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(erstellt: Januar 2009)

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„Naftuhiter“ (נַפְתֻּחִים naftuchîm; mit hebräischer Pluralendung -im) ist in Gen 10,13 (Par. 1Chr 1,11) im Rahmen der sog. → Völkertafel als Name eines aus Ägypten stammenden Volkes belegt. Die Wiedergabe νεφθαλειμ nefthaleim in der → Septuaginta dürfte auf einer Verquickung mit dem Stammesnamen Naftali beruhen und ist somit in ihrer abweichenden Vokalisation gegenüber dem von den Masoreten bezeugten Text sekundär. Die → Vulgata-Form nephtuim zeigt eine stärkere Reduktion des ersten Vokals als im Hebräischen. Die Etymologie ist umstritten.

Brugsch und Erman (1890) dachten an den Ausdruck p3-t3-mḥ für „das Nordland“, also Unterägypten. Dagegen haben Müller (1902, 472) und Spiegelberg (1906, 277) geltend gemacht, dass dieser Ausdruck tatsächlich p3-t3-mḥti heißen müssen und somit zu viele Emendationen nötig seien, um die Lautform mit dem überlieferten hebräischen Text in Einklang zu bringen. Die Frage ist komplex, da das Wort für „Unterägypten“ tatsächlich t3-mḥw lautet und nicht von dem Ausdruck „Norden“ abgeleitet ist; spätzeitlich begegnet es nach WÄS V 224, 10 auch mit dem Artikel p3, allerdings ist zu vermuten, dass die dafür in Anspruch genommene Schreibung vielmehr p3-t3-mḥti „das nördliche Land“ zu lesen ist (so Kom Ombo 596, Z. 3-4; s. Grimm 1994, 32f. u.159) bzw. teilweise zu streichen ist, da sie auf einer Fehllesung beruht (so Edfou I2 147, 16). Somit könnte man mit einer Deutung des Gesamtausdruckes als na-p3-t3-mḥti „die Leute Unterägyptens“ dem überlieferten Text nicht gut gerecht werden, da ein m und ein t ausgefallen sein müsste.

Müller selbst schlägt einen Bezug auf t3-iḥ.w „Land der Rinder“ vor, eine Bezeichnung der Oase Farafra (Müller 1902, 475). In der Form na-p3-t3-iḥ.w „die Leute von Farafra“ wäre diese Deutung prinzipiell akzeptabel, obgleich ägyptische Belege mit dem bestimmten Artikel offenbar fehlen. Auch die Vokalisation ist für den Fall einer frühen Entlehnung im Rahmen, da die koptische Form ehe / ahe für „Rind“ nach den Regeln der ägyptischen Lautverschiebung auf einen ursprünglicheren Vokal u hindeuten kann; allerdings würde man bei ursprünglichem kurzem u im Hebräischen eher eine Verschiebung zu o erwarten. Eine frühe Entlehnung wäre an sich deshalb nicht unplausibel, da in → Patros (u.a. Gen 10,14) ebenfalls ein ursprüngliches ägyptisches u (das in Ägypten spätestens im 7. Jh. v. Chr. zu e verschoben wurde) zugrunde liegt.

Spiegelberg selbst denkt an na-p3-idḥ „die Leute vom Sumpf“, wobei „Sumpf“ als Bezeichnung Unterägyptens möglich ist (Spiegelberg 1906, 278; akzeptiert von Muchiki 1999, 231f.). Allerdings beruhen seine Überlegungen zur Vokalisation auf einem Irrtum, da er den Ortsnamen Natho noch als na-idḥ.w „die von den Sümpfen“ ableiten wollte, während heute bekannt ist, dass er na-t3-ḥw.t „die von dem Haus“ wiedergibt (Onasch 1994, 41). Gegen diese Deutung spricht, dass ägyptisches d im Hebräischen regulär mit Tet, nicht mit Tau wiedergegeben wird.

Lipiński (1992, 151f.) will (in Nachfolge von Algyogyi-Hirsch 1904-1905, 1907) den Namen als Nut-Ptaḥ „Stadt des Ptah“ deuten. Diese Deutung muss mit einer Metathese der Vokale operieren, um lautlich überhaupt möglich zu sein, bzw. in der oben abgelehnten Weise die griechische Wiedergabe im Vokalismus für ursprünglicher erklären. In jedem Fall unzutreffend ist Lipińskis Behauptung, der Ausdruck sei in Palästina geläufig gewesen, da das biblische Noph für „Memphis“ keine Kurzform dieser Verbindung darstellt, sondern auf eine Verschleifung des Worts Mn-nfr zurückgeht (so bereits Spiegelberg 1906, 278).

Rendsburg (1987, 91) denkt in gewisser Variation dazu an na-Ptḥ „die Leute des Ptah“ (skeptisch zu einer solchen Deutung bereits Vycichl 1940, 89), wie vor ihm bereits Ebers (1868, 112). In dieser Form ist der Ausdruck nicht nur unbelegt, sondern passt auch in der Vokalisation eindeutig nicht, so dass diese Deutung mit Sicherheit abgelehnt werden kann.

Die Überlegungen zur Etymologie müssen auch mit Fragen der mutmaßlichen Struktur der Liste kombiniert werden. Will man über die masoretische Versgrenze hinweg das in Gen 10,14 folgende Patros heranziehen, das gesichert als p3-t3-rsi „das Südland / Oberägypten“ zu verstehen ist (Vittmann 1998, 287-290) führt dies dazu, primär einen Ausdruck für „Unterägypten“ zu suchen. Andernfalls bleibt auch die Option, Oasen und sonstige umliegende Gebiete Ägyptens als Kandidaten auszuwählen.

Insgesamt bleibt die Frage weiter offen, da keine der vorgeschlagenen Deutungen den lautlichen und sachlichen Gegebenheiten schlagend gerecht wird.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001.
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992.

2. Weitere Literatur

  • Algyogyi-Hirsch, H., Zur Erklärung von נפתחים Genes. X, 13; I. Chr. I,11, Vierteljahrsschrift für Bibelkunde, talmudische und patristische Studien 2, 1904-1905, 412-422.
  • Algyogyi-Hirsch, H., Noch einmal zur Erklärung von נפתחים Gen. X, 13, Vierteljahrsschrift für Bibelkunde, talmudische und patristische Studien 3, 1907, 77-87.
  • Ebers, G., Ägypten und die Bücher Mose's. Sachlicher Commentar zu den ägyptischen Stellen in Genesis und Exodus, Leipzig 1868.
  • Erman, A., נפתחים, ZAW 10, 1890, 118-119.
  • Grimm, A., Die altägyptischen Festkalender in den Tempeln der griechisch-römischen Zeit (ÄAT 15), Wiesbaden 1994.
  • Lipiński, E., Les Chamites selon Hen 10,6-10 et 1 Chr. 1,8-16, Zeitschrift für Althebraistik 5, 1992, 135-162.
  • Muchiki, Y., Egyptian Proper Names and Loanwords in North-West Semitic, Atlanta 1999.
  • Müller, W.M., Die Söhne Mizraims, Genesis 10,13-14, OLZ 5 (1902), 471-475.
  • Onasch, H.-U., Die assyrischen Eroberungen Ägyptens, ÄAT 27, Wiesbaden 1994.
  • Rendsburg, G., Genesis 10,13-14: An Authentic Hebrew Tradition concerning the Origin of the Philistines, Journal of Northwest Semitic Languages 13, 1987, 89-96.
  • Spiegelberg, W., נפתחים (Gen. X, 13), OLZ 9, 1906, 276-279.
  • Vittmann, G., Der demotische Papyrus Rylands IX (ÄAT 38), Wiesbaden 1998.
  • Vycichl, W., Ägyptische Ortsnamen in der Bibel, ZÄS 76, 1940, 79-93.

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