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Andere Schreibweise: Noadiah (engl.)

(erstellt: Juni 2008)

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1. Name, Bedeutung, Belege

Der Name Noadja (נוֹעַדְיָה) begegnet in der Hebräischen Bibel nur in Esr 8,33 und Neh 6,14, und zwar für zwei Personen. Die prominentere ist die im Ich-Bericht → Nehemias erwähnte Prophetin Noadja (Fem.). Esr 8,33 nennt in einer kurzen Aufzählung einen Leviten namens Noadja (Mask.) im Zusammenhang von Stiftungen für den Jerusalemer Tempel.

Der JHWH-haltige Name geht auf das Verb יעד j‘d Nif. „zusammenkommen / sich begegnen / sich treffen lassen“ zurück. In Neh 6,2.10 wird dieses Verb verwendet („lass uns zusammenkommen“), wenn die Gegner Nehemias versuchen, den Statthalter zu einem Treffen zu bewegen. Deswegen stellt der Name Noadja innerhalb der Erzählung eine bemerkenswerte Anspielung dar.

2. Die Prophetin Noadja

Noadja gehört neben → Mirjam, → Debora und → Hulda zu den vier namentlich erwähnten Prophetinnen in der Hebräischen Bibel. Sie wird Neh 6,14 aus einer Gruppe der „übrigen Propheten“ (Mask. Pl.) hervorgehoben, was darauf deutet, dass sie eine führende Rolle innerhalb der Gruppe einnahm. Neh 6,14 besagt nichts Konkretes über die Aktivitäten oder die Botschaft dieser prophetischen Kreise. Der persische Statthalter Nehemia sieht sich aber genötigt, sie in seinem Ich-Bericht zu erwähnen und die Prophetin Noadja im Kontext der Erzählung vom Wiederaufbau der Stadtmauern Jerusalems namentlich hervorzuheben. Allein diese literarische Verarbeitung lässt auf entsprechende Interessenskonflikte in nachexilischer Zeit schließen. Noadja wird hier mit dem Kreis der äußeren Gegner des Mauerbaus, insbesondere → Sanballat, Tobija und Geschem, in Verbindung gebracht. Jene unterstellen in Neh 6,6-7, Nehemia und die Judäer planten einen Aufstand und Nehemia solle von „bestellten“ Propheten zum König ausgerufen werden. Ob Noadja mit diesen Propheten in Beziehung steht, ob sie in ein vermeintliches Komplott eingeweiht ist, bleibt offen. Aber die Formulierung „sie machten mir Angst“ (Neh 6,14) lässt erkennen, dass die prophetischen Kreise um Noadja in Opposition zu Nehemia standen. Mit einer negativ formulierten Gedenkbitte grenzt sich Nehemia von diesen Gegnern deutlich ab.

Carroll (90) stellt mit → Haggai und → Sacharja einerseits und Noadja andererseits „pro-building and anti-building figures“ gegenüber. Die einen unterstützten die herrschenden Konzepte des Wiederaufbaus, die anderen widersetzten sich. Dass mit Noadja eine Frau in Opposition zu Nehemia steht, verbindet Carroll mit der im Rahmen der Mischehenthematik gegen ausländische Frauen gerichteten Ideologie des Esra-Nehemia-Buches. „The breaking up of marriages with foreign women (…) may have caused serious opposition from the women“ (95). Noadja stehe somit – wie frühere Propheten auch – gegen die Konzepte der wohlhabenden und mächtigen Gruppen in Jerusalem. Sie habe wahrscheinlich gegen die Abgrenzung gegenüber den Fremden und die Manifestation solcher Abgrenzung im Bau der Jerusalemer Stadtmauern protestiert. Ähnlich formuliert Staubli mit Blick auf Neh 6,14: „Offenbar treten diese ProphetInnen für eine offene, religiös tolerante Vielvölkerstadt ein“ (293).

Gegen eine solche Deutung spricht, dass Noadja in Neh 6,14 in einem Atemzug mit Tobija und Sanballat genannt wird und damit an der Seite der führenden Kreise Samarias steht, die nach Ausweis von Neh 6,17-19 und Neh 13,28 durch „Mischehen“ und wahrscheinlich auch durch besondere geschäftliche Beziehungen gerade mit den „Vornehmen Judas“ (Neh 6,17) und mit der hohenpriesterlichen Familie am Jerusalemer Tempel verbunden waren. Nehemia wiederum befindet sich nach Neh 5,1-13 in einer Koalition mit den armen und marginalisierten Frauen (Neh 5,1) in Juda. Es ist von daher nicht leicht auszumachen, für welche theologischen Konzepte Nehemia und Noadja jeweils stehen und welche prophetischen Traditionen sich hinter Neh 6,14 tatsächlich verbergen.

Kessler postuliert in seiner Interpretation von Neh 6,14 eine durch Haggai und Sacharja repräsentierte prophetische Tradition, die antipersisch ausgerichtet sei und dem „Traum von politischer Unabhängigkeit“ nachgehe. Dem stellt er die „Linie des Arrangements“ gegenüber, die durch Nehemia und Esra vertreten werde und sich mit der „relative[n] Autonomie in der Provinz Juda“ unter persischer Herrschaft zufriedengebe (68). Er nimmt schließlich an, dass Noadja und die übrigen in Neh 6,14 genannten Propheten genau das verkündigten, was in Neh 6,6f angesprochen wird: „die Unabhängigkeit von den Persern und Nehemia als ihren König.“ (69). Die Interpretation Kesslers übergeht dabei die in Neh 6 gegebene Differenz zwischen den „bestellten“ Propheten in Neh 6,7 und den „gefürchteten“ in Neh 6,14. Sie trägt zudem unkritisch ein bestimmtes Verständnis der theologischen Strömungen im nachexilischen Juda in die Deutung von Neh 6,14 ein.

Nach Willi (85f) weist sich Nehemia mit dem Wiederaufbau Jerusalems und den Reformen im Innern der Provinz gerade als Verbündeter jener prophetischer Kreise aus, die sich für Juda mehr erwarteten als die von den Persern gewährte lokale Autonomie.

Fischer (2002, 265) schließlich erkennt in Noadja eine Prophetin, „die in der Nachfolge jener Frauen gezeichnet wird, die am Eingang des Offenbarungszeltes ihren Dienst tun (Ex 38,8; 1Sam 2,22).“ Inhaltlich stehe sie dem Statthalter und Reformer Nehemia nahe; beide wollten den Wiederaufbau vorantreiben. Auch Ez 13 stamme mit seinen zahlreichen Parallelen zur Mauerbauerzählung Nehemias aus solchen prophetischen Kreisen, die beim Mauerbau mit dem Statthalter kooperierten (2002, 269). Die Gruppe halte zudem an der Verpflichtung auf die Tora (Neh 8-10) fest, beteilige sich auch an ihrer kritischen Interpretation, lehne aber die Ausgrenzungspolitik der Exilsheimkehrer in der Mischehenfrage ab (ähnlich Butting).

Auch diese Deutung kommt nicht ohne zahlreiche Hypothesen aus. Sie kann v.a. nicht erklären, warum in Neh 6,14 diese vermeintlich kooperative Prophetin Noadja gerade als Gegnerin genannt und durch die negativ gewandte Gedenkbitte mit der schärfsten Ablehnung belegt wird, die innerhalb des Ich-Berichts Nehemias literarisch zur Verfügung steht. So bleibt es dabei: „Little can be concluded about Noadiah’s message. All we can determine is her prominence“ (Eskenazi, 41).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Butting, K., 2001, Prophetinnen gefragt. Die Bedeutung der Prophetinnen im Kanon aus Tora und Prophetie, Wittingen
  • Carroll, R.P., 1992, Coopting the prophets. Nehemiah and Noadja, in: E. Ulrich u.a. (Hgg.), Priests, Prophets and Scribes. Essays on the Formation and Heritage of Second Temple Judaism (FS J. Blenkinsopp; JSOT.S 149), Sheffield, 87-99
  • Eskenazi, T.C., 1992, Out From the Shadows. Biblical Women in the Postexilic Era (JSOT 54), Sheffield
  • Fischer, I., 2002, Gotteskünderinnen. Zu einer geschlechterfairen Deutung des Phänomens der Prophetie und der Prophetinnen in der Hebräischen Bibel, Stuttgart
  • Fischer, I., 2003, Die Prophetinnen der Hebräischen Bibel. Neuere Konzepte der Prophetieforschung und ihre Aufnahme durch die Feministische Theologie, in: I. Dingel (Hg.), Feministische Theologie und Gender-Forschung. Bilanz – Perspektiven – Akzente, Leipzig, 23-41
  • Karrer, Chr., 2001, Ringen um die Verfassung Judas. Eine Studie zu den theologisch-politischen Vorstellungen im Esra-Nehemia-Buch (BZAW 308), Berlin / New York
  • Kessler, R., 1996, Mirjam und die Prophetie der Perserzeit, in: U. Bail / R. Jost (Hgg.), Gott an den Rändern. Sozialgeschichtliche Perspektiven auf die Bibel, Gütersloh, 64-72
  • Reinmuth, T., 2002, Der Bericht Nehemias. Zur literarischen Eigenart, traditionsgeschichtlichen Prägung und innerbiblischen Rezeption des Ich-Berichts Nehemias (OBO 183), Freiburg, Schweiz / Göttingen
  • Staubli, T., 1997, Begleiter durch das erste Testament, Düsseldorf
  • Willi, T., 1995, Juda – Jehud – Israel. Studien zum Selbstverständnis des Judentums in persischer Zeit (FAT 12), Tübingen
  • Wright, J.L., 2004, Rebuilding Identity. The Nehemiah-Memoir and Its Earliest Readers (BZAW 348), Berlin / New York

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