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Nachkommen (AT)

(erstellt: November 2008)

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1. Die Nachkommen – der Same des Menschen

Die Hoffnung auf Nachkommen gehört im Alten Testament zu den zentralen Sehnsüchten des Menschen, denn in seinen Nachkommen entfaltet sich seine ganze Lebenskraft (→ Familie). In ihnen lebt er weiter. Deshalb wurde die Unfruchtbarkeit, also das Ausbleiben von Nachkommen, als starke Einschränkung des eigenen Lebens empfunden. Die letzte Erfüllung des Lebens bleibt versagt.

Die Nachkommen werden sprachlich als Samen des Menschen verstanden. Dazu verwendet die Bibel dieselben Lexeme wie für den Samen der Pflanzen oder den Nachwuchs der Tiere: זרע zæra‘ bzw. σπέρμα spérma (vgl. z.B. Dtn 7,13; Jer 31,27). Darin zeigt sich der agrarische Vorstellungshintergrund der Zeugung von Nachkommen (→ Schwangerschaft). Es wird davon ausgegangen, dass der schon fertige Mensch im Geschlechtsakt vom Mann auf die Frau übergeht und sich in dieser bis zur Geburt entwickelt. Entsprechend kann die Empfängnis mit der Wurzel זרע zr‘ ausgedrückt werden, deren Grundbedeutung „säen“ ist (vgl. Lev 12,2; Num 5,28).

Neben den allgemeinen Aussagen zum Nachwuchs wird זרע zæra‘ besonders häufig verwendet, wenn das Verhältnis des Stammvaters bzw. der Stammeltern zu den Nachkommen thematisiert wird. Dies gilt sowohl im allgemein menschlichen (→ Adam und Eva bzw. nach der Sintflut → Noah) als auch im völkischen (→ Abraham, → Isaak und → Jakob und ihre Frauen) und im dynastischen (→ Aaron, → Kaleb, → David) Bereich. Die Stammväter bzw. die Stammeltern nehmen dabei nicht nur die Funktion einer ersten Generation ein, von der eine Reihe von Nachkommen abstammt, sondern die Aussagen, die über sie gemacht werden, gelten für den ganzen Personenkreis (die Menschheit, das Volk, die Dynastie), für den sie symbolisch stehen (vgl. Jes 51,2). Entsprechend zeigen → Genealogien einerseits die Fruchtbarkeit des Stammvaters und damit seine zahlreiche Nachkommenschaft an, andererseits signalisieren sie die Zugehörigkeit von Personen oder Gruppen und die Gültigkeit der an die Stammeltern ergangenen Aussagen auch für diese.

2. Nachkommenschaft als anthropologische Grundkonstante (Urgeschichte)

Die Zeugung von Nachkommen gehört aus der Sicht der priesterschriftlichen Schöpfungserzählung wesentlich zum Menschsein dazu (→ Priesterschrift; → Urgeschichte). Noch bevor Gott dem Menschen, den er als Mann und Frau erschaffen hat, den Auftrag gibt, sich die Erde untertan zu machen, fordert er ihn auf, fruchtbar zu sein, sich zu vermehren und die Erde zu füllen (Gen 1,28), eine Aufforderung, die zuvor in identischer Weise bereits an die Tiere ergangen ist (Gen 1,22). Dieser Aspekt gehört zu den Grundelementen priesterschriftlicher Theologie (Gen 1,22.28; Gen 9,1.7; Gen 17,2.6.20; Gen 28,3; Gen 35,11; Gen 47,27; Gen 48,4; Ex 1,7; vgl. auch Lev 26,9).

Derselbe Auftrag ergeht erneut am Ende der priesterschriftlichen Sintfluterzählung an Noah und seine Söhne (Gen 9,1.7). In einem Bundesschluss sagt Gott zu, dass nie wieder alle Lebewesen vom Wasser der Flut ausgerottet werden sollen (Gen 9,11). Dieser → Bund, den Gott durch das Zeichen des Regenbogens symbolisiert, gilt nicht nur Noah und seinen Söhnen, sondern auch ihren Nachkommen und sogar allen Lebewesen (Gen 9,9-10). Somit zeigt sich, dass die noch nicht geborenen Nachkommen in die an ihre Stammeltern ergangenen Verheißungen hinein genommen sind.

Auch für die nichtpriesterlichen Erzählungen der Urgeschichte gehört das Zeugen von Nachkommen ganz selbstverständlich zum Menschsein (vgl. Gen 4,1-2). Dabei wird der von Kain erschlagene Abel durch einen weiteren Sohn, Set, ersetzt (Gen 4,25). Auch die nichtpriesterlichen Erzählungen machen deutlich, dass das Ergehen der Nachkommen wesentlich vom Verhalten der Stammeltern beeinflusst ist. Als erste Folge des Sündenfalls nennt Gen 3,15 die Feindschaft, die Gott zwischen den Samen der Schlange und den Samen der Frau setzt.

3. Nachkommenverheißung an Israel

3.1. Verheißung von Nachkommen an die Erzväter (Genesis)

Nachkommen 1
Zusammen mit der Verheißung der Landgabe bildet die Verheißung der Nachkommen den zentralen Inhalt der Zusagen Gottes an die Erzväter → Abraham, → Isaak und → Jakob, die sich wie ein roter Faden durch die Patriarchenerzählungen ziehen (→ Erzeltern; → Genesis). Dabei handelt es sich nicht um zwei unabhängige, sondern um zwei miteinander verwobene Verheißungen.

Gemäß der nichtpriesterlichen Tradition fordert Gott Abraham in Gen 12,1-3 auf, aus seinem Land, seiner Verwandtschaft und seinem Vaterhaus wegzuziehen. Dafür verspricht er, ihm ein Land zu geben, ihn zu einem großen Volk und zum Segen für alle Geschlechter der Erde zu machen. Damit aber aus Abraham und seiner Frau Sara (→ Sarai / Sara) ein großes Volk werden kann, muss Gott dem bis dahin kinderlosen Paar Nachwuchs schenken.

Während das verheißene Land relativ zügig erreicht wird (bereits in Gen 12,6 befindet sich Abraham in → Sichem), lässt der verheißene Nachwuchs auf sich warten. Entsprechend ist das Ausbleiben des Nachwuchses ein zentrales Thema der Patriarchenerzählung. Auf das zweifelnde Nachfragen Abrahams erneuert Gott seine Verheißung und sagt Abraham Nachkommen zahlreich wie die Sterne am Himmel zu (Gen 15,1-6). Zuvor schon hatte Gott bei der Trennung Abrahams von → Lot seine Zusage bekräftigt und Abraham Nachkommen zahlreich wie der Staub der Erde angekündigt (Gen 13,16).

Das Ausbleiben des Nachwuchses ist auch Thema in Gen 16. Da Gott bisher keine Anstalten gemacht hat, seine Verheißung zu erfüllen und Sara schwanger werden zu lassen, gibt diese Abraham ihre Magd → Hagar, damit er mit ihr Nachkommen zeugen kann. Der schwangeren, inzwischen davongelaufenen Magd sagt der Engel zahlreiche Nachkommen zu (Gen 16,10).

Doch der von Hagar geborene → Ismael ist nicht der von Gott verheißene Nachwuchs. In Gen 18,10 erneuert Gott seine Zusage und kündigt die Geburt Isaaks an, die dann in Gen 21 erzählt wird.

Ein letztes Mal ist die Verheißung von Nachkommen in den nichtpriesterlichen Abrahamserzählungen in Gen 22 Thema, denn die Opferung Isaaks würde auf die Rücknahme der göttlichen Verheißung hinauslaufen. Die Bereitschaft Abrahams, Gott seinen Sohn nicht vorzuenthalten, beantwortet Gott in Gen 22,15-18 (einem wohl später hinzugefügten Abschnitt) mit der Zusage, seine Nachkommen zahlreich zu machen wie die Sterne am Himmel und der → Sand am Meeresstrand. Durch die Nachkommen Abrahams sollen alle Völker der Erde gesegnet werden.

Auch in der priesterschriftlichen Tradition spielt die Verheißung von Nachkommen eine wichtige Rolle. Die Zusage, Abraham sehr, sehr zahlreich zu machen, ist der zentrale Inhalt des Bundesschlusses (Gen 17,2.6). Ausdruck dafür ist die Namensänderung von Abram in Abraham und die Begründung, dass Abraham zum Vater einer Menge von Völkern eingesetzt ist (Gen 17,4-5). Konkret wird diese Zusage in der Ankündigung der Geburt Isaaks (Gen 17,15-21). Zwar gehört auch die Verheißung der Landgabe zum Inhalt des Bundes (Gen 17,8), doch ist diese der Mehrungsverheißung zugeordnet.

Wie schon in Gen 9 schließt Gott seinen Bund nicht nur, wie es zunächst scheint (vgl. Gen 17,2), mit dem Stammvater, in diesem Fall Abraham, sondern der Bund erstreckt sich auch auf dessen Nachkommen (Gen 17,7.10). Wie dem Stammvater will er auch ihnen Gott sein (Bundesformel). Ausdrücklich wird auch Isaak als Bundespartner genannt (Gen 17,21), um deutlich zu machen, dass nicht Ismael, sondern er der zugesagte Träger der Verheißung ist. Zeichen dieses Bundes ist die Beschneidung. Jeder Beschnittene wird in diesen Bundesschluss hinein genommen.

Die Mehrungsverheißung ergeht nicht nur an Abraham, sondern auch an die anderen Patriarchen. Isaak wird in Gen 26,24 verheißen, dass seine Nachkommen zahlreich sein werden. In Gen 32,13 wird Jakob gegenüber der Vergleich mit dem Sand am Meeresstrand verwendet, in Gen 46,3 wird ihm zusagt, zu einem großen Volk zu werden, in Gen 48,16 sollen die Nachkommen zu einer großen Menge mitten im Land werden.

Die Verknüpfung der Verheißungen von Landgabe und Nachkommen wird sowohl in der priesterschriftlichen als auch in der nichtpriesterlichen Tradition auf mehrfache Weise deutlich: In der Zusage Gottes an die Patriarchen, das Land zu geben (Landverheißungsformel), wird nur selten allein einer der Patriarchen als Empfänger des Landes genannt (Gen 13,17; Gen 15,7). Zumeist sind entweder die Patriarchen und die Nachkommen (Gen 13,15; Gen 17,8; Gen 26,3; Gen 28,13; Gen 35,12) oder sogar nur die Nachkommen angeführt (Gen 12,7; Gen 24,7; Gen 48,4). In Gen 15,18 wird die Verheißung der Landgabe an die Nachkommen als Inhalt des zuvor erzählten Bundesschlusses angegeben. Die Zusage der Landgabe kann also nur erfüllt werden, wenn sich auch die Verheißung der Nachkommen verwirklicht. Dass beide, Land und Nachkommen, zusammengehören, macht auch der Kontext von Gen 15 deutlich. Der noch kinderlose Abraham beklagt, dass alles, was ihm gehört, sein Haussklave erben wird, also auch das Land. Erst wenn Abraham leibliche Nachkommen und Erben hat, erhält sein Besitz, und damit auch das Land, seinen wahren Wert.

3.2. Verheißungen für die Nachkommen (Deuteronomium)

Den Schwur an die Väter, das Land (ihnen und) den Nachkommen zu geben, kennt auch das Buch → Deuteronomium (Dtn 1,8; Dtn 11,9; Dtn 34,4). Zweimal ist dieser Schwur namentlich auf die drei Patriarchen bezogen (Dtn 1,8; Dtn 34,4). Daneben begegnet die Aussage, dass Gott den Vätern (mit und ohne Nennung der Patriarchennamen) geschworen hat, das Land dem in der Fiktion der Moserede angesprochenen Volk Israel zu geben (Dtn 6,10; Dtn 6,23; Dtn 7,13; Dtn 26,3.15; Dtn 28,11; Dtn 31,7) bzw. dass er den Vätern das Land durch Schwur zugesagt hat (Dtn 1,35; Dtn 6,18; Dtn 8,1; Dtn 10,11; Dtn 11,21; Dtn 30,20; Dtn 31,20; vgl. Dtn 19,8).

Wie das Buch Genesis kennt auch das Buch Deuteronomium neben der Verheißung der Landgabe die Mehrungsverheißung. Diese ist jedoch anders als die Landgabe zumeist nicht als Erfüllung eines Väterschwurs ausgewiesen (Dtn 1,10; Dtn 6,3; Dtn 7,13; Dtn 28,63; Dtn 30,5.16). Eine Ausnahme stellt Dtn 13,18 dar. Darüber hinaus begründet das Buch Deuteronomium die Erwählung der Nachkommen um der Väter (vermutlich sind die Erzeltern gemeint) willen (Dtn 4,37; Dtn 10,15).

Dtn 30,1-10 kündigt die erneute Annahme Israels durch Gott nach der Zerstreuung an. Kernelement der erneuerten Beziehung zwischen Gott und seinem Volk ist die Beschneidung der Herzen, die Israel befähigen soll, seinen Gott mit ganzem Herzen und ganzer Seele zu lieben (Dtn 30,6). Diese Herzensbeschneidung schließt die Nachkommen mit ein. Nicht nur die angesprochene Generation, sondern alle zukünftigen Generationen sollen also in die Lage versetzt werden, an dieser neuen Gottesbeziehung Anteil zu haben.

Ein negatives Pendant finden die Verheißungen an die Nachkommen in den Fluchreihen von Dtn 28. Sie machen deutlich, dass sich auch die Verfluchungen auf die Nachkommen auswirken (vgl. Dtn 28,46.59). Dtn 30,15-20 fordert zur Wahl zwischen Leben und Tod, Segen und Fluch auf. Diese Wahl hat Folgen für die Nachkommen (Dtn 30,19).

Hier zeigen sich Berührungen mit altorientalischen Fluchreihen. So nennt z.B. der Sukzessionsvertrag des assyrischen Königs Asarhaddon insgesamt sechs Flüche, die sich auf die Nachkommen beziehen (TUAT I, 160ff). In §45 heißt es: „So möge Zerbanitu [die Gemahlin Marduks], die Namen und Samen gibt, euren Namen und euren Samen im Lande vernichten.“ Der unmittelbar folgende Fluch §46 erbittet: „So möge Belet-ili, die Herrin-der-Kreatur, Nachwuchs aus eurem Lande wehren, eure Kinderwärterin auf Straße und Platz das Geschrei der kleinen Kinder entbehren lassen.“ Ähnliche Flüche finden sich in den §§62, 66, 67 und 105. Denen, die gegen den vorstehenden Vertrag verstoßen, wird also gewünscht, dass sie ohne Nachkommen bleiben und damit ihre Lebenskraft versiegt. In gleicher Weise kennt Dtn 28,18 die Verfluchung der Leibesfrucht.

4. Nachkommenverheißung an Einzelne

Neben den Zusagen an die Nachkommen Noahs, die sich auf die gesamte Schöpfung beziehen, und den Verheißungen an die Patriarchen und ihre Nachkommen, die sich an das gesamte Volk Israel richten, finden sich innerhalb des Alten Testaments Ankündigungen, die drei abgegrenzte Personenkreise in den Blick nehmen: die Nachkommen Aarons, Kalebs und Davids.

4.1. Aaron

Aaron und seinem „Samen“ ist der priesterliche Dienst anvertraut (Ex 40,14-15). Nur sie dürfen sich dem Herrn nähern, um Weihrauch zu verbrennen (Num 17,5). Bevor Aaron und seine Nachkommen das Offenbarungszelt betreten, sollen sie ihre Hände waschen, eine Anweisung, die für alle Zeiten gilt (Ex 30,21). Als Gegenleistung für den priesterlichen Dienst wird Aaron und seinen Nachkommen der „Salzbund“ angeboten, d.h. alle Abgaben von heiligen Opfern, die die Israeliten darbringen, stehen ihnen zu (Num 18,19). Ausdrücklich bezieht sich diese Zusage nicht nur auf die Söhne, sondern auch auf die Töchter (vgl. auch Lev 22,13). Wer körperliche Gebrechen aufweist, ist für den Priesterdienst nicht geeignet. Die Versorgung wird ihm aber nicht vorenthalten (Lev 21,17-23). Für den Hohepriester gelten besondere Heiratsvorschriften (Lev 21,13-15), um seinen „Samen“ nicht zu entweihen.

Besonders hervorgehoben werden Aarons Enkel → Pinhas und seine Nachkommen. Wegen Pinhas’ Eifer für den Herrn wird ihnen das Priestertum auf ewig anvertraut (Num 25,13). Eine besondere Rolle spielen auch die Nachkommen → Zadoks in der Zweiten Tempelvision Ezechiels (vgl. Ez 43,19; Ez 44,15; Ez 48,11).

4.2. Kaleb

Ähnlich wie Pinhas wird auch → Kaleb für seine Treue zu Jahwe belohnt. In der Kundschaftererzählung (Num 13-14) distanzieren sich Josua und Kaleb von der ungläubigen Auflehnung des Volkes gegen Jahwe und dürfen deswegen als einzige der Wüstengeneration das verheißene Land betreten (Num 14,30; Dtn 1,35f). Dtn 1,36 hebt unter Verweis auf Kalebs Verhalten hervor, dass Gott ihm und seinen Nachkommen Land geben wird.

4.3. David

In 2Sam 7,12 / 1Chr 17,11 verheißt Gott → David, dass er nach dessen Tod seinen „Samen“ auf seinen Thron setzen wird. Ähnlich wie bei den Patriarchen ist זרע zæra‘ trotz seiner singularischen Verwendung nicht nur auf die unmittelbare Nachfolge beschränkt. Vielmehr wird David zum Ahnherrn einer Dynastie, deren Bestand ewig sein soll (2Sam 7,16). Auf diese Zusage nehmen die Psalmen Bezug und fordern sie ein (vgl. vor allem Ps 89). Den Nachkommen Davids verheißt 1Kön 2,33 ewiges Heil (in Kontrast zu den Nachkommen Joabs), in 1Kön 11,39 wird ihnen hingegen wegen ihres Abfalls zumindest für beschränkte Zeit Demütigung angesagt. Der Versuch → Ataljas, den Samen Davids auszurotten, schlägt fehl (vgl. 2Kön 11,1ff / 2Chr 22,10ff).

An → Jojachin und seinen Nachkommen wird JHWH ihre Schuld heimsuchen (Jer 36,31), von der Davidverheißung werden die Nachkommen Jojachins ausgeschlossen (Jer 22,30). Hingegen werden in Jer 33,14-26 die alten Verheißungen an David bestätigt.

5. Das Verhältnis von Vorfahren und Nachkommen

Von den Nachkommen (זרע zæra‘) ist zumeist auch in Texten die Rede, die von den Auswirkungen der an die Ahnherren und Erzeltern ergangenen Verheißungen auf ihre Nachkommen sprechen. Diese Auswirkungen sind zumeist segensreicher Natur, können gelegentlich aber auch unheilvoll sein. Allerdings sind die Ahnherren und -frauen nicht einfach die erste einer längeren Reihe von Generationen, sondern nehmen eine Sonderstellung ein, denn in ihnen verdichten sich Heil und Unheil des von ihnen abstammenden Personenkreises in besonderer Weise. Entsprechend sagen diese Texte wenig über das Verhältnis von Vorfahren und Nachkommen im Allgemeinen aus. Die Texte, die diese Frage thematisieren, sprechen gewöhnlich von Vätern / Vorfahren (אבות ’avôt) und Söhnen / Kindern (בנים bānîm). Dabei lassen sich drei Grundlinien feststellen: die Auswirkungen der Schuld der Vorfahren auf die Nachkommen, das heilvolle Erbe der Vorfahren und das Stehen der Nachkommen in der Tradition der Vorfahren.

5.1. Auswirkungen von Schuld auf die Nachkommen

Den mit Abstand breitesten Raum nimmt die Frage ein, ob und wie sich die Schuld der Vorfahren auf die Nachkommen auswirkt. Diese Frage entzündet sich nicht zuletzt an Ereignissen wie dem Babylonischen → Exil und den Überlegungen, wie es zu diesem Exil kommen konnte. Inwiefern sind solche Ereignisse Folgen des eigenen Fehlverhaltens, inwiefern sind sie Auswirkungen von Entwicklungen, die durch Entscheidungen der Vorfahren bedingt sind?

Ob sich die Schuld der Vorfahren auf die Nachkommen auswirkt, wird im Alten Testament kontrovers diskutiert. Gegen die aus dem familiären Umfeld stammende Aussage, dass die Schuld der Vorfahren an den Nachkommen heimgesucht wird (Ex 20,5; Ex 34,7; Num 14,18; Dtn 5,9; vgl. auch Jer 32,18; Klgl 5,7), wehren sich Texte wie Ez 18 oder Jer 31,29-20. Sie lehnen die Verquickung ab, die sich in dem Sprichwort ausdrückt: „Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden.“ (Ez 18,2), und gehen sie davon aus, dass jeder für seine eigene Schuld haftet (Jer 31,30; Ez 18,4). Einerseits nehmen biblische Texte also wahr, dass das Verhalten der Vorfahren Folgen für das Wohlergehen der Nachkommen hat, andererseits wehren sie sich, für das eigene Unheil (nur) die Vorfahren verantwortlich zu machen, den eigenen Anteil jedoch zu übersehen. Den Mittelweg geht die Kundschaftererzählung Num 13-14 (→ Kundschafter). Solange die Generation, die schuldhaft die Landgabe abgelehnt hat, am Leben ist und durch die Wüste zieht, leiden deren Nachkommen unter der Schuld der Vorfahren, denn sie müssen mit durch die Wüste ziehen. Sobald diese schuldhafte Generation aber ausgestorben ist, bekommen die Nachkommen ihre eigene Chance und dürfen das Land in Besitz nehmen (Num 14,31-34). Die Schuld der Vorfahren hat also Auswirkungen, verbaut den Nachkommen jedoch nicht dauerhaft die Zukunft.

Wie die Vorfahren schuldig geworden zu sein (Jer 2,5-9; Jer 9,13; Jer 44,3.9; Ez 2,3; Ez 20,1-31; Hos 9,10; Am 2,4; Mal 3,7), ja sogar noch größere Schuld auf sich geladen zu haben (Ri 2,19; 1Kön 14,22-24 [MT], 2Kön 17,14 [LXX]; Jer 7,21-28; Jer 16,10-13; Jer 17,23 [LXX]; Jer 34,13-16), ist eine vor allem bei den Propheten immer wieder vorgebrachte Anklage JHWHs. Vorfahren und Nachkommen sind also im gleichen oder ähnlichen schuldhaften Verhalten verbunden. Dazu stehen die Nachkommen auch im Bekenntnis (Jer 3,25; Ps 79,8; Ps 106,6-7; Esr 9,7; Neh 9,32-37). Gleichzeitig jedoch werden die Nachkommen aufgefordert, sich vom schuldhaften Verhalten ihrer Vorfahren zu distanzieren und umzukehren, indem sie sich JHWH zuwenden (Ps 78,8; Ps 95,8-9; 2Chr 30,7-8; Neh 13,18; Sach 1,4; Sach 8,14). Zur Versöhnung von Vorfahren und Nachkommen mahnt der letzte Vers des Corpus Propheticum (Mal 3,24).

Das Alte Testament kennt folglich beides: Die Annahme der Schuld der Vorfahren durch die Nachkommen als Teil der eigenen Geschichte und die Gewissenserforschung, wo im eigenen Leben ähnliche schuldhafte Vorgänge unheilvoll wirken, aber auch die Distanzierung, die Umkehr bewirkt und die eigene Chance ermöglicht.

5.2. Das heilvolle Erbe der Vorfahren

Die Vorfahren haben jedoch den Nachkommen nicht nur ein unheilvolles Erbe hinterlassen. Wie die Schuld wirkt sich auch die Glaubenstreue der Vorfahren auf die Nachkommen aus, und zwar deutlich nachhaltiger (Ex 20,6; Ex 34,7; Dtn 5,10; Dtn 7,9-10; Jes 59,21; Jer 32,18; Ps 103,17-18). Die Vorfahren werden zum Hoffnung machenden Beispiel (Ri 6,13; Ps 22,5-6; Ps 44,2-4). Vor allem aber übernehmen die Nachkommen von den Vorfahren die Heilsgaben des → Bundes (1Kön 8,21; 2Kön 17,15; Ri 2,20; Jer 11,10; Jer 31,32; Jer 34,13) und des → Landes (Ez 36,28; Ez 37,25; Ez 47,14; die Gabe des Landes an die Väter ist zu unterscheiden von der an die Väter ergangenen Verheißung der Landgabe), auch wenn sie selbst dann den Bund brechen oder das Land verlieren. So werden die von den Vorfahren empfangenen Gaben zum Zeichen der Hoffnung für die Nachkommen.

5.3. Die Nachkommen in der Tradition der Vorfahren

Die Nachkommen sind in die von den Vorfahren überlieferten Tradition hinein genommen. Der Glaube der Vorfahren ist auch der Glaube der Nachkommen (vgl. die vor allem in den Chronikbüchern, aber auch im Buch Deuteronomium verwendete Bezeichnung „Gott der Väter“; → Vatergottheiten). Die an die Vorfahren ergangenen Gebote sind auch für die Nachkommen eine bestimmende Norm (Ri 2,17; Ri 3,4; 1Kön 8,58, 2Kön 17,13; Neh 9,6ff; Jer 7,25; Jer 11,6.7; Jer 44,10). Die Vorfahren sind verpflichtet, diese Gebote, aber auch die durch JHWH erfahrenen Heilstaten den Nachkommen weiterzugeben (Ex 10,1-2; Dtn 6,4-9; Dtn 11,18-20; Dtn 31,12-13; Ps 48,13-14; Ps 78,1-8 u.ö.). Die Schwierigkeit besteht vor allem darin, die Glaubenserfahrungen der Vorfahren zu den eigenen zu machen. So ist das Nicht-Kennen JHWHs der im Land Geborenen in Ri 2,10 oder Samuels in 1Sam 3,7 nicht so zu verstehen, als ob diese von JHWH nichts wussten. Vielmehr ist diese Kenntnis (bisher) theoretisches Wissen geblieben, das nicht von der eigenen Erfahrung gedeckt ist.

6. Nachkommen im Neuen Testament

Anders als das Alte Testament sind die Nachkommen im Neuen Testament nur begrenzt Thema. Das mag seinen Grund in der Konzentration des Neuen Testaments auf das Christusereignis und die beginnende Kirche haben, während das Alte Testament durch seine Ausrichtung auf die Geschichte Israels einen wesentlich größeren Zeitraum in den Blick nimmt.

Dass auch für das Neue Testament die Hoffnung auf Nachkommen zu den menschlichen Grundzügen gehört, zeigt sich in Mk 12,18-27 (Par.) an der Diskussion zwischen den Sadduzäern und Jesus über die Frage, ob es eine Auferstehung gibt. Dort führen die Sadduzäer die Leviratsehe (→ Levirat), verbunden mit den ausbleibenden Nachkommen, als Gegenargument an.

Vor allem wird im Neuen Testament an die Abstammung der Israeliten von Abraham und den damit verbundenen Verheißungen erinnert (Lk 1,55; Joh 8,33.37; Apg 3,25; Apg 7,5-6; Röm 11,1; 2Kor 11,22; Hebr 2,16; Hebr 11,18). Paulus wirft jedoch im Rahmen seiner Rechtfertigungslehre auch die Frage auf, wer die wahren Nachkommen Abrahams sind. So hält er in Röm 4,13 fest, dass Abraham und seine Nachkommen nicht aufgrund des Gesetzes, sondern aufgrund ihrer Glaubensgerechtigkeit die Verheißung erhielten, Erben der Welt zu sein. In Röm 4,16 differenziert er zwischen den Nachkommen, die das Gesetz haben, und denen, die wie Abraham den Glauben haben. Entsprechend ist Abraham sowohl Vater der Unbeschnittenen wie der Beschnittenen (Röm 4,11-12). Paulus sieht darin die Erfüllung der in Gen 17,5 an Abraham ergangenen Verheißung, Vater vieler Völker zu sein (Röm 4,18). In Röm 9,7 weist Paulus darauf hin, dass nicht alle Nachkommen Abrahams seine Kinder sind. Die Tatsache, dass die Verheißung nur über Isaak, nicht jedoch über Ismael weitergeht (vgl. Gen 17,19-21), interpretiert Paulus dahingehend, dass nicht die Kinder des Fleisches, sondern die Kinder der Verheißung Kinder Gottes sind (Röm 9,8; vgl. auch Gal 4,21-31). In Gal 3,29 bezeichnet er die, die zu Christus gehören, als die Nachkommen Abrahams und als Erben gemäß der Verheißung. Jedoch kann er aus der Singularform זרע zæra‘ bzw. σπέρμα spérma auch ableiten, dass der eigentliche Nachkomme Abrahams Christus ist (Gal 3,16.19).

Ferner weist das Neue Testament auf die Abstammung Jesu von David hin (Joh 7,42; Apg 13,23).

Apk 12 erzählt von der mit der Sonne bekleideten Frau (in der sowohl die Mutter Jesu als auch die Kirche gesehen wird). Diese gebärt ein Kind, das der akokalyptische Drache zu verschlingen sucht (Apk 12,1-5). Das Kind, in dem Christus zu sehen ist, wird jedoch zum Thron Gottes entrückt. Apk 12,17 erwähnt weitere Nachkommen der Frau, gegen die der Drache vorgeht. Darin dürften die christlichen Märtyrer zu sehen sein.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979 (Art. σπέρμα)
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff (Art. זרע)

2. Weitere Literatur

  • Biberger, B., 2003, Unsere Väter und wir. Unterteilung von Geschichtsdarstellungen in Generationen und das Verhältnis der Generationen im Alten Testament (BBB 145), Berlin / Wien
  • Fraine, J. de, 1962, Adam und seine Nachkommen. Der Begriff der „Korporativen Persönlichkeit“ in der Heiligen Schrift, Köln
  • Köckert, M., 1988, Vätergott und Väterverheißungen. Eine Auseinandersetzung mit Albrecht Alt und seinen Erben (FRLANT 142), Göttingen
  • Lohfink, N., 1991, Die Väter Israels im Deuteronomium. Mit einer Stellungnahme von T. Römer (OBO 111), Freiburg (Schweiz) / Göttingen
  • Müller, A. R., 1989, Die Mehrungsverheißung und ihre vielfältige Formulierung, in: M. Görg (Hg.), Die Väter Israels. Beiträge zur Theologie der Patriarchenüberlieferungen im Alten Testament (FS J. Scharbert), Stuttgart, 259-266
  • Römer, T., 1990, Israels Väter. Untersuchungen zur Väterthematik im Deuteronomium und in der deuteronomistischen Tradition (OBO 99), Freiburg (Schweiz) / Göttingen
  • Steymans, H. U., 1995, Deuteronomium 28 und die adê zur Thronfolgeregelung Asarhaddons. Segen und Fluch im Alten Orient und in Israel (OBO 145), Freiburg (Schweiz) / Göttingen
  • Streck, M. P., 1998, Die Flüche im Sukzessionsvertrag Asarhaddons, ZAR 4, 165-191
  • Westermann, C., 1976, Die Verheißungen an die Väter. Studien zur Vätergeschichte (FRLANT 116), Göttingen

Abbildungsverzeichnis

  • Abraham erhält seine Verheißung unter dem Sternenhimmel (Wiener Genesishandschrift; 6. Jh.).

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