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Kultkritik (AT)

(erstellt: Mai 2008)

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1. Kultkritik in der Schriftprophetie

Kritik am Kult zieht sich wie ein cantus firmus durch die Texte der Schriftprophetie von den Anfängen bei Hosea bis zu ihrem Ausgang bei Maleachi und Tritojesaja. Schon ein kurzer Blick auf die wichtigsten Belegstellen zeigt, dass unter dem Oberbegriff Kultkritik eine Vielfalt von Phänomenen erfasst werden kann.

1.1. Prophetie des 8. Jahrhunderts

Hosea übt in Hos 4,4-6 Kritik an einem einzelnen Priester, erwähnt dessen Mutter und Kinder, wirft ihm vor, die Gotteserkenntnis verworfen und die → Tora Gottes vergessen zu haben und droht ihm seinerseits Straucheln und Verwerfung an – eine Kritik, deren Hintergrund wohl nur noch die unmittelbaren Adressaten der Worte verstanden haben. Dann aber wird die Kritik auf das Volk ausgeweitet (Hos 4,7-13). Kritisiert werden Kultfeiern, bei denen Alkohol und Sexualität eine große Rolle spielen, ferner das Befragen von Baumorakeln und die Verehrung einer (wohl weiblichen) Gottheit, die allerdings nicht mit Namen genannt wird.

Stärker als bei Hosea steht bei → Amos die Kultkritik im engen Zusammenhang mit der → Sozialkritik. Den üppigen Opfern der Reichen (Mastvieh) wird die Forderung nach Recht und Gerechtigkeit entgegengehalten (Am 5,21-24). In die gleiche Richtung geht die Kritik bei → Jesaja (Jes 1,10-17).

1.2. Prophetie am Ende des 6. Jahrhunderts

Seit dem Ende des 8. Jh.s steht → Juda zunehmend unter assyrischem Einfluss. Dieser reicht auch in den religiösen Bereich hinein. So erwähnt → Zefanja einen Gestirnskult, der auf Dächern ausgeübt wird. Neben den JHWH-Priestern, die er mit dem üblichen hebräischen Wort kohǎnîm belegt, bedroht er eine weitere Priestergruppe, die mit einem akkadischen Lehnwort als kəmarîm bezeichnet wird (Zef 1,4-6).

Im → Jeremia-Buch ist oft nicht leicht zu unterscheiden, wo Kultkritik auf den Propheten selbst und wo sie auf spätere Bearbeiter des Buches zurückgeht. Es scheint aber ziemlich sicher zu sein, dass Jeremia ein falsches und bedingungsloses Vertrauen in den Tempel von Jerusalem angreift (Jer 7; Jer 26). Er nimmt dabei eine Linie auf, die schon bei → Micha am Ende des 8. Jh.s angelegt ist. Jer 26,18 zitiert wörtlich das tempelkritische Wort von Mi 3,12.

Ezechiel schließlich ist als Priester nach Babylonien verschleppt worden. Dennoch schildert Ez 8,7-18, wie der Prophet in einer Entrückung durch den Tempel Jerusalems geht und Zeuge kultischer Gräuel wird: die Anbetung von Tierbildern, das Weinen von Frauen um den Gott → Tammus und die Anbetung der → Sonne durch judäische Männer.

1.3. Prophetie der Perserzeit

In der Zeit nach dem → Exil scheint die Verehrung anderer Gottheiten als JHWH in der persischen Provinz → Jehud keine relevante Rolle mehr zu spielen. Auch ist in der kleinen Provinz der offizielle Kult in Jerusalem konzentriert. Trotzdem sind auch jetzt Mängel zu beklagen.

Maleachi wirft der Priesterschaft vor, dass sie minderwertige und damit nicht opferfähige Tiere als → Opfer annimmt. Entgegen ihrer ureigensten Aufgabe achten die Priester nicht auf (Gottes-)Erkenntnis und Weisung (Tora) (Mal 1,6-2,9). Dem Volk wirft er vor, den → Tempel um Abgaben und → Zehnten zu betrügen (Mal 3,6-12).

Geht es bei → Maleachi um Kritik an einem nachlässig durchgeführten Kult, so gewinnt man bei → Tritojesaja den Eindruck, der Tempel als solcher könne in Frage gestellt sein (Jes 66,1f.). Möglicherweise deuten sich hinter Jes 66,5 bereits Konflikte innerhalb der Tempelpriesterschaft an – der Text spricht von „euren Brüdern, die euch hassen, die euch um meines Namens willen verstoßen“. Derartige Konflikte münden letztlich in den Auszug eines Teils der Priesterschaft und der Gründung einer oppositionellen Gemeinschaft in → Qumran.

2. Weisheitliche Kultkritik

Kultkritik ist kein ausschließliches Phänomen der Prophetie, auch wenn sie da literarisch am breitesten belegt ist. Es ist sogar zu vermuten, dass viele Elemente der prophetischen Kultkritik weisheitlich beeinflusst sind. Denn die → Weisheit kennt seit langem, schon im alten Ägypten (Lehre des Merikare; → Weisheitsliteratur in Ägypten), eine Kritik am Kult dann, wenn er nicht mit rechtem Verhalten einhergeht. So gilt nur das Gebet der Gerechten als gottgefällig, während das Opfer der Übeltäter verwerflich ist (Spr 15,8; Spr 15,29 u.ö.). Wie bei Amos und Jesaja werden Recht und Gerechtigkeit höher gewertet als Opfer (Spr 21,3).

Aus der Weisheitsliteratur wandert dieses Gedankengut in andere Literaturgattungen ein (deren Verfasser ja durchaus weisheitlich gebildete Leute sein können). So stellt Ps 50 den Opfern, auf die Gott als Herr der Welt und der Tiere nicht angewiesen ist, den Dank und die Gelübdeerfüllung entgegen. Sentenzartig wird dies in der Erzählung von Sauls Verwerfung zusammengefasst, wenn Samuel formuliert, dass „Hören besser als Schlachtopfer und Aufmerken besser als das Fett von Widdern“ ist (1Sam 15,22). Wenn es in Hos 6,6 schließlich heißt, dass Gott „an Güte Gefallen habe und nicht an Schlachtopfern und an Gotteserkenntnis mehr als an Brandopfern“, dann liegt der Zusammenhang mit dem weisheitlichen Denken auf der Hand.

3. Der Stellenwert der Kultkritik

In der Forschung wird gestritten, ob die Kritik am Kult prinzipieller Art sei oder sich nur auf Missstände beschränke, den Kult als solchen aber nicht in Frage stelle. Für den Kulturprotestantismus war klar, dass sich die Prophetie über das bloß Rituelle kultischer Verrichtungen turmhoch erhebt und jeglichen Kult weit hinter sich lässt. Im 20. Jh. hat man dem entgegen die tiefe kultische Verwurzelung der israelitischen Religion entdeckt. Jetzt gelten die Propheten als Verfechter eines wahren und reinen Kultes gegen dessen Verfälschungen. Doch zeigt der genaue Blick auf die Texte, dass sie sich schlecht für pauschale Urteile eignen. Dies fängt schon bei der näheren Bestimmung ihres Gegenstandes an. Wenn die Verehrung falscher Götter oder unerlaubter Bilder und die Darbringung minderwertiger Opfertiere kritisiert wird, werden offenbar die bildlose Verehrung des wahren Gottes und die Darbringung rechter Opfergaben geradezu gefordert. Wird dagegen die Kultkritik in engen Zusammenhang zur Sozialkritik gestellt oder werden die religiösen Verrichtungen von Übeltätern und Gerechten einander entgegengesetzt, dann lässt sich daraus zwar keine Ablehnung des Kults konstruieren, gleichwohl wird an den Kult ein Maßstab angelegt (Recht und Gerechtigkeit), der ihn relativiert. Das kann schließlich in zugespitzten Situationen, wie sie hinter Jes 66,1-6 zu stehen scheinen, zu sehr prinzipiellen kultkritischen Äußerungen führen.

Literaturverzeichnis

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  • Boecker, H.J., 1981, Überlegungen zur Kultpolemik der vorexilischen Propheten, in: J. Jeremias / L. Perlitt (Hgg.), Die Botschaft und die Boten (FS H.W. Wolff zum 70. Geburtstag), Neukirchen-Vluyn, 169-180
  • Ernst, A.B., 1994, Weisheitliche Kultkritik. Zu Theologie und Ethik des Sprüchebuchs und der Prophetie des 8. Jahrhunderts (BThSt 23), Neukirchen-Vluyn
  • Kratz, R.G., 1998, Die Kultpolemik der Propheten im Rahmen der israelitischen Kultgeschichte, in: B. Köhler (Hg.), Religion und Wahrheit. Religionsgeschichtliche Studien (FS G. Wießner), Wiesbaden, 101-116
  • Krech, V., 1986, Prophetische Kultkritik am Beispiel von Amos 5,21-27, DBAT 23, 121-155
  • Krüger, Th., 2006, Erwägungen zur prophetischen Kultkritik, in: R. Lux / E.-J. Waschke (Hgg.), Die unwiderstehliche Wahrheit. Studien zur alttestamentlichen Prophetie (FS A. Meinhold; ABG 23), Leipzig, 37-55
  • Schüngel-Straumann, H., 1972, Gottesbild und Kultkritik vorexilischer Propheten (SBS 60), Stuttgart
  • Uehlinger, Ch., 1996, Astralkultpriester und Fremdgekleidete, Kanaanvolk und Silberwäger. Zur Verknüpfung von Kult- und Sozialkritik in Zef 1, in: W. Dietrich / M. Schwantes (Hgg.), Der Tag wird kommen. Ein interkontextuelles Gespräch über das Buch des Propheten Zefanja (SBS 170), Stuttgart 49-83

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