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Preisgabeerzählungen

(erstellt: April 2009)

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Als „Preisgabeerzählungen“ bezeichnet man drei Erzählungen der → Genesis, in denen jeweils ein Erzvater (→ Erzeltern) seine Ehefrau beim Aufenthalt in einem fremden Gebiet als seine Schwester ausgibt, weil er fürchtet, der dortige Herrscher könnte ihn töten, um sich seiner Frau zu bemächtigen. Man spricht deshalb auch von der „Gefährdung / Preisgabe der Ahnfrau“. Die drei Fassungen handeln in Gen 12,10-20 von → Abraham und → Sara beim Pharao, in Gen 20,1-18 von Abraham und Sara bei → Abimelech und in Gen 26,1-11* von → Isaak und → Rebekka bei Abimelech.

1. Die drei Preisgabeerzählungen

Das Verhältnis der drei Preisgabeerzählungen zueinander wird kontrovers diskutiert. Aufgrund vielfältiger Parallelen, die teilweise bis in den Wortgebrauch hinein reichen, scheint es geboten, von einer Abhängigkeit zwischen den drei Fassungen auszugehen (vgl. u.a. Fischer, 190ff.). Dabei lassen sich grundsätzlich folgende Erklärungsmodelle unterscheiden:

1. Alle drei Erzählungen gehen je für sich auf eine gemeinsame mündliche Vorstufe zurück, so dass sich die Gemeinsamkeiten überlieferungsgeschichtlich erklären lassen.

2. Die drei Texte sind literarisch voneinander abhängig.

3. Denkbar sind auch Mischformen aus 1. und 2., dergestalt, dass von zwei ursprünglich selbständigen Erzählungen auszugehen ist, und die dritte von mindestens einer dieser beiden literarisch abhängig ist. Oder aber alle drei sind sowohl von vorliterarischem Erzählstoff beeinflusst als auch untereinander literarisch abhängig.

Zu dieser Frage nach der Verhältnisbestimmung der drei Fassungen tritt die Frage nach ihrem Alter bzw. der Reihenfolge ihrer Entstehung. Im Rahmen der forschungsgeschichtlich bedeutsamen neueren Urkundenhypothese, die den Pentateuch auf ursprünglich selbstständige Quellenschriften zurückführt (→ Pentateuchforschung), werden Gen 12,10-20 (inklusive 13,1) und – mit Einschränkungen bzw. Variationen – auch Gen 26,1-11* traditionell dem „Jahwisten“ (J) zugeschrieben, während Gen 20,1-18 als Werk des „Elohisten“ (E) gilt (Graupner).

Geht man von einer literarischen Abhängigkeit aus, so werden folgende Hypothesen vertreten: Da die Version von Gen 20 kaum als ursprüngliche Fassung gelten kann, wird die Priorität zum Einen bei Gen 12 vermutet (vgl. u.a. Gunkel; von Rad; van Seters; Westermann; Blum; Fischer), zum Anderen bei Gen 26 (vgl. u.a. Wellhausen; Holzinger; Noth; Kilian; Weimar; Zimmerli; Levin).

1. Als Argumente für die Priorität von Gen 12 werden gerne die einfache Erzählstruktur sowie die Anstößigkeit des Erzählten angeführt. So erklärte Gunkel Gen 12,10ff zum Musterbeispiel einer frühen Volkserzählung, in der anstößige Erzählzüge, wie die Übernahme Saras in den pharaonischen Harem, noch unbefangen aufgenommen worden seien. Der Stoff sei dann bis zur Fassung von Gen 26 verharmlost worden, wo die Gefährdung der Ahnfrau nur noch eine potentielle ist.

Vgl. Gunkel (225f): „Der Hauptunterschied der drei Erzählungen besteht darin, daß 12 unbefangen Dinge erzählt, die dem späteren Empfinden höchst anstößig erscheinen mussten, während 20 und noch mehr 26 sich bemühen, dies Bedenkliche fortzuschaffen.“ […] „12 ist eine alte Sage im knappen, schönen Stil der alten Zeit; 20 zeigt den späteren Stil, der weitausgeführte Reden liebt, und es gar versteht, raffiniert ‚nachholend’ zu erzählen; 26 ist ästhetisch geringwertig: durch die Verschiebung der Motive und Situationen ist die Sage hier in zwei Erzählungen auseinandergefallen; sie hat, da die Gefahr der Ahnfrau nur noch eine hypothetische ist, die ‚Verwickelung’ verloren und aufgehört eine eigentliche ‚Geschichte’ zu sein.“

2. Wird die Priorität hingegen Gen 26,1-11* zugeschrieben, so gelten als Hauptargumente die untheologische Profanität und die undramatische Knappheit der Erzählung.

Vgl. Wellhausen (317, Anm. 1): „Die Erzählungen über Abraham und über Isaak sind sich so ähnlich, daß an gegenseitige Unabhängigkeit nicht zu denken ist; die über Isaak aber sind ursprünglicher, wie das besonders schlagend aus einem Vergleich von Gen. 20,2-16 mit 26,6-12 sich ergibt: die kurze und profane Version, worin Isaak der Held ist, ist die lebendigere und motivirtere, die lange und erbauliche, wo Abraham an seine Stelle tritt, steigert die mögliche Gefahr zur wirklichen, macht dadurch das Eingreifen der Gottheit notwendig […]“.

Wie immer man sich in dieser Frage entscheiden mag, in jedem Fall lohnt sich aufgrund der unübersehbaren motivlichen Parallelen und der dennoch vorhandenen spezifischen Unterschiede bei der Beschäftigung mit einer der drei Fassungen immer ein Vergleich mit den beiden Parallelüberlieferungen.

2. Die einzelnen Fassungen

2.1. Gen 12,10-20

Der Abschnitt Gen 12,10-20, der mit guten Gründen in seinem jetzigen Kontext als sekundär gelten kann, stellt in der kanonischen Abfolge die erste Erzählung von der sog. „Gefährdung der Ahnfrau“ dar. Im Vergleich mit Gen 26 ist das Geschehen in Gen 12 dramatischer dargestellt: Sara wird hier tatsächlich in das Haus des Herrschers gebracht, d.h. ihre Gefährdung ist in Gen 12 tatsächlich akut, und zur Auflösung der Situation ist das Eingreifen Jhwhs vonnöten.

Neben der „Theologisierung“ durch das geschilderte Eingreifen Jhwhs sind in Gen 12 die Parallelen zur → Exoduserzählung auffällig, die unterschiedlich gedeutet werden können.

Die Anklänge an die Exoduserzählung werden u.a. durch folgende sprachliche und motivliche Gemeinsamkeiten hervorgerufen (vgl. Schmid, 64f; Blum, 309): Der Hauptakteur neben dem Erzelternpaar ist der ägyptische Pharao, der mit Plagen geschlagen wird. In Gen 12,20 werden Abraham und die Seinen fortgeschickt / entlassen, womit das Leitwort von Ex 5f. anklingt. Eine weitere Parallele bieten die Entlassungsworte des Pharao gegenüber Abraham in Gen 12,19 bzw. Mose in Ex 12,32. Wie in Gen 26 und in der Josefs-Erzählung (Gen 42,1-3 u.ö.) ist auch bei Abraham und Sarah in Gen 12 eine Hungersnot der Auslöser für den Zug nach Ägypten.

Während Gunkel (173) die Parallelität zur Exoduserzählung zwar nicht bestreitet, einen direkten Zusammenhang jedoch ausschließt (vgl. auch Westermann, 193), kann der Abschnitt auch als bewusste Vorwegnahme des Exodus des nachmaligen Gottesvolkes durch Abraham und die Seinen gelesen werden (als „Exodusprolepse“; vgl. Gese, 35). Die Parallelen sprechen dafür, dass in Gen 12,10-20 zumindest die Exodustradition – wenn nicht sogar die Exoduserzählung – bereits vorausgesetzt und im Zuge einer literarischen Auseinandersetzung in die Abrahamerzählung integriert wird. Diese Vorwegnahme des Exodus in Gen 12,10-20 hat – anders als die Preisgabeerzählung in Gen 26* – offensichtlich bereits Gesamtisrael und dessen genealogische Herleitung von Abraham und Sara im Blick und ist wohl kaum in einer nomadischen Vorzeit zu verorten (vgl. Blum, 309f.).

Auffällig ist die kompositionelle Position von Gen 12,10-20 und auch von Gen 20,1-18 (s.u.) im Gesamtkontext der Erzählungen von Abraham und Sara: Kurz nachdem Abraham das Land erreicht hat, das ihm zugesagt wurde, sieht er sich in Gen 12 durch eine Hungersnot veranlasst, es wieder zu verlassen und gefährdet damit die göttliche Landzusage (vgl. Blum, 310f.). Darüber hinaus wird auch die Erfüllung der Mehrungsverheißung von Gen 12,2 durch die Episode von der Gefährdung der Erzmutter Sara ernsthaft in Frage gestellt (vgl. von Rad, 129). Auch in Gen 20 steht die Preisgabeerzählung nach der Verheißungsgeschichte in Gen 18 und unmittelbar vor dem Bericht über die Geburt des verheißenen Sohnes Isaak (Gen 21,1ff; → Väterverheißungen). Dieses Motiv der Gefährdung der Verheißungen kann offensichtlich als kompositionelles, strukturierendes Element in der Endgestalt der Abrahamerzählungen betrachtet werden. In beiden Fällen wird die Krise der Gefährdung durch das Eingreifen Gottes aufgelöst (vgl. Gen 12,17; Gen 20,6f; vgl. auch Gen 22,11ff).

Was die moralische Beurteilung von Abrahams Handeln in Gen 12,10-20 betrifft, ist zu beobachten, dass der Text selbst sehr zurückhaltend mit Wertungen ist. So kam es in der modernen Auslegungsgeschichte zu überaus unterschiedlichen Urteilen: Sah man einerseits im Handeln Abrahams den Inbegriff israelitischer Klugheit und List verkörpert (Gunkel, 169f.), wurde es andererseits durchaus als moralisch fragwürdig angesehen, dass Abraham hier auf Kosten seiner Frau agiert, um die eigene Haut zu retten (Fischer, 135). Gegen eine rein positive Sicht auf das Handeln des Erzvaters spricht der Umgang mit dieser Episode in ihrer Rezeptionsgeschichte, wo Bemühungen zu beobachten sind, das Handeln Abrahams moralisch zu entschärfen (vgl. bereits Gen 20).

2.2. Gen 20,1-18

In Gen 20,1-18 liegt die längste und wahrscheinlich jüngste Preisgabeerzählung im Alten Testament vor. Der Stil von Gen 20 ist komplexer und weniger geradlinig als in Gen 12; insbesondere fallen gegenüber den anderen beiden Fassungen die umfangreichen wörtlichen Reden auf. Mit Ausnahme von V.18 – einer nachklappenden Erläuterung, in der im Gegensatz zum übrigen Text der Gottesname → Jhwh gebraucht wird – gilt der Text weitgehend als literarisch einheitlich, bisweilen werden aber auch literarkritische Differenzierungen vorgenommen (vgl. u.a. Fischer, 137ff.). Von der im Rahmen der neueren Urkundenhypothese üblichen Zuschreibung des Textes zur → Quellenschrift E (→ „Elohist“) und der damit häufig verbundenen Datierung ins 9./8. Jh. v. Chr. wird in neueren Arbeiten weitgehend abgesehen (→ Pentateuchforschung).

Mit → Abimelech, der in Gen 20,2 als König von → Gerar vorgestellt wird, liegt dieselbe Hauptperson wie in Gen 26 vor, wo er als Philisterkönig charakterisiert wird. Somit stellt Gen 20 mit Abraham und Sara (wie in Gen 12) und mit Abimelech (wie in Gen 26) eine Mischform dar, was die beteiligten Akteure betrifft.

Im Vergleich mit den Parallelüberlieferungen ergeben sich folgende Besonderheiten: In Gen 20,1 wird keine Motivation für den Aufbruch Abrahams und Saras genannt, während in den beiden anderen Versionen eine Hungersnot der Auslöser ist. Auch fehlt in Gen 20,2 (im Masoretischen Text) zunächst eine Begründung, warum Abraham behauptet, Sara sei seine Schwester. Erst auf die Nachfrage Abimelechs hin erklärt sich Abraham (Gen 20,11-13). Offensichtlich setzen bereits die ersten beiden Verse von Gen 20 zumindest die Kenntnis von Gen 12 voraus. Ähnlich wird in Gen 20 – anders als in Gen 12,14f – nicht näher erläutert, warum Abimelech Sara holen lässt.

Singulär ist in Gen 20,12 der Versuch, Abrahams Notlüge abzuschwächen, indem Sara tatsächlich als Halbschwester Abrahams charakterisiert wird. Woher der Verfasser von Gen 20,12 diese Information nimmt, bleibt unklar, da die Vorgeschichte in Gen 11,27ff nichts von einer Verwandtschaft zwischen Abraham und Sara weiß.

Andererseits unterscheiden sich die Fassungen von Gen 12 und 20 darin von Gen 26, dass die Gefahr für die Ahnfrau jeweils nicht nur eine potentielle ist (vgl. aber Gen 26,10). Bevor es in der Erzählung von Gen 20 allerdings zum Geschlechtsverkehr des fremden Herrschers mit Sara kommt, erfährt Abimelech durch eine göttliche Traumoffenbarung die Wahrheit (Gen 20,3; vgl. in Gen 12 das göttliche Eingreifen durch die Plagen). Die Frage des vollzogenen oder nicht vollzogenen Geschlechtsverkehrs ist hier von besonderer Brisanz, da direkt nach dieser Episode die Geburt Isaaks berichtet wird (Gen 21,1-7). Durch Gen 20,6 wird eindeutig geklärt, dass Isaak nur der legitime und verheißene Nachkomme Abrahams sein kann (vgl. Köckert, 156).

Mit der Charakterisierung Abrahams als Prophet und Fürbitter (Gen 20,7.17) und mit der Frage nach der Gerechtigkeit Gottes (Gen 20,4) weist Gen 20 inhaltliche Parallelen zu Gen 18,17ff auf (vgl. Köckert).

Insgesamt wird in Gen 20 ein positives Bild des fremden Herrschers gezeichnet, der sich entgegen den Befürchtungen Abrahams (Gen 20,11) als „gottesfürchtig“ erweist. Anders als in Gen 12, wo Abraham vom Pharao eine Bezahlung für Sara erhält, überreicht Abimelech die Güter als Entschädigung für das von ihm begangene Unrecht (Gen 20,14.16) und bietet sein Land als Siedlungsraum an (Gen 20,15). Dies passt zu der generell beobachtbaren Tendenz in Gen 20, die Hauptakteure zu entlasten, sowohl Abraham, als auch Abimelech.

Indem hier die Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz ohne Aufgabe der eigenen Identität vor Augen geführt wird, verdeutlicht diese Episode, wie Israel in der Diasporaexistenz leben kann (vgl. Köckert, der den Text deshalb frühestens in spätpersischer Zeit verortet; für eine nachexilische Datierung vgl. auch Blum, 415f.).

2.3. Gen 26,1-11*

Gen 26,1-11* bietet – sieht man von den Verweisen auf Abraham und den wohl sekundären Verheißungstexten ab (V.1*.[2]3-5) – die kürzeste und unspektakulärste Fassung der Preisgabeerzählung. Die literarische Einheitlichkeit von Gen 26,1-11 wird mit guten Gründen bestritten (vgl. Fischer, 176ff).

Die Akteure sind Isaak, Rebekka und der als Philisterkönig vorgestellte Abimelech. Als Grund für Isaaks Aufbruch nach Gerar wird eine Hungersnot angegeben, die zu der in Gen 12,10 erwähnten in Beziehung gesetzt wird (Gen 26,1). In Gen 26,2 wird mit einer göttlichen Anweisung begründet, warum Isaak nicht – wie Abraham in Gen 12,10ff. – nach Ägypten ziehen soll. In Gen 26,3-5 ist eine Verheißungsrede eingeschaltet, in der die an Abraham ergangenen Verheißungen auf Isaak übertragen werden. Die eigentliche Preisgabeerzählung findet sich in Gen 26,6-11, ist undramatischer erzählt als in den beiden Parallelüberlieferungen und frei von Anstößigkeiten. Es wird berichtet, dass Isaak Rebekka auf Nachfrage der Bewohner von Gerar hin als seine Schwester ausgibt. Wie in Gen 12,11.14f wird die Schönheit der Ahnfrau als Grund für Isaaks Angst um sein Leben angeführt (Gen 26,7). Die Wahrheit kommt heraus, als Abimelech das Ehepaar eines Tages beim Austausch von Zärtlichkeiten sieht. Das in Gen 26,8 gebrauchte und ansonsten im Alten Testament selten belegte Verb צחק Pi. „scherzen / liebkosen“ kann als Anspielung auf den Namen Isaak (יצחק) gelesen werden. Als Abimelech erkennt, dass Isaak gelogen hat, stellt er ihn zur Rede, Isaak erklärt sich, und Abimelech spricht die Gefahr aus, die sich aus der Lüge hätte ergeben können (Gen 26,10). Als Resultat aus der Erkenntnis stellt Abimelech das Paar bei Androhung der Todesstrafe unter besonderen Schutz (Gen 26,11).

Anders als in den Parallelüberlieferungen ist die Gefahr für die Ahnfrau hier keine reelle, sondern nur eine potentielle, und die hypothetische Schuld betrifft nicht den Herrscher selbst, sondern das ganze Volk. Im Vergleich mit den parallelen Versionen fällt außerdem auf, dass die Erzählung gänzlich ohne göttliches Eingreifen auskommt, wenn man von Gen 26,2 absieht (vgl. dazu aber Fischer, 188).

3. Außerbiblische Rezeption

3.1. Jubiläenbuch

Die Episode von der Gefährdung Saras, die im → Jubiläenbuch als Halbschwester Abrahams vorgestellt wird (vgl. Gen 20,12), wird sehr knapp dargestellt und folgt im Wesentlichen der Darstellung von Gen 12,10-20. Im Gegensatz zur biblischen Darstellung bleibt kein Zweifel an Abrahams moralischer Integrität. Indem erzählt wird, dass der Pharao Sara ohne Grund geraubt habe, wird Abraham entlastet, der Pharao, der in Gen 12,10ff relativ positiv dargestellt wird, hingegen belastet. Anders als in der Genesis werden die Geschehnisse dem chronologischen Interesse des Jubiläenbuch entsprechend zeitlich genau verortet.

Weder wird im Jubiläenbuch von der Gefährdung Saras in Gerar nach Gen 20 berichtet, noch von der Gefährdung Rebekkas gemäß Gen 26.

3.2. Genesisapokryphon

Die Preisgabeerzählung im → Genesisapokryphon, die leider nicht komplett erhalten ist, weist eklatante Unterschiede zur Genesis auf. Hier sind zunächst textliche Erweiterungen zu nennen: Zunächst träumt Abraham von einer Zeder und einer Dattelpalme, die gemeinsam nur eine Wurzel haben. Als die Zeder abgeschlagen werden soll, greift die Dattelpalme rettend ein. Abraham deutet dies so, dass Sara ihn retten könnte, wenn sie vorgibt, seine Schwester zu sein. Durch den Traum und seine Deutung wird Abrahams Handeln legitimiert, und er selbst moralisch entlastet. Die Rolle der Erzmutter wird im Genesisapokryphon deutlich aufgewertet, indem betont wird, dass Abraham ihr sein Leben verdankt.

Eine weitere Ergänzung gegenüber der Genesis ist ein ausführliches Lob auf die Schönheit Saras, mit dem die knappe Bemerkung aus Gen 12,11.14f entfaltet wird.

Der Charakter der Erzählung ist emotionaler, und Gott kommt in dem Geschehen eine größere Rolle zu als in Gen 12 (vgl. bereits Gen 20), denn es wird von einem Gebet Abrahams berichtet, in dem er Gott als den höchsten Herrscher preist und ihn um Hilfe für Sara bittet, während in Gen 12,17 das göttliche Eingreifen nicht näher begründet wird. Der Bitte Abrahams wird in Form eines „Plagegeistes“ entsprochen, der den Pharao selbst und alle Männer seines Hauses mit Impotenz schlägt. Somit bleibt die Reinheit der Ahnfrau gewährleistet (vgl. Gen 20,4; Pseudo-Eupolemos, s.u.). Nachdem alle Mediziner und Weisen Ägyptens an der Heilung scheitern, lässt der Pharao Abraham rufen, damit dieser für ihn Fürbitte leiste (vgl. Gen 20,7.17). Im Gegensatz zum biblischen Bericht wird hier Lot erwähnt, durch den die Wahrheit ans Licht kommt. Der Pharao sieht daraufhin seinen Fehler ein und macht Abraham Vorwürfe wegen der Lüge. Abraham betet für den Pharao und dessen Haus, so dass die Plage verschwindet. Der Pharao entlässt sie, nicht ohne Sara vorher reich zu beschenken. Hier wird also nicht wie in Gen 20 Abraham stellvertretend entschädigt, sondern Sara selbst.

Insgesamt wird deutlich, dass in dieser Variante der Ahnfrau-Erzählung Details aus Gen 12 und 20 vermischt werden, der Verfasser also offensichtlich beide Varianten vor Augen hatte (so auch Fischer, 248; Oßwald, 23). Man kann vermuten, dass er die Doppelung vermeiden und beide Erzählungen als eine Episode verstanden wissen wollte.

3.3. Pseudo-Eupolemos

Im Werk dieses Schriftstellers, das uns in einem Zitat Alexander Polyhistors bei → Euseb überliefert ist (Praeparatio evangelica IX, 17,2-9; Text Kirchenväter 3), wird auf die Preisgabeerzählung von Gen 12 knapp Bezug genommen. Anders als in der Genesis gelangt Abraham erst nach einer kriegerischen Auseinandersetzung (vgl. Gen 14) nach Ägypten – allerdings wie in Gen 12 veranlasst durch eine Hungersnot. Ausdrücklich wird betont, dass der Pharao keinen Beischlaf mit Sara vollziehen konnte (vgl. Genesisapokryphon; Josephus, Antiquitates und ansatzweise bereits Gen 20,4). Die Wahrheit wird hier durch die Wahrsager des Pharao aufgedeckt, woraufhin dieser dem Abraham seine Frau zurückgibt. Mit der Erwähnung der Wahrsager bietet Pseudo-Eupolemos neben dem Erwischen „in flagranti“ von Gen 26,8, der Erkenntnis als Folge der Plagen in Gen 12,17f, der Traumoffenbarung von Gen 20,3 und der Vermittlung durch Lot im Genesisapokryphon eine fünfte Erklärungsvariante, wie die Wahrheit ans Licht kommt.

3.4. Philos „De Abrahamo“

In der Preisgabeerzählung bei → Philo (§ 89-106; Text Philo) wird Abraham ebenfalls durchweg positiv gezeichnet, während der Pharao sehr schlecht wegkommt und als zügelloser Lüstling dargestellt wird. Von Sara wird ihre herausragende Schönheit sowie ihr tadelloser, gottesfürchtiger Charakter betont. Die Bewahrung der Ehe der Erzeltern wird bei Philo als göttliches Gegengeschenk für den Gehorsam Abrahams gedeutet.

3.5. Josephus

In den Antiquitates nimmt → Josephus auf die Preisgabeerzählungen von Gen 12 (Antiquitates 1,161-165) und 20 (Antiquitates 1,207-212) Bezug, während die Gefährdung Rebekkas unerwähnt bleibt (vgl. aber Antiquitates 1,259f; Text gr. und lat. Autoren).

Auch bei Josephus findet sich die bereits in anderen Schriften beobachtete Tendenz, Abraham in der Preisgabeerzählung moralisch zu entlasten. Dies wird zum einen dadurch erreicht, dass Sara als Nichte Abrahams eingeführt wird (Antiquitates 1,151.154), was Abrahams Notlüge abschwächt. Zum anderen verweist Josephus in der ersten Preisgabeerzählung explizit auf den bekannten „Hang der Ägypter zu Ausschweifungen“ (Antiquitates 1,162), durch den sich Abraham schließlich veranlasst sieht, sich als Saras Bruder auszugeben. Die Befürchtungen Abrahams bewahrheiten sich, als sich der Ruf von Saras Schönheit im ganzen Land verbreitet (vgl. Genesisapokryphon). Auch in der Darstellung des Josephus verhindert Gott den Beischlaf des Pharaos mit Sara, und als der Pharao die Wahrheit erfährt, entschuldigt er sich bei Abraham und entschädigt ihn mit reichen Geschenken (vgl. Gen 20). Ausgehend von dieser Begegnung Abrahams mit dem Pharao schmückt Josephus den Ägyptenaufenthalt Abrahams deutlich aus, indem er zu berichten weiß, dass der Pharao Abraham den Kontakt mit der Bildungselite Ägyptens ermöglicht, und Abraham als Lehrer und Kulturbringer Ägyptens darstellt.

Die zweite Preisgabeerzählung bei Josephus bezieht sich explizit auf die erste zurück, und auch hier verhindert Gott den Beischlaf mit Sara, indem er Abimelech mit einer Krankheit schlägt. Statt des nachholenden Stils von Gen 20 findet sich die Erzählung hier von vorneherein in chronologisch korrekter Abfolge. Ebenfalls anders als in der Genesis erfolgt nach der Auflösung der Verwicklungen sofort der Bundesschluss zwischen Abraham und Abimelech in → Beerscheba (vgl. Gen 21,22ff).

3.6. Jüdische Kommentarliteratur

In der rabbinischen Literatur gilt die Gefährdung der Ahnfrau als eine der zehn Prüfungen Abrahams (vgl. Oberhänsli-Widmer, 277ff). Im Midrasch Bereschit Rabba werden alle drei biblischen Versionen der Preisgabeerzählung in unterschiedlicher Ausführlichkeit kommentiert (vgl. Fischer, 249ff). Wenn auch kritische Töne nicht gänzlich fehlen (vgl. Oberhänsli-Widmer, 285), so wird generell in der jüdischen Kommentarliteratur doch die Tendenz noch weiter fortgeführt, Abraham zu entlasten, indem zum Beispiel erzählt wird, dass er versucht habe, die Schönheit Saras vor den Ägyptern zu verbergen und sie in einer Kiste über die Grenze zu schmuggeln (vgl. z.B. Bereschit Rabba 40,4f; Midrasch Tanchuma B, Lekh-Lekha [„Zieh aus!“] §4).

Literaturverzeichnis

  • Blum, E., 1984, Die Komposition der Vätergeschichte (WMANT 57), Neukirchen-Vluyn
  • Fischer, I., 1994, Die Erzeltern Israels. Feministisch-theologische Studien zu Genesis 12-36 (BZAW 222), Berlin / New York
  • Gese, H., 1991, Die Komposition der Abrahamserzählung, in: ders., Alttestamentliche Studien, Tübingen, 29-51
  • Graupner, A., 2002, Der Elohist. Gegenwart und Wirksamkeit des transzendenten Gottes in der Geschichte (WMANT 97), Neukirchen-Vluyn
  • Gunkel, H., 1977, Genesis (HKAT I/1), Göttingen, 9. Aufl.
  • Holzinger, H., 1898, Genesis (KHC 1), Tübingen
  • Kilian, R., 1966, Die vorpriesterlichen Abrahamsüberlieferungen, literarkritisch und traditionsgeschichtlich untersucht (BBB 24), Bonn
  • Köckert, M., 2006, Abraham: Ahnvater, Fremdling, Weiser. Lesarten der Bibel in Gen 12, Gen 20 und Qumran, in: S. Martus / A. Polaschegg (Hgg.), Das Buch der Bücher – gelesen. Lesarten der Bibel in den Wissenschaften und Künsten (Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik N.F.13), Bern, 139-169
  • Levin, Chr., 1993, Der Jahwist (FRLANT 157), Göttingen
  • Noth, M., 1948, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, Stuttgart (unveränderter Nachdruck, Darmstadt 3. Aufl. 1966)
  • Oberhänsli-Widmer, G., 1998, Biblische Figuren in der rabbinischen Literatur. Gleichnisse und Bilder zu Adam, Noah und Abraham im Midrasch Bereschit-Rabba, Judaica et Christiana 17, Bern u.a.
  • Oßwald, E., 1960, Beobachtungen zur Erzählung von Abrahams Aufenthalt in Ägypten im „Genesis-Apokryphon“, ZAW 72, 7-25
  • Rad, G.v., 1976, Das erste Buch Mose. Genesis (ATD 2/4), Göttingen, 10. Aufl.
  • Schmid, K., 1999, Erzväter und Exodus. Untersuchungen zur doppelten Begründung der Ursprünge Israels innerhalb der Geschichtsbücher des Alten Testaments (WMANT 81), Neukirchen-Vluyn
  • Seters, J. van, 1975, Abraham in History and Tradition, New Haven / London
  • Weimar, P., 1977, Untersuchungen zur Redaktionsgeschichte des Pentateuch, Berlin
  • Wellhausen, J., 2001, Prolegomena zur Geschichte Israels. Mit einem Stellenregister, Berlin / New York (Nachdr. der 6. Ausg. von 1927)
  • Westermann, C., 1981, Genesis. 2. Teilband: Genesis 12-36 (BK I/2), Neukirchen-Vluyn
  • Zimmerli, W., 1976, 1. Mose 12-25: Abraham (ZBK.AT 1.2), Zürich

Abbildungsverzeichnis

  • Abraham und Sara bei Abimelech (Wandteppich Freiburger Münster; 17. Jh.).
  • Abimelech beobachtet Isaak und Rebeka (Raffael; Fresco im Vatikan; 1518-19).

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