick eines Propheten, dabei aber zugleich auch Jesu bleibende Anwesenheit erfährt und diese verkündet.

4. Rezeption des Stephanus

Apg 6,1-8,3 als einzige historisch verwertbare Quelle über die Gestalt des Stephanus – abgesehen von den zwei kurzen Rückbezügen auf diesen Text in Apg 11,19 und Apg 22,20 – hat eine ambivalente Rezeptionsgeschichte.

4.1 Stephanus als erster christlicher Märtyrer

Selbst wenn der Text Apg 6,1-8,3 von Stephanus immer schärfer das Bild eines Propheten zeichnet, ist dieser in der christlichen Tradition nicht als Prophet, sondern vielmehr als Prototyp des Märtyrers bekannt. Zwar bezeichnet Apg 6,1-8,3 Stephanus nicht explizit als „Märtyrer“ (μάρτυς, martys, eigentlich: Zeuge), aber dennoch trägt der Text diese Auslegungstradition. Denn im martyrologischen Sinn meint μάρτυς (martys) ab dem 2. Jh. jemanden, der als Zeuge des Glaubens wegen stirbt. Dabei ist schon in früher Martyriumstheologie konstitutiv für einen christlichen Märtyrer, dass er in einer Verfolgungssituation, häufig in missionarischem Kontext, Jesus als den endgültigen Interpreten des Gotteswillens bezeugt (vgl. Baumeister, 1991, XXX; Brox, 227). Dementsprechend beschreibt etwa → Irenaeus von Lyon (ca. 140-200 n. Chr.) Stephanus als den, der „als erster von allen Menschen den Spuren des Herrn im Martyrium gefolgt ist, da er wegen des Bekenntnisses zu Christus als erster getötet wurde, …“ (haer. 3,12,10). In der Kirchengeschichte des → Eusebius von Caesarea (um 325 n. Chr.) findet sich dann der Brief der Gemeinden von Vienne und Lyon (nach 177 n. Chr.), in dem Stephanus ausdrücklich als der „vollkommene Zeuge“ (ὁ τέλειος μάρτυς, ho teleios martys) bezeichnet wird, insofern er für seine Feinde gebetet habe (h.e. 5,2,5). Ähnliche Vorstellungen von Stephanus als „Prototypen des Märtyrers“ finden sich beispielsweise auch bei → Tertullian, → Gregor von Nyssa und → Augustinus.

4.2 Stephanus als "Symbol der Trennung zwischen Judentum und Christentum"?

Ausgehend von der Notiz, dass auf den Tod des Stephanus hin die Gemeinde von → Jerusalem verfolgt und zerstreut wurde (vgl. Apg 8,1), entstand die zweite Traditionslinie, die Stephanus als „Symbol der Trennung zwischen Judentum und Christentum“ (Haacker, 1517) betrachtet. Beispielsweise spricht Eusebius von „der auf den Martertod des Stephanus folgenden ersten und größten Verfolgung, welche die Kirche in Jerusalem von Seiten der Juden zu erdulden hatte …“ (h.e. 2,1,8), so dass ein Gegenüber von „den Juden“ und „der Kirche in Jerusalem“ entsteht. Zwar zeigt der Kontext bei Eusebius, dass es ihm eigentlich um eine positive Darstellung der Apostel und Zeugen Christi geht und weniger um ein negatives Bild „der Juden“, aber dennoch bietet eine solche Deutung von Apg 8,1b Nährboden für möglicherweise gefährliche Auswirkungen. Ein Beispiel dafür berichtet Bischof Severus von der Insel Menorca im Jahr 415 n. Chr. (vgl. Haacker, 1516 mit Anm. 2).

Auch in der Auslegungsgeschichte wird die Aussage über die Verfolgung und Zerstreuung der Jerusalemer Gemeinde (Apg 8,1b) und deren Rezeption als Grundlage dafür verwendet, das → Martyrium des Stephanus als Wendepunkt innerhalb der Geschichte des Christentums im Sinne einer Trennung vom Judentum zu betrachten. Prägend für diese Linie sind Ausführungen von → Ferdinand Christian Baur (vgl. Baur, 49, 66-67), deren Auswirkungen sich zum Teil bis in die Mitte des 20. Jh. finden lassen.

Zwar können in Apg 6,1-8,3 tatsächlich provokante Züge gegenüber der Gegnerschaft des Stephanus festgestellt werden, aber da eine Deutung des Stephanus als „Symbol der Trennung von Judentum und Christentum“ zum Vergessen (und damit Leugnen) der identitätsstiftenden Wurzeln des Christentums im Judentum beiträgt, ist es wichtig, vorsichtig mit dieser Traditionslinie umzugehen. So muss genau untersucht werden, welches Bild in der Stephanusepisode von der Gegnerschaft des Stephanus und von der Geschichte Israels gezeichnet wird, und wie mit den zentralen Themen Gesetz, Tempel und Haltung zu Gott umgegangen wird. Auf dieser Grundlage muss dann darüber nachgedacht werden, wie vor dem Hintergrund von Apg 6,1-8,3 im Kontext des gesamten lukanischen Doppelwerks differenzierter vom Verhältnis zwischen Judentum und entstehendem Christentum gesprochen werden kann (vgl. dazu Braun, 460-469).

Literaturverzeichnis

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Fitzmyer, J.A., 1998, The Acts of the Apostles: A new Translation with Introduction and Commentary (The Anchor Bible, 31), New York u.a.

Jervell, J., 1998, Die Apostelgeschichte (KEK 3), Göttingen

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Tannehill, R.C., 1990, The Narrative Unity of Luke-Acts. A Literary Interpretation. Volume 2: The Acts of the Apostles, Minneapolis

Zmijewski, J., 1994, Die Apostelgeschichte (RNT 5), Regensburg

1. Kommentare

  • Barrett, Ch.K., 1994, A Critical and Exegetical Commentary on the Acts of the Apostles. Vol. 1: Preliminary Introduction and Commentary on Acts I-XIV (ICC), Edinburgh
  • Dormeyer, D. / Galindo, F., 2003, Die Apostelgeschichte. Ein Kommentar für die Praxis, Stuttgart
  • Eckey, W., 2000, Die Apostelgeschichte. Der Weg des Evangeliums von Jerusalem nach Rom. 1. Apg 1,1-15,35, Neukirchen-Vluyn
  • Fitzmyer, J.A., 1998, The Acts of the Apostles: A new Translation with Introduction and Commentary (The Anchor Bible, 31), New York u.a.
  • Jervell, J., 1998, Die Apostelgeschichte (KEK 3), Göttingen
  • Mußner, F., 1984, Apostelgeschichte (NEB.NT 5), Würzburg
  • Pesch, R., 1986, Die Apostelgeschichte (EKK.NT V / 1), Neukirchen-Vluyn
  • Roloff, J., 21988, Die Apostelgeschichte (NTD 5), Göttingen
  • Schneider, G., 1980, Die Apostelgeschichte. I. Teil (HThK V / 1), Freiburg u.a.
  • Spencer, F. S., 1997, Acts (Readings: A New Biblical Commentary), Sheffield
  • Talbert, Ch.H., 1997, Reading Acts. A Literary and Theological Commentary on The Acts of the Apostles, New York
  • Tannehill, R.C., 1990, The Narrative Unity of Luke-Acts. A Literary Interpretation. Volume 2: The Acts of the Apostles, Minneapolis
  • Zmijewski, J., 1994, Die Apostelgeschichte (RNT 5), Regensburg

2. Monographien und Aufsätze

  • Bachmann, M., 1999, Die Stephanusepisode (Apg 6,1-8,3). Ihre Bedeutung für die lukanische Sicht des jerusalemischen Tempels und des Judentums, in: Verheyden, Joseph (Hg.), The Unity of Luke-Acts (BEThL 142), Leuven, 545-562
  • Baumeister, Th., 1980, Anfänge der Theologie des Martyriums (MBTh 45), Münster
  • Baumeister, Th., 1991, Genese und Entfaltung der altkirchlichen Theologie des Martyriums (Traditio Christiana 8), Bern
  • Braun, H., 2010, Geschichte des Gottesvolkes und christliche Identität. Eine kanonisch-intertextuelle Auslegung der Stephanusepisode Apg 6,1-8,3 (WUNT II 279), Tübingen
  • Brox, N., 1961, Zeuge und Märtyrer. Untersuchungen zur frühchristlichen Zeugnis-Terminologie (StANT V), München
  • Chibici-Revneanu, N., 2007, Ein himmlischer Stehplatz: Die Haltung Jesu in der Stephanusvision (Apg 7.55-56) und ihre Bedeutung, in: NTS 53, 459-482
  • Eisen, U., 2006, Die Poetik der Apostelgeschichte. Eine narratologische Studie (NTOA 58), Göttingen
  • Haacker, K., 1995, Die Stellung des Stephanus in der Geschichte des Urchristentums, in: ANRW II, 26 / 2, 1515-1553
  • Jeska, J., 2001, Die Geschichte Israels in der Sicht des Lukas. Apg 7,2b-53 und 13,17-25 im Kontext antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels (FRLANT 195), Göttingen
  • Mußner, F., 1975, Wohnung Gottes und Menschensohn nach der Stephanusperikope (Apg 6,8-8,2), in: Pesch, R. u.a. (Hg.), Jesus und der Menschensohn (FS A. Vögtle), Freiburg / Basel / Wien, 283-299
  • Penner, T., 2004, In Praise of Christian Origins. Stephen and the Hellenists in Lukan Apologetic Historiography, New York / London
  • Rusam, D., 2003, Das Alte Testament bei Lukas (BZNW 112), Berlin u.a.
  • Schiffner, K., 2008, Lukas liest Exodus. Eine Untersuchung zur Aufnahme ersttestamentlicher Befreiungsgeschichte im lukanischen Werk als Schrift-Lektüre (BWANT 172), Stuttgart
  • Soards, M.L., 1994, The Speeches in Acts in Relation to Other Pertinent Ancient Literature, in: ETL 70, 65-90
  • Taylor, N.H., 2003, Stephen, the Temple, and Early Christian Eschatology, in: Revue biblique 110,1, 62-85
  • van de Sandt, H., 1991, Why is Amos 5,25-27 quoted in Acts 7,42f.?, in: ZNW 82, 67-87
  • van de Sandt, H., 2004, The Presence and Transcendence of God: An Investigation of Acts 7,44-50 in the Light of the LXX, in: ETL 80, 30-59
  • Wasserberg, G., 1998, Aus Israels Mitte – Heil für die Welt. Eine narrativ-exegetische Studie zur Theologie des Lukas (BZNW 92), Berlin u.a.
  • Zmijewski, J., 1986, Die Stephanusrede (Apg 7,2-53) – Literarisches und Theologisches, in: Ders., Das Neue Testament – Quelle christlicher Theologie und Glaubenspraxis. Aufsätze zum Neuen Testament und seiner Auslegung, Stuttgart, 85-128

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