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(erstellt: September 2013)

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1. Livia in der Zeit der Bürgerkriege (43 – 27 v. Chr.)

Im selben Jahr, in dem → Caesar seine Kriegszüge in Gallien begann (58 v. Chr.), wurde Livia Drusilla geboren. Ein Jahr nach Caesars Ermordung heiratete sie 43 v. Chr. Tiberius Claudius Nero. Ihm gebar sie zwei Söhne: den späteren Kaiser → Tiberius und den später erfolgreichen, wenngleich früh verstorbenen Feldherrn Drusus. Vater und Ehemann gerieten in der beginnenden Bürgerkriegszeit in Konflikt mit den neuen Machthabern → Marcus Antonius und → Augustus (2. Triumvirat) und mussten aus Rom fliehen. Ihrem Ehemann gelang jedoch die Aussöhnung mit Augustus, vielleicht nicht zuletzt deshalb, weil er sich von Livia scheiden ließ und sie stattdessen Augustus als Ehefrau überließ.

Im Jahr 38 v. Chr. heirateten Augustus und Livia. In den folgenden Jahren der Bürgerkriege wurde Livia als Verkörperung der idealen römischen Ehefrau als Gegenbild zu den Frauen des Antonius propagandistisch in Szene gesetzt. Vor allem im Vorfeld der Schlacht von Actium (31 v. Chr.), die Augustus letztlich die Alleinherrschaft sicherte, war Livia als Antitypus zur ägyptischen Königin → Kleopatra medial präsent. Gerade ihre Zurückhaltung in der Öffentlichkeit und ihre öffentlich propagierte Sittenstrenge galten als positiver Ausweis weiblicher römischer Tugenden.

2. Livia in der frühen Kaiserzeit (27 v. Chr. – 29 / 42 n. Chr.)

2.1. Livia als Ehefrau und First Lady des Augustus

Obgleich die Ehe von Livia und Augustus kinderlos blieb, hatte sie bis zum Tod des ersten Kaisers (14 n. Chr.) Bestand. Diese für römische Maßstäbe ungewöhnlich stabile und lange Ehe (trotz zahlreicher Affären des Augustus) brachte Livia den Ruf der idealen Ehefrau ein. Nach dem öffentlichen Rückzug von Augustus Schwester Octavia und der Verbannung seiner einzigen Tochter Iulia erlangte Livia die Stellung des weiblichen Oberhauptes der Iulisch-Claudischen Familie. Öffentlich zurückhaltend und nüchtern, wurde Livia im Haus des Kaisers zu einer geschätzten Ratgeberin, beaufsichtigte die Erziehung zahlreicher Kinder und Enkel und war zudem politisch vermittelnd wie wirtschaftlich eigenständig aktiv. Ihre Loyalität zu Augustus und seiner politischen Neuordnung (Monarchie als Principat) wies ihr die Rolle der repräsentativen Ehefrau und einer für Haus und Reich sorgenden Mutter zu. Durch Ehrungen für ihre Person (Münzen, Bildnisse etc.) sowie von ihr finanzierte Karrieren und Stiftungen war Livia im öffentlichen Raum der Stadt Rom und der Provinzen präsenter als jede römische Frau zuvor. Vor allem im Osten des Reiches wurde sie in hellenistischer Tradition als Frau des Herrschers bereits zu Lebzeiten kultisch verehrt und in den Bereich des Göttlichen gerückt. Hier wird sie vor allem mit weiblichen Gottheiten verbunden, die mit Ehe, Mutterschaft und Fruchtbarkeit assoziiert sind. Im religiösen wie im politischen Gefüge des Principats fiel Livia entsprechend der weibliche Aspekt einer Vermittlerin und Repräsentantin der Macht zu.

Nach dem Tod zahlreicher Nachfolgekandidaten wurde schließlich Livias ältester Sohn Tiberius von Augustus adoptiert und für die Nachfolge bestimmt. Die Todesumstände der vorherigen Erben und die Installierung ihres leiblichen Sohnes trugen Livia den Verdacht ein, durch Giftmorde und Intrigen rücksichtslos ihre und die Interessen ihrer Kinder zu verfolgen. Ihre öffentlichkeitswirksame Rolle als Ehefrau und Mutter wurde indes weiter befestigt.

2.2. Livia als Mutter des Tiberius und weibliches Oberhaupt des Kaiserhauses

In seinem Testament hatte Augustus Livia posthum adoptiert und ihr ein Drittel seines Vermögens sowie seinen Namen hinterlassen. Livia nannte sich fortan Iulia Augusta und wurde nach der Divinisierung des Augustus zu seiner ersten Priesterin. Durch diese immense Steigerung ihrer ideologischen wie materiellen Machtmittel gelangte Livia in eine Position, die zwar keiner rechtlichen, jedoch einer faktischen Mitherrschaft nahe kam. Dass Tiberius nach der Verbannung und dem Tod seiner Frau nicht wieder heiratete, begünstigte Livias Stellung als erste Frau des Kaiserhauses, als Mutter des amtierenden und Witwe sowie Priesterin des verstorbenen Herrschers. Sie stand weiterhin dem kaiserlichen Haus vor, war verantwortlich für die dort erzogenen Kinder und übte aufgrund ihrer Nähe zum Kaiser eine vermittelnde Funktion aus.

Tiberius war bestrebt, die zunehmenden Ehren und den wachsenden Einfluss seiner Mutter zu beschneiden. Sein Rückzug auf die Insel Capri wird entsprechend als Versuch gedeutet, sich diesem Einfluss zu entziehen. Dennoch wuchs die kultische Verehrung Livias vor allem im Osten des Reiches signifikant an. Die Augusta selbst dokumentierte ihre Position durch Inschriften und Stiftungen sowie weiterhin durch die Förderung einer eigenen Klientel. Erst in den letzten Lebensjahren Livias konnte Tiberius ihrer Macht wirksam Grenzen setzen. Als Livia im Jahr 29 n. Chr. starb, wurde sie zwar im Mausoleum des Augustus beigesetzt, aber Tiberius kassierte ihr Testament und verhinderte ihre Divinisierung. Dennoch starb Livia als die mit Abstand wohlhabendste, einflussreichste und mächtigste Frau Roms.

Als ihr Urenkel → Caligula seine Herrschaft antrat, setzte er schließlich die Bestimmungen ihres Testaments in Kraft. Ihr Enkel → Claudius, der Caligula als Kaiser nachfolgte, ließ Livia im Jahr 42 n. Chr. unter die Götter erheben – aus der römischen Aristokratin Livia Drusilla war die Stammmutter der Iulisch-Claudischen Dynastie und die Staatsgöttin Diva Augusta geworden.

2.3. Quellen der Macht

Livias besondere Stellung in der frühen Kaiserzeit beruhte zunächst auf ihrer persönlichen Nähe zum regierenden Herrscher. Hier konnte sie durch Gespräch und Rat Einfluss nehmen. Dieser Einfluss ergab sich aber auch durch Livias zahlreiche Kontakte zu römischen Politikern, Klientelfürsten, Provinzialen, Unternehmern und natürlich zu deren Frauen.

Augustus hatte seine Frau zudem von der eigentlich allen römischen Frauen geltenden Verpflichtung befreit, einen männlichen Vormund (tutor) zu haben. Dies ermöglichte es Livia, gestützt auf ihr ererbtes Vermögen sowie hinzukommende Erbschaften etc., finanziell und wirtschaftlich unabhängig zu agieren. Ihr so entstandenes Vermögen, dass neben Geldmitteln aus Landbesitz, Bergbaubeteiligungen, Immobilien, Kunstschätzen und vielem anderen bestand, wurde durch das Erbteil, das Augustus ihr hinterließ, nicht unwesentlich gemehrt. Livias vermittelnde Position zum Kaiserhaus sowie ihre finanzielle Unterstützung von Bauten, Mitgiften, Karrieren etc. verschaffte ihr eine große Klientel. Tägliche Empfangszeiten und Briefkontakte hielten dieses Netzwerk zusammen.

Beginnend in der Zeit des Augustus wurde Livia auch kultisch verehrt. Nach dem Tod des Augustus erbte sie dessen sakral konnotierten Namen und wurde zugleich zur ersten Priesterin des neuen Staatsgottes Divus Augustus. Durch diese Sakralisierung, durch ihre öffentlich hervorgehobene Vorbildfunktion als Ehefrau und Mutter sowie durch ihre Identifikation mit weiblichen Gottheiten im Rahmen des Herrscherkultes erwuchs Livia ein ideologisches Machtpotential, wie es auch Augustus für seine Person ausbauen und nutzen konnte.

Die Machtposition der Livia beruhte im Grunde auf demselben Faktor, den auch Augustus zur Legitimation seiner machtpolitischen Sonderstellung geltend machte: auctoritas (Ansehen, Autorität). Livia war rechtlich nur wenig privilegierter als andere Frauen der römischen Oberschicht und anders als hellenistischen Herrscherinnen war ihr jede Form institutionalisierter Macht versagt. Dass sie dennoch wie keine zweite Frau der frühen Kaiserzeit über Macht verfügte, beruhte auf ihrem Einfluss beim Kaiser, auf ihrem immensen Vermögen, ihrer weitvernetzten Klientel und ihrer religiösen Sonderstellung. Ihre Divinisierung unter Claudius erscheint in dieser Perspektive als konsequente Folge und religiöser Ausdruck ihres stetig gewachsenen Machtpotentials.

3. Bedeutung Livias für die neutestamentliche Zeitgeschichte

Anders als die ägyptische Königin Kleopatra ist Livia nicht fest im kulturellen Gedächtnis der Gegenwart verankert. Dennoch kann ihre Bedeutung als mächtige Frau in der Öffentlichkeit der frühen Kaiserzeit kaum überschätzt werden. Livia war mit den Kaisern des ersten Jahrhunderts eng verbunden und hatte zumindest partiell Teil an deren Herrschaft. Als Ehefrau des Augustus, als Mutter des Tiberius, Urgroßmutter Caligulas und Großmutter des Claudius war Livia den Zeitgenossen Jesu stets präsent. Livia förderte die Karrieren wichtiger Personen der römischen Kaiserzeit wie die des späteren Kaisers → Galba oder die des syrischen Statthalters → Quirinius (vgl. Lk 2,2). Ihre kultische Verehrung vor allem in den griechischen und kleinasiatischen Städten (z. B. Smyrna), in Ägypten und in Judäa ist gut dokumentiert.

Livias Verbindungen nach Judäa und zu den → Herodianern waren vielfältig und zeugen von einem engen Klientelverhältnis. So hielt Livia engen Kontakt zu Salome, der Schwester Herodes des Großen. Der spätere König Herodes → Agrippa I. (vgl. Apg 12) wuchs in Livias Haushalt in Rom auf. Herodes → Antipas benannte eine seiner Städte in „Livias“ um. Sein Bruder Philippus gab der Neugründung von → Bethsaida den Namen Iulias (nach Livias damaligem Namen Iulia Augusta). Diese Umbenennung, der für das Wirken Jesu wichtigen Stadt Bethsaida (vgl. Lk 9,10-17), ist um das Jahr 30 n. Chr. zu datieren und fällt folglich mit dem Beginn des öffentlichen Wirkens Jesu zusammen (vgl. Lk 3,1-2). In dieselbe Zeit verweist auch eine Münzprägung des Praefecten von Judaea → Pontius Pilatus, der Bronzemünzen mit der Aufschrift ΙΟΛΙΑ ΚΑΙΣΑΡΟΣ (Iolia Kaisaros, d.h. Kaiserin Iulia) prägen ließ. Diese Münzen, die auf der Vorderseite den Kaiser Tiberius nennen, waren für den lokalen Handel bestimmt und bezeugen einerseits die Loyalität des Pilatus zum Kaiserhaus (und zu Livia als dessen weiblicher Repräsentantin) und andererseits die weitreichende Bedeutung Livias als Repräsentantin Roms bzw. der kaiserlichen Macht bis in den Alltag der Provinzen. Selbst im Tempelkult von Jerusalem war Livia präsent. Livia hatte für den dortigen Kult goldene Gefäße gestiftet (vgl. Philo, Legatio ad Gajum 40)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Livia sowohl für die Enzyklopädie der frühen römischen Kaiserzeit als auch für die neutestamentliche Zeitgeschichte von entscheidender Bedeutung in politischer, wirtschaftlicher und religiöser Hinsicht ist.

Literaturverzeichnis

1. Quellen

  • Philo Alexandrinus, 1970, Legatio ad Gajum, second edition, Leiden
  • Suetonius Tranquillus, C., 2006, De vita Caesarum – Die Kaiserviten, Sammlung Tusculum, Düsseldorf / Zürich
  • Tacitus, P. C., 2010, Annalen, Sammlung Tusculum, Mannheim

2. Lexikonartikel

  • Stegmann, H., 1999, Art. Livia (2) – Livia Drusilla = Iulia Augusta, DNP 7, 366-367

3. Weitere Literatur

  • Barrett, A. A., 2004 Livia. First Lady of Imperial Rome, new edition, New Haven / London
  • Kunst, C., 2008, Livia. Macht und Intrigen am Hof des Augustus, Stuttgart
  • Temporini-Gräfin Vitzthum, H. (Hg.), 2002, Die Kaiserinnen Roms. Von Livia bis Theodora, München

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