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Nephilim

Andere Schreibweise: Nefilim

(erstellt: Februar 2014)

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1. Vorkommen

Die Nephilim (נְפִלִים nəfilîm bzw. נְפִילִים nəfîlîm) sind im Alten Testament lediglich an zwei Stellen belegt: Gen 6,4 und Num 13,33.

In Gen 6,4 tauchen die Nephilim im Zusammenhang mit den sog. „Engelehen“ (Gen 6,1-4) auf:

Die nəfilîm waren auf der Erde in diesen Tagen, und auch danach noch, als die Göttersöhne zu den Menschentöchtern eingingen und ihnen Kinder gebaren. Das sind die gibborîm (הַגִּבֹּרִים „starke Männer / Helden“), von alters her Männer von Namen.

Auch wenn der Textzusammenhang dies nicht klar sagt, werden die Nephilim meistens mit der Nachkommenschaft aus der sexuellen Beziehung zwischen Göttersöhnen und Menschenfrauen und damit mit den gibborîm identifiziert (anders z.B. Schüle, 2006 und Day, 2012).

In Num 13,33 werden die sog. → Anakiter als nəfîlîm bezeichnet, die sich durch ihre besondere körperliche Größe auszeichnen (vgl. auch Dtn 9,2). Vermutlich führte dieser Zusammenhang zur gängigen Interpretation des ungeklärten Terminus als γίγαντες gigantes „Riesen“ (vgl. → Septuaginta und Lutherbibel).

2. Begriff

Während die Auslegungsgeschichte und die meisten Bibelübersetzungen die Nephilim fast einheitlich als → „Riesen“ oder zumindest „große und starke Menschen“ betrachten, bleibt die Herkunft des Begriffes im Dunklen: Wahrscheinlich gibt es einen Zusammenhang zwischen den Nephilim und dem Verb נפל npl „fallen“. Doch in welchen semantischen Kontext ist hier „fallen“ einzuordnen? Die Spekulationen reichen von „(vom Himmel) fallen“ bis hin zu „tot umfallen“ bzw. „im Kampfe fallen“ (vgl. Hendel, 1987).

Während die erste Deutung sich höchstens auf die Wirkungsgeschichte von Gen 6,1-4 im „Buch der Wächter“ (Geschichte vom Engelfall; s. unter 4.) berufen kann, findet sich zur zweiten immerhin eine interessante terminologische Parallele zu Gen 6,4 in Ez 32,27: „Und sie (d.h. Meschech und Tubal) liegen nicht bei Helden (גִּבּוֹרִים gibbôrîm), Gefallene (נֹפְלִים nofǝlîm) unter Unbeschnittenen …“. Im Kontext wird in einem Klagelied das Herabfahren des Pharao in den Scheol (→ Jenseitsvorstellungen) beschrieben (Ez 32). Unter den dort versammelten Völkerschaften finden sich auch → Meschech und → Tubal aus Kleinasien wieder, die jedoch getrennt von den „gefallenen Helden“ aufbewahrt werden (Ez 32,26-28). Hier findet sich wie in Gen 6,4 gibbôrîm mit einer Form von נפל! Es ist also durchaus denkbar, dass es sich bei den Nephilim in Gen 6,4 um Helden der Vorzeit handelt, die inzwischen längst im Kampf „gefallen“ sind (s. auch die Überlegungen unter 3.).

3. Religionsgeschichtlicher Hintergrund

Neben der Etymologie bleibt auch der religionsgeschichtliche Hintergrund der Nephilim unklar. Mesopotamische Analogien wurden in der Forschungsgeschichte genauso gesucht wie Parallelen in der griechischen Mythologie (so vor allem in den Titanen; vgl. zuletzt Schüle, 2006). Doch all diese Überlegungen bleiben zumeist recht spekulativ.

Am ehesten lässt sich der Hintergrund vielleicht durch verwandte Gattungsbezeichnungen eruieren. Insbesondere die sog. Rephaim (רְפָאִים rǝfāʼîm) in Dtn 2,11 könnten hier einen Anhaltspunkt liefern: Dort heißt es nämlich von dem hochgewachsenen Volk der → Emiter: „Man hielt auch sie für rǝfāʼîm wie die Anakiter.“ Da die Anakiter auch als nəfîlîm bezeichnet werden (s. 1.), scheint es zwischen den Größen rǝfāʼîm und nəfîlîm einen engen Bezug zu geben. Und so übersetzt Luther in Anlehnung an die Septuaginta רְפָאִים rǝfāʼîm ebenfalls mit „Riesen“. Der Begriff selbst lässt jedoch eher einen Bezug zu den ugaritischen rp’(m) erahnen. Bei ihnen handelt es sich um „Totengeister“ bzw. die „Geister der Ahnen“ (→ Totenkult), verstorbene Helden und Könige (vgl. z.B. eine Anweisung für das Opfermahl für die → „Schatten“ in KTU 1.161). Gerade dieser Bezug lässt eine bemerkenswerte Parallele zum Zusammenhang erkennen, in dem die nǝfilîm in Gen 6,4 stehen – nämlich zu den gibborîm „Helden“, die „von alters her Männer von Namen“ sind.

In Anlehnung an diese Überlegungen, könnte es jedenfalls sein, dass auch mit den Nephilim hochgewachsene, heldenhafte Gestalten der Vergangenheit gemeint sind, die längst gestorben sind (vgl. schon Gese, 1973). Dies würde sich zudem mit den Überlegungen zur terminologischen Parallele in Ez 32,27 decken. Die Nephilim wären dann eindeutig mit den gibborîm in Gen 6,4 zu identifizieren (anders z.B. Schüle, 2006).

4. Auslegungs- und Wirkungsgeschichte

So schillernd die Bedeutung der Gattungsbezeichnung Nephilim ist, so schillernd ist auch deren Rezeption. Prägend wurde vor allem die Deutung der Septuaginta, dass nǝfilîm und gibborîm gleichermaßen als γίγαντες gigantes „Riesen“ zu verstehen sind, wobei an dieser Stelle offen bleiben muss, ob es sich dabei um eine Gattung mythischer Wesen (wie in der griechischen Mythologie) oder einfach hochgewachsene, starke Männer handelt. In der frühjüdischen Literatur wurde vor allem das „Buch der Wächter“ in 1Hen 1-36 (→ Henoch) prägend, das die Riesendeutung aufnimmt. Spannend bleibt dabei die Bemerkung, dass hier von den Riesen gilt: „… böse Geister werden sie auf Erden genannt werden (…)“ (1Hen 15,8). Hier könnte ein Bezug zu den rǝfāʼîm (s. 3.) erhalten geblieben sein, der jedoch durch die Zuschreibung „böse“ eine Wertung erhält, die in den Ursprungstexten nur zum Teil vorhanden ist (in Gen 6,1-4 gar nicht; in → Deuteronomium allenfalls durch die Bewertung als Fremdvolk).

In der Postmoderne feiern die Nephilim vor allem in der Esoterik und in der fantastischen Literatur ihren Urstand.

An dieser Stelle ist auf den aktuell besonders bei Jugendlichen beliebten Fantasy-Zyklus „Chroniken der Unterwelt“ der amerikanischen Autorin Cassandra Clare zu verweisen. Wenn auch die Rezeption der Nephilim als Schattenjäger, die Dämonen bekämpfen, auf eine sehr rudimentäre Rezeption der biblischen Vorlage hinweist, so ist doch zumindest die Existenz dieser Wesen als „Halbblüter“ (teils Engel, teils Mensch) eine interessante Reminiszenz an Gen 6,1-4.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 2. Aufl., Leiden 1999
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003

2. Weitere Literatur

  • Bührer, W., 2011, Göttersöhne und Menschentöchter, ZAW 123, 495-515
  • Day, J., 2012, The Sons of God and Daughters of Men and the Giants: Disputed Points in the Interpretation of Genesis 6:1-4, HeBAI 1, 427-447
  • Gese, H., 1973, Der bewachte Lebensbaum und die Heroen: zwei mythologische Ergänzungen zur Urgeschichte der Quelle J, in: ders. / H.P. Rüger (Hgg.), Wort und Geschichte (FS K. Elliger; AOAT 18), Neukirchen-Vluyn, 77-85
  • Hendel, R., 1987, Of Demigods and the Deluge: Toward an Interpretation of Gen 6:1-4, JBL 106, 13-26
  • Hendel, R., 2004, The Nephilim were on the Earth: Genesis 6:1-4 and ist Ancient Near Eastern Context, in: C. Auffarth / L.T. Stuckenbruck (Hgg.), The Fall of the Angels (Themes in Biblical Narrative VI), Leiden / Boston, 11-34
  • Losekam,C., 2010, Die Sünde der Engel: die Engelfalltradition im frühjüdischen und gnostischen Texten, Tübingen
  • Loretz, O., 1993, Nekromantie und Totenevokation in Mesopotamien, Ugarit und Israel, in: B. Janowski / K. Koch / G. Wilhelm (Hgg.), Religionsgeschichtliche Beziehungen zwischen Kleinasien, Nordsyrien und dem Alten Testament: Internationales Symposion Hamburg 17.-21. März 1990 (OBO 129), Freiburg (CH) / Göttingen, 285-318
  • Oeming, M., Sünde als Verhängnis. Gen 6,1-4 im Rahmen der Urgeschichte des Jahwisten, TThZ 102 (1993), 34-50
  • Perlitt, L., 1990, Riesen im Alten Testament – Ein literarisches Motiv im Wirkungsfeld des Deuteronomiums (Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen I/1), Göttingen
  • Schüle, A., 2006, Der Prolog der hebräischen Bibel: Der literar- und theologiegeschichtliche Diskurs der Urgeschichte (Genesis 1-11; AThANT 86), Zürich
  • Stuckenbruck, L.T., 2000, The „Angels“ and „Giants“ of Genesis 6:1-4 in second and third century BCE Jewish Interpretation: Reflections on the posture of Early Apocalyptic Traditions, DSD 7, 354-377
  • Wright, A.T., 2005, The Origins of Evil Spirits: The Reception of Genesis 6.1-4 in Early Jewish Literature (WUNT 2.198), Tübingen

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