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Löser / Loskauf

(erstellt: März 2015)

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1. Semantik

Das Begriffsfeld „Lösung / Erlösung“ wird im Hebräischen mit den zwei Begriffen גאל gʼl und פדה pdh ausgedrückt. Beide bezeichnen den Vorgang des Loskaufs aus einer wirtschaftlich-sozialen Notlage und werden auch in übertragenem Sinne als „Erlösung“ aus einer religiösen Not verwendet.

פדה pdh bezieht sich auf die Auslösung von Personen (z.B. Lev 19,20). Demgegenüber schließt גאל gʼl auch die Auslösung von Grundstücken (z.B. Lev 25,25-34) ein. In beiden Fällen wird eine bestimmte Geld- oder materielle Summe als Gegenwert des Auszulösenden eingesetzt. Die Auslösung vollzieht eine weitere Person.

Der übertragene Gebrauch im Sinne von „Erlösung“ bleibt dem wirtschaftlich-juristischen Vorgang eng verwandt (vgl. dazu Jepsen).

2. Lösen / Loskauf in bestimmten Textbereichen

2.1. Rechtstexte und Exodustradition

2.1.1. „Auslösen“ (פדה)

In Ex 21,8.30 erscheinen zwei spezifische Fälle der „Auslösung“. Der erste Fall gehört in die Regelungen der Schuldsklaverei (→ Sklaverei); Ex 21,7-11 behandelt die Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit einer Schuldsklavin. Hat ihr Herr sie sich als Nebenfrau / Konkubine genommen, will aber dieses Verhältnis beenden, soll sie durch einen Dritten „ausgelöst“ werden, der aber kein Ausländer sein darf. Die Schuldsumme, aufgrund derer die Frau versklavt wurde, wird also vom nächsten Herrn übernommen. Die „Auslösung“ bezieht sich demnach auf die Geldsumme. Behält der Herr sie jedoch, nimmt aber eine weitere Frau, so darf er der ersten Nahrung, Kleidung und Beischlaf nicht schmälern, sonst darf sie weggehen und ist frei; in diesem Fall erhält er kein Lösegeld.

Ex 21,30 diskutiert den Fall, dass ein Mensch durch ein aggressives Rind zu Tode kommt (Ex 21,26-32; vgl. auch Lev 19,20). War die Aggressivität des Tieres bekannt, und der Beisitzer hat es nicht dementsprechend bewacht, so verfällt er der Todesstrafe. Von dieser kann er sich um ein „Lösegeld“ (פִּדְיוֹן pidjôn) loskaufen, dessen Höhe von der Rechtsgemeinschaft festgelegt wird. Das Lösegeld wird durch כֹּפֶר kofær „Ersatzleistung / Lösegeld“ näher bestimmt. So steht in diesem Rechtsfall die Entfernung von Blutschuld und Unheil im Vordergrund (→ Sühne). 1Sam 14,45 berichtet von der Auslösung → Jonatans vor der ihm bevorstehenden Todesstrafe; hier scheint es sich aber um einen Sonderfall zu handeln.

Eine Besonderheit des rechtlichen Gebrauchs von פדה pdh ist seine Verwendung im Zusammenhang mit der Auslösung der → Erstgeburt: Nach Ex 13,2.12-15; Ex 22,29-30; Ex 34,19-20; Num 3; Num 8,16-18; Num 18,15-18; Neh 10,37; Dtn 15,19 sind menschliche und tierische Erstgeburten für Gott bestimmt. Ex 13,13-16; Ex 34,19-20; Num 18,15-17 regeln die Auslösung der Erstgeburten durch einen Ersatz, bei Menschen durch eine Geldsumme (→ Pidjon ha-Ben). Auf diesem Brauch basiert die theologische Logik der Erstgeburtsthematik in der Exodus-Erzählung: Israel wird durch die ägyptischen Erstgeburten „ausgelöst“ (Ex 4,23; Ex 12,29; → Exodus; → Exodustradition). Von hier aus führt eine Linie in den theologischen Gebrauch von פדה pdh.

2.1.2. „Loskauf“ (גאל)

Die mit גאל gʼl bezeichneten Vorgänge in den Rechtstexten sichern das Recht von in Not geratenen Angehörigen Israels: Lev 25,25-34 befasst sich mit verschuldeten Grundstücken. Wenn ein Grundstück wegen Verschuldung des Besitzers verkauft werden muss, ist der nächste Verwandte verpflichtet, es zu „lösen“ (גאל gʼl), d.h. zu kaufen bzw., sollte er dazu vorübergehend nicht in der Lage gewesen sein, so dass er es zunächst einem finanzkräftigeren Dritten überlassen müsste, zurückzukaufen, um den Boden im Besitz der Sippe zu behalten, bis die Schuld abgegolten ist. Auf diese Weise wird Akkumulation von Grundbesitz verhindert. Der Käufer agiert in diesem Fall als „Löser“ (גֹּאֵל goʼel).

Lev 25,47-54 hält fest, dass ein Israelit, der sich einem Fremden als Schuldsklave verkaufen muss, durch einen Löser (גֹּאֵל goʼel) losgekauft werden soll. Dies sorgt dafür, dass (übermäßige) Verschuldung nicht zu einer Auflösung des Volkes führt.

Auch die streng geregelte Aufgabe des Bluträchers (גֹּאֵל הַדָּם goʼel haddām; → Blutrache) gehört in diesen Zusammenhang (Num 35,12.19-27; Dtn 19,6.12; Jos 20,2.5.9): Ein Mörder soll durch den nächsten männlichen Verwandten des Opfers getötet werden (→ Mord). Damit wird das Recht des Opfers wahrgenommen. Nur in diesem Zusammenhang erscheint גאל gʼl ohne Bezug auf Geldsummen oder materielle Werte; das Recht der → Blutrache ist eng mit der Institution des → Asyls verwoben.

In Lev 27 liegt ein Sonderfall vor, der zeigt, dass גאל gʼl und פדה pdh eng zusammengehören: Weihegaben an die Gottheit (auch Menschen) können unter bestimmten Voraussetzungen vom Besitzer „ausgelöst“ werden – unter Aufschlag von 20% auf den ursprünglichen Wert. Auch hierbei soll vermutlich ein Missbrauch des Verkaufs von Menschen und Gütern verhindert und der ursprüngliche Besitzstand wiederhergestellt werden.

Die Rechtsinstitutionen der Auslösung und des Loskaufs zeigen, dass die Wahrung des Rechts und der Ansprüche von Schwachen von hohem Interesse waren (→ Recht): Es wird versucht, missbräuchliche Zugriffe auf Personen und Lebensgrundlagen nach Möglichkeit zu verhindern. Vor allem im Zusammenhang mit → Verschuldung spielen diese Instrumente eine Rolle, insofern sie der notwendigen Abhängigkeit des Schuldners vom Gläubiger entgegensteuern.

In diesem Bereich wurzelt ein großer Teil des religiös-theologischen Gebrauchs der Begriffe. Gott nimmt in Bezug auf das in Not und Unfreiheit geratene Israel das Recht des Auslösens bzw. des Loskaufs in Anspruch. In der theologischen Deutung des Exodus können גאל gʼl und פדה pdh ohne erkennbaren Unterschied verwendet werden (Dtn 7,8; Dtn 9,26; Dtn 13,6; Dtn 15,15; Ex 6,6; Ex 15,18; Ps 74,2). Diese Tat ist erfolgt ohne Vorleistung Israels, hat aber eine Verpflichtung bei sich.

Die Auslösung der Erstgeburt und die Blutrache stehen demgegenüber von vornherein in stärker religiös-theologisch konnotierten Zusammenhängen. Im Instrument der Blutrache wird in streng geregelter Weise das Hoheitsrecht des Schöpfers umgesetzt; bei der Erstgeburt geht es um das Besitzrecht Gottes an Mensch und Tier.

2.2. Rutbuch

Das → Rutbuch behandelt das Rechtsinstrument der „Lösung“ (גאל gʼl) im Zusammenhang einer Beispielerzählung mit weitreichenden Konsequenzen. Verhandelt wird in Rut die Frage nach der Versorgung von Witwen (Noomi) und ausländischen Frauen (Rut). Ein Grundstück, das dem verstorbenen Mann der Noomi gehört hat, kann und soll gelöst werden, wobei offen bleibt, wem die Kaufsumme zusteht. Als Löser in Frage kommen zwei nahe männliche Verwandte. Die Lösung nimmt Boas für sich in Anspruch, der zwar der fernere Verwandte ist, der aber gleichzeitig bereit ist, Noomis moabitische Schwiegertochter Rut in Form einer → Leviratsehe zu sich zu nehmen (Rut 4,1-12). Lösung und Levirat sind eigentlich voneinander unabhängig. Sie werden hier jedoch anscheinend zusammengebracht, um die Frage nach der Versorgung der älteren Noomi und der Ausländerin Rut gleichzeitig zu ermöglichen. Der aus der Verbindung von Rut und Boas geborene Sohn Obed gilt als Sohn Noomis und als deren Löser (Rut 4,13-14). Die im Rutbuch verhandelten Rechtsinstrumente im Zusammenhang mit Witwen – außer Levirat und Lösung noch das Recht der → Nachlese (Rut 2) – zeigen die konstante Bemühung Israels um eine würdige Behandlung Armer; der Sache nach verwandte Rechtsvorschriften werden hier in kreativer, aber sinnvoller Weise miteinander kombiniert. Charakteristisch für das Rutbuch ist, dass hier göttliche Eigenschaften (vor allem חֶסֶד ḥæsæd „Liebe / Gnade“; Rut 1,8; Rut 2,20) nicht anders als durch Menschen verwirklicht werden können. So ist es wahrscheinlich, dass auch die Rolle Boas’ bzw. Obeds als Löser (גֹּאֵל goʼel) über den aktuellen Rechtsfall hinausgehen und auf Gott hin transparent sind.

2.3. Psalmen und Hiobbuch

In den Psalmen wird das Motiv der Lösung und des Loskaufs auf die Rettung durch Gott übertragen. Die beiden Verben גאל gʼl und פדה pdh werden dabei ohne großen Unterschied verwendet. Neben Anspielungen auf die Exodustat (z.B Ps 74,2; Ps 78,42) wird Gottes Auslösung / Loskauf im Blick auf die Befreiung von Feinden (Ps 69,19; Ps 119,134) oder anderen Nöten (Ps 23; Ps 26,11; Ps 31,6; Ps 34; Ps 44,27; Ps 55,19; Ps 71,23; Ps 103,4; Ps 119,154) gepriesen oder erbeten. Auch Gen 48,16 spricht von einer solchen Lösung / Erlösung; Hi 5,20 nennt die Auslösung aus dem Tod, Hi 33,28 aus dem Grab. In solchen Texten spricht sich die Überzeugung aus, dass Gott in der Rettung seinen Anspruch auf den Menschen gegen die Mächte des Todes geltend macht; es ist also auch hier ein Echo sozialer und rechtlicher Vorgänge zu hören (vgl. Barth). Ps 49 reflektiert in der Form des weisheitlichen → Gebets die Frage, wessen Autorität angesichts des Todes gilt, und stellt fest, dass nur Gott einen Menschen aus der Gewalt des Todes „auslösen“ (גאל gʼl) kann. In diesem Sinne wird Gott in Ps 19,15; Ps 78,35 als „Erlöser“ (גֹּאֵל goʼel) bezeichnet.

Ob sich auch Hi 19,25 „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ auf Gott bezieht, ist demgegenüber umstritten: Im Zusammenhang der Reden Hiobs müsste Gott dann gegen sich selbst und seinen eigenen Anspruch auftreten. Ein ähnlicher Gedankengang in Hi 16,19-20 hat eine weitere Instanz neben Gott („Zeuge“ / „Fürsprecher“) im Blick. Es könnte sich daher um eine göttliche, aber von Gott unterschiedene Figur handeln. Überdies bleibt für Hi 19 zu klären, ob es sich um eine diesseitige Hoffnung oder um eine jenseitig-eschatologische handelt (zur Diskussion zuletzt Hermisson).

2.4. Prophetische Texte

Abseits der rein rechtlichen Vorgänge gilt, dass vollständige „Erlösung“ aus aller Not und Gefahr nur von Gott verwirklicht werden kann. Auf diesem Aspekt liegt der Schwerpunkt im prophetischen Gebrauch von גאל gʼl und פדה pdh. Dabei wird פדה pdh in der Prophetie auffallend wenig verwendet (Jes 1,27; Jes 29,22; Jes 35,10; Jes 51,11; Jer 15,21; Jer 31,11; Hos 7,13; Hos 13,14; Mi 6,4; Sach 10,8). Wesentlich häufiger ist גאל gʼl, das besonders gehäuft in Jes 40-66 erscheint (24 von 45 Belegen in der Prophetie). Die Befreiung Israels aus der babylonischen Herrschaft wird in Jes 40-55 zur Aktualisierung und Überbietung der Exodustat, wobei vor allem in Jes 43,3-4 die Erlösung als Loskauf besonders deutlich wird (vgl. auch Jes 43,1; Jes 48,20f.; Jes 51,10). Die neue Befreiung wird als wiederhergestelltes Eigentumsverhältnis zwischen Gott und Israel ausgesagt. Ähnliches findet sich auch Jer 31,11; Mi 4,10.

Charakteristisch für Jes 40-55 ist die Rede von JHWH als „Erlöser“ (גֹּאֵל goʼel), die an neun Stellen belegt ist (Jes 41,14; Jes 43,14; Jes 44,6; Jes 47,4; Jes 48,17; Jes 49,7f.26; Jes 54,5). Die unmittelbare Einbindung in die → Botenformel „So spricht JHWH“ in Jes 43,13; Jes 44,6.24; Jes 48,17; Jes 49,7 macht das Gottesepitheton „Erlöser“ zu einem kontextunabhängigen Aspekt JHWHs. Dementsprechend wird גאל gʼl in Zusammenhang mit dem → Königtum JHWHs (Jes 44,6) und seiner Begleitung Israels (Jes 48,17) ausgesagt. In Jes 63,16 schließlich steht der „Erlöser“ parallel zum „Vater“. Hier gehen im Titel des Erlösers individuelle und kollektive Rettungserfahrungen ineinander über; von der wirtschaftlich-sozialen Konnotation hat sich das Motiv abgelöst. Es bleibt indes der Anspruch des Erlösers auf sein erworbenes Gut.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff.
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 6. Aufl., München / Zürich 2004

2. Weitere Literatur

  • Barth, C., 2. Aufl. 1987, Die Errettung vom Tode in den individuellen Klage- und Dankliedern des Alten Testaments, Zürich
  • Berges, U., 2008, Jesaja 40-48 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg / Basel / Wien
  • Berges, U., 2015, Jesaja 49-54 (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg / Basel / Wien
  • Feldmeier, R. / Spieckermann, H., 2011, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (TOBITH 1), Tübingen, 309-338; 466-490
  • Fischer, I., 2. Aufl. 2005, Rut (Herders Theologischer Kommentar zum Alten Testament), Freiburg / Basel / Wien
  • Gerstenberger, E.S., 6. Aufl. 1993, Das dritte Buch Mose. Leviticus (ATD 6), Göttingen
  • Hartenstein, F., 2008, Die Geschichte JHWHs im Spiegel seiner Namen, in: I.U. Dalferth / P. Stoellger (Hgg.), Gott nennen. Gottes Name und Gott als Name (RPT 35), Tübingen, 73-95
  • Hermisson, H.J., 2004, „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt!“ (Hiob 19,23-27), in: M. Witte (Hg.), Gott und Mensch im Dialog II (FS O. Kaiser; BZAW 345,2), Berlin / New York, 667-688
  • Janowski, B., 1982, Auslösung des verwirkten Lebens. Zur Geschichte und Struktur der biblischen Lösegeldvorstellung, ZThK 79, 25-59
  • Jepsen, A., 1978, Die Begriffe des „Erlösens“ im Alten Testament, in: Ders., Der Herr ist Gott (Aufsätze zur Wissenschaft vom Alten Testament), Berlin, 181-191
  • Köhlmoos, M., 2009, Ruth (ATD 9 / 2), Göttingen
  • Stamm, J.J., 1940, Erlösen und Vergeben im Alten Testament, Bern

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