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(erstellt: Januar 2010)

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1. Begriff

„Sättigung“ wird im Hebräischen mit der auch in anderen semitischen Sprachen bekannten Wurzel שׂבע śb‘ in mehreren Verbal- und Nominalformen mit der Grundbedeutung „sich sättigen / satt werden / satt sein“ ausgedrückt. Von den 130 Vorkommen der Wurzel fällt rund ein Drittel auf die → Psalmen und das → Sprüchebuch.

An fast der Hälfte der Stellen, an denen שׂבע śb‘ im Qal vorkommt, steht es absolut, ohne Objekt. „Essen und (nicht) satt werden“ ist mit 20 Belegen eine stehende Verbindung, mit der die Propheten und die deuteronomistische Theologie (→ Deuteronomismus) vor Sättigung warnen, die nicht im Vertrauen auf Gott begründet ist (Hos 4,10; Dtn 6,11-12; Dtn 11,15). An den meisten Stellen bezeichnet שׂבע śb‘ die Stillung von Hunger, einem elementaren menschlichen und tierischen Grundbedürfnis. Mit einem Objekt kann ausgedrückt werden, woran der Mensch satt wird: Meistens sind es Nahrungsmittel: vor allem → Brot (Ex 16,12; Jer 44,17; Spr 12,11), aber auch → Öl (Jo 2,19), → Honig (Spr 25,16) etc. Gelegentlich (Am 4,8; Spr 30,16) kann auch die Sättigung an Wasser mit שׂבע śb‘ beschrieben werden, doch gibt es für „sich satt trinken“ im Hebräisch eine eigene Wurzel: רוה rwh (Ps 36,9).

Über die konkrete Stillung des Hungers hinaus kann sich der Mensch an „Gutem“ sättigen (Jer 31,14; Ps 104,28). Besonders in der Weisheitsliteratur wird die Sättigung auf Abstrakta erweitert: Unruhe (Hi 7,4), Pläne (Spr 1,31), Frucht der Lippen (Spr 18,20), Glück (Pred 6,3). Sättigung bzw. Unersättlichkeit kann in metaphorisch-bildlicher Redeweise verwendet werden:

„Drei sind es, die nicht satt werden, vier, die nicht sagen: genug! Die Unterwelt und der verschlossene Mutterschoß, die Erde, die nicht satt wird an Wasser, und das Feuer, das nicht sagt: genug!“ (Spr 30,15b-16).

Das menschliche Bedürfnis nach Sättigung hat seinen konkreten Ort in der נֶפֶשׂ næfæš, der „Kehle / Seele / Vitalität / dem Begehren / Verlangen“. נֶפֶשׂ næfæš kann bedürftig, hungrig, durstig sein und sich nach Gott sehnen. So heißt es z.B. in Ps 107,9 über JHWH:

„Denn er hat die durstende Seele gesättigt, die hungrige Seele hat er mit Gutem gefüllt.“

Die Grenze zwischen Sättigung und Übersättigung ist fließend. שׂבע śb‘ kann auch im Sinne von „genug haben / überdrüssig sein“ negativ konnotiert sein: Nach Jes 1,11 hat JHWH genug von Brandopfern. In Spr 35,16-17 heißt es:

„Hast du Honig gefunden, iss deinen Bedarf, damit du dich nicht übersättigst und ihn erbrichst. Mache deinen Fuß rar im Haus deines Nächsten, damit er dich nicht satt hat und hasst.“

Das Verb שׂבע śb‘ und seine Adjektiv- und Nominalbildungen kommen im Alten Testament insgesamt häufig vor. Seine Verwendungsweisen sind vielfältig und nehmen in späteren Texten zu. Insgesamt lässt sich aber keine Bedeutungsentwicklung beschreiben.

2. Theologische Bedeutung

Theologische Bedeutung hat „Sättigung“ dadurch, dass sie von Gott ausgeht. Bei den 16 Vorkommen von שׂבע śb‘ im Hif. mit der Bedeutung „jdn. sättigen“ ist meistens Gott Subjekt. Die göttliche Sättigung umfasst sowohl die Versorgung mit Nahrung als auch die Sättigung mit Gutem in einem umfassenden Sinn (Ps 145,16). Diese Verbindung von konkreter Sättigung durch Speisen mit einer „ganzheitlichen“ Versorgung von Menschen, Tieren und Pflanzen wird z.B. in Ps 104,13-14.16 ausführlich in poetischer Sprache geschildert:

13 Der die Berge tränkt aus seinen Obergemächern, von der Frucht deiner Werke wird die Erde satt (שׂבע śb‘). 14 Der Gras wachsen lässt für das Vieh und Pflanzen zur Arbeit des Menschen, um Brot aus der Erde hervorzubringen. […] 16 Es werden gesättigt (שׂבע śb‘) die Bäume JHWHs, die Zedern des Libanon, die er gepflanzt hat.

Die Sättigung der Menschen ist eingebunden in die Versorgung der gesamten Schöpfung mit Wasser und Nahrung durch Gott. Diese schöpfungstheologische Aussage von der elementaren Sättigung aller Lebewesen durch Gott wird von Israel konkret in seiner Geschichte – z.B. durch die Versorgung mit → Manna und → Wachteln in der Wüste (Ex 16,12; → Wüstenwanderung) – erfahren. Die Sesshaftwerdung im Land mit „Milch und Honig“ (Dtn 31,20) soll nicht zu selbstverständlichem Genuss verführen. Sattwerden ist die Balance zwischen Armut und Überfluss und enthält die Verpflichtung, auch andere satt zu machen. Nach deuteronomistischer Gesetzgebung soll in jedem dritten Jahr der → Zehnte an → Leviten, → Fremdlinge, → Witwen und Weisen abgegeben werden (Dtn 26,12). Gibt jemand einem Hungrigen Brot und sättigt damit eine gebeugte Seele, so wird dadurch die eigene dürstende Seele wieder von Gott gesättigt (Jes 58,9-11). Sättigung ist eine wesentliche Dimension von Frieden (Ps 147,14).

Ein weiterer konkreter Ort der Sättigung ist das Opfermahl (→ Opfer) im → Tempel (Lev 19,5-7; Dtn 12,27). Bei Heils-, Dank- und Schlachtopfern ist das gemeinsame Opfermahl ein wesentlicher Bestandteil des Rituals.

Sättigung im übertragenen Sinn kann sich auf lange Lebenszeit beziehen (Ps 91,16). „Alt und lebenssatt“ zu sterben ist eine Idealvorstellung erfüllten Lebens, die nur von wenigen Personen im Alten Testament erzählt wird: → Abraham (Gen 25,8), → Isaak (Gen 35,29), → David (1Chr 29.28), → Hiob (Hi 42,17) und → Jojada (2Chr 24,15). Sättigung an Lebenstagen meint nicht Überdruss, sondern den Abschluss eines langen, erfüllten Lebens.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart 1973ff
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
  • Das große Bibellexikon, Wuppertal / Gießen 2004
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 6. Aufl., Gütersloh 2004

2. Weitere Literatur

  • Dahm, U., 2003, Opferkult und Priestertum in Alt-Israel. Ein kultur- und religionswissenschaftlicher Beitrag (BZAW 327), Berlin / New York.
  • Keel, O., 1996, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament. Am Beispiel der Psalmen, 5. Aufl., Göttingen.
  • Krüger, A., 2010, Das Lob des Schöpfers. Studien zur Sprache, Motivik und Theologie von Psalm 104 (WMANT 124), Neukirchen-Vluyn.
  • Liess, K., 2008, Sättigung mit langem Leben. Vergänglichkeit, Lebenszeit und Alter in den Psalmen 90-92, in: M. Bauks / K. Liess / P. Riede (Hgg.), Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst? (Psalm 8,5). Aspekte einer theologischen Anthropologie (FS B. Janowski), Neukirchen-Vluyn.
  • Maier, C. / Dörrfuß, E.M., 1999, Um mit ihnen zu sitzen, zu essen und zu trinken. Am 6,7; Jer 16,5 und die Bedeutung von marzeah, ZAW 111, 45-57.

Abbildungsverzeichnis

  • Gott versorgt Tier und Mensch (Utrechter Psalter zu Ps 104; 9. Jh.).

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