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Stärke (AT)

(erstellt: September 2018)

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1. Definition

Der Begriff Macht ist philosophisch nicht genau zu fassen und hängt von der jeweiligen Theorie ab. Die Bedeutung kann von reinem Vermögen bis zur Gewaltausübung gehen. In philosophischen Theorien wurde daher gerne die Macht auf die politische Bedeutung von Macht reduziert. Diese Verengung bietet sich aber für die biblischen Texte nicht an.

Die hebräischen Begriffe für Macht, Stärke und Kraft beschreiben ein Spektrum von Vermögensmöglichkeiten, Verfügungsmöglichkeiten und Verfügungsrechten. Hier lassen sich grob zwei Pole erkennen: Alle Rechte und Fähigkeiten zu jeder Form von Handlungen (Vermögen) und Herrschaft (Macht, Kraft, Stärke über Menschen, Tiere, Pflanzen, Land) kommen von Gott. Nur er allein kann dem Menschen Macht, Stärke und Kraft jedweder Form zukommen lassen. Der Mensch kann diese dann aufgrund göttlicher Schenkung ausüben. Da der Mensch aber aufgrund seiner Kreatürlichkeit begrenzt ist, ist auch diese Vermögens- und Verfügungsmacht begrenzt.

2. Wichtige Wurzeln und Lexeme für Stärke, Kraft und Macht

Die folgenden Wurzeln und ihre nominalen Ableitungen werden oft synonym gebraucht. Gemeinsam ist ihnen allen die Vorstellung, dass alle Kraft von Gott her kommt.

2.1. גבר gbr „stark sein“

Die Wurzel גבר gbr ist in allen semitischen Sprachen mit der Bedeutung „Stärke / Macht“ gut belegt. Es kommen im Alten Testament überwiegend die nominalen Ableitungen vor. Die ältere Bedeutung ist wohl „physische Stärke“ (z.B. körperliche Stärke von Mensch und Tier Ps 147,10), diese kann auf „geistige“ Macht und Stärke ausgeweitet werden.

גְּבוּרָה gəvūrāh bezeichnet insbesondere Machttaten Gottes. Diese werden aber auch, was für eine Ausweitung von physischer Stärke spricht, mit Recht und Gerechtigkeit, Treue und Gnade Gottes verglichen (z.B. Mi 3,8; Ps 89,14-15). In der rabbinischen Literatur wird גְּבוּרָה gəvūrāh als Ersatz für den Gottesnamen gebraucht (z.B. Sifre Num 15,31 §112; Babylonischer Talmud, Traktat Schabbat 88b [Text Talmud]; siehe weitere Belege: Kosmala, 906).

גֶּבֶר gævær bezeichnet zunächst einen kraftvollen Mann, dann im engeren Sinn einen Mann mit besonderer Beziehung zu Gott (z.B. → Bileam Num 24,3-4.15-16).

2.2. חַיִל ḥajil „Kraft / Vermögen“

Die Grundbedeutung von חַיִל ḥajil ist mit „Kraft“ (Pred 10,10) und „Vermögen“ anzusetzen (bzw. Reichtum, z.B. Ez 29,19; 1Chr 29,16; Hi 5,5). Die häufigste Verwendung liegt aber in der engeren Bedeutung von „Heeresmacht / Heer“ vor. Die Mehrheit der Belege findet sich in den Erzählungen von Heeren und Heeresobersten im Buch → Jeremia.

2.3. כֹּחַ koaḥ „Kraft / Vermögen“

Die Wurzel findet sich nur im Hebräischen; die aramäischen Belege werden als Lehnwort angesetzt. Als Grundbedeutung könnte im engeren Sinne „Lebenskraft“ angenommen werden. Die Kraft schwindet im → Alter (Ps 71,9; Spr 20,29) oder auch, wenn man → Hunger hat (1Sam 28,22; 1Kön 19,8). Die Toten in der Scheol werden bei → Hiob als Kraftlose beschrieben (Hi 3,17; → Jenseitsvorstellungen). Lebenskraft kann mit Zeugungskraft geglichen werden (Gen 49,3; 2Kön 19,3).

2.4. עזז ‘zz „sich stark / mächtig erweisen“, עֹז ‘oz „Kraft / Stärke“

Die Wurzel עזז ‘zz ist gemeinsemitisch belegt. Sie deckt im biblischen Hebräisch das Spektrum „Gewalt / Stärke / Kraft“ bis zu „Sicherheit“ und „Schutz“ als dem Ergebnis großer Macht und Stärke ab. Das Verb drückt meist die Überlegenheit gegenüber einer anderen Größe aus. Dies zeigt sich besonders im zwischenmenschlichen Bereich im Richterbuch (Ri 3,10; Ri 6,2), aber auch die göttliche Übermacht wird damit beschrieben (Gottes Schöpfungsmacht im Sieg über schöpfungsfeindliche Kräfte Ps 89,14).

Besonders häufig findet sich עֹז ‘oz „Kraft / Macht / Stärke / Zuflucht“ (94 Belege). Allein 44 Belege begegnen in den Psalmen. עֹז ‘oz gibt die Macht und Stärke Gottes wieder (Schöpfungsmacht Ps 74,13; Ps 89,11; Ps 150,1). Der Wunsch nach Gottes Stärke wird in den Bitt- und Klagepsalmen sogar zu der Gleichung von עֹז ‘oz mit „Zuflucht / Zufluchtsstätte“ (Ps 62,3.12). Aber auch die Macht göttlichen → Zorns kann mit עֹז ‘oz veranschaulicht werden (Ps 90,11).

2.5. שׁלט šlṭ „herrschen / Macht haben“

שׁלט šlṭ „herrschen / Macht haben“ ist gemeinsemitisch gut belegt. Da die meisten Belege aramäisch sind, wird diskutiert, ob es sich im Hebräischen um ein Lehnwort handelt. Auch im Alten Testament überwiegen die aramäischen Belege der Wurzel. Der Bedeutungsschwerpunkt liegt eindeutig auf „der Herrschaft / Verfügungsmacht“ über Einzelne oder Gruppen (Pred 2,19; Pred 8,9; Est 9,1; Neh 5,15).

3. Von Gottes Kraft zur Allmacht Gottes

Gottes Kraft zeigt sich im → Schöpfungsgeschehen und dem Besiegen der schöpfungsfeindlichen Mächte (Hi 12,7-25; Jes 40,24). Das Eingreifen Gottes in die Geschichte (seine Macht- und Großtaten [Ex 15,13; Ps 28,8; Ps 77,15; Ps 86,10], wie besonders das Exodusgeschehen Ex 15,6; Dtn 9,26; → Exodustradition) setzt das göttliche Wirken nach der Schöpfung fort. Sein Wirken zeigt sich aber auch im Leben des Einzelnen (Dtn 8,17-18; Ps 28,7-8).

Durch den Wandel des → Gottesbildes vom auf das Territorium begrenzten „Nationalgott“, wie im Alten Orient üblich, zum monotheistischen Gott verändert sich auch der Machtbereich Gottes. Nach dem Exil ist Jahwe dann unvergleichbar in seiner Stärke und Macht (Dtn 10,17; 1Kön 8,23). Seine Macht und Herrlichkeit erfüllt die ganze Erde (Jes 6,3; Ps 19,2). Ziel der Macht ist die Durchsetzung seines Heilswillens (Jes 49,6).

Am Ende der Zeiten kommt nach den eschatologischen Vorstellungen (→ Eschatologie) der → Messias mit besonderer Kraft (Jes 9,5; Jes 11,2; Mi 5,3) bzw. nach der frühjüdischen → Apokalyptik Gott mit den Heerscharen (grHen 1,4; mögliche Anklänge im Alten Testament: Jes 2,19; Jes 42,10.31).

4. Menschliche Kraft und Stärke

Der Mensch ist Schöpfung Gottes und bekommt von Gott seine Kraft und Stärke (Lebenskraft Ps 27,1; Ps 41,4; Ps 112,2; Sir 46,9 [Lutherbibel: Sir 46,11]; Kampfkraft Ps 18,33-40). Da aber der Mensch als endliches Geschöpf Gottes begrenzt ist, ist auch seine Kraft begrenzt. Die Lebenskraft nimmt gegen Ende des Lebens ab (Ps 71,9; Spr 20,29). Sie kann durch Gott nicht gefälliges Verhalten entzogen werden (Ps 102,24; Klgl 1,14).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007

2. Weitere Literatur

  • Asurmendi, J.M., 2014, Power in Qoheleth and the Prophets, in: N. Calduch-Benages, Wisdom for Life (BZAW 445; FS M. Gilbert), Berlin u.a., 132-144
  • Benka, D., 2014, Power of the Powerless and the Powerless Power: A Reading of Nahum, BN 161, 3-18
  • Eising, H., 1977, Art. חַיִל ḥajil, in: ThWAT, Bd. 2, Stuttgart u.a., 902-911
  • Kosmala, H., 1973, Art. גָּבַר, in: ThWAT, Bd. 1, Stuttgart u.a., 901-919
  • Kreuzer, S., 1997, Die Mächtigkeitsformel im Deuteronomium. Gestaltung, Vorgeschichte und Entwicklung, ZAW 109, Berlin, 188-207
  • Kreuzer, S., 1997, Die Verwendung der Mächtigkeitsformel außerhalb des Deuteronomiums. Literarische und theologische Linien zu Jer, Ez, dtrG und P, ZAW 109, 369-384
  • Martilla, M., 2014, Political Power and Ideology in the Book of Baruch, BN 161, 99-114
  • Ringgren, H., 1984, Art. כֹּחַ koaḥ, in: ThWAT, Bd. 4, Stuttgart u.a., 130-137
  • Saebø, M., 1995, Art. שָׁלַט šālaṭ, in: ThWAT, Bd. 8, Stuttgart u.a., 79-84
  • Wagner, A., 1989, Art. עזז ‘zz, in: ThWAT, Bd. 6, Stuttgart u.a., 1-14

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