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(erstellt: März 2007)

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Bestattung; → Grab; → Leiche; → Tod; → Totenklage; → Totenkult; → Trauer

1. Allgemeines

In den altorientalischen Gesellschaften reagierte man auf Unheils-Ankündigungen durch böse Vorzeichen (Omen), das Unheils-Orakel eines Mantikers (Seher, Propheten, Beschwörer) oder das Eintreffen von Unheil in Gestalt von Krankheit und Tod, einer Naturkatastrophe oder eines Krieges mit Ritualen der Beschwörung, in denen das Element der Klage fest verankert war. Sofern das Unheil als göttliche Schickung und Sanktion eines Vergehens oder auch nur einer kultischen Verunreinigung verstanden wurde, verband sich das entsprechende Klagegebet mit Opfern und Selbstminderungsriten der Betroffenen zum Ausdruck ihrer Trauer und zur Erregung der Anteilnahme der Gottheiten (Streuen von Asche über das Haupt, Zerreißen der Kleidung, Anlegen eines Trauer- bzw. Büßergewandes, hebr. śaq). Auch bei vermeintlicher oder tatsächlicher Belastung durch Flüche oder durch Verfolgung aufgrund des Vorwurfs einer Straftat seitens einer geschädigten Sippe konnten solche Rituale vollzogen werden, besonders vor der Durchführung von Ordalen (Befragung der Gottheiten im Rechtsstreit) oder bei Asylersuche an einem Heiligtum.

Die israelitischen Klagepsalmen des Einzelnen wie des Volkes legen nahe, dass auch in Israel mit entsprechenden Traditionen zu rechnen ist. Die Texte des Alten Testaments überliefern allerdings nur Hinweise auf Ritualelemente von entsprechenden Klagefeiern, nicht aber den Ablauf der jeweiligen Rituale. Diese waren zudem im Laufe der Geschichte erheblichen Veränderungen unterworfen, wobei einer der wichtigsten Einschnitte mit der Zentralisation des Opferkultes unter → Josia im Jahre 623 v. Chr. entstand, weitere erfolgten durch die Zerstörung des ersten Tempels 587 v. Chr. und das daran anschließende babylonische Exil und schließlich durch den Wiederaufbau des Tempels und die sukzessive Entwicklung einer hierokratischen Ordnung der Religionsgemeinschaft um den Jerusalemer Tempel in der persischen Provinz Jehud im 5./4. Jh. v. Chr. Durch die Nutzung des Psalters als Buch der Erbauung und Belehrung wie als Gebetbuch in der jüdischen Diaspora sind die rituellen Bezüge gänzlich in den Hintergrund getreten bzw. in einer verinnerlichten, spiritualisierten Weise interpretiert worden.

2. Klagefeiern bei Klagen des Einzelnen

Erkennbar sind Ritualzusammenhänge am Kasus der Klage in den folgenden Fällen:

1. Klage des Einzelnen im Krankheitsfall (z.B. Ps 6; 2Sam 12,15ff.);

2. Klage des Einzelnen im Fall der Bedrohung durch Feinde im Rechtsstreit (Ps 3; Ps 5; Ps 7; Ps 27; Ps 31; Ps 35; Ps 64);

3. Klage des Einzelnen im Fall der göttlichen Bedrohung aufgrund eines Vergehens oder aufgrund einer Kontamination und des Ausschlusses vom Sanctum (Ps 22; Ps 51; Hi 10).

Wichtige Elemente der Klagefeiern sind:

● die persönliche Vorbereitung durch Reinigungs- und Minderungsriten (Waschung, Anlegen eines Trauergewandes, Fasten, sexuelle Enthaltsamkeit, Scheren des Haares, Bestreuen des Hauptes mit Asche, Fasten u.a.m.),

● ggf. das Aufsuchen eines Heiligtums oder die Errichtung eines heiligen Raumes (Altar),

● der Vortrag eines Klagegebets durch den Klagenden selbst oder durch einen Mittler,

● das „Weinen“ vor der Gottheit,

● ein Schuldbekenntnis (Schuldanerkenntnis) oder ggf. das Ablegen eines → Reinigungseides zur Bekräftigung der eigenen Unschuldsbeteuerung und zur Abwendung von Flüchen in Verbindung mit einem hierfür vorgesehenen Ritual,

● die Anrufung göttlicher Gnade und die Bitte um neuerliche Zuwendung,

● die Bitte um göttliche Gerechtigkeit und Gottes Eingreifen gegen die Widersacher, zuweilen eine Feindesverfluchung (vgl. Ps 109).

Opferrituale werden infolge der Kultuszentralisation im Kontext der Klagepsalmen nur beiläufig und ausnahmsweise erwähnt (vgl. Ps 5,4; Ps 38,1; Ps 70,1) und müssen in der Diaspora vollkommen unterbleiben.

4. Die Totenklage (2Sam 1; 2Sam 19,2.5; 1Kön 13,29f.; Am 5,1-3; 1Makk 1,27) ist formal wie inhaltlich aufgrund der Unabwendbarkeit des eingetretenen Unheils und des Fehlens einer wie immer gearteten schuldhaften Verstrickung des Beteiligten von den übrigen „Not-Klagen“ zu unterscheiden. Dem Passageritual sind entsprechende Selbstminderungsriten und Äußerungen der Trauer über den erlittenen Verlust zuzuweisen wie das Haarescheren (vgl. Jes 22,12; Jer 16,6; Mi 1,16; Hi 1,20), oder Haareraufen (Esr 9,3), Asche oder Staub auf das Haupt streuen (1Sam 4,12; 2Sam 1,2) oder Verzicht auf Waschungen und Salben (2Sam 19,25), von denen besonders die Hautritzungen seit deuteronomistischer Zeit als obsolet galten (vgl. Dtn 14,1; Lev 19,28; Jer 41,5; Jer 47,5). Infolge der deuteronomistischen Theologie wurde das Trauerritual von traditionellen Formen des Totenkultes und der Ahnenverehrung grundsätzlich distanziert. Aufgrund besonderer Reinheitsvorschriften waren in nachexilischer Zeit Priester von der Teilnahme an Trauerriten ausgeschlossen (Lev 21,1-9).

Charakteristikum bei Totenfeiern ist das Zerreißen des Gewandes (Gen 37,29.34), Anlegen des Trauergewandes (2Sam 3,31; Jes 32,11), die Rezitation der Qînah (Totenklage) durch die Angehörigen (vgl. Jer 22,18) und die Hinzuziehung von rituell besonders qualifizierten Klagefrauen (vgl. Am 5,16; Jer 9,16-19!; Jes 32,11; Weish 19,3; vgl. aber auch 2Chr 35,25). Der Nichtvollzug der Totenklage galt als unheilvoll (Jer 16,5f.). Sie wurde zunächst im Trauerhaus vollzogen (Gen 23,2; Gen 50,1), begleitete den Bestattungszug (Pred 12,5) bis zum Grab (2Sam 3,32; 1Kön 13,30) und währte sodann in der Regel sieben Tage lang (Gen 50,10; Sir 22,12 [Lutherbibel: Sir 22,13]; vgl. aber Sir 38,17). Zur Trauer gehörte das Fasten (1Sam 31,13; 2Sam 1,12; 2Sam 3,35; 2Sam 12,16; Est 4,3). Nachbarn und Freunde hatten die Aufgabe, die Trauernden zu trösten (Hi 2,11.13). Man brach ihnen das Trauerbrot und reichte ihnen den Trostbecher (Jer 16,7; Ez 24,17.22).

Ein Sonderfall ist die „Beweinung der Jungfrauschaft“ der Tochter Jephtas über ihr unerfülltes Leben angesichts des bevorstehenden Todes (Ri 11,37-38).

3. Klagefeiern des Volkes

Rituelle Klagefeiern im Rahmen der nicht-jahwistischen westsemitischen Fruchtbarkeitskulte des Baal (Hos 2,5; Jer 2,23) oder die Beweinung des mesopotamischen Tammuz (Ez 8,14) wurden in Israel begangen, sind aber infolge der Wirksamkeit der deuteronomistischen Theologie (→ Deuteronomismus) und des Neudeutungsbedarfes nach dem Exil entschieden von der Jahwe-Religion abgegrenzt worden.

Als Instrumente zur rituellen Bewältigung von Unheilssituationen, die das Volk betreffen, sind erkennbar:

1. Klage- und Bittrituale des Königs (vgl. 2Kön 19,15-19; Ps 89,39-52; Ps 144).

2. Klagefeiern des Volkes (Bußfeiern) (vgl. 1Kön 8,30-40) zur Abwendung von Notlagen, die man als von Gott geschickt betrachtete (vgl. 2Sam 24,12-13; Jer 14,12; Ez 5,12):

● Naturkatastrophen, die landwirtschaftliche Erträge durch Dürre, Heuschreckenplagen etc. bedrohten (Jo 1,15-17),

● Seuchen (vgl. 2Sam 24,15-17; 1Kön 8,37-40) oder

● Krieg und Feinden (2Chr 20,1-12; Est 4,1-3; Jdt 7,29 [Lutherbibel: Jdt 7,18]).

3. Klagefeiern anlässlich eingetroffenen Unheils, etwa

● des Todes des Königs oder eines Angehörigen der Königsfamilie (2Sam 1,12; 2Chr 32,33; 2Chr 35,25);

● des Todes einer führenden Persönlichkeit des Volkes oder der Sippe (Gen 23,2; Gen 49,28-50,13; 1Sam 25,1; 2Sam 3,31.33; 2Sam 11,26; 1Makk 2,70);

● einer militärischen Niederlage (Ri 2,18; Ri 21,2; Ps 44,10-17);

● der Zerstörung einer Stadt und eines Heiligtums (Ps 74; Ps 79; Ps 80; Ps 83; Klgl 5);

● von Gefangenschaft, Deportation und Exil (1Kön 8,46-53).

4. Klagefeiern zum Gedenken an erlittenes Unheil (Sach 7,4ff.; Sach 8,19).

Ziel der Klagefeier war, die Gottheit zur Abwendung des Unheils und zu bleibender gnädiger Zuwendung zu bewegen. Man erhoffte von der Durchführung des Rituals die Heilung von Krankheit, die Abwendung von Naturkatastrophen, Krieg und Tod. Zugleich erbat man, dass Gott etwaige Feinde strafen möge, die durch Intrigen oder gar durch die Durchführung unheilvoller fluchwirkender Rituale das Leiden eine Unschuldigen verursacht haben mochten. Dabei wurde den Feinden das Unheil gewünscht, das sie selbst zu verursachen trachteten.

In der Totenklage wurde Gott darum gebeten, den Hinterbliebenen die Lebenskraft zukommen zu lassen, die ihnen durch den Tod des verstorbenen Menschen verlorengegangen war.

Als Kompendium der zur Zeit des zweiten Tempels denkbaren Fälle für Volksklagefeiern sowohl in der Diaspora wie in Bezug auf den Tempelkultus kann 1Kön 8,30-53 gelten.

Besondere Erwähnung finden Klagefeiern des Volkes nach der Zerstörung des ersten Tempels 587 v. Chr. Jer 41,4-5 erzählt von Pilgern, die „mit geschorenen Bärten, zerrissenen Gewändern und eingeritzter Haut“ Opfergaben zu den Ruinen des Tempels bringen, wo zurückgebliebene Priester den Kultus aufrecht erhalten (vgl. Klgl 1,4). Aus der nachexilischen Diskussion um die Frage, ob und in welcher Form die Klagefeiern der Exilszeit weiterzuführen seien (Sach 7,4ff.) weiß man, dass im 5. und 7. Monat des Kultjahres (also im dürren Hochsommer und im Herbst) Fasten- und Klage-Rituale am Heiligtum vollzogen wurden, Sach 8,19 erwähnt darüber hinaus Begängnisse im 4. und 10. Monat.

Aus sumerischer und altbabylonischer Tradition der 1. Hälfte des 2. Jt.s v. Chr. stammende Klagedichtungen über den Untergang ehemals machtvoller Städte wie Ur, Sumer, Nippur, Uruk und Eridu (sog. „Stadtuntergangsklagen“; The Electronic Text Corpus of Sumerian Literature), in der die Stadtgottheiten den Untergang ihrer jeweiligen Städte und Tempel beklagen, wurden bis in seleukidische Zeit memoriert und überliefert. Die literarisch und motivisch verwandten → Klagelieder Jeremias (hebr. Echa; lat.: Threni / Lamentationes) bilden eine eigenständige Weiterentwicklung der literarischen Form der Stadtuntergangsklage, in der nun allerdings die personifizierte Stadt in Gestalt der „Tochter Zion“ (Klgl 1,6; Klgl 2,1.4.8.10.18; Klgl 4,22) bzw. der „Tochter Jerusalem“ (Klgl 2,13.15) die Stimme zur Klage erhebt. Hinzu kommen die Klage des leidenden Gerechten (Klgl 3) und die Volksklage (Klgl 5). Die literarisch komplexe Gestalt der Dichtungen des Büchleins stand ihrer liturgischen Verwendung nicht entgegen.

Der Eingang von Klageliedern und anderen liturgischen Elementen in die Sammlungen der Prophetenorakel belegt einerseits die schriftgelehrte Weiterentwicklung, aber wohl auch die gottesdienstliche Verwendung der prophetischen Tradition (vgl. Jer 4-10). Umgekehrt schrieb man das Verfassen von Klageliedern für den gottesdienstlichen Gebrauch dem Propheten Jeremia zu (2Chr 35,25). Einen Aufruf zu einem „heiligen Fasten“ formuliert etwa Jo 1,13f: „(13) Umgürtet euch zur Klage, ihr Priester, wehklagt, ihr Diener des Altars! Kommt, durchwacht im Bußgewand die Nacht, ihr Diener meines Gottes! Denn versagt sind dem Hause eures Gottes Speise- und Trankopfer. (14) Verordnet ein heiliges Fasten, ruft einen Feiertag aus, versammelt die Ältesten, alle Bewohner des Landes beim Hause JHWHs, eures Gottes, und fleht zu JHWH!“

Zur Zeit des Zweiten Tempels wurden regelmäßige Purifikations- (= Reinigungs-) und Sühnerituale vollzogen, in die Elemente der Klage liturgisch integriert waren. Hinzu kamen Gedenktage, an denen einst erlittenes Unheil oder das noch fortwährende Andauern eines unheilvollen Zustandes beklagt wurde.

4. Der Aufbau von Klageliedern

Die Texte der Klagelieder des Einzelnen wie des Volkes weisen, so sehr sie ihrer Natur nach in der spontanen religiösen Reaktion auf eine Notsituation wurzeln, doch durch ihre traditionellen Strukturelemente, d.h. Anrufung der Gottheit, Klage, Bitte, Vertrauensäußerung, Schuldbekenntnis bzw. Unschuldsbeteuerung und Lobgelübde, auf eine ursprüngliche rituelle Bezogenheit des Textvortrags hin. Sie verbinden sich oft mit der Zusicherung des Vertrauens der Gottheit gegenüber, mit Lobversprechen und mit Gelübden. Insofern die Klagen im Rahmen eines Dankopferrituals am Tempel (nach der Zentralisation des Kultus) in Erinnerung an erfahrenes Unheil rezitiert wurden, findet sich in ihnen oft ein Umschwung in ein Danklied für die erfahrene Rettung.

Dieser Wechsel wird traditionell als Folge eines zwischenein ergangenen priesterlichen Heilsorakels rituell erklärt (Hermann Gunkel, Joachim Begrich) oder neuerdings sprechakt-theoretisch als Ausdruck eines Stimmungsumschwungs infolge einer Wende im Bewusstsein des Psalmisten (Bernd Janowski). Er kann aber auch dadurch bedingt sein, dass in der Situation der Einlösung der Gelübde und der Darbringung der Dankopfer durch die Rezitation des Klageliedes das erfahrene Leid ins Gedächtnis gerufen wurde, worauf sodann das Danklied für die erfahrene Rettung folgte. Für diese liturgische Erklärung spricht, dass ein Ritualvollzug unter Hinzuziehung von Opfern infolge der Kultuszentralisation im akuten Krankheitsfall aufgrund der Unreinheit des Kranken und aufgrund der Entfernung zum Heiligtum nicht mehr möglich war und also erst im Kontext der Einlösung der Gelübde die Klage memoriert und der Dank erstattet werden konnte. Die Kanonisierung und Nutzung in der kultfernen Religionsgemeinschaft führt zu ihrer Verwendung im Wortgottesdienst wie in der Privatfrömmigkeit und erfährt hierbei eine zunehmende Verinnerlichung. Zu den Klageliedern des Einzelnen rechnet man Ps 3-7; Ps 13; Ps 17; Ps 22; Ps 25-28; Ps 35; Ps 38-39; Ps 41-43; Ps 51; Ps 54-57; Ps 59; Ps 61; Ps 63; Ps 64; Ps 69; Ps 71; Ps 86; Ps 88; Ps 102; Ps 109; Ps 130; Ps 140; Ps 141; Ps 143, Vertrauenslieder des Einzelnen finden sich in Ps 4; Ps 11; Ps 16; Ps 23; Ps 27; Ps 62; zu den Klageliedern des Volkes rechnet man u.a. Ps 44; Ps 74; Ps 79; Ps 80; Ps 83; Klgl 5; Jes 63,7-64,11; Sir 33,1-13; Sir 36,16b-22; PsSal 7.

5. Musik als Bestandteil von Klagefeiern

Bei der Durchführung der Klagegesänge wurden Musikinstrumente hinzugezogen (→ Musik / Musikinstrumente). Die mesopotamischen Klagen werden gar nach den entsprechenden Instrumenten rubriziert. Man kennt die durch Harfen begleiteten „BALAG“-Klagen, die in der Sprache des sumerischen Kults (Emesal) durch eigens hierfür geeignete Priester (sumerisch: GALA, akkadisch kalû) rezitiert wurden, und die so allgemein gehalten sind, dass sie für unterschiedliche Notsituationen Verwendung finden konnten. Zur Besänftigung einer zürnenden Gottheit sowie bei Passageriten und in den im Jahreslauf zyklisch wiederkehrenden Festen (Akitu-Fest, Neujahrsfest), bei denen die Eindämmung göttlichen Zornes eine Rolle spielte, wurden von den Kalû-Priestern Erschemma-Lieder („Weinen zur Schem-Trommel“) vorgetragen. Bei der Klage des Einzelnen, der eine Gottheit um heilvolle Zuwendung bittet, wurde eine „Klage zur Herzberuhigung“ (eines Gottes) (= Erschahunga) schlicht rezitiert. Der Toten- oder Ahnenkult war mit Flötenspiel assoziiert.

In der Überschrift der Klagelieder des Einzelnen werden in der überwiegenden Zahl der Fälle keine Instrumente erwähnt, sie scheinen also zur (kantilenen?) Rezitation bestimmt gewesen zu sein. Vereinzelt finden sich Hinweise auf andere Texte, was wohl auf bestimmte Melodien hinweist (Ps 22; Ps 56; Ps 57-59; Ps 69; Ps 88). Wenn Instrumente eingesetzt wurden, so Saiteninstrumente (Ps 4; Ps 54; Ps 55; Ps 61). Bei dem Klagelied eines Kranken fand mitunter ein besonderes, achtsaitiges Instrument Verwendung (Ps 6,1). Einen Sonderfall stellt das Flötenspiel zur Morgenklage Ps 4 dar. Flöten wurden noch in nachalttestamentlicher Zeit im antiken Judentum beim Leichenzug verwendet (Mischnatraktat Kelim XVI, 7).

Die Exils-Klage in Ps 137 erwähnt geradezu programmatisch das Verstummen der Instrumente unter der Volksklage in der babylonischen Gefangenschaft: die „Kinnore“ („Kastenleiern“, akkadisch: kinnaru), die die frohen Zionslieder begleiteten, hängen in den Zweigen der Weiden. So fehlt denn auch konsequent der Hinweis auf die Verwendung von Instrumenten in den Klageliedern Jeremias. Die Zuordnung einiger Volksklagelieder zu (levitischen) Sänger-Gilden (→ Korach: Ps 44; Ps 85; → Asaph: Ps 74; Ps 79; Ps 80; Ps 83) lässt den Schluss zu, dass chorischer Gesang gängige Aufführungspraxis war. Ps 60 wird eine Melodie zugewiesen, der Psalm soll aus schriftlicher Überlieferung von David stammen, so wie Ps 90 von Mose.

6. Nachwirkung

Tempelzerstörung und Exil blieben das Thema jüdischer Gedenkfeiern, zumal nach der Zerstörung des 2. Tempels im Jahre 70 n. Chr. Im Gottesdienst am 9. Av (hebr.: Tischa-be-Av) werden die → Klagelieder Jeremias bis heute rezitiert. Hinzugekommen sind weitere Klagelieder aus Zeiten der Verfolgungen der Juden aus der Zeit der Kreuzzüge, die vielfach gleichfalls Bestandteil der Gottesdienste sind. Einige → Psalmen des → Psalters begleiten rituelle Handlungen im Rahmen der Trauerfeier. So werden Ps 16 und Ps 49 im Trauerhaus rezitiert, Ps 1; Ps 15; Ps 16 und Ps 23 bei der Grabsteinsetzung. Ps 103 und Ps 139 haben im Gebet für Kranke ihren Platz gefunden. In dem privaten Gebet, in dem in Anlehnung an Dan 9,3 das Leben in der Diaspora beklagt wird, wird regelmäßig Ps 6 rezitiert.

In der christlich-römischen Liturgie sind die Klagelieder Jeremias ins Stundengebet der Karwoche aufgenommen worden. Die Klage über die Zerstörung Jerusalems wird in der evangelischen Tradition regelmäßig am Israelsonntag thematisiert.

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