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Konfessionen Jeremias

(erstellt: März 2015)

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Als „Konfessionen Jeremias“ werden eine Reihe von Texten im → Jeremiabuch (genauer in Jer 11-20) bezeichnet, in denen Jeremia über sein Geschick als Prophet bzw. über sein prophetisches „Amt“ klagt. Diese Klagegebete sind nicht mit den → Klageliedern Jeremias zu verwechseln, einem eigenen Buch des Alten Testaments, das die → Zerstörung Jerusalems 587 v. Chr. beklagt.

1. Die Bezeichnung „Konfessionen“

Unter der Bezeichnung „Konfessionen Jeremias“ wird in der Literatur eine Gruppe von Texten verstanden, in denen der Prophet „sein eigenes Geschick als Gottes Beauftragter beklagt“ (Herrmann, 129). Der in der Literatur kaum problematisierte Begriff „Konfessionen“ ist wohl von einem Werk des Kirchenlehrers → Augustinus übernommen (Confessiones, deutsch: Bekenntnisse); der Begriff trifft den Inhalt der jeremianischen Texte jedoch nur bedingt. Im Hinblick auf den nicht bestreitbaren Einfluss der Gattung „Klagelieder des Einzelnen“ (→ Psalmen) im Psalter bezeichnete W. Baumgartner in einer forschungsgeschichtlich grundlegenden Untersuchung 1917 die Texte als „Klagegedichte“ bzw. als „Gedichte, die den Klageliedern nahestehen“ (die Bezeichnung „Konfessionen Jeremias“ führte er kommentarlos zu Beginn des Vorworts an). In der englischsprachigen Literatur findet man neben „Confessions“ auch die Bezeichnungen „Laments“ (u.a. Smith) und „Complaints“ (u.a. Gerstenberger). McKane in seinem Jeremiakommentar versteht „,confession’ as a constitutive part of the ‚lament’ Gattung“ (XCV). Vermeylen schlägt die Fügung „psaumes du live de Jérémie“ vor (268).

2. Die Texte

In der Regel wird von fünf „Konfessionen“ ausgegangen: Jer 11,18-12,6; Jer 15,10-21; Jer 17,12-18; Jer 18,18-23; Jer 20,7-18 (so z.B. im Überblick von Herrmann, 129). Die Angaben zu den Teilen sind jedoch problematisch.

● Bei der ersten und zweiten „Konfession“ (Jer 11,18-12,6 und Jer 15,10-21) liegen dialogische Strukturen vor (vgl. insbes. Hubmann): Jer 11,21-23, Jer 12,5-6 sowie Jer 15,12-14 und Jer 15,19-21 sind Reaktionen JHWHs auf (insgesamt vier) Klagegebete Jeremias.

● In Bezug auf den Textumfang der dritten „Konfession“ ist – wie häufig im Jeremiabuch – zwischen der hebräischen Fassung des Buches (MT-Jer) und der griechischen Septuaginta-Übersetzung (LXX-Jer) bzw. deren hebräischer Vorlage zu unterscheiden: Da in MT-Jer 17,13b unzweifelhaft JHWH spricht, umfasst die dritte „Konfession“ im masoretischen Jeremiabuch nur Jer 17,14-18 (vgl. Bezzel). In der (hebr. Vorlage der) LXX-Jer spricht Jeremia hingegen in Jer 17,12-18 (vgl. Kilunga).

● Im ersten Vers des als vierte „Konfession“ ausgewiesenen Texts sprechen Jeremias Gegner (Jer 18,18).

● In Bezug auf die letzte „Konfession“ ist die Zugehörigkeit von Jer 20,14-18 umstritten (nicht mehr zu den „Konfessionen“ rechnen diesen Text m.E. zu Recht Ittmann und Pohlmann; siehe zur Begründung unten 3.5.).

3. Die einzelnen „Konfessionen“ in ihrem literarischen Kontext

Die „Konfessionen“ gehören zum besonderen Profil des Jeremiabuches. Von diesem sind drei Fassungen zu unterscheiden: die masoretische Fassung (MT-Jer), wie sie z.B. im Codex Leningradensis erhalten ist; die griechische Fassung der Septuaginta (LXX-Jer), wie sie z.B. im Codex Vaticanus erhalten ist, und die durch Rückübersetzung der Septuaginta ins Hebräische rekonstruierte Vorlage, die im Falle des Jeremiabuches stark von der masoretischen Fassung abweicht (vgl. insbes. Stipp, Synopse). Im Folgenden soll der Inhalt der Konfessionen grob skizziert werden, in diesem Rahmen kann das nur beschränkt auf den MT-Jer geschehen. Dabei soll auch der literarische Kontext, also die jeweilige übergreifende Sinneinheit, knapp berücksichtigt werden. Die Sinneinheit wird anhand der Kommunikationsebenen bestimmt: Der Beginn einer Sinneinheit wird angezeigt, wenn sich die Stimme des Bucherzählers einschaltet, der über Jeremia erzählt (z.B. Jer 11,1; Jer 14,1; Jer 18,1; Jer 21,1), ansonsten erzählt Jeremia in der Welt des Buches als „Ich“ (vgl. z.B. Jer 11,6).

3.1. Die erste „Konfession“

Die Sinneinheit Jer 11-13 beginnt mit einem Aufruf JHWHs an das Volk, die Bundesworte zu halten, der allerdings vom Volk abgelehnt wird (Jer 11,2-8). Die sich anschließende hoch emotionale Gerichtsrede, die Jeremia dem Volk ausrichten muss (Jer 11,9-12,17), wird durch die erste „Konfession“ (Jer 11,18-12,6; hier inklusive zweier Reaktionen JHWHs) unterbrochen (solche Unterbrechungen, also Stimmen, die in eine Rede quasi eingezogen sind, finden sich im Jeremiabuch häufig; zu diesem Phänomen s. Finsterbusch). Sie enthält zwei Gebete: Im Zentrum des ersten Gebets (Jer 11,18-20) stehen Jeremias Gegner, die heimlich Anschläge planen. Bezüglich dieser Gegner bittet Jeremia JHWH, dem er seinen „Rechtsstreit“ mit ihnen anvertraut hat, um Bestrafung. JHWHs Antwort ist affirmativ (Jer 11,21-23): Er wird die „Leute Anatots“ (die die Buchadressatenschaft offensichtlich mit den Gegnern identifizieren soll) heimsuchen (→ Anatot). Im zweiten Gebet (Jer 12,1-4) stellt Jeremia die Frage, warum die Frevler Erfolg haben. Dieses Problem will Jeremia als „Rechtsstreit“ mit JHWH ausfechten. Die Jeremias Frage nicht aufgreifende Antwort JHWHs (Jer 12,5-6) ist wohl kritisch gemeint im Sinn von: Wie kannst du dich von dem gegenwärtigen Zustand, den du wahrnimmst (und der in Wahrheit noch weit schlimmer ist), derartig anfechten lassen?

3.2. Die zweite „Konfession“

Die Sinneinheit Jer 14-17 wird eröffnet durch die Beschreibung einer Juda heimsuchenden Naturkatastrophe (Jer 14,2-6). In Jer 14,7-15,9 zitiert Jeremia in der Welt des Buches in dichtem Wechsel Gebete der Judäerinnen und Judäer sowie seine eigenen Gebete zugunsten des Volkes, die JHWH zunächst allesamt zurückweist (er will Juda / Jerusalem definitiv vernichten). Darauf folgt die zweite „Konfession“ (Jer 15,10-21; hier inklusive zweier Reaktionen JHWHs), die ebenfalls zwei Gebete enthält: Im ersten Gebet (Jer 15,10f.) beklagt Jeremia die Anfeindungen infolge von JHWHs „Rechtsstreit“ mit dem „ganzen Land“, den Jeremia im Auftrag JHWHs führen muss. Dabei betont er insbesondere sein interzessorisches Eintreten (→ Mittler) für seinen Feind (dies wird besonders deutlich in der m.E. zutreffenden Übersetzung des schwierigen Textes von Buber / Rosenzweig). Die Antwort JHWHs (Jer 15,12-14), die sicherlich als Stärkung Jeremias gemeint ist, ist komplex: Sie enthält ein direkt an das Volk („du“) gerichtetes Gerichtswort (Jer 15,13) und ein direkt an Jeremia („du“) gerichtetes Heilswort (Jer 15,14). Das zweite Gebet Jeremias (Jer 15,15-18), in dem er Verfolgung und Einsamkeit als Folge seiner prophetischen Existenz beklagt, endet mit seiner Anklage JHWHs, ein „Trugbach“ zu sein, also ihn zu täuschen. Dies markiert den Tiefpunkt der Beziehung zwischen dem Propheten und JHWH im gesamten Buch, insofern diese Anklage impliziert, dass Jeremia seine Berufung aufgegeben und sich verloren hat, denn ein Prophet, der JHWH nicht vertraut, kann nicht im Namen JHWHs sprechen. In seiner Antwort eröffnet JHWH Jeremia eine Perspektive, aber nur unter der Bedingung, dass er „umkehrt“ (Jer 15,19-21). Jeremia kehrt tatsächlich um, wie implizit aus der dann folgenden, erneuten Anrede JHWHs an Jeremia als seinen Propheten hervorgeht.

3.3. Die dritte „Konfession“

Der letzte Teil der ersten Rede JHWHs an seinen umgekehrten Propheten (Jer 16,1-17,13) kreist um die Alternativen → Fluch und → Segen (Jer 17,5-13; eingezogen ist ein betont affirmatives Gebet der Judäerinnen und Judäer: Jer 17,12.13a). In der sich anschließenden dritten „Konfession“ (Jer 17,14-18) äußert Jeremia sein Leiden an dem Spott seiner Verfolger, die ihm vorhalten, dass das von ihm ausgerichtete göttliche Gerichtswort nicht eingetroffen ist (und Jeremia damit implizit unterstellen, ein falscher Prophet zu sein). Deshalb bittet Jeremia, betonend, dass er (in Ausübung seiner prophetischen Pflicht als Mittler zwischen Gott und Volk) bislang auf das Eintreffen des Gerichts keinesfalls gedrängt hat, nunmehr um eben dieses Eintreffen des Gerichts über seine Verfolger. Die Antwort JHWHs erfolgt indirekt. Jeremia muss eine Rede JHWHs in Jerusalem wiedergeben: Wenn die Bevölkerung den → Sabbat hält, darf sie auf Weltzeit in der Stadt wohnen, wenn nicht, folgt Zerstörung (Jer 17,19-27). Noch bekommen die Judäerinnen und Judäer also eine Chance, das Gericht abzuwenden (wohl als Folge ihrer vorausgehenden mehrfachen Gebete).

3.4. Die vierte „Konfession“

Die Sinneinheit Jer 18,1-19,13 wird eröffnet mit einer Zeichenhandlung, im Anschluss daran muss Jeremia „jedermann Judas und die Einwohner Jerusalems“ zur Umkehr aufrufen (Jer 18,2-11). Dieser Aufruf wird nicht nur missachtet, sondern die Gegner („sie“, hier eindeutig die Gesamtheit der Judäerinnen und Judäer repräsentierend) beschließen zudem, unheilvolle Pläne gegen den Propheten zu schmieden (Jer 18,18). Darauf nimmt die vierte „Konfession“ (Jer 18,19-23) Bezug: Jeremia fordert bezüglich seiner „Widerstreiter“ (Jer 18,19), für die er, wie er betont, bislang interzessorisch eingetreten ist (was die Vollstreckung der Strafe bisher aufgehalten hat), nunmehr drastische Bestrafung. Wieder erfolgt die Antwort JHWHs indirekt: Jeremia wird aufgetragen, einen Krug zu zerbrechen als Ausdruck des nun definitiv erfolgenden Gerichts JHWHs (Jer 19,1-13).

3.5. Die fünfte „Konfession“

Die Sinneinheit Jer 19,14-20,18 beginnt mit der Erzählung eines Konflikts in Jerusalem (Jer 19,14-20,6): Als Strafe für die Ausrichtung eines Gerichtsworts legt der Tempeloberaufseher → Paschhur Jeremia eine Zeit lang in den Krummblock. Bei seiner Freilassung bekräftigt Jeremia das durch JHWH beschlossene Gericht für das Volk und verkündet Paschhur seine Exilierung nach Babel und seinen Tod (→ Exil). In der sich anschließenden fünften „Konfession“ (Jer 20,7-13) beschreibt Jeremia zunächst mit intensiven Bildern, wie JHWH ihn mit Gewalt zwingt, seine Gerichtsworte weiterzugeben. Jeremia kann dieser göttlichen Gewalt nicht entkommen, kann den Spott (infolge des Nichteintreffens des Gerichts) und die Anfeindungen seiner Gegner aber auch nicht länger ertragen. Nach der Benennung des Unerträglichen folgen Äußerungen des Vertrauens, die die Bitte um Bestrafung seiner Verfolger durch JHWH einschließen, dem Jeremia seinen „Rechtsstreit“ anvertraut hat (Jer 20,12, vgl. Jer 11,20). Ein kleiner Hymnus bildet den Schluss (Jer 20,13): Jeremia fordert eine Ihr-Gruppe (wohl die Adressatenschaft, der er erzählt) zum Lobpreis JHWHs auf, der den „Armen“ schon immer gerettet hat aus der Hand der „Böstäter“.

Es folgt ein Text (Jer 20,14-18), in dem ein Ich spricht, das den Tag seiner Geburt (Jer 20,14.17) sowie den Boten, der die Nachricht seiner Geburt dem Vater überbrachte, verflucht (Jer 20,15f.) und das seine Tage „in Schande“ (בְּבֹשֶׁת bәbošӕt) vollendet sieht (Jer 20,18). Zumeist wird Jer 20,14-18 als letzter Teiltext der fünften „Konfession“ angesehen trotz des inhaltlich harten Bruchs mit dem vorausgehenden Hymnus (u.a. O’Connor, Bezzel, Kiss 2012). Mehrere Gründe sprechen jedoch gegen Jeremia als den Sprecher dieses Textes: Erstens ist der Text kein „Gebet“, insofern das „Ich“ nicht mit JHWH sondern nur über JHWH spricht (vgl. insbes. den Unterschied zum Weheruf Jeremias in Bezug auf den Tag seiner Geburt in Jer 15,10.11). Zweitens steht das Wort „Schande“ (בֹּשֶׁת bošӕt) in untrennbarem Zusammenhang mit Fehlverhalten (Götzendienst, gesetzlosem Verhalten, vgl. Jer 2,26; Jer 3,24f.; Jer 7,19; Jer 11,13), von dem Jeremia in der Welt des Buches frei ist. Nach dem unmittelbaren Kontext (Jer 20,11) sind die Gegner Jeremias „zuschanden“ geworden, Jeremia erscheint demgegenüber im Fortgang des Buches (in der masoretischen wie der nicht-masoretischen Fassung) als treuer, in allen Situationen (durch den Verlust der Eigenstaatlichkeit Judas hindurch) vertrauender Prophet JHWHs „bis zum Schluss“. Drittens ist der aggressive, irrationale Akt der Verfluchung des Boten nicht in Einklang mit der Tätigkeit des Propheten zu bringen, der bislang sogar für seine Feinde (!) interzessorisch eingetreten ist. Im Kontext der Sinneinheit Jer 19,14-20,18 legt sich (mit Pohlmann) folgende Deutung des Sprechers von Jer 20,14-18 nahe: Hörbar wird die Stimme Paschhurs als Repräsentant des Zuschanden-Gewordenen bzw. „Böstäters“. Jer 20,14-18 lässt sich damit als indirekte Bestätigung des in der fünften „Konfession“ zum Ausdruck gebrachten Vertrauens lesen: JHWH wird in der Tat als gerechter Richter nicht nur das angekündigte Gericht an dem Volk vollziehen, sondern in diesem Rahmen auch den „Rechtsstreit“ Jeremias mit seinen Gegnern umfassend zu Ende führen.

4. Forschungspositionen

4.1. Identität des Ichs

Die Mehrheit der Exegeten versteht das „Ich“ in den „Konfessionen“ (m.E. zu Recht) (auto)biographisch, d.h. der Sprecher ist Jeremia in der Rolle als spezifisch an seinem Amt leidender Prophet (u.a. Ittmann, Hermisson, Schmidt, Bultmann, Kiss, Fischer). Das Gesamt der Texte und die Beziehungen zum Kontext machen es unwahrscheinlich, dass Jeremia in der Rolle eines exemplarisch leidenden Gerechten spricht (so vor allem Gunneweg, Welten, Bak) oder dass das Ich die Gemeinde vertritt bzw. es als kollektives Ich die Gemeinde repräsentiert (so vor allem Graf Reventlow, Polk). Offen muss bleiben, ob im Zuge von Textbearbeitungen die Rolle verändert wurde (nach Hubmann verliehen Redaktoren Jeremias persönlichen Auseinandersetzungen mit seinen Gegnern paradigmatische Bedeutung für das Volk; nach Bezzel hat eine „biographisch-theologische Konfessionengrundschicht“ kollektiv-exemplarische und kollektiv-repräsentative Fortschreibungen erfahren).

4.2. Verfasserschaft

Unter den Exegeten, die das in den „Konfessionen“ sprechende Ich im Sinne eines biographischen Ichs Jeremias interpretieren, wird der Anteil des historischen Propheten an der Gestaltung der Texte unterschiedlich eingeschätzt. Nach einigen Exegeten lassen sich die ipsissima verba des Propheten noch rekonstruieren (mit Unterschieden im Detail u.a. Ittmann, Kiss 2003). Andere halten das Ich für ein literarisches Produkt nachexilischer Zeit (u.a. Fischer, Bezzel). Die Einzigartigkeit der Texte könnte durchaus für einen authentischen Kern sprechen.

4.3. Interpretationshorizonte

Gelegentlich wird vermutet, dass die „Konfessionen“ ursprünglich als selbstständiger Zyklus konzipiert wurden (u.a. Diamond, O’Connor, Hermisson). Dies führt zu der Frage, warum die einzelnen Texte im Buch über zehn Kapitel hinweg verteilt zu finden sind. Nach Diamond 1987 haben deuteronomistische Redaktoren (→ Deuteronomismus), anknüpfend an die Theodizee-Frage des historischen Propheten, die „Konfessionen“ in Jer 11-20 eingebunden und Jeremias Frage zur Frage ganz Israels gemacht (nach dem Verlust der Eigenstaatlichkeit Judas). Für O’Connor wurden die „Konfessionen“ eingefügt, um Jeremia in Jer 1-25 als wahren Propheten zu legitimieren, dessen Wort sich durchsetzte. Nach Hermisson hingegen hat man die „Konfessionen“ als Grundbestand mit dazu passendem Material aus der prophetischen jeremianischen Überlieferung sekundär angereichert, um Jeremias (von ihm nicht gewünschte) Unheilsbotschaft zu legitimieren (sekundär ist also der Kontext). Biddle macht auf den Zusammenhang der „Konfessionen“ mit Klagetexten Gottes und der Gemeinschaft in Jer 2-20 aufmerksam: Was den Propheten bedrückt, bedrückt auch sein Umfeld. Fischer weist darauf hin, dass Jeremia in der Welt des Buches von Anfang an klagt (vgl. z.B. Jer 4,10; Jer 6,10-11a). Die „Konfessionen“ seien also als Weiterführung und Zuspitzung der in Jer 1-10 enthaltenen Klagen zu sehen.

Der Durchgang durch die Texte (s. unter 3.) zeigt die ausgesprochen kunstvolle literarische Anordnung der Texte: Von den fünf „Konfessionen“ mit ihren sieben Gebeten ist das Gebet in der Mittelposition, also das vierte Gebet (Jer 15,15-18), Ausdruck der tiefsten Krise Jeremias als Prophet. Das erste und das letzte Gebet bilden einen Rahmen durch eine nahezu identische Formulierung (Jer 11,20 und Jer 20,12: „Rechtsstreit“ רִיב rîv mit den Gegnern).

Mit Blick auf den literarischen Kontext lassen sich die „Konfessionen“ nicht zuletzt verstehen als Indikatoren für den Stand der Beziehung zwischen JHWH und seinem Volk, welche sich im Leseverlauf des Buches ändert. In Bezug auf die Bedeutung der „Konfessionen“ für die Gesamtkomposition (MT-Jer und [hebr. Vorlage] der LXX-Jer) ist in der Forschung sicherlich noch nicht das letzte Wort gesprochen.

Literaturverzeichnis

1. Forschungsüberblicke

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2. Weitere Literatur

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  • Bak, D.H., Klagender Gott, klagender Mensch (BZAW 179), Berlin 1990
  • Baumgartner, W., Die Klagegedichte des Jeremia, Gießen 1917
  • Bezzel, H., Die Konfessionen Jeremias. Eine redaktionsgeschichtliche Studie (BZAW 378), Berlin 2007
  • Biddle, M., Polyphony and Symphony in Prophetic Literature. Reading Jeremiah 7-20 (SOTI 2), Macon 1996
  • Buber, M. / Rosenzweig, F., Die Schrift. Band 3. Bücher der Kündung, Stuttgart 1992
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  • Culley, R.C., The Confessions of Jeremiah and Traditional Discourse, in: S.M. Olyan / R.C. Culley (Hgg.), A Wise and Discerning Mind (FS B.O. Long; Brown Judaic Studies 325), Providence 2000, 69-81
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  • Fuchs, G., Die Klage des Propheten. Beobachtungen zu den Konfessionen Jeremias im Vergleich mit den Klagen Hiobs, BZ 41 (1997), 212-228
  • Fuchs, G., „Du bist mir zum Trugbach geworden.“ Verwandte Motive in den Konfessionen Jeremias und den Klagen Hiobs, BZ 42 (1998), 19-38
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  • Kiss, J., Die letzte Konfession. Jer 20,7-18, ZAW 124 (2012), 369-384
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  • Vermeylen, J., Essai de Redaktionsgeschichte des „Confessions de Jérémie“, in: P.M. Bogaert (Hg.), Le Livre de Jérémie, Leuven 1981, 239-270
  • Wagner, S., Überlegungen zur Klage des Jeremia in Kapitel 20,7-18, in: A. Graupner u.a. (Hgg.), Verbindungslinien (FS W.H. Schmidt), Neukirchen-Vluyn 2000, 399-412
  • Welten, P., Leiden und Leidenserfahrung im Buch Jeremia, ZThK 74 (1977), 123-150
  • Wessels, W., „My Word is Like Fire“: The Consuming Power of YHWH’s Word, OTE 24 (2011), 492-510

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