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Midian / Midianiter

(erstellt: Oktober 2020)

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Mit Midian ist im Alten Testament meist ein Stämmeverband gemeint, der in vorstaatlicher Zeit südöstlich oder südlich von Palästina gelebt haben soll und Israel in manchen Erzählungen als Freund und Verwandter, in anderen als Feind gegenübertritt. Historisch ist eine Größe Midian für die erzählte Zeit nicht zu greifen, so dass der Verdacht besteht, es könnte sich bei ihr um eine Konstruktion der viel später entstandenen alttestamentlichen Schriften handeln, in der sich Erfahrungen mit arabischen Gruppen der eigenen Zeit verdichten.

1. Name

Die Herleitung des Namens Midian (hebräisch: מִדְיָן midjān) ist unklar. Mitunter wird eine Ableitung aus der arab. Wurzel MDJ „(sich) ausdehnen“ erwogen (Knauf 1988, 77-79; Gaß 2012b, 287; jeweils mit Referat weiterer, wenig wahrscheinlicher Thesen). Ob der Name damit auf geographische Gegebenheiten, etwa auf „die langgezogenen … Gebirgstäler … im Land Midian“ anspielt (Knauf 1988, 78; vgl. Gaß 2012b, 287), bleibt jedoch hypothetisch.

2. Biblische Überlieferung

2.1. Allgemein

Im Alten Testament ist Midian an einigen Stellen Landschaftsangabe. Ex 2,15 und Hab 3,7 sprechen vom „Land Midian“ (אֶרֶץ־מִדְיָן). Auch in Ex 4,19 und in 1Kön 11,18 dürfte vom Textzusammenhang her eine geographische Größe gemeint sein, zumal die → Septuaginta in 1Kön 11,18 Midian als eine πόλις polis „Stadt“ bezeichnet.

Meist ist mit Midian jedoch ein Stämmeverband gemeint. Dieser bleibt als eigenständige Größe auf die Darstellung der Frühgeschichte Israels im → Pentateuch sowie in den Büchern → Josua und → Richter (v.a. Ri 6-8) beschränkt. Entsprechend sind Gentilizia wie „der Midianiter“ (הַמִּדְיָנִי Num 10,29), „die Midianiterin“ (הַמִּדְיָנִית Num 25,6.14-15) oder „die Midianiter“ (הַמִּדְיָנִים Num 25,17; Num 31,2) bzw. „midianitische Männer“ (אֲנָשִׁים מִדְיָנִים Gen 37,28; vgl. Gen 37,36 LXX) in den genannten Büchern relativ häufig belegt. Mitunter ist nicht zu unterscheiden, ob die Landschaft oder der Stämmeverband gemeint ist, etwa in den Wendungen „Priester Midians“ (כֺּהֵן מִדְיָן Ex 2,16; Ex 3,1; Ex 18,1) und „in Midian“ (בְּמִדְיָן Num 25,15; Num 31,3; Ri 8,1) oder, vom Textzusammenhang her, in Jes 60,6.

2.2. Pentateuch

Im Buch → Genesis und zu Anfang der Mosegeschichte erscheinen die Beziehungen Midians zu den Erzeltern bzw. zu Israel zunächst verwandtschaftlich und dementsprechend hilfreich. Midian gehört zu den Nachkommen → Abrahams. Er gilt als einer der Söhne Keturas, der Nebenfrau Abrahams. Midian werden fünf Söhne zugeordnet (Gen 25,2.4; vgl. 1Chr 1,32-33). Josefs Brüder verkaufen → Josef an midianitische Kaufleute (Gen 37,28), die ihn nach Ägypten bringen (Gen 37,36 LXX). Dies ist die Voraussetzung dafür, dass Jakobs Familie nach Ägypten gelangt und sich dort vermehren kann.

In Gen 37,36 wird meist der griechische Text, der wie in Gen 37,28 οἱ Μαδιηναῖοι Madiēnaioi „die Midianiter“ schreibt, vorausgesetzt, während unklar bleibt, ob es sich bei der hebräischen Form הַמְּדָנִים hammədānîm lediglich um eine Verschreibung handelt oder ob die Nachkommen des Medan, eines Bruders Midians (Gen 25,2; 1Chr 1,32) gemeint sind.

Im Erzählzusammenhang von Gen 37 werden die Midianiter nicht von → Ismaelitern unterschieden (vgl. Gen 37,26-28; vgl. Revell). Vermutlich dienten beide Namen, ähnlich wie die häufig zusammen mit Midian genannte Bezeichnung → Amalek (vgl. Ri 6,3.33; Ri 7,12; Ri 10,12; Gaß 2012a), unspezifisch zur Kennzeichnung protoarabischer Gruppen (vgl. u. 5.1.; zur Problematik Gaß 2012b, 292f).

Auch in der Mosegeschichte erweisen sich Midian bzw. die Midianiter zunächst hilfreich für Israel. → Mose flieht vor den Nachstellungen des Pharao nach Midian (Ex 2,15). Er bekommt dort → Zippora zur Frau, die Tochter eines midianitischen Kleinviehzüchters, der auch als „Priester in / von Midian“ bezeichnet (Ex 2,16; Ex 3,1; vgl. Ex 18,1) und dessen Name alternativ als Reguël (Ex 2,18; Num 10,29) oder → Jitro (Ex 3,1; Ex 4,18; Ex 18,1-12) wiedergegeben wird. Der Aufenthalt in Midian ermöglicht Mose die Begegnung mit Jhwh am Gottesberg Horeb (Ex 3; vgl. Ex 3,1; → Sinai; → Exodus), wo er den Auftrag erhält, nach Ägypten zurückzukehren und Israel aus Ägypten herauszuführen (Ex 3-4). Auf dem Weg von Midian nach Ägypten (Ex 4,19) rettet Zippora Mose, den Jhwh aus nicht weiter genannten Gründen töten will, indem sie ihren Sohn beschneidet (Ex 4,24-26). Am Ende des eigentlichen Auszugs aus Ägypten kommt Jitro, zusammen mit Zippora, wiederum zu Mose (Ex 18,1-12). Die Szene endet mit einem Lobpreis Jhwhs durch Jitro und mit einem gemeinsamen Brand- und Schlachtopfer, an dem auch Moses Bruder → Aaron und die Ältesten Israels teilnehmen (Ex 18,10-12). In den genannten Texten, die eine Klammer um die Exoduserzählung bilden, erscheint demnach Israel in enger kultischer Verbundenheit mit Midian (vgl. Nocquet, 205-217; Römer, 77-79).

Die verschiedenen Namen von Moses midianitischem Schwiegervater lassen sich nur schwer erklären (Römer, 76f). Überlieferungs- oder redaktionsgeschichtliche Überlegungen wie etwa die Verteilung auf verschiedene Quellenschriften (Knauf 1988, 152-160; Schmidt, 85-87) helfen nicht weiter (Gertz, 261f). Verschärft wird das Problem dadurch, dass das Richterbuch mit Hobab einen weiteren Namen für den Schwiegervater des Mose einführt. Allerdings wird Hobab hier nicht als Midianiter, sondern als Keniter bezeichnet (Ri 4,11; zur möglichen Ergänzung des Namens Hobab in Ri 1,16 vgl. Mittmann). Num 10,29 erklärt die Verwandtschaftsverhältnisse so, dass Hobab der Sohn Reguëls ist. Da Reguël hier ausdrücklich als Midianiter angesprochen ist, werden über Hobab die Midianiter mit den Kenitern identifiziert, ähnlich wie mit den Ismaelitern in Gen 37. Ri 4,11 wäre dann entweder so zu verstehen, dass nicht scharf zwischen Vater (Reguël) und Sohn (Hobab) unterschieden wird, oder dass von der Wurzel ḤTN im Hebräischen die Bezeichnungen für „Schwiegervater“, „Schwager“ und „Schwiegersohn“ gebildet werden können (Houtman, 81f.333).

Wenn Versuche unternommen werden, das Problem zu klären, wird meist Jitro als älterer Name bestimmt. Im Rückgriff auf stammesgeschichtliche Erklärungsmodelle wird behauptet, dass Jitro der eigentliche Name des Schwiegervaters war, Reguël dagegen der Name des Clans, zu dem Jitro gehörte (Albright; vgl. Gaß 2012b, 293). In redaktionsgeschichtlicher Perspektive wird Jitro zur „ältere[n] Moselegende“ gerechnet, Reguël dagegen als Nachtrag angesehen (Achenbach, 182). Rein statistisch ist zumindest auffällig, dass Jitro der am häufigsten genannte Name des Schwiegervaters ist. Dazu kommt, dass Jitro im Alten Testament ausschließlich für diese Figur verwendet wird, während mehrere Personen Reguël heißen: ein Nachkomme Esaus / Edoms (Gen 36,4.10.13.17; 1Chr 1,35.37), ein Angehöriger des israelitischen Stammes Gad (Num 1,14; Num 2,14; Num 7,42.47) und ein Benjaminit (1Chr 9,8).

Ebenso wie der Auszug aus Ägypten wird auch die Wüstenwanderung durch Begegnungen Israels mit Midian bzw. Midianitern gerahmt. Allerdings sind diese für Israel nicht mehr hilfreich, sondern bedrohlich. Beim Aufbruch vom Berg → Sinai weigert sich Hobab, der Sohn Reguëls, zunächst, der Bitte Moses nachzukommen, die Israeliten als Ortskundiger zu begleiten. Obwohl Moses insistiert, bleibt offen, ob Hobab mitzieht oder nicht (Num 10,29-32). Noch dramatischer werden die Ereignisse nach dem Zug durch das Ostjordanland und der Ankunft am Lagerplatz in → Moab gegenüber von → Jericho geschildert (Num 22,1). Zusammen mit → Balak, dem König Moabs, und den Ältesten Moabs beauftragen die Ältesten Midians den Seher → Bileam, Israel zu verfluchen (Num 22,2-8). Dies wird durch Eingreifen Jhwhs verhindert, schließlich segnet Bileam Israel (Num 24). Anschließend wird erzählt, dass Frauen aus Moab israelitische Männer zur Verehrung des Baal-Peor „verführen“ (Num 25,1-5). Auf Befehl Jhwhs lässt Mose diese Männer töten. Der Zorn Jhwhs wird jedoch erst dadurch besänftigt, dass der Priester → Pinhas einen Israeliten und dessen midianitische Frau namens Kosbi (Num 25,6.15.18) tötet (Num 25,6-15), wobei vorausgesetzt wird, dass auch Midianiter(innen) bei der Verführung zum Kult des Baal-Peor beteiligt waren (Num 25,16-18). Auf Geheiß Jhwhs (Num 25,16-18) vernichtet Israel unter der Führung des Pinhas schließlich ganz Midian (Num 31).

Der auffällige Wechsel in der Beschreibung des Verhältnisses Israels zu Midian wird mitunter überlieferungsgeschichtlich erklärt. Die Schilderung des freundschaftlichen Umgangs wird dabei einer nichtpriesterschriftlichen Fassung der Mosegeschichte zugeschrieben. Die Erzählungen von der Bedrohung Israels durch Midian dagegen sollen priesterschriftlich (Dozeman) bzw. spät- oder nachpriesterschriftlich geprägt sein (Knauf 1988, 150-169; ders. 1995; zusammenfassend Gaß 2012b, 315f). Aus historischer Perspektive wird darauf verwiesen, dass das Vordringen arabischer Stämme nach Westen ab dem 7./6. Jh. v. Chr. (s.u. 5.1.) und deren privilegierte Stellung in persischer Zeit (5. Jh. v. Chr.) ein freundschaftliches Verhältnis zu ihnen erforderte, während die vom persischen Imperium unabhängige Stämmebildung arabischer Gruppen nach etwa 400 v. Chr. das Bild vom „Erzfeind“ Midian beförderte (Achenbach, 184-186; Nocquet, 217-220).

Vom Leseablauf in den Büchern Exodus bis Numeri her sind weitere Erklärungen möglich:

(a) Zwischen den Erzählungen, die ein konstruktiv-freundschaftliches Verhältnis voraussetzen, und denjenigen, die von schweren Konflikten reden, liegt die Kundgabe der Tora am Sinai. Vor dieser Kundgabe kann sich der Umgang mit Midian, nicht zuletzt aufgrund der behaupteten verwandtschaftlichen Verhältnisse, ähnlich unkompliziert gestalten, wie dies im Buch Genesis hinsichtlich des Verkehrs der Erzeltern mit den Bewohnern Kanaans geschildert ist (zur engen Anbindung der Midian-Erzählungen in Ex 2-4 an die Erzelterngeschichte vgl. auch Nocquet, 180-223). Nach der Übermittlung der für das zukünftige Leben in Kanaan maßgeblichen Ordnungen fallen Midian bzw. die Midianiter, trotz ihrer vorgeblichen Verwandtschaft zu den Erzeltern Israels, unter ein ähnliches Verdikt wie die „Fremdvölker“, die zu vernichten sind bzw. die Jhwh vernichtet, weil sie Israel von der alleinigen Verehrung Jhwhs abbringen könnten (vgl. Ex 34,24; zu Midian Jos 13,21).

(b) Eine alternative Erklärungsmöglichkeit ist die, dass Midian für ein Israel, das sich weit entfernt vom zugesagten Land Kanaan befindet, hilfreich sein kann, während das gleiche Midian ab dem Zeitpunkt, da Israel am Jordan gegenüber Jericho die Grenze des Landes Kanaan erreicht hat, bedrohlich wird. Die Erzählungen vom freundschaftlichen Verhältnis Israels zu Midian spiegelten somit die Sichtweise der Diaspora (Nocquet, 180-223).

2.3. Vordere Propheten

Im Buch → Josua und im → Richterbuch bleiben Midian bzw. die Midianiter Feinde Israels. Jos 13,21 enthält die Notiz, dass Mose bei den Kämpfen im Ostjordanland fünf „Vornehme“ (נְשִׂיאֵי) Midians schlug, die in Diensten des Sihon von Heschbon standen.

In der Gideongeschichte (Ri 6-8; → Gideon) sind Midian bzw. die Midianiter als existentielle Bedrohung für Israel geschildert, die durch das Eingreifen Gideons abgewehrt wird. Zusammen mit → Amalek und den „Söhnen des Ostens“ (בְּנֵי־קֶדֶם) dringt Midian wiederholt weit in das westjordanische Kulturland ein (Ri 6,3.33; Ri 7,12), um die Ernteerträge zu plündern (Ri 6,1-6.11). Der Aktionsradius reicht über Mittelpalästina mit der Jesreelebene (Ri 6,33) und dem Territorium des Stammes Manasse (Ri 6,11.15.24) bis zur Mittelmeerküste bei Gaza (Ri 6,4; zu den geographischen Angaben der Gideongeschichte vgl. Gaß 2005, 270-344.439-464). Die Midianiter und ihre Verbündeten werden als kamelreitende militante (Proto-)Beduinen dargestellt (Ri 6,5; Ri 7,12; Ri 8,26). Gideon vertreibt sie mit einem kleinen Kontingent über den Jordan ins Ostjordanland (Ri 7) und dort weiter über den „Weg der Zeltbewohner“ nach Osten (Ri 8,11; vgl. die Karte bei Knauf 2016a, 100 Abb.8). Zu seiner Beute zählen goldene Ringe, Ohrgehänge, Anhänger in Mondform und Kamelschmuck (Ri 8,26). Er stellt daraus ein Kultbild („Efod“; vgl. Groß, 457-460; Knauf 2016a, 101f) für seinen Heimatort Ofra her, womit er „ganz Israel“ zum Abfall von Jhwh bringt (Ri 8,27). Im Licht von Ex 32 gelesen (vgl. Groß, 458f) lässt sich Ri 8,26-27 ähnlich wie Num 25 interpretieren: Indirekt verführt Midian Israel zu einem von Jhwh verbotenen Kult.

In der Gideongeschichte setzt sich die Namensvielfalt midianitischer Amtsträger sowie die Gleichsetzung Midians mit anderen Gruppen fort. Zunächst ist von zwei „Fürsten Midians“ namens → Oreb und Seeb die Rede, die von herbeigerufenen Efraimitern an Plätzen mit symbolischen Namen (Fels Oreb, Kelter Seeb; vgl. Gaß 2005, 296-299) getötet werden (Ri 7,25; vgl. Ri 8,3). Augenscheinlich handelt es sich um eine Erzählnotiz, die Namen auffälliger Geländeformationen aus Begebenheiten der Frühgeschichte Israels erklären will (Groß, 445; Knauf 2016, 96). Die beiden „Könige Midians“, die Gideon selbst bis weit ins Ostjordanland verfolgt und schließlich erschlägt (Ri 8), werden dagegen → Sebach und Zalmunna genannt (Ri 8,5-7.10.12.15.18-19.21). Ri 8,10 könnte dabei auch so verstanden werden, dass diese Könige zu den „Söhnen des Ostens“ gerechnet werden, zumal Zalmunna sprachlich verwandt ist mit arab. Ṣalm, dem Namen der Hauptgottheit des nordarabischen Orts → Tema in vorhellenistischer Zeit (Knauf 1988, 91; Knauf 2016a, 101). In jedem Fall wird hier nicht genau zwischen den verschiedenen Gruppen, gegen die Gideon kämpft (Midian, Amalek, „Söhne des Ostens“), unterschieden. Dazu kommt, dass in der Szene der Beuteverteilung die Rede davon ist, dass die von Gideon Bekämpften „Ismaeliter“ waren (Ri 8,24).

Die verschiedenen Namen der in Midian Herrschenden sind möglicherweise darauf zurückzuführen, dass Ri 6-8 redaktionell aus verschiedenen Erzählüberlieferungen zusammengestellt (vgl. Hentschel) bzw. mehrfach überarbeitet wurde (Knauf 1988, 34-40; Groß, 367-389; Schulz / Schäfer). Die weitgehende Gleichsetzung Midians mit anderen Gruppen wie den Ismaelitern oder den „Söhnen des Ostens“ wird entweder auf die späte Entstehungszeit der Texte (Hübner, 37) oder auf Textergänzungen zurückgeführt (Groß, 458; Knauf 2016a, 102). Die entsprechenden Gleichsetzungen sind allerdings ein gleichbleibender Erzählzug, der sowohl im Pentateuch als auch im Richterbuch zu finden ist.

Nach der Gideongeschichte wird Midian in den Vorderen Propheten nicht mehr als eigenständig handelnde Größe erwähnt. Ri 9,17 und Ri 10,12 (LXX; MT liest hier מָעוֹן mā‘ôn „Maon“) sind nur mehr Notizen, die sich auf die Gideongeschichte beziehen. Der einzige Beleg zu Midian, der sich auf die frühe Königszeit bezieht (1Kön 11,18), erzählt, dass zur Zeit Salomos der edomitische Herrscher Hadad über Midian und Paran nach Ägypten flieht. Midian ist hier Landschaftsbezeichnung (im griechischen Text eine „Stadt“, s.o. 2.1.).

Der Stämmeverband Midian, der für Israel entweder hilfreich oder bedrohlich ist, bleibt nach alttestamentlicher Geschichtskonstruktion somit eine Größe der Frühgeschichte Israels.

2.4. Schriftpropheten und Schriften

Jes 10,26 und Ps 83 rekurrieren in kurzen Notizen auf die Gideongeschichte (Ri 6-8). Ps 83,10 rechnet Midian zu den Feinden Israels, deren Vernichtung von Jhwh erbeten wird. Ps 83,12 listet die vier „Fürsten“ bzw. „Könige“ Midians (Oreb, Seeb, Sebach, Zalmunna) aus Ri 7 und Ri 8 auf. Auch der „Tag Midians“ (Jes 9,3) als Beispiel für eine vergangene Heilstat Jhwhs dürfte sich auf die Gideongeschichte beziehen (Gaß 2012b, 296 mit älterer Literatur; anders Groß, 392). Nach Jes 60,6 sollen im Rahmen einer Wallfahrt zu Jhwh auf den Zion auch בְּכְרֵי מִדְיָן bəkhərê midjān „junge Kamele“ bzw. „Dromedare Midians“ kommen und „dich bedecken“. Der Vers lässt offen, ob Midian die aus Ri 6-8 bekannte Stämmegruppe oder eine Landschaft meint. Hab 3,7 ist in dieser Hinsicht eindeutig, wenn davon die Rede ist, dass beim Erscheinen Jhwhs von Teman („Süden“) und Paran her (Hab 3,3) die Zelte des „Landes Midian“ erzittern. Jes 60,6 und Hab 3,7 treffen sich darin, dass beide Texte nicht von der Vernichtung Midians reden wie Num 25, Num 31, Ri 6-8 und Ps 83, sondern Midian dem Herrschaftsbereich Jhwhs unterstellen.

2.5. Neues Testament

Im Neuen Testament ist Midian in Apg 7,29 als Landschaftsname belegt (ἐν γῇ Μαδιάμ „im Land Midian“). Die Wendung nimmt Bezug auf Ex 2-4 im Rahmen eines Geschichtsrückblicks innerhalb der Rede des Stephanus.

3. Griechisch-römische Überlieferung

Ebenso wie Apg 7,29 verstehen Werke der griechisch-römischen Antike Midian als geographische Größe, allerdings durchgehend als Namen einer Stadt. → Flavius Josephus (1. Jh. n. Chr.) kennt die Stadt Μαδιανη Madianē in der Nähe des „Roten Meeres“, d.h. des Golfs von ‘Aqaba (Antiquitates 2,257). Klaudios Ptolemaios (2. Jh. n. Chr.) unterscheidet in seinem Werk „Geographische Anleitung“ zwischen einem nördlichen Μοδιανα Modiana am „ailanitischen Meerbusen“, d.h. am Golf von ‘Aqaba (6,7,2), und einem südlichen Μαδιαμα im „glücklichen Arabien“, d.h. in Arabia felix, dem Südwesten der Arabischen Halbinsel (6,7,27; Stückelberger / Graßhoff, 620f.628f). Nach → Eusebius (3./4. Jh. n. Chr.) ist Μαδιαμ Madiam eine Stadt „südlich von Arabien in der Wüste der Sarazenen, östlich des Roten Meers“ (Onomastikon 124,8-14; vgl. Timm, 159, Nr. 653). In mittelalterlichen arabischen Dokumenten wird der Ort Madyan genannt (Musil, 278-282; Abel, 285; Dumbrell; Al-Ghazi).

4. Lokalisierung

Einige Hinweise im Alten Testament deuten darauf hin, dass Midian im Nordwesten der Arabischen Halbinsel vorzustellen ist. Kinder der Ketura wie Scheba / Saba und Dedan (Gen 25,3; 1Chr 1,32), die neben Midian aufgeführt sind, sind als Landschaftsnamen in Arabien belegt. Auch die Notiz, dass Abraham die Kinder der Nebenfrauen „nach Osten ins Ostland“ schickt (Gen 25,6), weist nach Arabien. Gleiches gilt für den Namen des Midianiters Zalmunna (s.o. 2.3.) sowie die punktuelle Gleichsetzung mit den Ismaelitern. Der Weg, auf dem Gideon die zwei „Könige“ Midians verfolgt (Ri 8), führt ebenfalls nach Osten in Richtung auf die Arabische Wüste, allerdings bleibt er auf der Höhe des zentralen Ostjordanlands, eine weiter nach Süden reichende Route ist nicht zu erkennen (vgl. Gaß 2005, 680, Karte 3; Knauf 2016a, 100, Abb. 8).

Dagegen deutet die in der Gideongeschichte vorausgesetzte enge Verbindung Midians zu Amalek und den „Söhnen des Ostens“ (s.o. 2.3.) weitläufig auf die südlich der west- und ostjordanischen Kulturländer gelegenen Wüstenregionen. Ähnliches gilt für die Erwähnung des „Landes Midian“ in 1Kön 11,18. Die Flucht des Edomiters Hadad führt über Midian und Paran nach Ägypten. Wenn Paran den zentralen oder südlichen Teil der heutigen Sinaihalbinsel bezeichnet (Jericke, 150-152), kann mit Midian allenfalls eine Region östlich des Nordendes des Golfs von ‘Aqaba gemeint sein. Eine Route vom edomitischen Kernland (südliches Ostjordanland) über ein in Nordwest-Arabien vorgestelltes Midian auf die Sinaihalbinsel und von dort weiter nach Ägypten bedeutete dagegen einen erheblichen Umweg (anders Knauf 1988, 1f; ders. 2016b, 330-334). Dies gilt auch dann, wenn man annimmt, dass die Schilderung des von Hadad eingeschlagenen Wegs eine literarische Konstruktion ist. Da jedoch Gruppen, die zu → Edom gerechnet werden, seit dem 7./6. Jh. v. Chr. auch im → Negev, also im nördlich an die Sinaihalbinsel angrenzenden Wüstengebiet, belegt sind, und da auch die zusammen mit Midian genannten → Amalekiter nach alttestamentlicher Überlieferung in dieser Region vorzustellen sind (Gaß 2012a; Jericke, 129f), ist nicht völlig auszuschließen, dass auch das Midian von 1Kön 11,18 westlich des Jordangrabens bzw. westlich des Golfs von ‘Aqaba gedacht ist (Abel, 286). Dies gilt insbesondere, wenn der Vers in die spätpersische Zeit datiert wird (Knauf 2016b, 332-334). Ebensowenig kann die Notiz vom Kampf des Edomiters Hadad gegen Midian (Gen 36,35) für eine Lokalisierung in Arabien herangezogen werden, da die Auseinandersetzung in Moab, also im zentralen Ostjordanland stattgefunden haben soll. Eine enge Verbindung von Midian zu Moab setzen auch Num 22 und Num 25 voraus. Die alttestamentlichen Überlieferungen zu Midian erlauben demnach keine genaue Festlegung in der Frage, wo Midian bzw. das Kerngebiet der Midianiter vorzustellen ist.

Die Lokalisierung in Nordwest-Arabien östlich des Golfs von ‘Aqaba, wie sie gern für das alttestamentliche Midian vorausgesetzt wird (u.a. Musil, 285-287; Knauf 1988, 1-6; Hübner; Schmitt; Al-Ghazi; Gaß 2012b, 287-290; Römer, 67-71), stützt sich im Wesentlichen auf die Dokumente der griechisch-römischen Antike (s.o. 3.). Die dort genannte Stadt Midian wird bei al-Bad‘ (Koordinaten: N 28° 28' 29'', E 35° 00' 53'') im Wādī ‘Afāl ca. 120 km südlich von el-‘Aqaba bzw. ca. 30 km östlich des Golfs von ‘Aqaba lokalisiert (Musil, 278-282; Gaß 2012b, 288f mit älterer Literatur; zur Lage vgl. Abel, 290 Fig. 4; Knauf 1988, XII; Hübner, 47 Fig. 1; Schmitt; Gaß 2012b, 289 Abb.1). Etwa 5 km südlich von al-Bad‘ liegt Muġāyir Šu‘ayb (Musil, 110 Fig. 38), ein Platz, dessen Name eine Koran-Tradition zum Schwiegervater Moses bewahrt hat (Al-Ghazi, 211f; Gaß 2012b, 288 mit weiterer Literatur). Im Gebiet um al-Bad‘ und Muġāyir Šu‘ayb wurden Grabanlagen und weitere Reste freigelegt, die der römischen Zeit bzw. der nabatäischen Kultur zuzurechnen sind (Musil, 109-120; Gaß 2012b, 288f mit weiterer Literatur; Abb. bei Al-Ghazi, 216). In der Region um al-Bad‘ soll sich bis in die Neuzeit der Landschaftsname Arḍ Madyan erhalten haben (Schmitt; Gaß 2012b, 287f; kritisch dazu Abel, 285 Anm. 2). Ob dieser Name jedoch weiter als bis in die byzantinische oder frühislamische Zeit zurückreicht, ist ungewiss. Philologische und archäologische Hinweise können demnach lediglich die Gleichsetzung der genannten Region mit dem Gebiet um die in antiken Dokumenten erwähnte Stadt Μαδιανη Madianē / Μαδιαμ(α) Madiam(a) stützen. Wer das alttestamentliche Midian auf die Region östlich des Golfs von ‘Aqaba festlegen will, muss davon ausgehen, dass die Namensgebung der griechisch-römischen Zeit eine zuverlässige ältere Lokaltradition bewahrt hat. Lediglich unter dieser unsicheren Voraussetzung kann man „unter dem Land Midian das Umland dieser Stadt [al-Bad‘, D.J.] verstehen“ (Knauf 1988, 1).

Aufgrund der unklaren Lokalisierung des alttestamentlichen Midian besteht auch keine Notwendigkeit, den Gottesberg, der nach Ex 3,1 und Ex 18 (vgl. Ex 18,1.5) erzählerisch mit Midian verbunden ist (Nocquet 2017, 197-207), in Nordwest-Arabien zu lokalisieren, wie dies mitunter im Gefolge der Reisebeschreibungen Musils der Fall ist (Musil, 296-298; Noth 1940; abwägend Knauf 1988, 48-63; kritisch dazu u.a. Maiberger). Vielmehr entzieht sich der Gottesberg nach alttestamentlicher Darstellung einer genauen Lokalisierung (Utzschneider / Oswald, 46; ähnlich Blum, 58). Aus Ex 3,1 und Ex 18 kann sogar auf eine räumliche Distanz zu Midian geschlossen werden (Dohmen, 147).

5. Geschichte

Aus vorhellenistischer Zeit gibt es keine zuverlässigen außerbiblischen Belege zu Midian. Ob das Toponym mḏy aus einer altsüdarabischen (minäischen) Inschrift der spätpersischen Zeit (4. Jh. v. Chr.) Midian oder Medien meint, ist umstritten (Knauf 1984b; ders. 1988, 78; Gaß 2012b, 288 Anm. 7). Für die Beschreibung der Geschichte Midians in alttestamentlicher Zeit stehen daher nur die biblischen Texte selbst und möglicherweise archäologische Befunde zur Verfügung.

5.1. Altes Testament

Aus der Fünfzahl der Söhne Midians (Gen 25,4; 1Chr 1,33) sowie aus der entsprechenden Anzahl der „Könige“ (Num 31,8) und „Vornehmen“ Midians (Jos 13,21) wird mitunter auf die Organisation in fünf Stadtstaaten (Dumbrell) oder in fünf „Häuptlingstümern“ (Knauf 1995, 803) geschlossen (vgl. Gaß 2012b, 297). Da Gen 25,1-6 (Nocquet, 181-183; Römer, 73f), 1Chr 1 sowie Num 31 (Achenbach, 615-622) als späte alttestamentliche Texte einzuschätzen sind, erscheint eine solche Schlussfolgerung für ein Midian der erzählten Zeit (13./12. Jh. v. Chr.) kaum nachvollziehbar. Ansonsten sind die alttestamentlichen Überlieferungen uneinheitlich hinsichtlich der Lebens- und Wirtschaftsformen Midians (Groß, 390-392; Gaß 2012b).

In der → Josefsgeschichte des Buchs Genesis sind die Midianiter neben Ismaelitern als Karawanenführer (→ Karawane) dargestellt, die lange Wegstrecken zurücklegen. Im Exodusbuch hingegen ist Moses Schwiegervater ein Kleinviehzüchter, d.h. ein Bergland- bzw. Kulturlandnomade mit einem überschaubaren Aktionsradius (Ex 2-4; Ex 18). Die Midianiter des Buchs Numeri bleiben konturlos, zumal das Heiligtum des Baal-Peor ein von Moabitern eingerichteter Kultplatz zu sein scheint (Num 25). Ob die genannten Überlieferungen bis in die erzählte Zeit (13./12. Jh. v. Chr.) zurückreichen oder zumindest zuverlässige Erinnerungen aus dieser Zeit bewahrt haben, ist äußerst fraglich (Gaß 2012b, 290-297; abwägender Blum). Dieser Vorbehalt gilt auch für die These, Mose sei als „geschichtliche Gestalt“ am ehesten in seinen Beziehungen zu Midian zu fassen (Smend), ebenso für die vorsichtigere Behauptung, die Midian-Texte des Exodusbuchs repräsentierten „ein ausgeprägtes Alter“ (Blum, 49; ähnlich bereits Gunneweg). Möglicherweise ist Midian „im Pentateuch ein literarisches Passepartout, anhand dessen alle Möglichkeiten der Begegnung Israels mit anderen Völkern durchkonjugiert werden“ (Knauf 1995, 802f).

Die Midianiter der Gideongeschichte sind kriegerische (Proto-)Beduinen, die anscheinend aus der Arabischen Wüste kommen und auf Kamelen weite Strecken zurücklegen. Gideons Beutestücke wie die Anhänger in Mondform oder der Kamelschmuck (Ri 8,26) weisen allerdings eher auf die neuassyrische oder gar auf die nabatäische, nicht jedoch auf eine früharabisch-beduinische Kultur (Knauf 1988, 39; Groß, 392; Gaß 2012b, 312; Knauf 2016a, 102 Abb. 9). Auch die Domestizierung des Kamels als Reittier ist erst ab dem frühen 1. Jt. v. Chr. bezeugt (Gaß 2012b, 302-309). Somit lässt sich aus den Erzählzügen der Gideongeschichte nichts für die vorausgesetzte erzählte Zeit (Ende 2. Jt. v. Chr.) entnehmen.

Ebenso wie die Genealogien, die Midian erwähnen, oder die Texte am Ende des Numeribuchs wird die jetzt vorliegende Fassung der Gideongeschichte meist als relativ späte alttestamentliche Komposition angesehen (Knauf 1988, 34-40; Groß, 367-389; Knauf 2016a, 83-105; modifiziert Römer, 72f). Daher ist davon auszugehen, dass hier zeitgeschichtliche Erfahrungen der Erzählzeit (ca. 8.-4. Jh. v. Chr.) eingeflossen sind, als arabische Gruppen weit in das palästinische Kulturland vordrangen. Im Alten Testament ist „Geschem, der Araber“ bezeugt (Neh 2,19; Neh 6,1), der zu den Kedar gehörte, die ausweislich inschriftlicher Dokumente im 5./4. Jh. v. Chr. bis in die Gegend von Gaza (vgl. Ri 6,4) vordrangen (Hübner, 39f; Lemaire, 17). Die Kedar gehörten nach alttestamentlichen Genealogien zu Ismael (Gen 25,13; 1Chr 1,29) und werden mit den „Söhnen des Ostens“ parallelisiert (Jer 49,28). Insofern ergeben sich Berührungspunkte zur alttestamentlichen Darstellung Midians. Daher dürften in die Gideongeschichte historische Erfahrungen mit Ismael, das in neuassyrischer Zeit (8./7. Jh. v. Chr.) als Stämmekonföderation bezeugt ist, und mit den Kedar des 5./4. Jh.s v. Chr eingeflossen sein (Knauf 1988, 34-42; Achenbach, 184-186; Groß, 390-392; Knauf 2016a, 86; Nocquet, 180-223).

5.2. Archäologie

Da das Alte Testament keine Grundlage für die Beschreibung der Geschichte Midians in der erzählten Zeit bietet, greift man gern auf archäologische Befunde der ausgehenden Spätbronzezeit (13./12. Jh. v. Chr.) aus Nordwest-Arabien zurück (Knauf 1988, 6-26; Al-Ghazi; Gaß 2012b, 297-314). Das Verfahren ist jedoch in mindestens zweifacher Hinsicht problematisch. Zum einen sind Zuweisungen archäologischer Befunde zu bestimmten Ethnien an sich schwierig; zum anderen setzt das Vorgehen voraus, dass die Dokumente der griechisch-römischen Zeit (s.o. 3.) zuverlässige Erinnerungen an eine historisch beschreibbare Größe Midian im spätbronzezeitlichen Nordwest-Arabien bewahrt haben (s.o. 4.).

Hauptmerkmal der materiellen Kultur Nordwest-Arabiens am Ende der Spätbronzezeit ist eine zweifarbig mit geometrischen Mustern und Tiermotiven bemalte Keramik (Knauf 1988, 15-25; Gaß 2012b, 298-300). Sie wird in älteren Publikationen „Midianiter-Ware“, „Midianiterkeramik“ (Groß, 391f), „midianitische Keramik“ (Knauf 1988, 17-21; Gaß 2012b, 310) bzw. „Midianite Pottery“ genannt (Rothenberg / Glass). Heute bevorzugt man die Bezeichnung „Qurayyah Painted Ware“ (u.a. Hübner, 35; Singer-Avitz) nach dem ca. 70 km nördlich der Provinzhauptstadt Tabūk bzw. ca. 140 km südöstlich von ‘Aqaba gelegenen Hauptfundort al-Qurayya (Koordinaten: N 28° 47' 01'', E 36° 00' 24''; zur Lage Knauf 1988, XII; Hübner, 47, Fig. 1; Schmitt; Beschreibung bei Al-Ghazi). Die Machart der Keramik zeigt Ähnlichkeiten zu mykenischen und ägyptischen Gefäßen der Spätbronzezeit. Darüber hinaus ist die „Qurayyah Painted Ware“ in kleineren Mengen an einzelnen Fundorten der südlichen Levante nachgewiesen, insbesondere im südlichen Ostjordanland, in der Araba und im Negev, vereinzelt noch bis in das mittlere Palästina (vgl. Rothenberg / Glass, 70; Knauf 1988, XII.15-17; Singer-Avitz).

Die beschriebene Keramik weist auf eine hochstehende Kultur (Gaß 2012b, 297f) und die Partizipation am „globalen“ Handel der Spätbronzezeit (Knauf 1988, 26-29). Einrichtungen zur Landwirtschaft wie Terrassenfeldanlagen und ein Bewässerungssystem lassen auf eine weitgehend sesshafte Lebensweise schließen (Knauf 1988, 6-8; Gaß 2012b, 300f).

Da die „Qurayyah Painted Ware“ auch im spätbronzezeitlichen bzw. früheisenzeitlichen (12./11. Jh. v. Chr.) Bergbaugebiet von → Timna (el-Meneʻīje; Koordinaten: 1448.9107; N 29° 46' 17", E 34° 57' 05") in der südlichen Araba sowie an weiteren Kupferverhüttungsplätzen der Araba-Senke gefunden wurde, wird mitunter angenommen, die Midianiter seien in die von den ägyptischen Pharaonen der 19. und 20. Dynastie betriebenen Bergbauaktivitäten involviert gewesen bzw. hätten diese übernommen, nachdem sich die Ägypter zurückgezogen hatten (Keel / Küchler, 292-308; Knauf 1988, 25f; Gaß 2012b, 309-312). Gerne wird dabei darauf verwiesen, dass in Timna ein ursprünglich im 13. Jh. v. Chr. für die ägyptische Göttin Hathor gebautes Heiligtum im 12. Jh. zu einem offenen, möglicherweise mit einem Zeltdach gedeckten Heiligtum von ca. 9 x 7 m umgebaut wurde. Dieses „Zeltheiligtum“ wird aufgrund einiger Scherben der „Qurayyah Painted Ware“ auch als „midianitisches Heiligtum“ gedeutet (Keel / Küchler, 300-305). Die entsprechende ethnische Zuweisung sowohl der Keramik als auch des Heiligtums ist jedoch zweifelhaft (vgl. Gaß 2012b, 310).

Die aus den archäologischen Befunden zur ausgehenden Spätbronzezeit in Nordwest-Arabien und angrenzenden Regionen zu erschließende Lebens- und Wirtschaftsform der dort lebenden Gruppen lässt sich augenscheinlich mit keinem der Bilder in Verbindung bringen, die alttestamentliche Texte von Midian bzw. den Midianitern zeichnen. Deshalb sollten die entsprechenden Befunde nicht bzw. allenfalls mit äußerster Zurückhaltung auf eine vermeintliche Größe Midian am Ende des 2. Jt.s v. Chr. bezogen werden, zumal diese Größe lediglich indirekt erschlossen ist und daher hinsichtlich ihrer Historizität fraglich erscheint (anders Knauf 1988).

5.3. Religionsgeschichte

Belastbare literarische oder archäologische Zeugnisse zur Religionsgeschichte einer erschlossenen Größe Midian des ausgehenden 2. Jt.s v. Chr. liegen nicht vor. Das Heiligtum in → Timna mit Kleinfunden aus Kupfer wie einer 12 cm langen Schlange oder einer 7,5 cm hohen stehenden männlichen Figur (Keel / Küchler, 302-304 mit Abb. 222 und 223; s. auch o. 5.2.) kann nicht herangezogen werden, da die ethnische Zuweisung fraglich ist (anders Gaß 2012b, 310).

Mitunter wird vermutet, dass → Jhwh ursprünglich eine midianitische Gottheit oder zumindest eine Gottheit im proto-arabischen Kulturraum war (Knauf 1988, 43-48; Hübner, 36; Gaß 2012b, 315 mit weiterer Literatur). Knauf meint sogar, diese Schlussfolgerung sei „unausweichlich“ (Knauf 1995, 803; vorsichtiger Knauf 2016a, 86). Die genannte These, die sog. Midianiter-Hypothese (vgl. Blenkinsopp; Blum; Römer, 80f) beruht auf einer Kombination mehrerer Einzelbeobachtungen. Erste Anhaltspunkte sind die literarische Nähe von Midian zum Gottesberg, an dem Mose der Name Jhwh offenbart wird (Ex 3), und die enge kultische Verbundenheit von Israel und Midian, wie sie das Exodusbuch schildert (s.o. 2.2.). Da die Exoduserzählung keine genauere topographische Festlegung des Gottesbergs bietet (s.o. 4.), erscheint der Schluss, Jhwh sei ursprünglich eine midianitische Gottheit gewesen „vorschnell gezogen“ (Dohmen, 147). Andere alttestamentliche Texte, die Jhwhs Wohnsitz im „Süden“ kennen, nennen als geographische Hinweise → Seïr bzw. → Edom, → Teman („Süden“) oder → Paran (Dtn 33,2; Ri 5,4-5; Hab 3,3), wobei lediglich Hab 3 indirekt auf Midian Bezug nimmt (Hab 3,7; s.o. 2.4.).

Ein weiterer Anhaltspunkt für die These, dass Jhwh ursprünglich eine midianitische Gottheit war, ist die Ableitung des Jhwh-Namens aus dem Arabischen (Knauf 1984a; → Jahwe / JHWH, 4.2.]). Daraus muss jedoch nicht zwingend gefolgert werden, dass der Gottesberg bzw. die ältesten Kultplätze für die Verehrung Jhwhs tatsächlich in Nordwest-Arabien, also im vermeintlichen Gebiet Midians, lagen.

Der bislang älteste Beleg für den Jhwh-Namen findet sich nicht in altarabischen, sondern in ägyptischen Dokumenten zu den Schasu-Beduinen aus dem 14./13. Jh. v. Chr. (→ Schasu). Hier ist vom „Š3św-Land J-h-w3“ die Rede, wobei Jhw(h) eine geographische Größe bezeichnet (Knauf 1988, 46; HTAT, 184; Leuenberger, 169-171; → Jahwe / JHWH, 3.3.]). Die Schasu-Beduinen der Spätbronzezeit bewegten sich in etwa in denselben Regionen (Nordwest-Arabien, südliches Ostjordanland, östliches Grenzgebiet zu Ägypten), die für das biblische Midian erschlossen werden (HTAT, 171-173.181-194, Nr. 067.073-083). Darüber hinaus sind Schasu, ähnlich wie die Midianiter der Gideongeschichte, in der Gegend von Gaza (HTAT, 186f, Nr. 077) oder auch weiter im Norden, etwa in Syrien, zu finden (HTAT, 187-189, Nr. 078). Daher werden die Schasu mitunter mit Midian in enge Verbindung gebracht, was jedoch äußerst kontrovers diskutiert wird (vgl. Gaß 2012b, 313). Insofern kann auch auf diesem Weg keine historisch verifizierbare Verbindung zwischen Midian und einer frühen Jhwh-Verehrung gezogen werden. Obwohl Jhwhs „Heimat“ vermutlich in den Wüstengebieten zwischen Nordarabien und der Ostgrenze Ägyptens zu suchen ist (Blum; Leuenberger; Römer, 53-61; anders Pfeiffer), ist die These, er sei ein „midianitischer Gott“ (Knauf 1995) gewesen, nicht zu erweisen. Auch eine Vermittlung nach Israel durch Midian ist ebenso hypothetisch wie die Annahme, Jhwh sei von den Kenitern, die zumindest indirekt mit Midian in Verbindung gebracht werden (Ri 1,16; Ri 4,11; s.o. 2.2. und 2.3.), nach Juda und Israel gebracht worden (vgl. Blenkinsopp; Römer, 80f).

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