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Messias / Christus

(erstellt: Januar 2011)

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(Messias / Messiah / Christ / Χριστóς / χρíω)

Die Bezeichnung Messias („Der Gesalbte“, → Messias AT) kommt im NT bis auf zwei Ausnahmen (Joh 1,41; Joh 4,25) nur in griech. Übersetzung (Χριστóς mit und ohne Artikel) vor, und zwar etwa 530 mal (die Handschriften tendieren zur Vermehrung des Titels). In unseren deutschen Bibelausgaben bleibt meistens die latinisierte Form Christus unübersetzt stehen, und das mit einem gewissen Recht. Denn die neutestamentlichen Schriften und die ihnen vorausgehende Tradition halten Jesus von Nazareth so selbstverständlich für den im AT verheißenen Messias, dass aus dem Titel „der Gesalbte“ ein Beiname Jesu wird, dessen Bedeutung man nur noch selten mithört. Die Schwierigkeit liegt nun einmal darin, dass die Verheißungen des AT nicht eindeutig eine zukünftige Gestalt umreißen und dass in der zwischentestamentarischen Zeit die Messias-Erwartungen noch weiter auseinander driften. Zum andern passen die Person und das Schicksal Jesu schlecht in das überkommene Bild vom Messias. So werden nun Züge des Lebens Jesu als messianisch gewertet, die im AT nicht mit dem Messias verbunden waren, z.B. Lehren und Leiden. Unklar ist, ob und in welchem Sinn der historische Jesus den Titel überhaupt für sich beanspruchte. Wenn ja, lenkte er die damit verbundenen Erwartungen in eine andere Richtung? Und in wie weit hat die im NT zu beobachtende neue Füllung des Begriffs selbst wieder Anhalt in der jüdischen Überlieferung?

1. Die Weiterentwicklung der Messias-Hoffnung im Frühjudentum

In einer aktualisierenden Lektüre des AT konnten auch die Stellen, die ursprünglich den gegenwärtigen → König ideologisch überhöhten, in die Zukunft projiziert werden. Eigentlich schon erfüllte futurische Texte, z.B. der Segen für Juda Gen 49,10-12 oder die Prophezeiungen des → true Num 24, wurden als offene Verheißungen gelesen. Die Zusage des ewigen Bestandes an die Dynastie → Davids (2Sam 7,16) konnte sich nur eschatologisch realisieren, zumal für das nachexilische Judentum nach → Serubbabel (520 v.Chr.) kein Nachkomme Davids mehr als Herrscher in Sicht war. Die im Befreiungskampf des 2. Jh. v.Chr. gegen die Seleukiden führende Familie der → Makkabäer bzw. → Hasmonäer war nicht davidischer Herkunft. In dem mit Tierbildern verschlüsselten Geschichtsdurchblick äthHen 85-90, der noch vor dem Tod des → Judas Makkabäus entworfen wurde, spielt sie die entscheidende Rolle. Erst nach den Endereignissen wird die Geburt eines „weißen Farren mit großen Hörnern“ erwähnt, vor dem sich die Fremdvölker fürchten (äthHen 90,37). Obwohl damit der Messias gemeint sein dürfte, gleicht ihn die Tiergestalt eher den → Patriarchen an (vgl. äthHen 89,10f) als den Königen in der Linie Davids, die als Widder gezeichnet werden (äthHen 89,45-49). Nachdem sich die hasmonäischen Herrscher, obwohl nicht → Zadokiden, 152 v.Chr. das Amt des Hohepriesters angeeignet hatten und 104 v.Chr. als Nicht-Davididen den Königstitel anmaßten, wuchs in den Kreisen der Frommen die Hoffnung auf die Wiederherstellung der Theokratie mit einem legitimen → Hohepriester und einem König aus dem Geschlecht Davids. Letzteres bezeugen die Psalmen Salomos 17 und 18. Sie reagieren auf die Eroberung des Tempels durch Pompeius 63 v.Chr. und erflehen von Gott als König den „Sohn Davids“ (PsSal 17,21) bzw. den „Gesalbten des Herrn“ (PsSal 17,32 im korrigierten Text; PsSal 18,5-7). Er soll zugleich die Sünder im eigenen Volk züchtigen und Jerusalem von den Heidenvölkern reinigen. Diese Aufgaben werden vor allem mit Anklängen an Ps 2 und Jes 11,2-5 (vgl. auch die Jesajaparaphrase 4Q161 Frgm. 8-10) beschrieben. Letztlich setzt sich darin das → Königtum Gottes mit Gericht durch (vgl. PsSal 17,1-3). Indem der Messias ein heiliges Volk versammelt (PsSal 17,26.30c.32), erfüllt er eher priesterliche Funktionen.

In den bei → Qumran gefundenen Texten einer in die Wüste ausgewanderten religiösen Gruppe sind dagegen geistliche Würde und weltliche Kriegführung in Anlehnung an die beiden Gesalbten bei Sach 4,14; Sach 6,11-15 auf den priesterlichen „Gesalbten Aarons“ und den „Gesalbten Israels“ verteilt (vgl. die Gemeinschaftsregeln 1QS 9,11; 1QSa 2,12-14 und die sogenannte Damaskusschrift CD). Während sich der „Fürst der (ganzen) Gemeinde“, wie der politisch-militärische Führer in Aufnahme der Begrifflichkeit von Num und Ez genannt wird, im zwar heiligen, aber doch blutigen Krieg gegen die heidnischen Völker die Hände schmutzig macht, schafft der endzeitliche Hohepriester aus den Söhnen → Aarons Sühne für das Volk und belehrt es (4Q541 Frgm. 9 1,2f). Der wie bei Jer 23,5; Jer 33,15 als „Spross Davids“ bezeichnete königliche Messias tötet die Gottlosen mit dem Hauch seiner Lippen und richtet so die Königsherrschaft des Gottesvolkes auf (vgl. die Segenssprüche 1QSb 5,20-29, wieder mit Anspielungen auf Jes 11,2.4f u.a.; 4Q252 Frgm. 1 5,4). Unter dem Symbol des Zepters ist diese machtvolle Gestalt im Spruch des Bileam Num 24,17 vorhergesagt (vgl. CD 7,19b-21). In dem in seiner Deutung umstrittenen apokalyptischen Fragment 4Q246 2,4f steht die ewige Königsherrschaft des Volkes Gottes der flüchtigen Regierung der Könige von Assur und Ägypten (d.h. der Seleukiden und Ptolemäer) gegenüber. Mit letzteren wiederum ist am Ende von Spalte 1 und am Anfang von Spalte 2 ein großer König konfrontiert, der wie Jesus nach Lk 1,32.35 „Sohn Gottes“ bzw. „Sohn des Höchsten“ heißen wird (vgl. auch den Bezug von 2Sam 7,14 auf den „Spross Davids“ 4Q174 3,11). Die neuere Forschung bringt starke Argumente dafür, dass man darin nicht einen heidnischen Herrscher, sondern den Messias zu sehen hat. In den für die Qumransekte typischen Schriften freilich ist der priesterliche Gesalbte beim Mahl dem Messias Israels vorgeordnet (1QSa 2,11-22). Auch hat sich der herrscherliche Messias bei seinen Entscheidungen nach der Weisung der Priester (4Q161 Frgm. 8-10,24f.) oder des am Ende auftretenden Tora-Auslegers (4Q174 3,11f; CD 7,18b) bzw. Propheten (1QS 9,11, vgl. das Zitat von Dtn 18,18f in 4Q175) zu richten, der an manchen Stellen noch hinzukommt. In dem Gebet 4Q381 Frgm. 15,7f schickt sich zwar ein von Gott unterwiesener (vgl. PsSal 17,32 vom Messias) „Gesalbter“ an zu lehren; aber es könnte sich auch um einen Propheten handeln, die ebenfalls „Gesalbte“ heißen können (z.B. 1QM 11,7f; vgl. CD 2,12 u.ö. „Gesalbte seines heiligen Geistes“). Hier ist wohl wie Jes 61,1 eine metaphorische Salbung durch Gott gemeint. Nach 4Q458 Frgm. 2 2,6 vollzieht sich aber die Salbung „mit dem Öl des Königtums“ bzw. die des Priesters, „über dessen Haupt das Salböl ausgegossen wurde“ (4Q 375 Frgm. 1 1,9) in einem konkreten Ritus. Justin, dial. 8,4; 49,1 setzt denn auch als jüdische Anschauung voraus, dass der königliche Messias vom wiederkehrenden Propheten → Elia gesalbt wird.

Eine ähnliche Doppelspitze wie in Qumran sehen die apokryphen → Testamente der zwölf Patriarchen vor: Der endzeitliche Hohepriester soll aus dem Stamm Levi hervorgehen, der König Israels aus dem Stamm Juda. Auch hier überragt das Priestertum Gottes das Königtum auf Erden (vgl. TestJud 21,2-4). Dieselbe Konzeption findet sich im Segen über Levi und Juda im ebenfalls apokryphen Buch der Jubiläen 31,12-23. Doch gibt es keine „Messiasdogmatik“, sondern gegenüber der Personalunion von Hohepriester und Herrscher bei den Hasmonäern wird die Trennung der Ämter betont. Angesichts der Herrschaft eines Fremdstämmigen wie → Herodes und der römischen Vormacht konnte dagegen der kriegerische Messias aus dem Haus Davids in den Vordergrund treten. Die Bezeichnung „Gesalbter“ ist allerdings in Qumran nicht auf ihn festgelegt, sondern wird funktional verwendet. Sie muss durch Zusätze oder durch den Kontext (so „der Gesalbte“ 1QSa 2,12) näher determiniert werden. Dagegen steht beim königlichen Messias von PsSal 18 (Überschrift) sowie im 4Esra und syrischen Baruch (s.u.) der Artikel. Dieser determinierte Sprachgebrauch ist auch bei den Rabbinen nach 70 n.Chr. üblich.

Der Aufstand gegen Rom 66-70 n.Chr. war nach → Josephus, De bello Judaico 6,312 von der biblischen Weissagung getragen, dass einer aus dem Land der Juden über die bewohnte Erde herrschen würde. Diese Hoffnung konkretisierte sich noch einmal 132-135 n.Chr. in Bar Kosiba, der von Rabbi Akiba unter Anspielung auf Num 24,17 „Sternensohn“ (Bar Kochba) genannt und als „der König Messias“ begrüßt wurde, obwohl er nicht davidischer Abstammung war. Ein anderer Rabbi soll ihm allerdings entgegnet haben: „Akiba, Gras wird aus deinem Kiefer wachsen, und der Sohn Davids wird immer noch nicht gekommen sein“ (jTaan 4, 68d 44).

Bei aller Aufwertung von Gott her bleibt der messianische Herrscher ein Mensch, den Gott unter Menschen geboren werden lässt (vgl. 1QSa 2,11f nach wahrscheinlicher Lesart). Wenn er aber den endgültigen Sieg Gottes über die Weltreiche herbeiführen soll, bedarf er einer übermenschlichen Qualifikation. Deshalb schaute man in Apokalyptikerkreisen nach einer himmlischen Gestalt aus. In der Vision Daniel 7 ist es der mit den Wolken des Himmels zu Gott gelangende, von ihm mit ewiger Herrschaft über alle Völker belehnte → „Menschensohn“, in 11Q13 ist es → Melchisedek, der über den Engeln steht und für Gott → Gericht hält. In den Apokalypsen des 1. Jh. n.Chr., besonders den nach der Niederlage gegen die Römer im Jahr 70 geschriebenen, verschmilzt nun diese immer schon bei Gott weilende Figur mit dem irdischen Messiaskönig. Die Bilderreden des äthHen (Kap. 38-69) schildern den „Auserwählten“ bzw. „Menschensohn“, der aber auch äthHen 48,10; äthHen 52,4 „sein (Gottes) Gesalbter“ heißt, wie er auf dem Thron der Herrlichkeit zum Gericht Platz nimmt. Er war schon vor Erschaffung der Welt bei Gott verborgen und muss deshalb den Heiligen und Gerechten „geoffenbart“ werden (äthHen 48,7; äthHen 62,7). Auch im 4Esr 7,28 wird sich der von Gott für das Ende der Tage aufbewahrte (4Esr 12,32), als „mein Sohn“ bezeichnete Messias „offenbaren“ (vgl. 4Esr 13,32.52), allerdings nur für eine Herrschaft von 400 Jahren, die der totalen Verwandlung der → Schöpfung vorgeschaltet sind. Ähnlich der vom 4Esr angeregte syrBar 29,3; syrBar 39,7: Hier erfolgt die Auferstehung erst nach der Rückkehr des Messias in den → Himmel (syrBar 30,1; vgl. syrBar 40,3). Entwürfe von kosmischer Erneuerung werden so mit engeren nationalen Konzeptionen, für die zunächst der Begriff „Messias“ steht, ausgeglichen.

2. Hat sich Jesus als Messias verstanden?

Fraglich ist, wieweit der nachösterliche Christusglaube ins irdische Leben Jesu zurückgetragen wurde, aber auch, woran er sich beim → historischen Jesus heftete. Dieser verkündigte in erster Linie das kommende Reich Gottes, nicht die Herrschaft des jüdischen Volkes, noch weniger seine eigene Herrschaft. Er sticht also stark vom Typ des königlichen Messias ab. Die Befreiung von den Römern ist nicht sein Thema. Verstand er sich wenigstens nach dem Tauferlebnis als prophetischer „Gesalbter des heiligen Geistes“, wie die Qumrangemeinde den Begriff verwenden kann? Wenn er in seiner ersten Predigt Jes 61,1f für sich beansprucht (Lk 4,16-21), so ist das lukanische Redaktion (vgl. Apg 4,27; Apg 10,38 „Jesus von Nazareth, wie ihn Gott salbte mit heiligem Geist und Kraft“). Doch könnte er sich in dem „Boten“, der nach → Jesaja den Armen die frohe Kunde vom nahen Königtum Gottes bringt (vgl. Jes 61,2; Jes 52,7; 11Q13 2,15-23), wiedergefunden haben. Man denke an die Seligpreisung der Armen Lk 6,20; die Kombination einschlägiger Schriftstellen, darunter Jes 61,1, die ihn dem Täufer gegenüber als „den, der kommen soll“, ausweist (Mt 11,2-6), dürfte jedoch nachösterlicher Christologie entstammen.

Die Akklamation als „Sohn Davids“ (Mk 10,47f), das spätere Bekenntnis „geboren aus dem Samen Davids nach dem Fleisch“ (Röm 1,3; vgl. 1Tim 2,8) und die genealogischen Konstruktionen der Kindheitsgeschichten bei Mt und Lk führen allerdings wieder auf die herrscherliche Variante der Messianität. Als verarmter Nachkomme Davids über seinen Vater Josef hätte Jesus Voraussetzungen für messianische Erwartungen seitens des Volkes mitgebracht, obwohl die Abkunft von David dafür nicht unbedingt nötig ist, wie das Beispiel Bar Kochbas zeigt. Der Bericht Hegesipps (Eusebius, Kirchengeschichte 3,20,1-6) über die Verfolgung der Verwandten Jesu als Davidsnachkommen könnte die Geschichtlichkeit dieser Abstammung bestätigen. Doch Joh 7,42 scheint sie zu ignorieren. Ohnehin entspricht Jesu Auftreten so wenig dem Bild des kriegerischen Messias, dass es kaum vorstellbar ist, dass er von vornherein den Titel damit verband. Das Markusevangelium legt die ausdrückliche Identifikation Jesu als Messias auch in die letzte Phase seines Wirkens (Mk 8,27-30). Die Situation, wie Jesus die Meinungen des Volkes und der Jünger über sich erfragt, und sein Schweigegebot auf das Christusbekenntnis des → Petrus hin machen zwar einen durchweg künstlichen Eindruck; aber die Ortsangabe (Cäsarea Philippi) könnte historischen Wert haben. Hoch im Norden Israels kurz vor seinem schicksalsschweren Zug nach Jerusalem hätte Jesus sich einem messianischen Verständnis seiner Sendung geöffnet. Es wäre bei den Jüngern gereift und auch bei den galiläischen Anhängern, die Jesus nach seinen → Wundertaten nun auch noch Größeres zum Heil des Volkes zutrauten. So würde es glaubhaft, dass letztere mit dem in Jerusalem einreitenden Jesus „die kommende Herrschaft unseres Vaters David“ begrüßten (Mk 11,1-10). Jesus hätte durch seinen Ritt auf einem Esel bewusst Assoziationen an die archaischen Riten bei der Königssalbung (vgl. 1Kön 1,38), vor allem aber an ein von Sach 9,9f geprägtes Ideal vom demütigen Friedenskönig geweckt. Wegen der Realisierung dieses Prophetenwortes erklärt man die Szene zwar gewöhnlich für fiktiv. Aber sie bietet den einzigen handfesten Grund, weshalb die jüdischen Behörden Jesus den Römern als angeblichen „König der Juden“ verdächtig machen konnten, was durch die Inschrift auf dem Kreuz Mk 15,26 verbürgt erscheint. Sie stellt die politische Version des Messiasanspruchs dar, den Jesus nach Mk 14,61f vor dem Hohepriester bejahte. Wie am Fall Bar Kochbas evident wird, konnte dieser Anspruch allein nicht der Grund für ein Todesurteil sein. Aber in der Fassung „König der Juden“ wurde Jesus den Römern als Aufrührer präsentiert, der die Kreuzigung verdient.

3. Jesus als Messias im frühen Bekenntnis der Urgemeinde

Wir können nach dem Vorigen annehmen, dass der missverständliche Kreuzestitel nicht Ausgangspunkt des nachösterlichen Christusbekenntnisses war, sondern dass es dafür positive Ansätze im Verhalten Jesu gab. Sein Tod am Kreuz schien ihn aber als Messias zu desavouieren. Neuen Antrieb erhielt der Glaube an Jesus als Messias durch seine → Auferweckung von den Toten. Sie hat zwar an sich keinen besonderen christologischen Gehalt, wird aber vor dem Hintergrund des hoheitlichen Anspruchs Jesu als Einsetzung zum Messias und mit Ps 110,1 als Inthronisation zur Rechten Gottes verstanden (Apg 2,36; vgl. Röm 1,4 mit dem nach 2Sam 7,14 funktional gefassten „Sohn Gottes“-Titel). Die davidische Abkunft gilt als irdische Qualifikation für dieses Handeln Gottes im → Heiligen Geist (vgl. Röm 1,3f). Das anstößige Faktum des Kreuzestodes wird verarbeitet, indem man das Leiden des Messias wohl mit Rückgriff auf Jes 53 als schriftgemäß behauptet und als Sühnesterben deutet. Χριστóς als Subjekt in der um Tod und Auferstehung Jesu kreisenden traditionellen Zusammenfassung des Evangeliums 1Kor 15,3-5 meint Jesus als eschatologischen, von der Schrift geweissagten Heilbringer. Paulus nennt den gekreuzigten Christus als Inhalt seiner Juden wie Heiden gleichermaßen schockierenden Botschaft (1Kor 1,23; 1Kor 2,2 u.ö.). Die Notwendigkeit des Leidens des Christus wird dann vor allem bei Lk / Apg weiter thematisiert (Lk 24,26.46; Apg 3,18; Apg 17,3; Apg 26,23). Das Bekenntnis zum gekreuzigten Jesus als Messias wird zum entscheidenden Faktor der Trennung von bzw. des Ausschlusses aus der Synagoge (vgl. Joh 9,22). Die für das Christwerden bzw. Christsein fundamentale Formel „Ich glaube, dass Jesus der Messias ist“ – oft erweitert durch die Apposition „der Sohn Gottes“ – lässt sich aus Joh 11,27; Joh 20,31; 1Joh 2,22; 1Joh 5,1; Apg 24,24 und Textvarianten zu Apg 8,37 noch erschließen. Der Zusatz zeigt aber, dass bald andere Titel wie „Sohn Gottes“ oder „Herr“ (vgl. Phil 2,11; 1Kor 8,6) als Prädikat in den Vordergrund treten. Sie drücken eher das göttliche Wesen und die gegenwärtige Machtstellung des Erhöhten aus. Vor allem in der griechisch sprechenden Welt, wo „Gesalbter“ keine besondere religiöse Bedeutung hat. Χριστóς verbindet sich dagegen mit dem Subjekt der Aussagen, Jesus, so eng, dass es wie ein Beiname wirkt. Es kann den Jesusnamen ersetzen, so dass die Römer die Anhänger Jesu als „Christianer“ bezeichnen können (vgl. Apg 11,26), wie z.B. die „Herodianer“ nach Herodes benannt sind (vgl. Mk 3,6).

4. Jesus als Χριστóς in den Schriften des Neuen Testaments

In den Paulusbriefen ist dieser Prozess schon weit fortgeschritten, wie die Rede von „(unserem) Herrn Jesus Christus“ bezeugt. Auch bei gelegentlicher Umstellung ist nicht „der Messias Jesus“ zu übersetzen. Nur in bestimmten Zusammenhängen, wo der heilsgeschichtliche Vorzug Israels und die Treue Gottes zu seinen Verheißungen zur Sprache kommt, wird die titulare Bedeutung des Wortes und seine Verwurzelung in der davidischen Messianologie spürbar (vgl. Röm 1,2-4; Röm 9,5; Röm 15,7-12). Dass der Messias seine Herrschaft erst zu Gott erhöht antritt und dass er nicht von den Feinden, sondern von den Sünden befreit, bedeutet eine erhebliche Verschiebung gegenüber den jüdischen Erwartungen besonders eines königlichen Messias.

Die synoptischen Evangelien sind von dem apologetischen Interesse geleitet, Jesus schon in seinem irdischen Wirken einschließlich der Passion als schriftgemäßen Messias darzustellen. Bei Mk steht der Doppelname „Jesus Christus“ schon in der Überschrift 1,1; er wird aber durch „Sohn Gottes“ ergänzt (Textvarianten zu 1,1; Mk 14,61; vgl. Mk 1,11 u.ö.). Eine Kette von Wundern soll die Leser, für die in der Erzählung die → Jünger stehen, zur Erkenntnis des messianischen Wesens Jesu bringen. Etwa in der Mitte des Buches fällt endlich der Groschen bei Petrus (Mk 8,29). Indem Mk 8,31 das Bekenntnis des Petrus zu Jesus als Messias mit der Belehrung über die Bestimmung des „Menschensohnes“ zum Leiden fortführt, macht er deutlich, dass das Leiden nicht im Widerspruch steht zu Jesu messianischer Würde. Ja, der leidende Jesus ist derselbe, der auf den Wolken des Himmels in Macht wiederkommen wird (Mk 14,61f; vgl. Mk 8,38). Die überkommene Vorstellung von einem gleich auf Erden über seine Feinde triumphierenden Messias muss korrigiert werden (vgl. auch Mk 10,35-45), letztlich aus der erst nach Ostern möglichen Sicht. Dem dient auch das → Messiasgeheimnis.

Mt und Lk betonen über Mk hinaus in ihren ersten Kapiteln den davidischen Ursprung Jesu, „der Christus genannt wird“ (Mt 1,1-16, so auch im Mund des Pilatus Mt 27,17.22). Er wird deshalb von den Weisen als „König der Juden“ gesucht und verehrt (Mt 2,2). Seine Geburt in → true entspricht dem, was die Schrift (Mi 5,2) über den Geburtsort „des Messias“ sagt (Mt 2,4-6; vgl. Lk 2,11). Bei Lk 1,32f kündigt der Engel → Maria einen Sohn an, der ewig auf dem Thron seines Vaters David herrschen wird. Er wird aber gleichzeitig „Sohn des Höchsten“ genannt werden, nicht nur im Sinn des 2Sam 7,14 verheißenen Schutzverhältnisses, sondern aufgrund seiner Erzeugung durch den heiligen Geist (Lk 1,35). Ihn hat Gott als „Horn des Heils im Haus Davids“ aufgerichtet (Lk 1,69; vgl. Josefs Herkunft aus dem Haus Davids Lk 1,27; Lk 2,4). In alttestamentlicher Manier wird Jesus von Juden als „Gesalbter des Herrn“ bzw. „Gottes“ angesprochen (Lk 2,26; Lk 9,20; Lk 23,35; vgl. Apg 3,18, das Zitat Apg 4,26). Dadurch wird der Name Χριστóς erneut mit titularer Bedeutung aufgeladen wie durch die Verwendung des Verbs χρíειν („salben“) (Lk 4,18; Apg 4,27; Apg 10,38). Mt vermehrt die Anrufungen Jesu als „Sohn Davids“ (Mt 9,27; Mt 12,23; Mt 15,22) im Kontext von Heilungswundern (aber auch Mt 1,1; Mt 21,9.15), die dadurch als „Werke des Messias“ (Mt 11,2; vgl. auch Joh 7,31) erscheinen, obwohl sie nach alttestamentlich-jüdischer Überlieferung kaum typisch für ihn sind. Aber im Davidssohn-Gespräch (Mt 22,41-45, parallel mit Mk und Lk) wird deutlich, dass „der Messias“ höhere Wurzeln als David haben muss, wenn dieser ihn in Ps 110,1 als „Herrn“ anredet.

Auch das vierte Evangelium setzt sich mit der traditionellen Anschauung vom Messias auseinander, seiner verborgenen Herkunft (Joh 7,27; vgl. Joh 6,42; vgl. das unter 1 zum Offenbarwerden des Messias Gesagte), seiner Abstammung aus dem Samen Davids und seinem Geburtsort Bethlehem (Joh 7,41f; vgl. Joh 1,46), seinem ewigen Bleiben (Joh 12,34; vgl. Lk 1,33). Die letzten drei Einwände gegen Jesu Messianität sind an der Oberfläche vielleicht berechtigt, erfassen aber nicht das Wesen des von Gott gesandten Sohnes. Zwar erkennen anders als bei den Synoptikern die Jünger früh Jesus als Messias (Joh 1,41.49); aber erst vor → Pilatus wird geklärt, in welchem Sinn Jesus „der König Israels“ (Joh 1,49; Joh 12,13), ja überhaupt ein König ist (Joh 18,33-38): Als → Zeuge einer nicht von dieser Welt stammenden Wahrheit. Den Jüngern geht das erst auf, nachdem Jesus an Ostern von Gott verherrlicht wurde (Joh 12,16). Mit dem erwarteten König verfließt bei Joh der Zeichen wirkende (Joh 6,14f; Joh 7,31), die Herzen durchschauende (Joh 4,19.25.29; vgl. Mt 26,68) Prophet wie Mose, der nach Dtn 18,18 in diese Welt kommen soll (vgl. auch Apg 3,22f). Hier – wie auch bei Lk 4,18-21.24; Lk 7,16 – liegt der Akzent nicht auf der Toraauslegung wie beim endzeitlichen Propheten in Qumran.

Der dort so wichtige priesterliche Messias aus dem Haus Aaron spielt im NT nirgends eine Rolle. Für den Hebr, der Christus als Hohepriester zeichnet, ist die „Ordnung des Melchisedek“ maßgebend (Hebr 5,6.10; Hebr 6,20-7,19). Die Apk hält zunächst einmal das Paradox fest, dass das geschlachtete Lamm der siegreiche „Löwe aus dem Stamm Juda, der Spross Davids“ ist (Apk 5,5f; vgl. Apk 22,16). Bei seiner Machtübernahme freilich tritt er als kämpferischer „König der Könige“ (vgl. Apk 17,14) aus dem Himmel hervor, der die Völker mit eisernem Zepter weidet (Apk 19,11-16 unter Aufnahme von Ps 2,9, vgl. schon Apk 12,5; PsSal 17,24).

5. Zusammenfassung

Mögen auch die Messiaserwartungen des zeitgenössischen Judentums vielgestaltig gewesen sein, das NT knüpft meist an die königlich-davidische Hoffnung an. Um sie in Jesus erfüllt zu sehen, muss sie allerdings an sein faktisches Leben und Geschick angepasst werden. Manchmal, so wohl bei der Geburt in Bethlehem, ist freilich auch der umgekehrte Vorgang zu beobachten. Zugleich zeigt sich ein gewisses Ungenügen der hergebrachten Vorstellung, um die erfahrene Bedeutung Jesu gerade für nicht-jüdische Menschen auszusagen. Das jüdische Messias-Ideal wird deshalb aufgebrochen durch die Rede vom zum Gericht kommenden „Menschensohn“ bzw. vom präexistenten oder durch den Geist gezeugten „Sohn Gottes“ und andere transzendentere Konzepte, die teilweise auch schon im Judentum – wenn auch nicht unter dem Stichwort „Messias“ – angedacht worden waren.

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