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Andere Schreibweise: Qeduscha; Qedusha (engl.); Kedusha (engl.); Qedushah (engl.); Kedushah (engl.); Qeduša; Kadiš

(erstellt: Februar 2012)

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1. Text

Als Keduscha („Heiligung“, „Sanctus“) wird ein zentrales Gebetstück der jüdischen Liturgie bezeichnet, das an mehreren Orten Verwendung findet. In der Regel besteht das Gebet aus der Rezitation von drei, mit einer Einleitung vorgetragenen Schriftstellen: Jes 6,3, Ez 3,12 und Ps 115,10 oder Ex 15,18. Namengebendes Zentralstück des Gebets ist das Dreimalheilig (→ Trishagion) aus der Theophaniebeschreibung des Visionsberichts der → Denkschrift des Jesaja. Die Zusammenstellung der übrigen Verse und verbindenden Texte im Übergang von einem zum anderen Bibelvers unterlag starken Schwankungen. Der Text jeder einzelnen Fassung muss daher gesondert betrachtet werden.

2. Entstehung

Grundmotive der Keduscha lassen sich bereits in Texten aus → Qumran ausmachen. In 11Q 5Kol. XXVI,9-15 „Hymn to the Creator“ finden sich mit der Keduscha vergleichbare Formulierungen, die die Heiligkeit und Größe Gottes preisen. Ob das Gebet als Abbild des Engelgesangs bereits im Tempelgottesdienst Verwendung fand, lässt sich nicht belegen. In der → Septuaginta von Jes 6,1ff wird die Keduscha zwar enger mit dem irdischen Tempel verbunden, sie spricht konkret auch nur von zwei Engeln, die sich gegenseitig zurufen; eine konkrete liturgische Praxis lässt sich dahinter jedoch nicht erkennen. Schon in 1Henoch 39,14 (→ Henochliteratur) ist die Keduscha das Zentralstück der himmlischen Liturgie, wobei die frühesten Formen der Keduscha hohe Flexibilität in der Zusammensetzung und Formulierung aufweisen (vgl. noch 1Henoch 61,12). Schon im 1Henoch wird die Keduscha als himmlisches Gegenstück zur irdischen Liturgie verstanden. Bemerkenswert ist das Fehlen der Keduscha oder irgendeines Hinweises auf die Vision Jesajas in den Sabbat-Liedern aus Qumran, was auf unterschiedliche Traditionsströme oder sogar auf polemische Zurückweisung des Autors der Songs of Sabbath Sacrifice hindeuten könnte (Newsom).

Aufgrund unklarer Terminologie ist nicht zu erschließen, welche Version der Keduscha anfänglich in der rabbinischen Bewegung Aufnahme in das Gebet gefunden hat: Tosefta Berakhot 1,9 erwähnt Rabbi Joschua ben Levi (3. Jh. n. Chr.) eine Keduscha, die von einem Vorbeter rezitiert wird (wohl bei der Wiederholung des → Achtzehngebetes). Im Mischna-Traktat Rosch ha-Schana 4,5 wird eine „Keduschat ha-Schem“ (Heiligung des Namens) im Zusammenhang mit den Segenssprüchen der Musaf-Amida erwähnt; ob damit die Rezitation von Jes 6,3 u.a. Verse verbunden war, wird nicht erläutert. Traktat Berakhot 5,4 (9c) des Jerusalemer Talmud setzt im Namen Rabbi Abbuns (Mitte 4. Jh. n. Chr.) eine Keduscha (Jes 6,3) mit einem darauf folgenden „we-ha-Ofanim“ voraus, welches auf Ez 1,19-21 basiert.

Etwa zur gleichen Zeit der ersten Nennung der Keduscha in der rabbinischen Liturgie erfolgt ihre Erwähnung in den Apostolischen Constitutionen 8,12. Unsicher, weil nicht innerhalb eindeutig als jüdisch zu identifizierender Schriften überliefert, sind die Belege für eine frühe Verwendung der Keduscha in der „hellenistischen Synagoge“ in 2Henoch 21,1 und Testamentum Isaak 6,5.24 (Böttrich; dazu Löhr, 383).

In den → Targumim reflektiert eine frühe liturgische Verwendung der Keduscha, doch ohne dass ein bestimmter Ort erkennbar würde. Einige Targumim lassen Heilige, nicht die Serafim die Keduscha singen. Targum Jesaja 6,1-4 bietet eine längere Erweiterung, die jedoch bereits auf bestehenden Ritus Bezug zu nehmen scheint und sicher später als die amoräische Zeit (3.-5. Jh. n. Chr.) anzusetzen ist.

Aufgrund des Mangels an Belegen für die Entwicklung der Keduscha in der frühen rabbinischen Literatur, kommt dem Zeugnis in den liturgischen Dichtungen aus Palästina (Pijjutim) besondere Bedeutung zu (Fleischer). Die Keduscha erscheint in der rabbinisch geprägten Liturgie ab dem 9. Jh. (Siddur Rav Saadja Gaon; [eingeschränkt auch Seder Rav Amram Gaon]) an drei liturgischen Orten: im Morgengebet, im Achtzehngebet und nach dem Lehrvortrag.

3. Verschiedene Fassungen

3.1. Keduscha de-Jozer („Heiligung im Morgengebet“)

3.1.1. Text (nach einer aschkenasischen Standardrezension)

„Gepriesen seist du, unser Fels, unser König und unser Erlöser, der du die heiligen Wesen erschaffen, gerühmt sei dein Name immerdar, unser König, der die Diener gebildet, und seine Diener stehen alle in der Höhe der Welt und lassen Ehrfurcht insgesamt laut die Worte des lebendigen Gottes und Königs der Welt vernehmen. Alle sind sie in Liebe vereint, alle auserlesen, alle voll Kraft, und alle vollziehen in Bangen und Ehrfurcht den Willen ihres Schöpfers, alle öffnen ihren Mund in Heiligkeit und Reinheit, mit Lob und Gesang, und preisen und rühmen, verherrlichen und erheben, heiligen und huldigen dem Namen Gottes, des Königs, des großen, starken und furchtbaren, heilig ist er. Und alle nehmen auf sich das Joch der himmlischen Herrschaft, einer vom anderen, und erteilen sich Erlaubnis, einer dem andern, ihren Schöpfer zu heiligen in seliger Ruhe, mit lauter Sprache und voll Anmut stimmen sie die Heiligung alle insgesamt an und sprechen mit Ehrfurcht: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth, voll ist die Erde seiner Herrlichkeit. Die Chajot lobsingen, die Kerubim preisen, die Serafim jubeln, die Erelim loben, das Angesicht jeder Chaja, jedes Ofan und Kerub ist den Serafim gegenüber. Gelobt sei die Herrlichkeit des Ewigen von seiner Stätte aus.“

3.1.2. Als Keduscha de-Jozer wird die von der Gemeinde gesprochene Keduscha im ersten Segensspruch vor der Rezitation des → Schema-Gebetes („Höre Israel“) am Morgen bezeichnet. Gelegentlich wird diese Keduscha auch als Keduscha di-Jeschiva („Sitzend gesprochene Keduscha“) im Unterschied zur stehend gesprochenen Keduscha de-Amida bezeichnet. Über den Zeitpunkt der Einführung dieser Keduscha in das synagogale Gebet besteht Unklarheit. Zwar nimmt L. Ginzberg an, schon Tosefta Berakhot 1,9 beziehe sich auf diese Keduscha, doch wird ihm von I. Gruenwald aufgrund terminologischer Beobachtungen widersprochen: Der Text beziehe sich nur auf das Lesen der Jesaja-Verse, nicht auf deren spezielle Verwendung als Teil eines liturgischen Gebets. Auch Jerusalemer Talmud, Traktat Berakhot 5,4 (9c) ist aus kontextuellen Gründen auf die Keduscha de-Amida zu beziehen. Die zusätzlich angedeutete Erwähnung der Ofanim ist für einen Abschnitt palästinischer Keduscha de-Amida typisch.

Die frühen Pijjutim zur Keduscha de-Jozer setzen deren regelmäßige liturgische Verwendung voraus. Wurde eine Keduscha an bestimmten Tagen nicht gesprochen, finden sich dazu keine Pijjutim. Offenbar wurde die Keduscha demnach im älteren palästinischen Ritus nur an Sabbaten und Feiertagen rezitiert. Doch auch dies erfolgte wohl nur in einigen Gemeinden, wie die Handschriftenfunde aus der Kairoer Geniza nahelegen. Selbst an Schabbatot wurde gelegentlich auch weiterhin keine Keduscha eingeführt. Früheste Belege für poetische Bearbeitungen der Keduscha de-Jozer stammen aus der Zeit des Dichters (Pajjetan) Jose ben Jose, etwa gegen Ende der amoräischen Zeit (3.-5. Jh. n. Chr.).

3.2. Keduscha de-Amida („Heiligung im Achtzehngebet“)

3.2.1. Text (nach einer aschkenasischen Standardrezension)

„(Vorbeter) Wir wollen dich preisen und dich heiligen gleich den erhabenen Worten der heiligen Serafim, die deinen Namen in Heiligkeit heiligen, wie geschrieben durch deinen Propheten: Einer ruft dem anderen zu und spricht. (Gemeinde:) Heilig, heilig, heilig der Ewige der Heerscharen, erfüllt ist die Erde von seiner Herrlichkeit! (Vorbeter:) Von seiner Heiligkeit ist das All erfüllt, seine Diener fragen einer den anderen, wo die Stätte seiner Herrlichkeit, ihnen gegenüber stimmen sie Gelobt an. (Gemeinde:) Gelobt sei die Herrlichkeit des Ewigen an seiner Stätte. (Vorbeter:) Von seiner Stätte wende er sich voll Erbarmen und begnadige das Volk, das seinen Namen einzig preist, abends und morgens, jeden Tag beständig zweimal und sprechen sie in Liebe, das Schema.“

3.2.2. Die Keduscha de-Amida wird vom Vorbeter im Wechsel mit der Gemeinde in die Wiederholung des → Achzehngebetes (Amida) im Musaf-Gebet (Zusatzgebet) an einem Sabbat eingeschaltet. Die Existenz dieser eng mit der Entwicklung der Amida verbundenen Keduscha wird bereits in einem zwei Amoräern des 3. Jh. n. Chr. zugeschriebenen Diktum im Babylonischer Talmud, Traktat Berakhot 21b vorausgesetzt (Text Talmud). Dabei geht es um die Frage, bis wann ein verspätet zum Gebet Kommender die Amida nachholen darf: Nach Rabbi Jehoschua ben Levi nur bis zur Keduscha, weil der private Vortrag der Keduscha vermieden werden solle, auch wenn theoretisch ein Quorum (Minjan) von zehn Betern vorhanden ist. Nach Rabbi Adda bar Ahava erfordert jede Angelegenheit, die mit der Keduscha verbunden ist, einen Minjan. Nach L. Ginzberg ist die Keduscha de-Amida babylonischen Ursprungs, d.h. nach der Keduscha de-Jozer eingeführt worden. Dagegen sprechen die frühen Belege in der rabbinischen Literatur, die alle diese Keduscha voraussetzen, während die Keduscha de-Jozer erst in späteren Texten erwähnt wird. In einer gaonäischer Schrift aus Palästina (Tiberias), in der die Unterschiede zwischen palästinischem und babylonischem Brauch aufgelistet werden (M. Margulies [Hg.], The Differences between Babylonian and Palestinian Jews, Jerusalem 1936/37, 5), findet sich der Hinweis, dass die Rezitation der Keduscha täglich im Achtzehngebet üblich war, während die Keduscha in Palästina nur an Sabbaten gesprochen wurde. Die Keduscha de-Amida wurde im älteren palästinischen Ritus im Unterschied zur Keduscha de-Jozer auch noch an Rosch Chodesch (Monatsanfang), Chol ha-Moʽed (Halbfeiertag), Hoschana Rabba und Chanukka rezitiert.

Im Mittelalter wuchsen dem Text dann unterschiedliche Einleitungsformeln und Verse hinzu. Diese Einleitungen deuten darauf hin, dass die mit der Keduscha verbundenen aggadischen Motive und ihre liturgischen Orte (Morgen- und Musaf-Gebet des Schabbat, und besonders an Wochentagen) lange variierten.

3.3. Keduscha de-Sidra („Heiligung nach dem Lehrvortrag“)

3.3.1. Text (nach einer aschkenasischen Standardrezension)

„Und kommen wird der Erlöser für Zion und die reuigen Sünder in Jakob, spricht der Ewige (Jes 59,20), Ich habe diesen Bund mit ihnen (geschlossen), spricht der Ewige, mein Geist der auf dir ruht, und die Worte, die ich in deinen Mund gelegt habe, sie sollen nicht aus deinem Munde weichen und dem Munde deiner Kinder und dem Munde deiner Kindeskinder, spricht der Ewige, von nun an bis in Ewigkeit. Du, Heiliger, thronst über den Lobgesängen Israels (Ps 22,4). Einer ruft dem anderen zu und spricht: Heilig, heilig, heilig ist der Ewige Zebaoth, erfüllt ist die ganze Erde von seiner Herrlichkeit. Sie empfangen einer vom anderen (die Erlaubnis) und sprechen: Heilig in den Himmeln der erhabenen Höhe, der Stätte seiner Gegenwart, heilig auf Erden, dem Werke seiner Allmacht, heilig in Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten, der Ewige Zebaoth erfüllt ist die ganze Erde von dem Glanze seiner Ewigkeit. Ein Wind erhob mich, und ich hörte hinter mir die Stimme des mächtigen Sturmes: Gelobt sei die Herrlichkeit des Ewigen von ihrer Stätte aus. Ein Wind erhob mich, und ich hörte die Stimme eines mächtigen Sturmes derer, die loben und sprachen: Gelobt sei die Herrlichkeit des Ewigen von dem Orte der Stätte seiner Gegenwart aus. Der Ewige regiert immer und ewig! (Ex 15,18) Der Ewige, sein Reich (besteht) in Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten.“

3.3.2. Als Keduscha de-Sidra wird ein Heiligungsgebet bezeichnet, das in der Regel mit Jes 59,20 anhebt. Charakteristisch für diese Version der Keduscha ist, dass in ihr die Verse Jes 6,3, Ez 3,12 und ein Vers aus dem Schilfmeerlied, meist Ex 15,18 oder auch Ps 146,10, jeweils zusammen mit dem Targum (Pseudo-Jonatan) rezitiert werden. Die Verwendung des Targum zu diesen Versen in einem Gebet deutet auf den engen Zusammenhang mit der Tora- oder Propheten-Lesung und deren Auslegung hin. Üblicherweise wird die Keduscha de-Sidra nach dem täglichen Morgengebet, an Montagen, Donnerstagen und Sabbaten nach den Lesungen und nach den Lesungen im Mincha-Gottesdienst vorgetragen. Am Purim-Fest wird Keduscha de-Sidra zusätzlich nach der Lesung aus der Esterrolle rezitiert.

Einführung und Funktion der Keduscha de-Sidra in den rabbinisch geprägten Ritus sind umstritten. Schon der Begriff „Sidra“ ist mehrdeutig, kann er doch so viel wie „Lehrhalle“, „Vortrag“ oder auch die „Gesamtheit der Gebete“ bezeichnen. Eine erste Erwähnung findet die Keduscha de-Sidra im Babylonischen Talmud, Traktat Sota 49a, einem Abschnitt der in amoräische Zeit datiert werden kann. Dort wird die Keduscha mit dem → Qaddisch in Verbindung gebracht. L. Ginzberg (1909) vermutet, die Keduscha de-Sidra habe sich aus einer „aftarta“, also einer Art der Haftara-Benediktion, die im Anschluss an die Propheten-Lesung gesprochen wurde, entwickelt. Solche Benediktionen seien später, nachdem die Prophetenlesungen im Morgengebet weggefallen waren, selbstständig verwendet worden. I. Elbogen (1931) nimmt an, die Keduscha de-Sidra sei aus der Praxis entstanden, nach dem wochentäglichen Morgengebet einen kurzen Lehrvortrag zu halten. Solche Lehrvorträge seien mit Lesungen aus den Propheten verbunden gewesen, die von einer Targum-Übersetzung begleitet wurden. Die Keduscha de-Sidra hätte sich aus einer kurzen Doxologie entwickelt, die ursprünglich nach diesen auf die Sidra folgenden Prophetenlesungen rezitiert wurde. J. Mann bringt die Keduscha de-Sidra mit dem älteren palästinischen Ritus in Verbindung. Dort sei es üblich gewesen, das Trishagion beim Ausheben der Tora im Mincha-Gottesdienst des Schabbat zu rezitieren. Der Terminus „Sidra“, mit dem in Palästina ursprünglich die Tora-Abschnitte der Lesung am Schabbat bezeichnet wurden, bewahre noch ein Echo auf diesen Brauch. Mit der Keduscha de-Sidra sei demzufolge jene Keduscha bezeichnet worden, die beim Ausheben der Tora gesprochen wurde und die ursprünglich der Lesung vorangegangen sei. In Babylonien sei die Rezitation der Keduscha nach dem Studium in das tägliche Morgengebet übernommen worden. Dies könne mit einem Erlass durch die nicht-jüdische Obrigkeit erklärt werden, die Keduscha durch die Rezitation anderer Verse zu „tarnen“, wie etwa die Rezitation von Jes 59,20.

All diese Versuche basieren auf gaonäischen Schreiben, die weniger an der historischen Rekonstruktion als an der Vermittlung halachischer Entscheidungen interessiert sind. Fraglich bleibt somit, ob in amoräischer Zeit (Babylonischer Talmud, Traktat Sota 49a) mit der Keduscha de-Sidra bereits jene Zusammenstellung von Versen und Targum bezeichnet wurde, die in gaonäischer Zeit und in der Zeit, aus der die frühesten Geniza-Fragmente stammen, bekannt war. Wahrscheinlich hat sich die Keduscha de-Sidra aus einem Gebet im Lehrhaus entwickelt und wurde schließlich in das synagogale Gebet übernommen.

4. Keduscha in der Hekhalot-Literatur

In der frühen jüdischen Mystik übernimmt die Keduscha eine zentrale Funktion im Loblied des Adepten, der die Schau der Merkava unternimmt. Jes 6,3 ist einer, wenn nicht der in der Hekhalot-Literatur meistzitierten Bibelverse. Um die Schau des Thronwagens im Verlauf eines paradoxerweise als „Abstieg“ bezeichneten Aufstiegs zu erreichen, müssen bestimmte Loblieder vorgetragen werden, die in dem feierlichen Zitat von Jes 6,3 gipfeln. In einer Fassung dieser Lieder werden sie → Rabbi Akiba zugeschrieben, der sie während seines „Abstiegs“ zur Merkava gehört habe und an Würdige weitergeben wollte. Die sich durch zahlreiche Varianten auszeichnenden Texte finden sich vor allem in der Schrift Hekhalot Rabbati, dem großen Traktat von den himmlischen Palästen, das frühestens im 6. Jh. (möglicherweise erst in Babylonien) redigiert worden ist, aber älteres (palästinisches) Material enthalten könnte (3.-6. Jh.). Inhalt der Keduscha-Lieder (§§ 94-106) ist das himmlische Thronritual, wie es die Heerscharen der Engel vollführen. Die Hymnen beginnen mit einem Lobpreis durch die Engelfürsten, die Gott vor dem Thron dienen. Der personifizierte Thron selbst spielt dabei eine ebenso wichtige Rolle wie Gott selbst. Auf ihm ruht Gott nicht nur, sondern er bespricht sich auch mit ihm (§ 94). Ein Engel (Metatron?) wird täglich von anderen Engeln vor diesen Thron gezerrt, um der göttlichen Macht in besonderer Weise zu dienen (§ 96). Die anderen Engel tragen derweil den Thron, lassen dabei ihre Füße jedoch nicht auf dem Grund des Himmels ruhen, sondern schweben wie Vögel in der Luft (§ 99). Der Zyklus kulminiert in der Schilderung des Herannahens Gottes bzw. des Schreckens, der diejenigen befällt, die anwesend sind und durch Feuer auf Abstand gehalten werden. Dieses Feuer geht aus dem Mund der → Kerubim, Ofanim und heiligen Lebewesen hervor, wenn sie die Keduscha sprechen. Diese Keduscha wird genau in dem Moment rezitiert, wenn Israel sich in den Synagogen versammelt und dort die Keduscha rezitiert (§ 101; vgl. Babylonischer Talmud, Traktat Berakhot 3a). Danach erschrecken die Engel und fallen in Ohnmacht, wobei den Adepten wie den Engeln die Schau des Gewandes Gottes unmöglich erscheint, wenn er sich auf dem ganz mit Permutationen des → Tetragramms bedeckten Thron niederlassen möchte. Derjenige, der die Keduscha der Kerubim, Ofanim und der heiligen Lebewesen hört, wird nach einem weiteren Keduscha-Hymnus wahnsinnig: Ihn befallen Krämpfe und sein Körper zerbirst; er löst sich ganz in Blut auf, sein Herz befallen Stiche, seine Galle wird wie Wasser (§ 102). Insbesondere das mit der Keduscha verbundene Gefährdungsmotiv belegt, dass die Keduscha-Hymnen eigentlich dazu dienen zu verdeutlichen, was der Mystiker im Himmel sieht und welchen Gefahren er dabei ausgesetzt ist. Besondere Funktion übernimmt die Keduscha auch im hebräischen Henochbuch („Dritter Henoch“; → Henoch); hier kann auf das Jes 6,3 statt Ez 3,12 auch die Formel bārûkh šem kəvôd malkhutô ləʽôlām waʽæd „Gesegnet sei der herrliche Name Seiner Königsherrschaft in alle Ewigkeit“ folgen.

Während in der älteren Forschung die Einführung der Keduscha (insbesondere der Keduscha de-Jozer) in den synagogalen Gottesdienst oft auf den Einfluss der Merkava-Mystiker zurückgeführt wurde (Bloch), steht man dieser These inzwischen zurückhaltend gegenüber. Zum einen ist das Verhältnis der Trägerkreise der Hekhalot-Literatur zur rabbinischen Literatur nicht eindeutig geklärt: Waren es dieselben Rabbinen, die sich mit Hekhalot-Mystik befassten, wie die, die die anderen Zeugnisse der rabbinischen Bewegung hinterließen? Zum anderen ist die Einführung eines so zentralen Gebetes wie der Keduscha mit einer so deutlich vom „mainstream“ des rabbinischen Judentums abweichenden Gruppe schwer in Einklang zu bringen. Die Beurteilung des Problems hängt eng mit der nach wie vor umstrittenen Frage der Datierung und Herkunft der Hekhalot-Literatur zusammen. Die Beantwortung dieser Frage hängt auch von der Beurteilung der handschriftlichen Überlieferung ab.

5. Keduscha in Magie und Mystik

Unter dem Einfluss der Hekhalot-Literatur wurden schon im frühen Mittelalter besondere Varianten der Keduscha in die Liturgie eingeführt. Besonders hervorzuheben ist die Keduscha le-Jachid („Keduscha für den Einzelnen“) genannte Supplikation für die Keduscha; ein Text, der aus der Hekhalot-Literatur in einige aschkenasische Handschriften des Seder Rav Amram Gaon aufgenommen worden ist (Hg. Coronel Warschau 1865, 12a-13a.). Auch in magischen Beschwörungsgebeten, wie dem in Fragmenten aus der Kairorer Geniza belegten Sieben Bitten des Elia, spielt die dreizehnmalige Keduscha eine zentrale Rolle (vgl. Magische Texte aus der Kairorer Geniza, hg. von P. Schäfer / Sh. Shaked, Bd. 2, 69). Eine im Kontext magischer Gebete aus der Geniza überlieferte hebräische Fassung des apokryphen Gebetes Jakob (auch Leiter Jakobs) hat eine Lesart der Keduscha bewahrt, wie sie aus dem Slavischen Henoch (2Henoch; → Henoch / Henochliteratur) bekannt ist. Dabei ist in dieser Fassung auch eine Heiligung der „zwölf Häupter“ bewahrt, was an Gebete an den mit dem Gott Israels gleich gesetzten Helios in den griechisch magischen Papyri erinnert. Unter kabbalistischem Einfluss werden die Spekulationen über die Wirkung der Keduscha erweitert. Bereits bei Abraham → Ibn Esra (gest. 1167) findet sich folgende Erklärung zu Jes 6: „D.h., dass sie hekhal und mishkan zur Heiligung Gottes sind, seiner Beschreibung, seinen Wirkweisen und Kräften dienen, und er legt dafür die Worte des Targum hinsichtlich des Verses heilig, heilig, heilig, ist der Herr Zebaot (Jes 6,3) usw. aus, dass sich [dieser Vers] auf die drei Welten bezöge. Und der Targum gibt das erste heilig mit ‚in der Höhe der Wohnstatt seiner Heiligkeit‘ wieder. Dies meint die merom, also die zweite Welt, das Haus seiner shekhina. Der Targum für das zweite heilig lautet: ‚Auf der Erde wandelt seine gevura [Allmacht].‘ Und dies bezieht sich auf die niedere Welt, welche sich in seiner gevura vorbereitet.“ Zur symbolischen Deutung der Keduscha in der Kabbala vgl. Zohar III, 93a (Raya Mehemna) und dazu I. Tishby, The Wisdom of the Zohar, Bd. 3, Oxford 1989, 1030-1033.

6. Christliche Rezeption

In die christliche Liturgie fand die Keduscha vermittelt durch den jüdischen Gottesdienst Aufnahme. Der früheste Beleg für eine liturgische Verwendung des Sanctus stammt aus der Liturgie des Addai und Mari (älteste Teile aus dem 3. Jh. n. Chr.), dann auch im Euchologion des Serapion im 4. Jh. Von da an findet es sich mit leichten kontextuell erklärbaren Abweichungen von der biblischen Vorlage in vielen Abendmahlsliturgien, angefangen bei Caesarius von Arles (6. Jh.) bis in die östlichen Liturgien (ab dem 8. Jh.). Insbesondere die praefationes zum Sanctus waren bereits früh Gegenstand der breiten literarischen Ausgestaltung. Schon Cyrill von Jerusalem (4. Jh.) beschreibt in der fünften seiner Mystagogae Catecheses die durch das Trishagion erfolgende Teilhabe an der himmlischen Liturgie.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

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