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(erstellt: Januar 2009)

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Para aduma (פָּרָה אֲדֻמָּה pārāh ’ǎdummāh „rote Kuh“) dient der Herstellung von Reinigungswasser, welches zur rituellen Reinigung von Totenunreinheit (→ Reinheit / Unreinheit / Reinigung) bei Menschen oder Gegenständen angewendet wird (Num 19,1-22; → Rind). „Para“ bezeichnet auch einen Mischna- und Toseftatraktat (→ Mischna; → Tosefta).

1. Das Ritual nach Num 19,1-22

Nach Num 19 wird während der → Wüstenwanderung der Israeliten eine fehlerfreie rote Kuh (keine Färse), auf der kein Joch gelegen hat, außerhalb des Lagers vor dem Priester → Eleazar (der später seinem Vater → Aaron als Hohepriester folgt) rituell geschlachtet und das Blut sieben Mal gegen die → Bundeslade gesprengt (Num 19,2). Die Verbrennung erfolgt unter Beigabe von → Zedernholz, → Ysop und scharlachroter Wolle (Karmesin) durch den Priester (Num 19,6). Danach erfolgt die Sammlung und Vermischung der Asche mit lebendigem Wasser (מַיִם חַיִּים majim chajjîm Num 19,17) zu Reinigungswasser. Das Reinigungswasser (מֵי נִדָּה mê niddāh Mischung aus Wasser und Asche) wird außerhalb des Lagers auf durch Totenunreinheit kontaminierte Personen und Gegenstände am dritten und am siebenten Tag einer siebentätigen Zeitspanne gesprengt (Num 19,19).

Das Ritual ähnelt in zahlreichen Anweisungen verschiedenen Bestimmungen zur Opferdarbringung, was bereits die Bezeichnung als Chattat (חַטָּאת chaṭṭā’t Num 19,9) nahelegt: (1) Das Verbot der untauglichen Opfer (vgl. Lev 22,22; Lev 1,3.10; Lev 3,1.6; Lev 4,3); (2) die Bestimmung der Verbrennung außerhalb des Lagers (wie der Bock für Asasel [→ Sündenbock] in Lev 16,10; die Färse, der das Genick gebrochen wird in Dtn 21,4 oder die Vögel des Aussätzigen in Lev 14) und (3) die Zugaben von Zedernholz, Ysop und scharlachroter Wolle (Lev 14,4; vgl. auch Ps 51,9). Trotzdem nimmt das Ritual der Verbrennung der roten Kuh zur Herstellung von Reinigungsasche eine Sonderstellung ein. Zudem ist mit Einflüssen kultisch-religiöser Opferbräuche nicht-israelitischer Kulturen zu rechnen. Num 19,1-22 teilt sich in drei Abschnitte, welche jeweils durch Einleitungsformeln eingeleitet werden (Num 19,1-10a; Num 19,10b-13; Num 14-22; siehe Wefing).

2. Rein und Unrein

In den Zustand von Totenunreinheit wird eine Person oder ein Gegenstand durch Berührung einer Leiche, eines Grabes, eines menschlichen Knochens oder durch Aufenthalt im Zelt eines Toten versetzt (Num 19,14-16). Die Besprengung mit Reinigungswasser dient der Rückführung in den Zustand der rituellen Reinheit.

Der Umgang mit der Kuh, das Einwerfen der Substanzen in das Feuer, das Verbrennen, das Aschesammeln (Num 19,7-8), das Sprengen und die Berührung des Wassers verunreinigen Personen bis zum Abend (Num 19,21-22). Durch die Berührung mit Reinigungswasser wird auch der von Totenunreinheit kontaminierte selbst bis zum Abend leicht verunreinigt (ähnlich die Bestimmungen für → Aaron im Umgang mit den Opfertieren am Versöhnungstag, Lev 16,4.24). Das Waschen der Kleider und des Körpers ist deshalb vorgeschrieben. Die Verunreinigung durch das Reinigungsmittel (die Asche der roten Kuh) liegt in der biblischen Konzeption von Rein und Unrein begründet: Der ausgewogene rituelle Idealzustand des Menschen wird durch die Berührung mit dem Reinigungswasser „verschoben“, was eine leichte Unreinheit zur Folge hat.

3. Nachbiblische Tradition

Das Ritual der roten Kuh wird in zahlreichen halachischen (religionsgesetzlichen) und aggadischen (nicht gesetzlichen, → Aggada) Ausführungen thematisiert. Liturgische Bedeutung hat Num 19,1-22 (Beginn von Paraschat Chuqqat) im Synagogengottesdienst am Schabbat Para.

3.1. Para aduma in Talmud und Midrasch

Das Verfahren wird von den Rabbinen in tannaitischer Zeit (→ Mischna) im Mischna- und Toseftatraktat Para ausführlich kommentiert. Dennoch befassen sich allein im babylonischen → Talmud etwa 80 Textstellen mit dem Thema, welche wie die aggadischen Midraschim (Pl. → Midrasch; Numeri Rabba 19; Pesiqta de-Rav Kahana 4; Pesiqta Rabbati 14; Tanchuma Chuqqat; Tanchuma Buber Chuqqat) verschiedene Aspekte der Thematik beleuchten. Die Tannaiten wenden sich primär einer religionsgesetzlichen Erschließung des Rituals zu (Rahmenbedingungen, Ablauf der verschiedenen Arbeitsschritte, Handhabung und Aufbewahrung der Asche), welche weit über die biblischen Bestimmungen hinausgehen und von diesen in Detailfragen abweichen können. Auch wird von Kontroversen zwischen Pharisäern und Sadduzäern über das Verfahren der Herstellung der Asche berichtet (Mischna, Traktat Para 3,8; Tosefta, Traktat Para 3,8). In amoräischer Zeit (3.-5. Jh. n. Chr.) steht die rationale Begründung des Rituals im Vordergrund. Dabei dienen die Bestimmungen der roten Kuh als Paradebeispiel für Gesetze, die nicht rational begründbar sind (Chuqqim).

Nach traditioneller Auffassung sind Chuqqim jene Satzungen, die nicht mit dem menschlichen Verstand hinterfragt oder erklärt werden können (und sollen). Das klassische Beispiel eines Choq ist die Veränderung des Status ritueller Rein- bzw. Unreinheit eines Menschen innerhalb der Anweisung zur Herstellung der Asche der roten Kuh, das Verbot, Mischgewebe zu tragen (→ Scha’atnes; Lev 19,19; nach Dtn 22,11: Wolle und Leinen) oder der Bock für Asasel (→ Sündenbock). Der entscheidende Aspekt bei einem Choq ist seine Unveränderlichkeit: ein Choq ist eine Anordnung, die sich nicht ändert, unabhängig davon, wie der Mensch sich zu ihr verhält (vgl. auch das Neuhebräische, das den Begriff „Naturgesetze“ mit chuqqê ha-teva ausdrückt). Daher werden eine Reihe weiterer Anordnungen in der Tora Chuqqim / Chuqqot genannt, auf die die eingangs genannten Charakteristika nicht zutreffen. In Num 19 wird daher nicht die Herstellung der Asche und des Reinigungswassers als Choq bezeichnet (es ist eine Tora!), sondern die Bestimmung, dass man sich an einem Toten rituell verunreinigt. Diese Bestimmung besteht bis heute unveränderlich fort.

Weitere Motive in den amoräischen Quellen sind die Auseinandersetzung mit Nichtjuden (der Vorwurf des Götzendienstes an die Juden entzündet sich an den „nichtrationalen“ Bestimmungen der roten Kuh) und die Weisheit (die Schwierigkeit, die Bestimmungen der roten Kuh zu deuten).

Nach den Rabbinen wurden nach Ezra nur sieben rote Kühe verbrannt (Mischna, Traktat Para 3,5; die Zahl sieben ist traditionell). Einer anderen Überlieferung zu Folge wurde die Reinigungsasche in das babylonische Exil mitgenommen und dann wieder nach Israel zurückgeführt (Tosefta, Traktat, Para 3,5). Nach der Tempelzerstörung ist das Ritual praktisch nicht mehr durchführbar gewesen, wenngleich nicht notwendigerweise von einem sofortigen Ende des Verfahrens nach 70 n. Chr. ausgegangen werden kann (in Mischna, Traktat Para 7,6; Tosefta, Traktat Para 7,4 wird sich mit einer Frage zum Verfahren an den Gerichtshof in → Jabne gewendet).

3.2. Außerrabbinische Traditionen

Flavius Josephus erwähnt das Ritual, ohne dabei den Hinweis auf die Verunreinigung durch die Asche zu erwähnen (offensichtlich mit Rücksicht auf das Unverständnis seiner nichtjüdischen Leserschaft; Antiquitates Judaicae 4,78-82). Er verbindet das Thema der roten Kuh mit der Trauerperiode des Volkes Israel um → Mirjam (Num 20,1). Auch → Philo von Alexandria berichtet von der Zeremonie und deutet diese als Mittel zur Erlangung der rechten Gesinnung gegenüber Gott (De Specialibus Legibus 1,262-272; Text Frühjüdische Schriften). In → Qumran sind verschiedene Texte zur roten Kuh überliefert, einige Hinweise deuten auf eine Anwendung des Rituals (Browman).

3.3. Schabbat Para

Der Schabbat Para (שַׁבַּת פָּרָה šabbat pārāh „Schabbat der roten Kuh“, → Sabbat) bezeichnet einen der vier ausgezeichneten Schabbatot (Sg. Schabbat / Sabbat) im liturgischen Jahreszyklus. Es ist der Schabbat nach Purim und er soll bereits auf das Pesachfest vorbereiten. Am Schabbat Para werden in der Synagoge als Toralesung Num 19,1-22 und als Haftara Ez 36,16-38 gelesen sowie besondere Pijjutim (religiöse Dichtungen) gebetet. Im Sinne des Rituals wird damit an die Reinigung zu Tempelzeiten erinnert.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff

2. Weitere Literatur

  • Baumgarten, A.I., 1993, The Paradox of the Red Heifer, VT 43, 442-451
  • Baumgarten, J.M., 1995, The Red Cow Purification Rites in Qumran Texts, JJS 46/1-2, 112-119
  • Baumgarten, J.M., 2000, The Use of מי נדה for General Purification, in: L.H. Schiffman / E. Tov / J.C. VanderKam (Hgg.), The Dead Sea Scrolls. Fifty Years after their Discovery (Proceedings of the Jerusalem Congress, July 20-25, 1997), Jerusalem, 481-485
  • Blau, J.L., 1967, The Red Heifer: A Biblical Purification Rite in Rabbinic Literature, Numen 14, 70-80
  • Browman, J., 1958, Did the Qumran Sect Burn the Red Heifer?, RdQ 1, 73-84
  • Frick, F.S., 2002, Ritual and Social Regulation in ancient Israel: The Importance of the Social Context for Ritual Studies and a case study-The Ritual of the Red Heifer, in: D.M. Gunn / P.M. McNutt (Hgg.), ‘Imagining’ Biblical Worlds. Studies in Spatial, Social and Historical Constructs (FS J.W. Flanagan; JSOT.S 359), Sheffield, 219-232
  • Jaschke, A., 2004, Die Asche der Roten Kuh – eine rabbinische Homilie zu Parashat Para (PesR 14), FJB31, 21-62
  • Malino, J.R., 1995, The Ashes of the Red Heifer: Religious Ceremonies and Obedience to Torah, in: F.C. Holmgren / H.E. Schaalman (Hgg.), Preaching Biblical Texts. Expositions by Jewish and Christian Scholars, Grand Rapids, 144-148
  • Milgrom, J., 1976, Israel’s Sanctuary: The priestly „Picture of Dorian Gay“, RB 83, 390-399
  • Milgrom, J., 1981, The Paradox of the Red Cow (Num. XIX), VT 31/1, 62-72
  • Milgrom, J., 1990, The JPS Torah Commentary, Numbers, Philadelphia / New York, 157-163
  • Neusner, J., The Theology of the Halakhah, Leiden / Boston / Köln, 302-308
  • Wefing, S., 1981, Beobachtungen zum Ritual mit der roten Kuh (Num 19,1-10a), ZAW 93/3, 341-364

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