Paradies (NT)
(erstellt: Juli 2019)
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1. Begriff
Das griechische Wort παράδεισος (paradeisos → Paradies AT
In der frühen Zeit des Perserreiches (ab ca. 550 v. Chr.) hat dieser Begriff ein breites Bedeutungsspektrum und kann Lagerort, Weingarten, Obstgarten, Stall, Forst oder Baumschule meinen. Sein wichtigstes Charakteristikum stellt dabei eine Einzäunung oder Umgrenzung dar.
Im 4. Jh. v. Chr. fand der iranische Begriff mit Xenophon in der griechischen Welt als παράδεισος (paradeisos) Eingang. In dieser Zeit zeichnen sich zwei Haupttypen an Paradiesen ab: Zum einen Gärten mit primär Obstbäumen, Nutz- und Zierpflanzen, zum anderen Baumparks mit Kiefern und verschiedenen Laubbäumen, in denen manchmal auch Wild beheimatet ist. Durchwegs werden Quellen, Flüsse oder Bäche erwähnt. Anscheinend handelt es sich oftmals um Parks oder Gärten, die der Entspannung und dem ästhetischen Genuss dienen, aber auch der Jagd, um sich für Kriege in Form zu halten (vgl. Bremmer, Birth, 45).
Diese παράδεισοι (paradeisoi) waren im Besitz der höchsten Aristokratie und jede Provinz besaß mindestens ein offizielles Paradies. Demnach hatten die (königlichen) Paradiese häufig auch eine deutlich politische Bedeutung, denn sie waren „Symbole des Herrschertums und der persischen Weltmacht“ (Hultgård, Paradies, 6). Auch eine religiöse Dimension persischer Paradiese ist den Textbelegen zu entnehmen, insofern sie wohl Orte ritueller Zeremonien der persischen Könige, die als von Gott gegeben geglaubt werden, darstellen. Außerdem gibt es Schilderungen vom Grab des Kyros, dicht umgeben von Bäumen, in einem παράδεισος (paradeisos), das mit religiösen Ritualen, z.B. Speisen und Opfern, in Zusammenhang gebracht wird (vgl. Hultgård, Paradies, 9).
Im Laufe der Zeit wurde der griechisch-römische παράδεισος (paradeisos) immer stärker kultiviert, z.B. mit künstlich angelegten Blumenbeeten versehen und von Schwänen, Papageien und Pfauen statt von wilden Tieren bewohnt (vgl. Longus, Achilles Tacitus 2. Jh. v. Chr.).
In der → Septuaginta
2. Vorkommen im NT
Ähnlich wie im Alten Testament, wo der Begriff „Paradies“ → (Paradies AT
Dort wird der Begriff παράδεισος paradeisos „Paradies“ nur an drei Stellen explizit erwähnt, nämlich in Lk 23,43
Möglicherweise ist darüber hinaus in weiteren Texten, wie etwa in Apk 21,1-22,5
3. Paradiesvorstellung in den einzelnen Texten
3.1. Paradies in Lk 23,43
Eine prominente Aussage über das Paradies findet sich in der lukanischen Darstellung der Kreuzigungsszene. Nach der Notiz, dass zusammen mit Jesus auch zwei Verbrecher zur Hinrichtung geführt wurden (Lk 23,32-33
Trotz der Kürze dieser Aussage über das Paradies kommt ihr besonderes Gewicht zu, wofür folgende Beobachtungen sprechen: Zum einen ist die Rede vom Paradies eingebettet in die letzten Augenblicke und in die letzten Worte Jesu vor seinem Tod am Kreuz (Lk 23,26-43
Interessant im Hinblick auf die hier zugrundeliegende Paradiesvorstellung ist die Darstellung des zweiten Verbrechers. Dieser wirft in der negierten rhetorischen Frage von Lk 23,40
Insofern der zweite Verbrecher als frommer Beter, der von der Auferweckung Jesu und seiner himmlischen Herrschaft durch Gott überzeugt ist, dargestellt wird und genau diesem die Anwesenheit im Paradies zugesagt wird, erscheint das Paradies als Ort für ‚Fromme’ bzw. ‚Gerechte’, die sich zu Jesus bekennen. Auch die kurze Zusage Jesu in Lk 23,43
Demnach wird das Paradies hier als ein postmortaler Heilsort, unmittelbar nach dem Tod, für Gerechte bzw. Fromme vorgestellt, an dem auf jeden Fall Jesus, evtl. auch Gott selbst anwesend ist. Diese Andeutungen lassen die hier implizierte Paradiesvorstellung in Texte jüdischer Apokalyptik einordnen, wo ‚Paradies’ semantisch der Herrschaft Gottes oder dem eschatologischen Fest gleichgestellt wird oder aber den schönen Aufenthaltsort der gerechten Verstorbenen meint, die auf die letzte Auferstehung warten (vgl. TestAbr A. 11,10; 1Hen 32,3; 1Hen 60,8.23; ApkMos 37,5; 2Hen 8,1-8; 2Hen 42,3). In eine ähnliche Richtung führen auch 2Kor 12,4
3.2. Paradies in 2Kor 12,1-4
Im zweiten Hauptteil des ‚Tränenbriefes‘ (2Kor 11,1-12,18
Insgesamt kann 2Kor 12,2-4
Ähnlich wie in Lk 23,43
Insgesamt wird in 2Kor 12,1-4
3.3. Paradies in Apk 2,7
Der dritte Text, in dem der Begriff Paradies im Neuen Testament explizit genannt wird, ist das Sendschreiben an die Gemeinde von Ephesus (Apk 2,1-7
Nach der Konstatierung, dass die Gemeinden unter dem Schutz des himmlischen Christus stehen (Apk 2,1
Das Paradies wird hier also ausdrücklich als „Paradies Gottes“ (παράδεισος τοῦ θεοῦ; paradeisos tōū theōū) bezeichnet, d.h. mit der Anwesenheit Gottes verknüpft. Als weiteres Detail über das Paradies wird der Baum des Lebens (τό ξύλον τῆς ζωῆς; to xylon tēs zōēs) genannt, von dem gegessen werden darf.
Deutlich ist hier ein Verweis auf Gen 2,9
Vor diesem Hintergrund verheißt Apk 2,7
Exkurs: Baum des Lebens
In den übrigen neutestamentlichen Schriften ist der Baum des Lebens nicht belegt. Im Alten Testament findet er sich neben Gen 2,9
Die Erwähnung in 4Esra 7,53 ist Apk 2,7
Insgesamt ist hier deutlich, dass sich endzeitliches Heil bzw. Unheil von der Gegenwart her bestimmt, da Drohung und Verheißung im Sendschreiben an die Gemeinde von Ephesus unmittelbar nebeneinanderstehen und die Entscheidung für Christus endzeitlich belohnt wird. So wird das Paradies in Apk 2,7
3.4. Paradies in Apk 21-22
Die in Apk 2,7
Die Schilderung des Inneren der Stadt und des Lebens in ihr (Apk 21,22-22,5
Auch der Baum des Lebens (τό ξύλον τῆς ζωῆς; to xylon tēs zōēs) in Apk 22,2
Insgesamt wird also deutlich, dass in Apk 21-22
4. Paradies als eschatologisches Hoffnungsgut
Den wenigen und kurzen Erwähnungen des Paradieses im Neuen Testament ist gemeinsam, dass sie die Vorstellung vom Paradies als ein eschatologisches Hoffnungsgut für Gerechte bzw. Christustreue implizieren. Damit unterscheiden sie sich zwar von alttestamentlichen Paradiesvorstellungen, die das Paradies in Rezeption von Gen 2-3
Obwohl die Vorstellung vom Paradies im Neuen Testament nur sehr selten und vage vermittelt wird, wird sie in frühchristlicher Literatur immer wieder rezipiert, wie z.B. in der Petrusapokalypse oder in frühen Märtyrertexten wie der Passio Perpetuae et Felicitatis.
Neben dem „Paradies“ finden sich „der oder die Himmel“ oder der „Schoß Abrahams“ als weitere Chiffren für das vorläufige Jenseits für Gerechte (vgl. Merkt, Schweigen, 36-43). Auch diese bringen eschatologische Hoffnungen zum Ausdruck, allerdings mit einer anderen Motivwelt als der Rede vom „Paradies“.
Literaturverzeichnis
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