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(erstellt: November 2009)

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1. Altes Testament

1.1. Terminologie

Ein Kerker bzw. Gefängnis, also ein Ort, an dem Personen aus verschiedenen Gründen temporär festgesetzt werden konnten, ist im Alten Testament einige Male belegt. Im Hebräischen gibt es für diesen Ort verschiedene Begriffe, zunächst בֵּית הַכֶּלֶא bêt hakkælæ’ „Haus der Verwahrung“ (2Chr 18,26; 1Kön 22,27; Jer 37,15.18), בֵּית הָאֵסוּר bêt hā’esûr „Haus der Fesslung“ (Jer 37,15; vgl. Ri 16,21.25), בֵּית מַהְפֶּכֶת bêt mahpækhæt „Haus des Blocks“ (2Chr 16,10) und מַסְגֵּר masger „verschließbarer Raum“ (Jes 24,22; Jes 42,7; Ps 142,8). Josefs Gefängnis in Ägypten wird zum einen als בּוֹר bôr „Zisterne“ bezeichnet (Gen 40,15; Gen 41,14), zum anderen als בֵּית הַסוֹהַר bêt hasohar (Gen 39,20-23; Gen 40,3.5). Da das Wort sohar in anderen semitischen Sprachen eine „Rundung“ oder eine „Einschließung“ meint, vermutet man, dass Josefs Kerker entweder eine Festung war oder in einer Festung lag (Vergote 1959, 25-28).

1.2. Räumlichkeiten

Eigene gesicherte Gebäude, die wie eine moderne Haftanstalt ausschließlich als Gefängnis dienten, gab es im alten Israel nicht. Sollte jemand aus irgendwelchen Gründen vorübergehend festgesetzt werden, so nutzte man unterschiedliche Installationen: Räume in Privathäusern (Jer 37,15) oder im Wachhof des Königspalastes (Jer 32,2). Der verschärften Inhaftierung konnte eine trockene Zisterne dienen (vgl. z.B. Jer 37,16; Jer 38,6-7; Jer 41,9), ein in den Fels geschlagener, birnenförmiger Hohlraum, dessen relativ kleiner Eingang mit einer Stein- oder Holzplatte abgedeckt wurde und der eigentlich als Wasserspeicher diente (→ Wasserversorgung), als dunkler, fensterloser Ort aber auch für ein Verlies geeignet war

1.3. Inhaftierungen

Gefängnisse dienten in Israel und seiner Umwelt nicht der Abbüßung einer Haftstrafe. Vielmehr wurden hier Angeklagte bis zum Prozessbeginn sowie der Obrigkeit unliebsame Personen festgesetzt und waren bei vermutlich katastrophalen Haftbedingungen (schlechte Ernährung und mangelhafte hygienische Verhältnisse) auch Willkür und Misshandlungen ausgeliefert (vgl. Ri 16,25). Für die dazu eingerichteten Orte scheint der Begriff „Kerker“ angemessener als „Gefängniss“.

In der → Josefserzählung erlebt der Held seinen ersten Tiefpunkt, nachdem ihn seine Brüder in eine Zisterne (בּוֹר bôr) geworfen haben. Dem ersten Aufstieg im Haus des → Potifar folgt ein zweiter Tiefpunkt in einem ägyptischen Kerker, der ebenfalls als Zisterne (בּוֹר bôr) bezeichnet wird, wohl auch um die Duplizität der Tiefpunkte im Sprachgebrauch deutlich zu machen (vgl. die Duplizität der → Träume sowie der Prüfungen der Brüder).

Simson wurde nach der Gefangennahme durch die → Philister ebenfalls ins Gefängnis gebracht und in dem „Haus der Gefesselten“ (בֵּית הָאֲסִירִים bêt hā’ǎsîrîm) mit Ketten gehalten (Ri 16,21.25).

Gefängnisaufenthalte gehören zum Leidensschicksal der Propheten, die Gottes Wort gegenüber Königen vertreten. Der Seher Hanani wird vom judäischen König → Asa ins „Haus des Blocks“ (בֵּית מַהְפֶּכֶת bêt mahpækhæt) geworfen, nachdem er ihm Unheil angekündigt hat (2Chr 16,10).

Micha ben Jimla wurde von Israels König → Ahab bei Wasser und Brot in einem „Haus der Verwahrung“ (בֵּית הַכֶּלֶא bêt hakkælæ’) festgesetzt (1Kön 22,27; 2Chr 18,26), damit er nicht weglaufen und nach der Schlacht zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Doch Ahab fiel in der Schlacht, so dass der Prophet Recht behielt.

Jeremia wurde mehrfach eingekerkert, um seine wehrkraftzersetzenden Aktivitäten zu unterbinden. Aufgrund seiner probabylonischen, die Widerstandskraft Jerusalems untergrabenden Einstellung war er beim König in Ungnade gefallen und deswegen gefangen genommen worden. Weil er im Verdacht steht, zu den Babyloniern überlaufen zu wollen (Jer 37,13), wird er vorsorglich in einem Privat-Wohnhaus festgesetzt, das als „Haus der Fesslung“ (בֵּית הָאֵסוּר bêt hā’esûr) und „Haus der Verwahrung“ (בֵּית הַכֶּלֶא bêt hakkælæ’) hergerichtet worden war (Jer 37,15.18). Als Gefängnis dienten in diesem Fall nach Jer 37,16 speziell die Lagerräume (חָנוּת chānût) im „Zisternen-Haus“. Mehrfach ist als Gefängnis auch ein Raum im Wachhof des Königspalastes erwähnt (Jer 32,2.8.12; Jer 33,1; Jer 37,21; Jer 38,28). Erschwerte Verwahrungsbedingungen, eventuell mit Tötungsabsicht, liegen vor, als man Jeremia in eine Zisterne wirft, die zwar kein Wasser mehr enthielt, deren Boden aber doch mit Schlamm bedeckt war, so dass Jeremia einsank (Jer 38,6-7).

Auch besiegte Könige wurden gefangen gesetzt, wie z.B. → Hoschea von Israel durch die Assyrer (2Kön 17,4), → Jojachin von Juda durch → Nebukadnezar (2Kön 25,27) und → Zedekia von Juda gleichfalls durch Nebukadnezar (Jer 52,11).

Metaphorisch kann der Kerker als finsterer und oft unterirdischer Ort (z.B. Zisterne) mit negativer Wertung für die Unterwelt stehen, in der die Toten hausen (Jes 24,22; vgl. 2Petr 2,4.9; Apk 20,7; → Jenseitsvorstellungen in Israel). Klagelieder können Leid als Aufenthalt in einem Kerker schildern (Ps 107,10ff) und um die Herausführung aus der Gefangenschaft bitten (Ps 142,8). → Deuterojesaja beschreibt Israels → Exil als Gefängnis (Jes 42,22), doch wird der → Gottesknecht die Gefangenen aus diesem Gefängnis führen (Jes 42,7).

2. Neues Testament

Im Römischen Reich gab es ein einheitlich geordnetes Gerichtswesen und Staatsgefängnisse, in denen Gefangene eine Strafe absitzen (selten) oder auf die Vollstreckung ihres Urteils warten mussten. Wenn im Neuen Testament konkret und detailliert von Kerkern bzw. Gefängnissen die Rede ist, sind vermutlich solche Staatsgefängnisse gemeint, die sich in den Residenzen der Provinzstatthalter befanden, z.B. in Cäsarea.

Es gibt im Neuen Testament mehrere Wörter für Kerker bzw. Gefängnisse. Der allgemein gebräuchliche Begriff ist φυλακή phylakē, ein „Ort öffentlicher Bewachung“ (Apg 4,3), der auch τήρησις tērēsis genannt wurde und an dem die Gefangenen streng bewacht wurden. Die Hohenpriester warfen die Apostel in einen Kerker (Apg 12,7), der wahrscheinlich aus mehreren Räumen (οἴκημα oikēma) bestand, von denen der fensterlose unterirdische Raum (ἐσώτερος φυλακή esōtēros phylakē) mit Blöcken der verschärften Haft diente (Apg 16,24). Die Sicherheitsmaßnahmen und die Behandlungsweise waren in der Regel vermutlich hart. Die Gefangenen wurden mit Handketten gefesselt (Apg 12,6) oder an Füßen, Händen oder sogar am Hals in den Block gespannt (Apg 16,24).

Eine andere Form von Gefängnis ist der „Ort der Fesseln“ (δεσμωτήριον desmōtēriōn), wo die Haft relativ milde war. Die Gefangenen wurden von der Außenwelt nicht ausgeschlossen und konnten besucht werden (Mt 11,2; Mt 25,36). Paulus war als Gefangener in Rom lediglich unter Hausarrest gestellt, während ein Soldat an ihn gekettet war (Apg 28,16.30). Auch Johannes der Täufer wurde in einem δεσμωτήριον desmōtēriōn (Mk 6,14ff) eingekerkert. Die Gefangenen im Gefängnis zu besuchen, gilt als barmherzige Tätigkeit (Mt 25,36.39).

Die Apostelgeschichte erzählt in Aufnahme der alttestamentlichen Tradition von der Verfolgung der Propheten von der Inhaftierung christlicher Missionare als Teil der Leidensnachfolge Christi (Apg 21,13), aber auch von ihrer durch Wunder ermöglichten Befreiung, die zeigen soll, dass sich die vom Heiligen Geist angetriebene Ausbreitung des Christentums durch nichts stoppen lässt (Apg 5,18-21; Apg 12,1-19; Apg 16,16-40).

Metaphorisch kann „Gefängnis“ den Zustand der Unerlöstheit bezeichnen, der mit dem Kommen Jesu beendet wird (Lk 4,18; 1Petr 3,19). Die gefallenen Engel werden einst in „ewigen Ketten“ verwahrt; sie sind Geister, die im Gefängnis sind (1Petr 3,19). Gefängnis wird auch der Abgrund genannt, in dem der Satan für tausend Jahre gefangen werden wird, ehe er im endzeitlichen Kampf endgültig besiegt wird (Apk 20,7).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen, 1962-1979 (Art. Gefängnis)
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart, u.a. 1973ff
  • Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart, 1933-1979
  • Interpreters Dictionary of Bible, Nashville, 1962-1976 (Art. prison, cistern)
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001 (Art. Gefängnis, Zisterne)
  • Das große Bibellexikon, 2. Aufl., Wuppertal 1990 (Art. Gefängnis, Kerker)
  • The Anchor Bible Dictionary, New York, 1992 (Art. prison, punishment and crime)
  • Calwer Bibellexikon, Stuttgart, 2003 (Art. Gefängnis, Kerker, Zisterne)
  • New International Dictionary of Old Testament Theology and Exegesis, Grand Rapids, Mich., 1997
  • Herders Neues Bibellexikon, Freiburg i.Br. / Basel / Wien 2008 (Art. Gefängnis, Zisterne)
  • Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009 (Art. Gefängnis)

2. Weitere Literatur

  • Dierx, W. / Garbrecht, G. (Hg.), Wasser im Heiligen Land. Biblische Zeugnisse und archäologische Forschungen, Mainz 2001
  • Gelb, I.J., Prisoners of War in Early Mesopotamia, JNES 32, 1973, 70-98
  • Held, M., Pits and Pitfalls in Akkadian and Biblical Hebrew, JANES 5, 1973, 173-190
  • Koenen, K., Art., Wasserversorgung, in: WiBiLex, 2005
  • Liwak, R. / Welten, P., „Wer eine Grube gräbt …“. Zum Verhältnis von Archäologie und Exegese am Beispiel einer Ausgrabung in Jerusalem, in: C. Maier / R. Liwak / K.-P. Jörns (Hgg.), Exegese vor Ort (FS P. Welten), 2001, 217-247
  • Matthews, V.H., The Wells of Gerar, BA 49, 1986, 118-126
  • Pixner, B., Die Zisterne des Jeremia, in: B. Pixner / R. Riesner (Hgg.), Wege des Messias und Stätten der Urkirche. Jesus und das Judenchristentum im Licht neuer archäologischer Erkenntnisse, 1991, 267-274
  • Rapske, B., The Book of Acts and Paul in Roman Custody, Grand Rapids, Michigan, 1994
  • Riemschnieder, K., Prison and Punishment in Early Anatolia, JESHO 20, 1977, 114-126
  • Thompson, J. A., Handbook of Life in Bible Times, 1986, 114.120
  • Toorn, K. van der, Judges XVI 21 in the Light of the Akkadian Sources, VT 36, 1986, 248-253
  • Vergote, J., Joseph en Egypt, Leuven, 1959, bes. 25-28

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