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König / Königtum (AT)

(erstellt: Mai 2014)

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Herrschaft; → Investitur; → Palast; → Staat; → Verwaltung; → Weltreiche (vgl. → Königtum Gottes)

1. Das Wesen des Königtums

1.1. Was ist ein König?

Das hebräische Lexem מֶלֶך mælækh „König“ ist ein Primärnomen der nordwestsemitischen Wortwurzel mlk und bezeichnet allgemein einen Einzelnen, der über eine näher zu bestimmende Gruppe herrscht, deren Angehörige ihm ungeachtet ihrer sozialen Unterschiede als eine homogene Größe untergeordnet sind. Unter Königtum (hebr. מַלְכּוּת malkût bzw. מַמְלָכָה mamlākhāh) wird daher jede monarchische Herrschaftsform vom spätbronzezeitlichen Stadtstaat bis zu den vorderorientalischen Großreichen subsumiert. Der Begriff impliziert weder eine bestimmte territoriale Ausdehnung, noch einen klar umrissen Grad institutioneller Differenzierung. Dies sollte bei einer Analyse des Königtums in Israel stets mitbedacht werden.

Der Titel „König“ wird im Alten Testament nahezu ausschließlich männlichen Herrschern beigegeben – eine Ausnahme bildet die Königin von → Saba (vgl. 1Kön 10; → Frauen in der Literatur), dagegen wird → Atalja, deren Herrschaft über Juda vom Erzähler als illegitim beurteilt wird, die Königstitulatur verwehrt (vgl. 2Kön 11). Als „Königin“ gilt entweder die Hauptfrau des Amtsträgers (vgl. → Esther) oder dessen Mutter.

1.2. Welche Aufgaben hat der König?

In der Erzählung von der Einführung des Königtums in Israel (vgl. 1Sam 8-12) nennt das Volk zwei Tätigkeitsfelder, mit denen die Handlungsrolle des Königs umschrieben wird: Kriegführung und Rechtsprechung, die Abwehr der Feinde nach außen und die Stabilität der Ordnung nach innen (vgl. 1Sam 8,19f.). Dies entspricht in der historiographischen Konzeption (→ Geschichte / Geschichtsschreibung) der → Samuelbücher den Aufgaben der → „Richter“ (vgl. 1Sam 7,2-17) und markiert literarisch den Übergang zur Epoche der Staatlichkeit. Gleichzeitig klingen in dieser Konzeption Grundzüge der altorientalischen Königsideologie an (s.u. 3.2.). Sie kann als Ausgangspunkt für eine Darstellung der wichtigsten Befugnisse und Aufgaben des Königtums in Israel herangezogen werden, die noch um die Bereiche der Hofhaltung und des Staatskultes ergänzt werden müssen.

Wenn im Anschluss ein Überblick über die gesellschaftlichen Sphären gegeben wird, in denen die Institution des Königtums tief greifende Umstrukturierungen hervorgebracht hat, ist zu beachten, dass die Darstellung zur besseren Übersicht bisweilen Entwicklungen zusammenzieht, die regional und zeitlich zu differenzieren wären, ohne dass dies in jedem Fall kenntlich gemacht wäre.

1.2.1. Die königliche Verwaltung

Bevor die einzelnen Handlungsfelder des Königtums beschrieben werden, soll vorab kurz die Struktur und grobe Entwicklung der königlichen Verwaltung skizziert werden. Die politische Macht ist zwar in der Person des Königs konzentriert, dieser delegiert seine Befehlsgewalt jedoch in der Regel an die königlichen Beamten (→ Verwaltung), die in allen Belangen als Repräsentanten der staatlichen Macht auftreten. Aus der Frühzeit des Königtums in Israel ist lediglich eine geringe Anzahl administrativer Ämter belegt, die später im Gefolge des Ausbaus staatlicher Strukturen erheblich erweitert werden.

Koenigtum 1

Dies können die Erzählungen über die Anfänge des Königtums in Israel beispielhaft illustrieren. Unter → Saul, dem ersten König in Israel, ist lediglich das Amt des obersten Heerführers bekannt, das dieser seinem Verwandten → Abner überträgt (vgl. 1Sam 14,50). Erst unter → David und → Salomo treten weitere zivile und militärische Funktionsträger in Erscheinung, die mit der Konsolidierung der monarchischen Herrschaftsform in Israel und Juda einhergehen. Dies erhellt besonders ein Vergleich der drei Beamtenlisten in 2Sam 8,16-18, 2Sam 20,23-26 und 1Kön 4,2-6 (s. Tabelle 1), der eine deutliche Zunahme ziviler Ämter belegt, die teils bis in die Spätzeit des Königtums Bestand hatten. Selbst wenn die Datierung der Texte in die frühe Königszeit nicht in jedem Fall als gesichert gelten kann, dürfte in ihnen die Entwicklung der königlichen Verwaltung, die sich über einen längeren Zeitraum hinzog, in ihren Grundzügen zutreffend erfasst sein.

Im voll entwickelten → Staat schließlich besteht der königliche Verwaltungsapparat aus mehreren, hierarchisch gestuften Ebenen (vgl. Rüterswörden, 1985; Kessler, 2008). Neben der königlichen Familie und einer kleinen Gruppe von Beamten, die in der unmittelbaren Umgebung des Königs amtierten und zum Hofstaat gerechnet werden können (vgl. den Titel עֶבֶד הַמֶּלֶךְ ‘ævæd hammælækh „Knecht des Königs“), ist eine höhere und eine mittlere bzw. untere Verwaltungsebene belegt (vgl. die Ostraka aus → Arad und → Lachisch).

1.2.2. Das Militärwesen

In der vorstaatlichen Epoche wurden militärische Konflikte zumeist mit Hilfe lokaler Milizen und regionaler Bündnisse ausgetragen. Dazu wurden die waffenfähigen Männer einer Ortschaft oder eines Stammes von einem charismatisch begabten Anführer zur Heeresfolge aufgefordert, dessen Führungsrolle nach dem Ende der kriegerischen Auseinandersetzung wieder erlosch. Die Institution des Heerbannes (→ Heer) bildet noch das militärische Rückgrat des frühen Königtums (vgl. 1Sam 11,1-15) und existiert bis zum Ende der Königszeit fort (vgl. 2Kön 25,19), selbst wenn sie an Bedeutung verliert.

Mit Beginn des Königtums tritt die Einrichtung eines Berufsheeres neben den traditionellen Heerbann. Bereits Saul rekrutiert eine Gruppe von Söldnern, auf die er seine Herrschaft stützt, und David bildet nach seiner Machtübernahme aus den Angehörigen seiner früheren Miliz ein „stehendes Heer“ von Berufssoldaten (die sog. Kreti und Pleti), deren Befehlshaber ein wichtiges militärisches Amt am Hof bekleidete (vgl. 2Sam 8,18; 2Sam 20,23). Diese Elitetruppen sicherten die königliche Macht in Krisenzeiten (vgl. 2Sam 15-19). Später werden das Amt des Heerführers (עַל־הַצָּבָא ‘al haṣṣābā’) und des Befehlshabers der königlichen Schutztruppe vereint, was die Neugestaltung des Militärwesens unterstreicht (vgl. 1Kön 4,4). Der König bleibt zwar Oberbefehlshaber der Truppen, delegiert das Kommando jedoch an den „General“ (שַׂר הַצָּבָא śar haṣṣābā’). Die weitere Organisation des Heeres kennt Abteilungen von Tausend-, Hundert- oder Fünfzigschaften, die von Offizieren oder Hauptleuten angeführt werden (vgl. 1Sam 8,12; 2Sam 18,1).

Das Militärwesen wird gegenüber der vorstaatlichen Sozialstruktur Israels tief greifend reorganisiert, so dass das Gewaltmonopol allein beim König liegt, der über ein Berufsheer befehligt und darüber hinaus in Krisenzeiten den Heerbann der wehrfähigen Bevölkerung einberufen kann.

1.2.3. Die königliche Bautätigkeit

Mauer; → Tor; → Palast

Mit dem Ausbau des Staates geht zugleich eine stete Zunahme der königlichen Bautätigkeit einher, die sich neben der Errichtung von Wehranlagen und Grenzfestungen vor allem in Repräsentations- und Verwaltungsbauten niederschlägt, wie sie archäologisch seit dem 9. Jh. v. Chr. (Israel) bzw. seit dem 8. Jh. v. Chr. (Juda) nachweisbar sind. Im königlichen Bauprogramm spiegelt sich aber nicht nur die Notwendigkeit militärischer und administrativer Aufgaben wieder, sondern in ihm drückt sich ein Selbstverständnis aus, dem zufolge der König als Repräsentant der universalen → Königsherrschaft Gottes die kosmische und soziale Ordnung der Welt garantiert und in seiner Bautätigkeit das schöpferische Wirken der Gottheit wiederholt bzw. weiterführt (vgl. Green, 2010; → Zion / Zionstheologie).

Die Kehrseite der staatlichen Baupolitik zeigt sich in der Verpflichtung der Bevölkerung zu Arbeitsdiensten für den Königshof (vgl. 1Sam 8,16), zu deren Überwachung ein sog. Fronminister eingesetzt war (עַל־הַמַּס ‘al hammas, vgl. 1Kön 4,6; Avigad / Sass, 1997, Nr. 20). Welche bedrohlichen Folgen die stetig steigenden Anforderungen der königlichen Bauvorhaben für die Existenz der freien Bauern mit sich brachten, kommt beispielhaft in der Erzählung von der Sezession der Nordstämme zum Ausdruck (vgl. 1Kön 12*). Die überhöhte Verpflichtung der Stämme zum Arbeitsdienst für das Königshaus führt zur Aufhebung der Loyalitätsverpflichtung gegenüber den Davididen. Der Text mag dabei Verhältnisse widerspiegeln, wie sie später in der prophetischen Kritik am Missbrauch der Arbeitsdienste seitens des Königshauses im → Jeremiabuch begegnen (vgl. Jer 22,13-19).

1.2.4. Die königliche Hofhaltung

Die höfische Ökonomie, über die der „Vorsteher des Hauses“ (עַל־הַבָּיִת ‘al habbājit, vgl. 1Kön 4,6; 2Kön 15,5) die Aufsicht führt, war im Prinzip wie eine Hauswirtschaft organisiert, die sich lediglich in ihren Ausmaßen von der gewöhnlichen Wirtschaftsform unterschied. Als Grundlage der höfischen Versorgung diente der königliche Landbesitz, der in der Frühzeit auf den Familienbesitz des Königshauses beschränkt war und durch Ankauf (vgl. 1Kön 16,24) oder Annexion (vgl. 2Sam 5,6-9) weiterer Besitzungen vergrößert werden konnte. Die Ostraka aus → Samaria und → Arad (vgl. Arad Nr. 25; Kessler, 2008, 92) belegen Warenlieferungen an den Hof, die angesichts der regionalen Verteilung der Herkunftsorte weniger auf ein reguläres Abgabensystem als auf Erträge aus königlichen Landgütern hindeuten (vgl. zu den lmlk-Krugstempeln Welten, 1969; Na’aman, 1979). Überhaupt scheinen Abgaben an den Königshof gegenüber der Verpflichtung zur Heeresfolge und zu Arbeitsdiensten eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben. Eine regelmäßige Besteuerung der Bevölkerung ist bisher nicht nachweisbar.

Die Liste der „Vorsteher Salomos“ in 1Kön 4,7-19 kennt zwar eine Einteilung der Stämme Israels in zwölf Regionen, die im monatlichen Wechsel für die Versorgung des Hofes verantwortlich zeichnen sollen, doch spricht die formale Struktur des Textes eher dafür, dass die genannten Personen den König vor Ort repräsentieren und die Lieferung von Naturalien oder die Leistung von Arbeitsdiensten als Loyalitätserweise gegenüber dem Königshaus organisieren sollen (vgl. Niemann, 1993, 246-251; Kamlah, 2001). Eine Abführung des → Zehnten vom Vieh und von den Ernteerträgen an den Königshof ist dagegen nur ganz vereinzelt belegt (vgl. 1Sam 8,15.17). Ob die sog. „fiskalischen Bullen“, die vermutlich in die Zeit der Regierung → Josias von Juda datieren (7. Jh. v. Chr.), auf ein reguläres Abgabensystem hindeuten, bleibt angesichts der regional beschränkten Herkunftsangaben unsicher. Es könnte sich bei ihnen ebenfalls um Lieferungen von königlichen Besitzungen an den Hof handeln (vgl. Kessler, 2008). Als gesichert darf dagegen gelten, dass die Könige in Israel und Juda seit der Mitte des 8. Jh.s v. Chr. gelegentlich eine Kopfsteuer erhoben haben, um den Tributforderungen seitens der politischen Oberherren nachkommen zu können (vgl. 2Kön 15,19f.; 2Kön 23,35). Ob daraus auf die Einführung eines regulären Steuersystems ab der mittleren Königszeit geschlossen werden kann, muss jedoch in Anbetracht der lückenhaften Beleglage einstweilen offen bleiben.

1.2.5. Das Rechtswesen

In der akephalen Gesellschaft der vorstaatlichen Epoche wurden Rechtsstreitigkeiten in direkten Verhandlungen der betroffen Parteien bzw. ihrer Repräsentanten auf der Grundlage des Gewohnheitsrechts vor Ort entschieden. In strittigen Fällen konnte eine vermittelnde Instanz um einen Rechtsentscheid gebeten werden (vgl. → „Richter“). Sowohl die Ortsgerichtsbarkeit als auch die Sakralgerichtsbarkeit der lokalen Heiligtümer, an denen solche Streitigkeiten verhandelt wurden, in denen ein regulärer Rechtsentscheid aufgrund der Beweislage nicht möglich war (vgl. → Ordal, → Eid), blieben in der Königszeit zunächst erhalten. Der König galt zwar als oberster Rechtsherr und Garant des Rechts (vgl. 1Kön 3,16-28), doch wird er diese Funktion in der Praxis nur selten ausgeübt haben.

In späterer Zeit ist für das Gebiet Judas die Einsetzung von Berufsrichtern als lokalen Repräsentanten der königlichen Rechtshoheit (vgl. Dtn 16,18-20) und die Einrichtung eines zentralen Obergerichts in → Jerusalem belegt, das die juridischen Funktionen der lokalen Heiligtümer übernahm (vgl. Dtn 17,8-13). Das Selbstverständnis der Könige als Wahrer des Rechts schlägt sich schließlich in der Sammlung und Kodifizierung der Rechtsüberlieferung nieder, wie sie klassisch durch den Codex → Hammurabi (Babylon, 18. Jh. v. Chr.), für Israel vielleicht durch das sog. → Bundesbuch (Ex 20-23*, 8. Jh. v. Chr.?) repräsentiert wird (vgl. Crüsemann, 1992, 230).

1.2.6. Der Staatskult

Die „offizielle Religion“, die an den königlichen Heiligtümern in → Dan und → Betel (Israel) bzw. in Jerusalem (Juda) praktiziert wurde, spielt eine wichtige Rolle für die Legitimation des regierenden Königs (s.u. 3.2.) und die gemeinschaftliche Identität des Staatswesens (vgl. Am 7,10-13). → Jahwe ist jeweils der oberste Gott des lokalen Pantheons, die Kultgründungsmythen differieren jedoch: zum einen die → Exoduserzählung (Israel), zum anderen die → Jerusalemer Kulttradition (Juda). Der König ist Patron und oberster Kultherr des Staatskultes: Er stiftet und versorgt die Heiligtümer, er garantiert den geregelten Kultbetrieb und bestellt die Priesterschaft, die ihn im alltäglichen Kultvollzug vertritt (vgl. das Amt des obersten Priesters am königlichen Heiligtum). Er kann Opfer darbringen und den Kult insgesamt reorganisieren (vgl. 1Kön 12,28-33; 2Kön 23,4-20 und Na’aman, 2006). Ob man deshalb jedoch von einem „sakralen Königtum“ in Israel sprechen kann (vgl. Engnell, 1943), bleibt fraglich, da die altorientalischen Parallelen für eine solche Vorstellung räumlich, zeitlich und konzeptionell deutlich vom Alten Testament getrennt sind.

2. Die Geschichte des Königtums in Israel und Juda

2.1. Die Voraussetzungen

Das vorstaatliche Israel kann als ein regionaler Stämmeverbund (→ Stamm / Stammesgesellschaft) akephaler und segmentärer Lineage-Gesellschaften bezeichnet werden, die mit den früheisenzeitlichen, unbefestigten Siedlungen des mittelpalästinischen Berglands in Verbindung gebracht werden können (vgl. → Merenptah-Stele, 13. Jh. v. Chr.; → Landnahme). Die Stämme, deren gemeinsame Identität als „Israel“ vermutlich über ein (fiktives) genealogisches System konstruiert war (vgl. das spätere, literarische Konzept des Zwölfstämmevolkes), besaßen keine zentralen Herrschaftsstrukturen, sondern waren verwandtschaftlich organisiert. Der Befund der Siedlungsarchäologie deutet auf eine egalitäre Sozialstruktur in den dörflichen Ortschaften hin, deren Bewohner häufig miteinander verwandt gewesen sein werden (vgl. → Verwandtschaft). Die Wirtschaftsform basierte vorwiegend auf Ackerbau und (Klein-)Viehzucht. Das agrarische Surplus diente dem regionalen Handel mit den umliegenden Städten und Regionen geringerer landwirtschaftlicher Produktivität. Im Fall militärischer Konflikte konnten einzelne Stämme regionale Bündnisse schließen, um sich gegen gemeinsame äußere Feinde zu verteidigen (vgl. Ri 5*). Eine übergreifende politische oder militärische Organisationsstruktur der Stämme ist jedoch weder in Form einer → Amphiktyonie (vgl. Noth, 1930) noch einer Eidgenossenschaft (vgl. Weber, 1921) nachweisbar. Diese trat vielmehr erst mit der Institution des Königtums in Erscheinung.

2.2. Der Anfang des Königtums

Nachdem frühere Versuche, eine lokale Vorherrschaft im mittelpalästinischen Bergland zu errichten, gescheitert waren (vgl. Ri 9; Ri 11f.), gaben schließlich die andauernden Konflikte mit den → Philistern den Anstoß zur Einführung des Königtums in „Israel“. Die Philister, die in der Küstenebene siedelten, hatten seit dem 12. Jh. v. Chr. das Erbe der ägyptischen Oberhoheit über die südpalästinische Landbrücke angetreten und waren bestrebt, ihre Vormachtstellung auf das mittelpalästinische Gebirge auszudehnen, um den interregionalen Handel zu kontrollieren und gegen marodierende Banden vorzugehen. Dabei kam es verstärkt zu militärischen Auseinandersetzungen mit den israelitischen Stämmen, in deren Gefolge diese zentrale Organisationsstrukturen ausbildeten.

Der erste König in Israel war → Saul (vgl. 1Sam 8-15*). Nach der biblischen Darstellung, die nur ein gesamtisraelitisches Königtum kennt, herrschte Saul über das gesamte Zwölfstämmevolk, historisch dürfte seine Herrschaft jedoch auf das Gebiet des mittelpalästinischen Berglandes beschränkt gewesen sein (vgl. Frevel, 2008, 622-624).

Umstritten ist, ob das Königtum Sauls zunächst unter dem Protegé der Philister stand, die sich davon einen Schutz gegen Überfälle aus dem Ostjordanland erhofft hätten (vgl. 1Sam 11,1-15). Dann wäre die Ablösung von den Philistern erst in einem zweiten Schritt erfolgt, der jedoch zugleich das Ende der Herrschaft Sauls bedeutete, der in der Schlacht mit den Philistern im Gebirge → Gilboa fiel (vgl. 1Sam 31,1-7).

Über die genaue Regierungszeit Sauls geben die Quellen keine gesicherten Auskünfte mehr, es ist jedoch wahrscheinlich, dass die Anfänge des Königtums in Israel in die erste Hälfte des 10. Jh.s v. Chr. zu datieren sind und dass Saul selbst die Herrschaft nur über einen relativ kurzen Zeitraum ausübte (vgl. 1Sam 13,1). Das Königtum Sauls trägt deutlich die Kennzeichen der Anfänge des Staatenbildungsprozesses, der sich in Israel über einen längeren Zeitraum erstreckt und erst im 9./8. Jh. v. Chr. abgeschlossen war. Der Übergang zum Königtum vollzog sich in Israel im Prozess sekundärer Staatenbildung, d.h. es gab in der Region Vorbilder monarchischer Herrschaftsformen, an denen sich die Staatenbildung in Israel orientieren konnte. Daher kann man das Königtum Sauls soziologisch als „unvollständigen frühen → Staat“ klassifizieren (vgl. Kessler, 2009). Seine Herrschaft stützt sich militärisch auf den Heerbann der Stämme, über den sein Cousin → Abner als Befehlshaber gesetzt ist (vgl. 1Sam 14,50). Ein ausgebildeter Verwaltungsapparat und repräsentative Bauten fehlen dagegen. Als Residenz dient der Heimatort Sauls, → Gibea in Benjamin (Tell el-Fūl; Koordinaten: 1719.1367; N 31° 49' 22'', E 35° 13' 53''), und die Versorgung der königlichen Familie erfolgt aus dem Familienbesitz der Sauliden (vgl. 1Sam 11,4f.).

Obwohl der Herrschaft Sauls keine lange Dauer beschieden war und das Königtum einen tiefen Einschnitt in die Sozialstruktur der Stämme bedeutete, die nicht ohne Widerstände geblieben sein dürfte (vgl. Crüsemann, 1978), folgte auf Saul dessen Sohn → Eschbaal im Königsamt (vgl. 2Sam 2,8-10), ohne dass es zu einer nennenswerten Opposition gekommen zu sein scheint. Die dynastische Thronfolge unterstreicht noch einmal, dass das Königtum Sauls weniger als „chiefdom“, denn als „früher Staat“ interpretiert werden sollte, da im soziologischen Modell des „chiefdom“ das dynastische Prinzip unwirksam ist (vgl. Kessler, 2009).

2.3. Das Königtum Davids

Nach der biblischen Darstellung gelangte → David als Musiktherapeut oder Soldat an den Hof Sauls und stieg dort bis zum Schwiegersohn des Königs auf (vgl. 1Sam 16-18). Historisch spricht jedoch einiges dafür, dass David zunächst Anführer einer Söldnertruppe gewesen war, die im judäischen Bergland ihre Basis hatte und sich u.a. mit Schutzgelderpressung verdingte (vgl. 1Sam 25). Später trat er in den Dienst des Philisterkönigs → Achisch von Gat und war Kommandant der Festung → Ziklag (Tell eš-Šerī‘a; Koordinaten: 1196.0889; N 31° 23' 26.79'', E 34° 40' 45.70'' ?) im nördlichen Negev (vgl. 1Sam 27) – vermutlich mit dem Auftrag, die Südgrenze des philistäischen Einflussbereichs zu sichern und den interregionalen Handel vom → Toten Meer (und den Kupferminen von → Timna?) zu kontrollieren. Von Ziklag aus gelang es David, seinen Einfluss in der Region auszubauen und das Gebiet um → Hebron unter seine Vorherrschaft zu bringen (vgl. 2Sam 2,1-3). Ob dies noch unter Duldung der Philister geschah, bleibt unklar. Wenig später schlossen sich weitere Gruppen des judäischen Berglandes der Herrschaft Davids an (vgl. 2Sam 2,4), so dass Juda zu dieser Zeit erstmals als eine selbstständige politische Größe neben „Israel“ erscheint. Spätestens jetzt kam es zum Bruch mit den Philistern.

Nach dem Tod Sauls und der Verlegung der Residenz seines Sohnes Eschbaal nach → Mahanajim im Ostjordanland (vgl. 2Sam 2,8f.) scheinen verschiedene Gruppen in Israel ihre Hoffnungen im Kampf gegen die Philister auf David gesetzt zu haben. Es kam zu einem Putsch gegen den regierenden Sauliden, dem dieser zum Opfer fiel (vgl. 2Sam 4), und zur Loyalitätsverpflichtung zwischen David und den israelitischen Stämmen, in der diese ihn als König anerkannten (vgl. 2Sam 5,1-3). David verlegte in der Folgezeit seine Residenz von Hebron in die Bergfeste → Jerusalem und es gelang ihm, die Philister in die Küstenebene zurückzudrängen (vgl. 2Sam 5).

Die Organisationsstruktur des davidischen Königtums zeigt die typischen Kennzeichen eines „frühen Staates“ und führt die unter Saul eingeleitete Entwicklung fort: David gründet eine Residenz, die als politisches, administratives und religiöses Zentrum des Staates fungiert; es finden sich Ansätze zur Ausbildung eines Verwaltungsapparates (vgl. 2Sam 8,16-18; 2Sam 20,23-26) und ein „stehendes Heer“, das sich aus den Mitgliedern der früheren Miliz Davids zusammensetzt und dem König loyal verpflichtet ist. Monumentalarchitektur, ein geregeltes Abgabensystem oder eine hierarchische Verwaltungsstruktur, wie sie für einen voll entwickelten Staat vorauszusetzen wären, fehlen dagegen (vgl. Niemann, 1993).

Nicht zuletzt die unzureichenden militärischen, ökonomischen und administrativen Voraussetzungen sprechen gegen die historische Plausibilität eines „davidisch-salomonischen Großreiches“, das von der Grenze zu Ägypten bis zum → Eufrat reichte, wie es die biblische Überlieferung David zuschreibt (vgl. 2Sam 8; → Land). Zwar kann David seine Herrschaft über Juda und Israel festigen und seinen Einfluss bis in die → Schefela und nach Untergaliläa ausdehnen, doch bleibt das Königtum unter ihm im Grundsatz ein Stammeskönigtum, das wie bei Saul auf Loyalitäten beruht, wie noch an den Ereignissen im Gefolge des → Absalom-Aufstandes abgelesen werden kann (vgl. 2Sam 15-20*).

Die genauen Daten der Herrschaft Davids sind unbekannt, man wird jedoch nicht fehlgehen, seine Regentschaft um die Mitte des 10. Jh.s v. Chr. anzusetzen, selbst wenn die biblischen Angaben zu seiner Regierungszeit (vgl. 2Sam 5,4f.) sich eher einem festen Generationenschema als historischer Erinnerung verdanken (vgl. die 40jährige Wüstenzeit). Sicher ist jedoch, dass sich die Institution des Königtums in Israel und Juda unter David konsolidiert und dass dieser Prozess sich unter seinem Thronfolger Salomo in der zweiten Hälfte des 10. Jh.s v. Chr. fortsetzt (vgl. Dietrich, 1997).

2.4. Das Königtum Salomos

Der biblische Bericht über die Regierung → Salomos ist stark idealisiert und unter königsideologischen Vorzeichen ausgestaltet worden (vgl. Handy, 1997), so dass weithin das Bild eines Friedenskönigs entsteht, der Recht und Gerechtigkeit garantiert und ökonomischen Wohlstand realisiert (vgl. 1Kön 3-11). Ungeachtet der legendarischen Überformung der Darstellung wird man zweierlei für eine historische Rückfrage festhalten können: Zum einen wurde unter Salomo ein königliches Heiligtum für Jahwe in Jerusalem errichtet bzw. eingeweiht (vgl. 1Kön 6-8*) und zum anderen vollzog sich unter ihm ein weiterer Ausbau staatlicher Strukturen (vgl. 1Kön 4*), wofür noch auf die einsetzende Reurbanisierung der Region ab der zweiten Hälfte des 10. Jh.s v. Chr. verwiesen werden kann. Dies deutet auf insgesamt stabile politische Verhältnisse und eine gewisse wirtschaftliche Prosperität hin, die den Übergang vom Stämmekönigtum zum Territorialstaat erleichtert haben dürften.

Die staatliche Konstruktion blieb jedoch fragil, wie die Auflösung der Doppelmonarchie beim Regierungsantritt → Rehabeams, des Nachfolgers Salomos auf dem Thron Davids, noch zu erkennen gibt (vgl. 1Kön 12*). Mit der Sezession der Nordstämme vom Haus Davids und der Inthronisation → Jerobeams I. als König über Israel kehrt das Prinzip der Zweistaatlichkeit wieder, das bereits in der Mitte des 10. Jh.s v. Chr. für kurze Zeit Bestand hatte (s.o. 2.3.) und bis zum Untergang des Staates Israel im letzten Viertel des 8. Jh.s v. Chr. die politische Landkarte bestimmen sollte.

2.5. Die Entwicklung der beiden Staaten Israel und Juda

Die Geschichte der beiden Staaten Israel und Juda verlief unterschiedlich, wenn gleich nicht unabhängig voneinander. Entgegen der tendenziösen Darstellung der judäischen Historiographie in den → Königsbüchern (vgl. 1Kön 12 bis 2Kön 17) lag die politische und ökonomische Vormachtstellung zweifellos im Norden. Spätestens unter den → Omriden, in der ersten Hälfte des 9. Jh.s v. Chr., hat sich in Israel ein voll entwickelter Staat gebildet (mit → Samaria als Residenzstadt, vgl. 1Kön 16,24), der im politischen Verbund der syro-palästinischen Kleinstaaten eine führende Rolle innehatte. Das demographisch und ökonomisch schwächere Juda, das lange Zeit in politischer Abhängigkeit zum Norden stand, gelangte erst im 8. Jh. v. Chr. zu voller Staatlichkeit und erlebte seine Blütezeit nach dem Untergang des Nordreichs Israel 722/20 v. Chr. im Gefolge der neuassyrischen Westexpansion.

Koenigtum 2

Das Königtum selbst war in beiden Staaten dynastisch konzipiert, selbst wenn divergierende politische Interessen und Konstellationen in Israel zu einem häufigen Wechsel der Dynastien führten, während in Jerusalem über vier Jahrhunderte ungebrochen die Davididen residierten (mit Ausnahme der Herrschaft der → Atalja, vgl. 2Kön 11 – oder sollte die davididische Abkunft ihres Nachfolgers → Joasch lediglich ein literarisches Konstrukt sein?). Ein Gegensatz zwischen einem dynastischen Herrschaftsprinzip im Süden (Juda) und einem charismatischen im Norden (Israel), wie es → Albrecht Alt vermutet hatte (vgl. Alt, 1951), ist aus den Quellen nicht zu belegen. Einen Überblick über die Könige von Israel und Juda bietet Tabelle 2.

Nachdem die → Assyrer den Reststaat Samaria bereits Ende des 8. Jh.s v. Chr. zerschlagen und in ihr Provinzsystem überführt hatten, ereilte Juda knapp 150 Jahre später das gleiche Geschick, als der babylonische Großkönig → Nebukadnezar II. Jerusalem eroberte, Stadt und Tempel zerstören und die Königsfamilie nach → Babylon deportieren ließ (→ Zerstörung Jerusalems). Damit endet die Geschichte des Königtums in Israel für lange Zeit. Bestrebungen zur Restauration der politischen Souveränität Judas scheiterten, bis es unter den → Hasmonäern im 2./1. Jh. v. Chr. noch einmal zu einer kurzen Phase der staatlichen Selbstständigkeit kam, die jedoch mit der Eroberung Jerusalems durch die Römer 63 v. Chr. bald zu ihrem Ende gelangte.

3. Die judäische Königsideologie

Das religiöse und politische Selbstverständnis des judäischen Königtums – die israelitische Königsideologie kann aus den literarischen Quellen nur unzureichend rekonstruiert werden, dürfte jedoch in den gemeinorientalischen Grundlagen mit ihrer judäischen Variante übereingestimmt haben (vgl. Schmitt, 2001) – spiegelt sich vor allem in den sog. Königspsalmen (vgl. Ps 2; Ps 72; Ps 89; Ps 110; → Psalmen), in der höfischen Historiographie und in der prophetischen Kritik am zeitgenössischen Königtum wieder (vgl. Jer 22f.*). Ein gemeinsames „divine kingship pattern“, in dem der König als Protagonist eines mythisch-kultischen Dramas agierte, das den Bestand der kosmischen und sozialen Ordnung garantieren sollte (vgl. Engnell, 1943; → Uppsala Schule), ist für den Jerusalemer Kult zwar nicht nachweisbar, die davididische Königsideologie partizipierte jedoch an gemeinsamen vorderorientalischen Vorstellungen über das Wesen des Königtums (vgl. Hornung, 1992; Maul, 1998; Cancik-Kirschbaum, 1999). Sie besitzt legitimierende und identitätsstiftende Funktion für das Königshaus und findet ihren Ausdruck vor allem im Kult am königlichen Heiligtum in Jerusalem.

3.1. Das judäische Königsritual

Eine Rekonstruktion des Inthronisationsprotokolls des Jerusalemer Königshauses bleibt notwendig hypothetisch, da seine Versatzstücke aus unterschiedlichen, teils späten, literarischen Zusammenhängen extrahiert und sekundär wieder zusammengesetzt werden müssen. Unter diesem Vorbehalt können folgende Elemente des judäischen Königsrituals identifiziert werden (vgl. von Rad, 1947; → Ritual): Ein konstitutiver Bestandteil der Zeremonie, in den der gesamte Vorgang terminologisch zusammengefasst werden kann, ist der Akt der → Salbung (hebr. משׁח mšḫ „salben“, vgl. 1Kön 1,34.39), der die Übereignung der Königswürde symbolisiert (vgl. Kutsch, 1963). Der regierende König ist nach altorientalischer Vorstellung der Repräsentant der universalen Königsherrschaft Gottes und setzt diese in seiner Regentschaft durch. Die Sonderstellung des Königs illustriert die Adoptionsformel „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt.“ (Ps 2,7, vgl. 2Sam 7,14; → Adoption), die vermutlich in Anlehnung an ägyptische Vorbilder in das Jerusalemer Königsritual übernommen worden ist. Darüber hinaus werden dem neuen Herrscher verschiedene Thronnamen beigegeben, wie sie ebenfalls aus Ägypten bekannt sind (vgl. Jes 9,5; Jer 23,6; → Königtum in Ägypten). Die Inthronisation erfolgte auf dem → Zion, dem Gottesberg, auf dem der → Tempel Jahwes und der königliche → Palast in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander standen (vgl. Ps 2,6), worin die göttliche Legitimation des Königtums noch einmal sichtbar wird (vgl. Ps 110,1). Dabei wurden dem König die Insignien seiner Herrschaft, → Szepter (oder Stab) und Diadem (vgl. Ps 89,40), überreicht und der neue Herrscher vom Volk per Akklamation begrüßt (vgl. 1Kön 1,39f.). Unsicher ist, ob dem König ein Protokoll überreicht wurde, in dem seine göttliche Erwählung und Einsetzung in das Königsamt dokumentiert waren (vgl. Ps 2,7).

3.2. Die Königsideologie der Davididen

Das irdische Königtum wurde in Israel und Juda zwar nicht wie in Ägypten oder Mesopotamien mythisch begründet, das Selbstverständnis der Könige speiste sich dessen ungeachtet aus gemeinorientalischen Vorstellungen, wie sie sich in ähnlicher Form beispielsweise in den Königsinschriften der syro-palästinischen Kleinstaaten des 1. Jt.s v. Chr. finden. Der König in Jerusalem versteht sich selbst als Mandatar des universalen → Königtums Jahwes (vgl. Ps 2,6-9), selbst wenn sich seine Herrschaft stets nur über ein eng begrenztes Territorium erstreckte.

Erst als der Perserkönig → Kyros II. als von Jahwe eingesetzter Repräsentant der Gottesherrschaft deklariert wurde, nähern sich ideologisches Konzept und politische Wirklichkeit einander an (vgl. Jes 45,1-7; 2Chr 36,22f.).

Nach innen übt der König → Recht und → Gerechtigkeit und garantiert die kosmische und soziale Ordnung, die er nach außen durch den Sieg über die Feinde und die Beseitigung des → Chaos sichert. Diese beiden Handlungsrollen des Königs strukturieren die Textkomposition in Ps 72, an dem sich die Grundzüge der judäischen Königsideologie anschaulich vorstellen lassen. Der Text datiert in seinem Grundbestand vermutlich in die späte Königszeit (7. Jh. v. Chr.) und ist von neuassyrischen Vorstellungen beeinflusst (vgl. Arneth 2000). Die Rechtspflege und die Durchsetzung der Gerechtigkeit im sozialen Bereich eröffnen die beiden Hauptteile des Psalms (vgl. Ps 72,1-4.12-14). Der Einsatz für die personae miserae kennzeichnet die gerechte Herrschaft des Königs, der das Recht von Jahwe selbst empfängt (vgl. Ps 72,1). Der Wahrung des Rechts steht die Garantie der kosmischen Ordnung zur Seite, die in der Fruchtbarkeit des Landes ihren Ausdruck findet (vgl. Ps 72,5-7.15-17). Segen und Fülle, ökonomische Prosperität und kosmische Stabilität gehen vom König aus.

Das Konzept eines kosmischen Ordnungsdenkens liegt selbst der königlichen Bautätigkeit zugrunde, in der sich das ordnungsstiftende Handeln des Herrschers manifestiert, das die Schöpfertätigkeit der Gottheit nachahmt und fortsetzt (vgl. Green, 2010).

Der Sieg über die Feinde, die das Chaos repräsentieren, steht in der Mitte der Textkomposition von Ps 72 (vgl. Ps 72,8-11). In der Ausbreitung und universalen Durchsetzung der gerechten Herrschaft des Königs gewinnt der geordnete und befriedete Kosmos Gestalt. Damit sind die Hauptlinien der judäischen Königsideologie umrissen, deren kultische und ikonographische Repräsentation der religiösen und politischen Legitimation der davididischen Könige dient. Palast und Tempel, irdisches Königtum und das Königtum Jahwes sind untrennbar miteinander verknüpft.

Dieses Herrschaftskonzept kommt auch in den Zeugnissen der höfischen Architektur und Bildkunst zum Ausdruck (vgl. Schmitt, 2001). Vor allem der Aspekt der Stärke und Macht des Königs tritt in der eisenzeitlichen Herrschaftsikonographie Palästinas deutlich hervor. Dafür kann auf die Motive des → Löwen – des königlichen Symboltieres par excellence – und des kämpfenden → Hahns, der ein typisch judäisches Bildelement darstellt, verwiesen werden sowie auf die Darstellung von Streitwagen (Israel) und → Pferden. Das architektonische Gegenstück zum herrschaftlichen Bildprogramm stellen die Fortifikation der Städte und die staatlichen Monumentalbauten dar, in denen sich der Machtanspruch des Königtums öffentlich manifestiert.

Ein zweiter Motivkomplex, der sich in der Herrschaftsikonographie der judäischen Könige niedergeschlagen hat, repräsentiert die Fruchtbarkeit des Landes und die wirtschaftliche Prosperität, die vom König ausgehen und in der Bildkunst mittels floraler Motivik und dem Symbol des sakralen Baumes realisiert werden (vgl. Metzger, 2004). Insgesamt zeigt die Herrschaftsikonographie des davididischen Königtums eine große Nähe zum Bildprogramm des Jerusalemer Tempels, was die konzeptionelle Verbindung zwischen irdischem und himmlischem Königtum nochmals unterstreicht.

3.3. Prophetische Kritik am Königtum und Messiaserwartung

Die prophetische Kritik am Königtum in Israel und Juda hat viele Gesichter. Im → Hoseabuch wird das politische Machtstreben, das zu den häufigen Thronwechseln in der zweiten Hälfte des 8. Jh.s v. Chr. geführt hat, scharf kritisiert. Die prophetische → Sozialkritik des 8./7. Jh.s v. Chr. brandmarkt die Willkür, mit der die Oberschicht das Recht der personae miserae zu ihrem eigenen Vorteil beugt, dessen Schutz das Königtum nach seinem eigenen Anspruch hätte garantieren sollen. Die Kritik am davididischen Königtum im → Jeremiabuch schließlich hält den Königen vor, ihre Prunkbauten mit Ausbeutung und unter Beugung des Rechts errichtet zu haben, und fordert von ihnen die Durchsetzung der Gerechtigkeit, von der in Ps 72 die Rede ist (vgl. Jer 22,1-19*).

Es bleibt jedoch nicht bei der Kritik an den bestehenden Verhältnissen und der Ankündigung des Untergangs des Königshauses. An ihre Seite tritt die Erwartung eines künftigen Herrschers, der Recht und Gerechtigkeit übt, dessen Herrschaft der Ideologie des davididischen Königtums entspricht und der das Königtum Jahwes vollgültig repräsentiert (vgl. Jer 23,1-6*). Diese Herrscherweissagungen, die oft als messianische Texte bezeichnet werden (→ Messias), atmen noch ganz den Geist der judäischen Königsideologie, in deren Konzeption sie beheimatet sind (vgl. Seebass, 1992): Sie erwarten einen Herrscher, der die Idee des Königtums verwirklicht und darin die Durchsetzung der Gottesherrschaft herbeiführt. Die einschlägigen Texte betonen in Übereinstimmung mit der prophetischen Sozialkritik den Aspekt der Gerechtigkeit des erwarteten Königs, dessen Sieg über die äußeren Feinde – selbst wenn dieses Motiv gelegentlich zurücktritt (vgl. Sach 9,9f.) – und erwarten die Wiederherstellung der kosmischen Ordnung (vgl. Jes 9,1-6; Jes 11,1-9; → Eschatologie).

Literaturverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

  • Siegel mit der Aufschrift: „Dem Jaazanjahu, Diener des Königs, gehörend“ (Tell en-Naṣbe; 7. Jh. v. Chr.?). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Die judäische Königsideologie am Beispiel von Psalm 72.
  • Siegel mit der Aufschrift: „Dem Schema, Diener Jerobeams, gehörend“ (Megiddo; 8. Jh.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

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