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(erstellt: Juni 2011)

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Oded ist der Name zweier Propheten, die ausschließlich in jeweils einem Kapitel der → Chronikbücher erwähnt sind (2Chr 15; 2Chr 28). Da sie in den älteren Paralleltexten der → Königsbücher nicht vorkommen (vgl. zu König → Asa 1Kön 15,8-24 mit 2Chr 14-16 und zu König Ahas 2Kön 16 mit 2Chr 28), handelt es sich bei den Erweiterungen vermutlich um fiktive Ergänzungen, die theologische Anliegen der Chronisten zur Geltung bringen.

1. Name

Die Etymologie des Namens Oded (hebräisch עוֹדֵד ’ôded [auch defektiv geschrieben], griechisch Ωδηδ Ōdēd) ist umstritten. Zwei Hauptrichtungen der Interpretation erscheinen als möglich:

1.1. Oded könnte direkt mit der Wurzel ‛dd in der altaramäischen Inschrift Zakkurs (frühes 8. Jh. v. Chr.) verwandt sein sowie mit derselben Wurzel in ugaritischen Texten. In diesem Fall wäre die meist vorgeschlagene Bedeutung „Prophet“ bzw. „Bote“. Doch da alle Belege dieser Wurzel schwierig zu deuten sind, kann dieser Zusammenhang keineswegs als gesichert gelten (vgl. die ausführliche Diskussion und Zusammenstellung von Sekundärliteratur bei Barstad).

1.2. Zum Anderen könnte „Oded“ eine Bildung der hebräischen Verbalwurzel ‛wd sein (vgl. zur Verwendung dieses Zeitwortes Ps 146,9; Ps 147,6); in diesem Fall bedeutet der Name entweder „Wiederhersteller“ oder er steht gekürzt für „(Gott hat) wiederhergestellt / aufgeholfen“. Diese Deutung gewinnt Wahrscheinlichkeit, wenn man „Asarja, Sohn des Oded“ in 2Chr 15,1 als doppelten Symbolnamen sieht (vgl. zu diesem Vorschlag Johnstone, 64): Asarja bedeutet „Jah (= Kurzform des Gottesnamens) hat geholfen“, was im Gefolge von Asas Gebet um Gottes „Hilfe“ (dasselbe Verbum in 2Chr 14,10) und dessen Erhörung (2Chr 14,11) die Konstruktion von Asarja als Symbolnamen wahrscheinlich macht.

2. Oded zur Zeit des Königs Asa von Juda

Der Name des in 2Chr 15 erwähnten Propheten zur Zeit des Königs Asa von Juda (ca. 911-870 v. Chr., vgl. Finegan, 261) bereitet insofern Probleme, als er im hebräischen Text in 2Chr 15,1 „Asarja, Sohn Odeds“, in 2Chr 15,8 aber „Oded, der Prophet“ genannt wird. Schon älteste Übersetzungen wie die syrische (Peschitta) und einige griechische Handschriften versuchten diese Schwierigkeit zu bereinigen, indem sie an der zweiten Stelle „Asarja“ ergänzten; dies übernehmen einige moderne Übersetzungen wie die Einheitsübersetzung.

Der Prophet richtet eine Botschaft der Bestärkung an König Asa und sein Volk (2Chr 15,2-7) nach deren kriegerischem Erfolg (2Chr 14,9-15). Gott werde im Fall der Treue des Volkes ebenfalls treu bleiben (2Chr 15,2); nach langer Zeit der Gottesferne und Turbulenzen habe sich Gott aufgrund der Bekehrung des Volkes wieder finden lassen (2Chr 15,3-6); nun solle man Mut fassen, denn alle Bemühungen werden belohnt werden (2Chr 15,7). Die Prophetie ermutigt König Asa, den alleinigen Kult für JHWH im ganzen Land durchzusetzen, indem er Götzenstatuen vernichten lässt (2Chr 15,8).

Gegen Ende seiner Regierungszeit jedoch geht Asa in militärischer Bedrängnis einen Pakt mit dem König von → Aram ein, woraufhin der Prophet Hanani ihn tadelt (2Chr 16,7-9). Auf diese Weise nehmen die Prophetengestalten (Asarja, Sohn des) Oded und Hanani antagonistische Rollen in der Biografie des Königs Asa ein. Oded lobt dessen Treue am Zenit seiner Karriere und gibt Aussicht auf stabile Zeiten, während Hanani Asa gegen Ende seines Lebens tadelt und kriegerische Zeiten ankündigt.

3. Oded zur Zeit des Königs Ahas von Juda

Der zweite Prophet namens Oded wird nur einmal in 2Chr 28,9 genannt, doch vermittelt er eine bemerkenswerte Botschaft der Versöhnung. Nachdem König → Ahas von Juda (etwa 742-727 v. Chr.) aufgrund seines sündigen Handelns (2Chr 28,1-4) schwere militärische Niederlagen durch Aram sowie durch Israel erlitten und die Bevölkerung des Nordreichs Israel 200.000 Gefangene aus dem Südreich Juda genommen hat, tritt der Prophet Oded in → Samaria auf (2Chr 28,5-9; vgl. zum sogenannten → syrisch-ephraimitischen Krieg 2Kön 16; Jes 7, sowie zu den historischen Hintergründen Ernst, bes. 224-229; Dubovský). Mit einer eindringlichen Rede richtet sich Oded an seine Landsleute und motiviert sie, die Gefangenen wieder freizulassen (2Chr 28,9-11). Seine Rede wird von vier einflussreichen Männern unterstützt (2Chr 28,12-13) und mit Milde und Großzügigkeit befolgt: Israels Krieger verwandeln sich zu Sanitätern, indem sie die Gefangenen aus Juda mit Kleidung und Nahrung versorgen, ihre Wunden mit Öl verarzten und sie zurück nach → Jericho bringen, wobei Geschwächte auf Eseln transportiert werden (2Chr 28,14-15).

Die Rede Odeds spart nicht mit Vorwürfen gegenüber den siegreichen Landsleuten: Nur aufgrund des göttlichen Zorns gegen Juda hätten sie ihren militärischen Erfolg erzielen können, und ihr grausames Morden schreie zum Himmel (2Chr 28,9); daher seien sie selbst schuldig geworden und müssten den Zorn Gottes fürchten (2Chr 28,10-11). Die Oded-Erzählung kritisiert auf diese Weise Siegesrausch und Beutegier und plädiert für die Versöhnung von in Kriegszwist liegenden Brudervölkern sowie für die Versorgung verwundeter Soldaten. Zugleich mildert sie das sonst oft negative Bild des Nordreiches Israel in den Chronikbüchern.

4. Das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter

Jesu Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,30-36) nimmt mehrere Motive der Erzählung von 2Chr 28 auf (vgl. Kalimi; Spencer): Das Gleichnis transformiert die barmherzige Behandlung von verwundeten Kriegsgefangenen durch Angehörige des Nordreichs Israel zum barmherzigen Handeln eines einzelnen Samaritaners gegenüber einem verwundeten Überfallenen. Die Verwundeten werden jeweils mit Öl verarztet und auf Lasttieren transportiert (2Chr 28,15; Lk 10,34). Beide Erzählungen nehmen Bezug auf Jerusalem und Jericho (2Chr 28,1.10.15; Lk 10,30). Obwohl die beiden Erzählungen zahlreiche Unterschiede aufweisen, dürften die genannten motivlichen Verbindungen darauf hinweisen, dass das Gleichnis vom barmherzigen Samariter bewusst auf die Erzählung von 2Chr 28 anspielt.

5. Das Rote Kreuz

Eine moderne Analogie der Oded-Erzählung von 2Chr 28 lässt sich in der Geschichte Henry Dunants sehen: Die Erfahrung der Schlacht von Solferino am 24. Juni 1859 veranlasste ihn, mit prophetischem Engagement zur Gründung von Organisationen zur Versorgung von Kriegsverwundeten aufzurufen, für die heute in der „Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung“ etwa 97 Millionen Mitglieder aktiv sind.

Literaturverzeichnis

  • Barstad, H.M., 2003, The Prophet Oded and the Zakkur Inscription: A Case of Obscuriore Obscurum?, in: J.C. Exum / H.G.M. Williamson (Hgg.), Reading from Right to Left (FS D.J.A. Clines; JSOT.S 373), Sheffield, 25-37
  • Clem, E., 1992, Art. „Oded“, in: The Anchor Bible Dictionary 5, New York, 8
  • Dubovský, P., 2006, Tiglath-pileser III’s Campaigns in 734-732 B.C.: Historical Background of Isa 7; 2 Kgs 15-16 and 2 Chr 27-28, Biblica 87, 153-170
  • Dunant, H., 1997, Eine Erinnerung an Solferino, Wien (Originaltitel: Un souvenir de Solferino, Genf 1862)
  • Ernst, S., 2006, Ahas, König von Juda. Ein Beitrag zur Literatur und Geschichte des Alten Israel (Arbeiten zu Text und Sprache im Alten Testament 80), St. Ottilien
  • Finegan, J., 2. Aufl. 1998, Handbook of Biblical Chronology, Peabody
  • Japhet, S., 2003, 2 Chronik (HTHK.AT), Freiburg i.Br. (bes. 188-193 und 346-354)
  • Johnstone, W., 1997, 1 and 2 Chronicles. Volume 2: 2 Chronicles 10-36. Guilt and Atonement (JSOT.S 254), Sheffield
  • Kalimi, I., 2009, Robbers on the Road to Jericho. Luke’s Story of the Good Samaritan and Its Origin in Kings/Chronicles. Ephemerides Theologicae Lovanienses 85, 47-53
  • Sauer, G., 1964, Art. „Oded“, in: Biblisch-historisches Handwörterbuch 2, Göttingen, 1328
  • Spencer, F.C., 1984, 2 Chronicles 28:5-15 and the Parable of the Good Samaritan, Westminster Theological Journal 46, 317-349

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