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(erstellt: April 2009)

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1. Begriff

Als Spottlied bezeichnet man eine Gedichtform, die sich abschätzig über andere äußert. Das Hebräische kennt dafür keinen spezifischen Begriff; in deutschen Bibelübersetzungen werden je nach Kontext verschiedene hebräische Wörter mit „Spottlied“ wiedergegeben (vgl. Lutherbibel: Hi 30,9; Klgl 3,14.63 nəgînāh bzw. mangînāh; Einheitsübersetzung zusätzlich Ps 44,15 mənôd ro’š [wörtlich „Kopfschütteln“] sowie Jes 14,4; Mi 2,4; Hab 2,6 jeweils māšāl [wörtlich „Vergleich“]). Im Vergleich zum auch spontan möglichen Spott ist das Spottlied umfangreicher, ausdrücklicher gestaltet und zielt auf wiederholte Verwendung.

2. Beispiele im Alten Testament

Im Alten Testament lassen sich im Blick auf Spottlieder drei Fälle unterscheiden: 1) An manchen Stellen wird lediglich der Gattungsbegriff angeführt, meist gemeinsam mit Äußerungen von Spott oder Verachtung. Dabei wird das Elend der Betroffenen hervorgehoben (Hi 30,9; Ps 44,15; Ps 69,13; Klgl 3,14.63). 2) An drei Stellen findet sich zunächst ein Gattungsbegriff (im Hebräischen jeweils מָשָׁל māšāl) und unmittelbar danach wird das Lied selbst zitiert (Jes 14,4-21; Mi 2,4; Hab 2,6-20). 3) Als dritte Möglichkeit finden sich Spottlieder, die ohne begriffliche Näherbestimmung angeführt werden (z.B. Num 21,27-30).

Da Spott gerade auch in der Auseinandersetzung mit Feinden verwendet wird, überschneiden sich die Spottlieder teilweise mit Siegesliedern. In prophetischen Texten findet sich außerdem das „spöttische Leichenlied“ (Eissfeldt, 1964, 128). Dazu gehören (nach Eissfeldt, 1964, 129): Jes 14,4-21; Ez 27,2-10.25b-36; Ez 28,12-19; Ez 32,2-16.

Weitere Beispiele für Spottlieder sind das „Hurenlied“ in Jes 23,15-16; der Spott über Sanherib in 2Kön 19,21-28 bzw. Jes 37,22-29 und die Gedichte über die Anfertigung von Götzenbildern in Jes 41,6-7; Jes 44,9-20; Jes 46,1-2.

3. Die Gattung „Spottlied“ und ihre Geschichte

In seiner bis heute grundlegenden Untersuchung „Der Maschal im Alten Testament“ (1913) rekonstruiert Eissfeldt eine Geschichte der Gattung „Spottlied“. Im Anschluss an Otto Böckel, Psychologie der Volksdichtung (1906), stellt er fest: „In einem emporstrebenden, jugendkräftigen, kriegerischen Volk ist kaum eine literarische Gattung so beliebt wie das Spottlied. […] So werden wir die Blütezeit des Spottliedes in der Periode der israelitischen Geschichte zu suchen haben, da es mit Waffengewalt sich sein Land erobern und dann mit harter Faust gegen feindliche Nachbarn verteidigen musste. Und das ist nicht nur vage Vermutung: in den uns aus dieser Periode erhaltenen Literaturresten finden sich auch manche Spuren des Spottliedes“ (Eissfeldt, 1913, S. 52f).

Eissfeldt kann zeigen, dass gerade in kriegerischen Konflikten Spott immer wieder zur Anwendung kam (1Sam 14,12; 1Sam 17,44; 2Kön 14,9-10). Insofern ist es plausibel anzunehmen, dass die Propheten, bei denen sich die meisten Spottlieder finden, auch in diesem Fall die Gattung nicht geschaffen, sondern in ihre Verkündigung übernommen und für ihre Zwecke angepasst haben. Da jedoch die zeitliche Einordnung gerade der prophetischen Texte in der aktuellen Forschungslage nicht eindeutig bestimmt werden kann, ist eine weitergehende Rekonstruktion der Gattungsgeschichte wenig sinnvoll. Überhaupt kann man angesichts der Unterschiedlichkeit der einzelnen Texte und der teilweise umstrittenen Zuordnung nur in einem eher weiten Sinn von einer gemeinsamen Gattung sprechen. Der größere Ertrag liegt deshalb wohl eher in einer Untersuchung des Phänomens „Spott / Spottlied“ an sich, und nicht so sehr in einer Geschichte der Gattung.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979 (Lied)
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff (משׁל māšāl I)
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003 (Spottlied)

2. Weitere Literatur

  • Eissfeldt, O., 1906, Der Maschal im Alten Testament (BZAW 24), Gießen
  • Eissfeldt, O., 1964, Einleitung in das Alte Testament, 3. Auflage, Tübingen

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