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(erstellt: Juni 2006)

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1. Name, Herkunft und Kultzentren

Osiris Abb 1 b570

Der Name des ägyptischen Gottes Osiris, der stets in Mumiengestalt abgebildet wird, ist trotz intensiver etymologischer Bemühungen nicht sicher geklärt. Es existieren zahlreiche Vorschläge, z.B. „Sitz-des-Auges“ (inzwischen wieder angezweifelt) oder auch „der Starke“ (Griffiths); eine neuere Deutung möchte die Namen des Osiris und der Isis als Ableitungen von Rollenträgern in einem königlichen Auferstehungsritual auffassen (Altenmüller).

Hauptkultort ist → Abydos in Oberägypten, wo Osiris den Namen des ursprünglichen Ortsgottes Chontamenti (Erster-der-Westlichen) schon früh an sich zog (etwa 6. Dyn.). Unter der hiesigen Grabstätte des frühzeitlichen Königs Djer vermutete man offenbar das legendäre Begräbnis des Osiris, das wohl auch in dem sog. Osireion, einem Anbau des Totentempels Sethos’ I. in Abydos (Neues Reich), verehrt wurde. Für die Spätzeit ist das berühmte Abaton (Insel Bigge) bei Philä als Osirisgrab ausgewiesen. Damals wurden allen großen Göttertempeln Osiriskapellen angegliedert, da man in jedem der ägyptischen Gaue einem spezifischen Körperteil des Osiris die zugehörige Bestattung zuwies.

Nach den schriftlichen Quellen ist seit dem Alten Reich der zweite große Kultort das unterägyptische Busiris, wo gleichfalls Osirisfeierlichkeiten stattfanden.

2. Mythos und Legende

Osiris Abb 2

Der Gott Osiris erscheint mit seinem Sohn Horus und seiner Gemahlin Isis als Triadenbildung in der ägyptischen Götterwelt. Der Überlieferung nach wurde Osiris als König in mythischer Zeit von seinem bösen Bruder Seth ermordet und zerstückelt, um dann – von seiner Gemahlin → Isis wieder zusammengesammelt und bestattet – mit ihr posthum den Thronfolger → Horus zu zeugen. Dieser grundlegende Mythos wurde zur Vorlage für das Konzept des aus dem Tode neu erstehenden Lebens: für das königliche Herrschaftsmodell ebenso wie für die alljährlich nach der Nilflut wieder aufkeimende Vegetation. Bereits zur Zeit des Alten Reiches werden in den Pyramidentexten verstreute Hinweise auf den Osiris-Mythos gegeben. → Sargtexte, Sprüche des → Totenbuchs und Klagegesänge geben weitere Anspielungen; der wichtige Osiris-Hymnus Louvre C286 aus dem Neuen Reich bringt die meisten Informationen in einem zusammenhängenden Text. Eine fortlaufende narrative Schilderung erscheint erst Anfang des 2. Jh. n. Chr. durch den antiken Schriftsteller Plutarch (De Iside et Osiride).

3. Entwicklungsstadien der Verehrung

Nach dem Zeugnis der Pyramidentexte verbindet sich nur der verstorbene Pharao mit dem Königs- und Totengott in seiner nachtodlichen Existenz (Altes Reich ab Ende der 5. Dyn.). Dagegen erschließt sich die Vorstellungswelt der nichtköniglichen Ägypter ganz wesentlich durch kurze Inschriften der privaten Grabanlagen: in den sog. Opferformeln wird Osiris seit Mitte der 5. Dyn. erstmals als eigene Gottheit angerufen, die die Versorgung des Toten sicherstellt. Zum Mittleren Reich hin wird das Geschehen um Horus und Osiris zum Präzedenzfall für das Weiterleben aller Verstorbenen. Die sog. Osirismysterien dieser Zeit in Abydos erleben eine Blütezeit, indem die Ägypter nun ihre Hoffnung auf eine jenseitige Fortexistenz mit dem Schicksal dieses Gottes verknüpfen und ihm zu Ehren alljährliche Festspiele abhalten (Stele des Icher-nofret). Osiris, der seinen Rechtsstreit mit dem Mörder Seth mithilfe seines Nachfolgers Horus gewinnen konnte, ist der Herr des allgemeinen Totengerichtes. Dessen positives Urteil trachtet jeder Verstorbene bei der „Herzwägung“ zu erlangen, um nicht den „zweiten Tod“ zu erleiden.

Im Neuen Reich wird Osiris ganz in das vorherrschende Weltkonzept des kosmischen Sonnenlaufes integriert, was in den sog. Unterweltsbüchern seine Darstellung findet: Allnächtlich besucht der Sonnengott auf seiner Fahrt durch das Totenreich den Leichnam des mumifizierten Gottes, um aus dieser Begegnung regenerative Kräfte zu gewinnen. Über die zunehmende Verbindung mit dem Erd- und Nekropolengott Sokar erstarkt andererseits die Verehrung des Osiris als Vegetationsgott: eine Vorstellung, die zur Spätzeit hin eine immer stärkere Betonung erfährt. Das umfassendste Zeugnis für diesen Charakterzug des Osiris ist eine minutiöse Beschreibung der sog. Choiak-Mysterien mit komplizierten Ritualen im ptolemäisch-römischen Dendara-Tempel: es geht um die Herstellung von mumienförmigen Modeln aus Sand, aus denen die neue Saat aufsprießt, nachdem man den Formen Getreidekörner zugesetzt hatte.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992

2. Weitere Literatur

  • Assmann, J., 2. Aufl. 1999, Ägyptische Hymnen und Gebete (OBO.S 1), Freiburg (Schweiz) / Göttingen (Nr. 213; Stele Louvre C286).
  • Altenmüller, H. 1999, Zum Ursprung von Isis und Nephthys (Studien zur altägyptischen Kultur 27), 1-26 (Namensdeutung).
  • Beinlich, H., 1984, Die „Osirisreliquien“ (Ägyptische Abhandlungen 42), Wiesbaden (zum Motiv der Körperzergliederung).
  • Cauville, S., 1988. Les mystères d’Osiris à Dendara, Bulletin de la Société Française d’Égyptologie 112, 23-36 (zur Choiak-Inschrift).
  • Griffiths, J.G., 1980, The Origins of Osiris and his Cult, Leiden
  • Griffiths, J.G., 1982, Art. Osiris, in: Lexikon der Ägyptologie, Bd. IV, Wiesbaden, 623-633
  • Otto, E., 1966, Osiris und Amun. Kult und heilige Stätten, München (gut lesbarer Gesamtüberblick mit Bildteil).
  • Schäfer, H., 1904. Die Mysterien des Osiris in Abydos (Untersuchungen zur Geschichte und Altertumskunde Ägyptens 4), Leipzig (Stele des Icher-nofret).
  • Zeidler, J., 2000, Zur Etymologie des Gottesnamens Osiris (Studien zur altägyptischen Kultur 30), 309-316 (nützliche Übersicht der Vorschläge zur Namensdeutung).

Abbildungsverzeichnis

  • Osiris als Herr des Totengerichts. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Die Schwestern Isis und Nephthys beklagen ihren toten Bruder Osiris (Osiris-Mysterien). Aus: A.F. Mariette, Dendérah. Description générale du Grand Temple de cette ville, 4 vols., 1870-1874, pl. 71

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