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Keruben / Kerubenthroner

Andere Schreibweise: Cheruben

(erstellt: März 2011)

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1. Definition, Funktion und Etymologie

Keruben sind geflügelte → Mischwesen mit einem Menschengesicht und einem Löwenkörper. Sie entsprechen dem Sphinx in Ägypten. In Ez 41,18f ist ein Mischwesen mit Menschen- und Löwenkopf vorausgesetzt.

Durch die Kombination von Körperteilen unterschiedlicher Lebewesen (Mensch / Tiere) werden die mit diesen verbundenen Eigenschaften, Funktionen und Bedeutungen in einem einzigen Wesen vereint und steigern so dessen überlegene, übernatürliche Gewalt und Macht ins Unermessliche. Im Alten Orient haben Keruben vor allem zwei Funktionen: Eine Wächter- und Schutzfunktion (sie schützen z.B. den „Lebens- oder → Weltenbaum“; → sakraler Baum) und eine Tragefunktion (sie tragen die Gottheit bzw. bilden deren Thron). Beide Funktionen finden sich auch im Alten Testament (s. dazu im Folgenden).

Die Etymologie des hebräischen Nomens כְּרוּב kәrûv, das 91-mal im Alten Testament belegt ist, ist umstritten. Diskutiert wird eine Ableitung von akkadisch karābu „weihen / grüßen / segnen“ (vgl. akkadisch kāribu „Genius“), doch bleiben gewisse Unsicherheiten. In der → Septuaginta und im Neuen Testament findet sich die Wiedergabe mit χερουβίν Cheroubín.

2. Ikonographie

Kerub 2
Darstellungen von Keruben sind in Syrien-Palästina auf diversen Bildträgern belegt. Stempelsiegel, Elfenbeinarbeiten und Reliefs aus Stein (→ Ikonographie) nehmen das Motiv in unterschiedlicher Weise auf (vgl. dazu Keel 1977). Die Darstellungen beziehen sich auf die Grundfunktion dieser → Mischwesen: Sie flankieren und beschützen einen „Lebensbaum“.

Kerub 3
Keruben begegnen im Zusammenhang mit Throndarstellungen und tragen dann einen Thronsitz für den König bzw. Königsgott, dessen numinose Mächtigkeit so gesteigert wird.

3. Keruben im Alten Testament

Das Alte Testament kennt unterschiedliche Kerubenkonzeptionen. Auffällig ist auch, dass sowohl vom einzelnen Kerub als auch von Keruben im Plural gesprochen wird.

3.1. Keruben als Wächter

Kerub 4

Keruben beschützen – wie Wächterfiguren bzw. Genien an den Eingängen assyrischer und babylonischer Paläste – den Weg zum Baum des Lebens bzw. den Berg Gottes (Gen 3,24 [Pl.]; Ez 28,14.16 [Sg.]).

3.2. Der Kerub als Reittier JHWHs

In 2Sam 22,11 // Ps 18,11 fungiert der Kerub (Sg.!) als Himmelsreittier JHWHs im Zusammenhang seiner Theophanie (→ Epiphanie). Hier ist vor allem die Ausstattung des Keruben mit → Flügeln wichtig, da sie die Mobilität JHWHs unterstreicht.

3.3. Keruben im Tempel Salomos

Zur Innenausstattung des → SalomonischenTempels gehörten nach 1Kön 6,23-28 zwei 10 Ellen (ca. 5 m) hohe Keruben aus Olivenholz, die nebeneinander, mit dem Gesicht nach vorn standen und mit ihren Flügeln den Gottesthron bildeten. Die inneren Flügel waren die Sitzfläche und die äußeren die Seitenlehne des Thrones.

Daneben waren auch die Wände und Türen des Tempels sowie die Kesselwagen mit umlaufenden Schnitzwerkverzierungen versehen, die u.a. Palmetten und Keruben darstellten (vgl. 1Kön 6,29.32.35; 1Kön 7,29.36; vgl. dazu Metzger 1993, 503ff). Wie oft in der Bildkunst des Alten Orients flankierten die Keruben bei diesen Dekorationen wahrscheinlich die Palmetten.

Dieses Bildensemble symbolisierte den Herrschafts- und Wirkungsbereich JHWHs (vgl. Metzger 1994, 83f). „Da mit dem von Keruben … flankierten Baum auch die Vorstellung des Weltenbaumes verbunden ist, weist der von Keruben flankierte Baum auch auf die universale Herrschaft des Kerubenthroners hin“ (Metzger 1984, 84).

3.4. JHWH, „der auf den Keruben thront“

Das JHWH-Prädikat jošev hakkәrûvîm „Kerubenthroner“ in 1Sam 4,4; 2Sam 6,2 = 1Chr 13,6; 2Kön 19,15 = Jes 37,16; Ps 80,2; Ps 99,1 entstammt ursprünglich der Jerusalemer Kulttradition (→ Zionstheologie) und wurde erst rückblickend mit der in Silo verankerten nordisraelitischen Ladetradition verbunden. Es bezieht sich unmittelbar auf den im Salomonischen Tempel befindlichen Kerubenthron JHWHs, wie z.B. Ps 99,1b.2a nahelegt, wo JHWH, „der Kerubenthroner“, mit dem auf Zion residierenden Gott identifiziert wird (Janowski, 1992). Das → Königtum JHWHs und sein Thronen auf den Keruben gehören unaufhebbar zusammen (vgl. den synonymen Parallelismus membrorum in Ps 99,1 und Wildberger, 1982, 1426). In 2Kön 19,15 ist der Titel mit der Vorstellung von JHWH als König und Weltschöpfer verbunden. Hier und in Ps 80,2 ergeht an den Kerubenthroner eine Bitte um Hilfe und Schutz.

3.5. Keruben und Lade

Durch die Überführung der → Lade in den Jerusalemer Tempel durch die Ältesten Israels, also die Repräsentanten des Nordreichs (1Kön 8,2f), und ihre Aufstellung „unter den Flügeln der Keruben“ (1Kön 8,6) während der Regentschaft Salomos wurden zwei Kultsymbole im Tempel vereint, die ursprünglich nichts miteinander zu tun hatten (vgl. Janowski 1992, 271): „die auf kanaanäische Einflüsse zurückgehenden Keruben und die mit altisraelitischen Traditionen verbundene Lade“ (Würthwein 1977, 89f). Beide Kultsymbole stehen für die (unsichtbare) Präsenz JHWHs und symbolisieren so die Nähe Gottes. Nachdem bereits → David die Lade von Kirjath-Jearim nach Jerusalem gebracht hatte, um das Interesse der Nordstämme für Jerusalem zu aktivieren, dokumentiert ihre Aufstellung im Allerheiligsten des Jerusalemer Tempels „unter den Flügeln der Keruben“ nun vollends die sakrale Union der beiden Reichsteile, also die Verknüpfung von Jerusalemer Zionstheologie mit den religiösen Traditionen des Nordreichs. Damit war, was politisch längst gegeben war, nämlich die Vereinigung von Nord- und Südreich unter einem König in Personalunion, auch auf sakralem Gebiet abschließend vollzogen: „Mit der Überführung der Lade wird der Tempel ein gesamtisraelitisches Heiligtum“ (Noth, 1983, 192).

3.6. Keruben im Buch Ezechiel

Im → Ezechielbuch finden wir verschiedene Kerubenvorstellungen: Ez 9,3; Ez 10,2.4 nennt einen Keruben als „Träger der Herrlichkeit Jahwes und als Wächter des verlassenen Tempels“ (Keel 1977, 153). In Ez 10,1.18-22; Ez 11,22 ist mit den Keruben (Pl.!), die mit den himmlischen Wesen aus Ez 1-3 identifiziert werden, dagegen die Vorstellung eines Thronwagens verbunden, auf dem die Herrlichkeit JHWHs den Tempel verlässt.

3.7. Keruben in der Priesterschrift

Kerub 5
In der → Priesterschrift findet sich eine andere Kerubenkonzeption. Die Keruben stehen hier nicht mehr parallel nebeneinander wie im Salomonischen Tempel, sondern blicken sich an. Ihre Flügel bilden auch keinen Thron mehr, sondern sie haben eine reine Schutzfunktion für die als Sühneort fungierende Kapporät (כפרת kapporæt), die goldene Platte auf der → Lade (Ex 25,18-22; Ex 37,7-9), die den Bereich der intensivsten Gottesnähe darstellt. Die durch die Keruben geschützte Kapporet ist der heilige Ort der Gottesbegegnung, der durch seine Verbindung mit der Lade beweglich ist und somit das Wohnen JHWHs inmitten von Israel erst ermöglicht.

Keruben tauchen auch in der Beschreibung der Ausstattung des priesterlichen Zeltheiligtums auf (→ Stiftshütte). Sie werden in Ex 26,1 (vgl. Ex 36,8) in Zusammenhang mit den Zeltstoffbahnen genannt, die das Heiligtum nach außen abgrenzen. Diese Bahnen scheinen nichts anderes „als zusammengewebte Cherubim“ (Hirsch 1912, 368) zu sein, sie wären somit „als“ Keruben hergestellt, d.h. sie sollten eine abgrenzende und schützende Funktion haben (vgl. dazu Dohmen 2004, 257f). Auch die Parochet (Ex 26,31; Ex 36,35), eine Art Plane, die im Inneren des Zeltheiligtums das Heilige vom Allerheiligsten trennt, sollte in dieser Funktion „als“ Keruben hergestellt werden.

4. Keruben im Neuen Testament

Im Neuen Testament sind Keruben nur in Hebr 9,5 erwähnt. Sie finden sich in der an der Priesterschrift orientierten Beschreibung des irdischen Zeltheiligtums. Dort „beschatten“ sie den über der Lade befindlichen Sühneort (→ Sühne) und dienen als Träger der Herrlichkeit JHWHs.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928ff
  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979
  • Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
  • Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992
  • Biblisches Reallexikon, 2. Aufl., Tübingen 1977
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, 2. Aufl., Stuttgart u.a. 1992
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 2. Aufl., Leiden 1999
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003
  • Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006

2. Weitere Literatur

  • Berlejung, A., 2006, Mischwesen / Kerub, in: Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt, 319-321
  • Dohmen, Chr., 2004, Exodus 19-40 (HThK.AT), Freiburg
  • Görg, M., 1977, Keruben in Jerusalem, BN 4, 13-24
  • Gräßer, E., 1993, An die Hebräer. 2. Teilband: Hebr 7,1-10,18 (EKK XVII/2), Neukirchen-Vluyn
  • Hirsch, S.R., 1912, Der Pentateuch. 2.Teil: Exodus, 5. Aufl., Frankfurt
  • Janowski, B., 2000, Sühne als Heilsgeschehen. Studien zur Sühnetheologie der Priesterschrift und zur Wurzel KPR im Alten Orient und im Alten Testament (WMANT 55), 2. Aufl., Neukirchen-Vluyn, Register s.v.
  • Janowski, B., 1992, Keruben und Zion. Thesen zur Entstehung der Zionstradition, in: ders., Gottes Gegenwart in Israel. Beiträge zur Theologie des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn, 247-280
  • Keel, O., 1977, Jahwe-Visionen und Siegelkunst. Eine neue Deutung der Majestätsschilderungen in Jes 6, Ez 1 und 10 und Sach 4 (SBS 84/85), Stuttgart
  • Keel, O. / Küchler, M. / Uehlinger, Chr., 1984, Orte und Landschaften der Bibel. Ein Handbuch und Studienreiseführer zum Heiligen Land, Bd. 1, Zürich u.a., 664
  • Keel, O., 2007, Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus (OLB IV), Göttingen, Register s.v.
  • Keel, O. / Uehlinger, Chr., 1998, Göttinnen. Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen (QD 134), 4. Aufl., Freiburg, Register s.v.
  • Metzger, M., 1993, Keruben und Palmetten als Dekoration im Jerusalemer Heiligtum und Jahwe, „der Nahrung gibt allem Fleisch“, in: F. Hahn / F.-L. Hossfeld (Hgg.), Zion – Ort der Begegnung (FS L. Klein; BBB 90), Frankfurt / M., 503-529
  • Metzger, M., 1994, Jahwe, der Kerubenthroner, die von Keruben flankierte Palmette und Sphingenthrone aus dem Libanon, in: I. Kottsieper / J. van Oorschot u.a. (Hgg.), „Wer ist wie du, HERR, unter den Göttern?“, Göttingen, 75-90
  • Mettinger, T., 1982, The Dethronement of Sabaoth. Studies in the Shem and Kabod Theologies (ConB OTS 18), Lund
  • Noth, M., 1983, 1Könige 1-16 (BK IX/1), Neukirchen-Vluyn, 2. Aufl.
  • Schroer, S., 1987, In Israel gab es Bilder. Nachrichten von darstellender Kunst im Alten Testament (OBO 74), Freiburg (Schweiz) / Göttingen, 121ff
  • Weippert, H., 1988, Palästina in vorhellenistischer Zeit (HdA II/1), München, 466ff
  • Wildberger, H., 1982, Jesaja. 3. Teilband: Jes 28-39 (BK X/3), Neukirchen-Vluyn
  • Würthwein, E., 1977, Das erste Buch der Könige: 1Könige 1-16 (ATD 11/1), Göttingen
  • Zwickel, W., 1999, Der salomonische Tempel, Mainz

Abbildungsverzeichnis

  • Keruben sind Mischwesen mit Menschenkopf, Löwenkörper und Flügeln, die als Wächtergestalten z.B. kultisch bedeutender Gegenstände fungieren (Orthostat aus Nordsyrien; 9. Jh. v. Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
  • Thron mit schützenden Keruben (Elfenbein; Megiddo; 13./12. Jh.). Aus: O. Keel / Chr. Uehlinger, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg 5. Aufl. 2001, Abb. 65; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
  • Miniatur eines Kerubenthrones (Megiddo; 13./12. Jh. v. Chr.). Aus: O. Keel / Chr. Uehlinger, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg 5. Aufl. 2001, Abb. 66b; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz.
  • Menschenköpfiger Kerub, der einen heiligen Baum flankiert (Samaria; 9./8. Jh. v. Chr.). Aus: O. Keel / C. Uehlinger, Götter, Göttinnen und Gottessymbole (QD 134), Freiburg u.a. 5. Aufl. 2001, 232b; © Stiftung BIBEL+ORIENT, Freiburg / Schweiz
  • Die Keruben auf der Lade nach der Priesterschrift. Aus: H. Gressmann, Altorientalische Bilder zum Alten Testament, Berlin / Leipzig 2. Aufl. 1927, Abb. 513

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